Leitsatz (amtlich)
Ob eine steuerliche Diskriminierung i. S. des Art. 95 EWGV vorliegt, ist anhand eines konkreten Belastungsvergleichs zu entscheiden; potentielle Belastungsvorteile für gleichartige inländische Waren, die das Gesetz zwar theoretisch eröffnet, die aber nicht praktisch werden, bleiben außer Betracht.
Normenkette
EWGVtr Art. 95
Tatbestand
Am 27., 29. und 30. April 1976 fertigte eine dem Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt – HZA –) unterstehende Zollstelle auf Antrag der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) vier Einfuhrsendungen französischen Wermutweins zum freien Verkehr ab. Die Zollstelle erhob für den über 10,5 Vol.-% hinausgehenden Weingeistanteil Monopolausgleich nach dem Satz von 1 650 DM/hl Weingeist (W). Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage mit der Begründung, die Erhebung des Monopolausgleichs in Höhe des angewendeten Satzes verstoße gegen Art. 37 Abs. 1 und 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag – EWGV–).
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und hob die angefochtenen Abgabenbescheide i. d. F. der Einspruchsentscheidungen insoweit auf, als darin über 3 500 DM/hl W hinausgehende Monopolausgleichsbeträge festgesetzt sind. Zur Begründung führte es aus:
1. Art. 37 Abs. 1 EWGV verbiete es nicht, eingeführte Branntweinerzeugnisse in gleicher Höhe zu belasten wie gleichartige inländische Waren. Bei dem im Einzelfall durchzuführenden Belastungsvergleich sei die Abgabenhöhe für gleichartige inländische Erzeugnisse der Maßstab für die auf das eingeführte Erzeugnis zu zahlende Abgabe. Ob die Auffassung der Klägerin zutreffe, daß auch solche inländischen Waren in die Betrachtung einbezogen werden müßten, die den eingeführten Erzeugnissen nur ähnlich seien, könne dahinstehen. Die Klage habe auch dann Erfolg, wenn man bei dem Belastungsvergleich auf das dem eingeführten Wermutwein gleichartige inländische Erzeugnis abstelle.
2. Das gleichartige inländische Erzeugnis sei der im Inland hergestellte Wermutwein. Inländischer Wermutwein dürfe nach § 30 Abs. 3 Nr. des Weingesetzes (WeinG) nur mit Weindestillat, Branntwein aus Wein und Weinalkohol aufgestärkt werden. Bei der Herstellung von Branntwein aus Wein dürften im Inland nur Weindestillat und Branntwein aus Wein inländischer und ausländischer Herstellung verwendet und bei der Herstellung des Branntweins aus Wein miteinander verschnitten werden (§ 38 Abs. 1 WeinG). Für den Belastungsvergleich komme also nur inländischer Alkohol aus Obstbrennereien nach § 27 des Branntweinmonopolgesetzes (BranntwMonG) in Betracht, der von der Ablieferungspflicht befreit und auch nicht ablieferungsfähig sei (§ 76 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 BranntwMonG).
3. Ablieferungsfreier Branntwein aus Obstbrennereien werde mit dem Branntweinaufschlag belastet (§ 78 BranntwMonG). Dieser entspreche der Branntweinsteuer nach § 84 Abs. 2 Nr. 1 BranntwMonG (§ 79 Abs. 1 BranntwMonG). Diese habe im April 1976 1 650 DM/hl W betragen. Im Unterschied zum Monopolausgleich vermindere sich jedoch der Branntweinaufschlag nach § 79 Abs. 2 BranntwMonG.
Für den Belastungsvergleich komme zwar nicht der Branntwein in Betracht, der von Abfindungsbrennereien, von Stoffbesitzern oder von Verschlußkleinbrennereien mit einer Jahreserzeugung von 4 hl W (§ 79 Abs. 2 Nr. 1 BranntwMonG) hergestellt werden könne, weil die französische Herstellerin des importierten Wermutweins mit Sicherheit einen über solche Kleinbetriebe hinausgehenden Geschäftsbetrieb unterhalte. Relevant sei aber, daß nach § 79 Abs. 2 BranntwMonG auch Obstgemeinschaftsbrennereien in den Genuß des verminderten Branntweinaufschlagsatzes kämen, sofern der von ihnen erzeugte Branntwein als innerhalb des Brennrechts hergestellt gelte. Nach dem statistischen Bericht der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein (BMV) für das Betriebsjahr 1975/1976 seien damals im Bundesgebiet neun Obstgemeinschaftsbrennereien in Betrieb gewesen, die alle mehr als 4 hl W, pro Mitglied aber nicht mehr als 300 l W, erzeugt hätten. Auf die Frage, ob die im Inland betriebenen Obstgemeinschaftsbrennereien im Einfuhrzeitpunkt auch Alkohol aus Wein hergestellt hätten, komme es nicht an, da Art. 37 Abs. 1 Unterabsatz 2 EWGV für alle Einrichtungen gelte, durch die ein Mitgliedstaat unmittelbar oder mittelbar die Einfuhr oder die Ausfuhr zwischen den Mitgliedstaaten rechtlich oder tatsächlich kontrolliere, lenke oder merklich beeinflusse. Für eine Verletzung des Art. 37 Abs. 1 EWGV genüge bereits die bloße Diskriminierungsmöglichkeit (vgl. Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften – EGH – vom 11. Juli 1974 Rs. 8/74, EGHE 1974, 837, und vom 15. Dezember 1976 Rs. 41/76, EGHE 1976, 1921).
Mit seiner Revision rügt das HZA Verletzung der §§ 151, 152 Nr. 2 BranntwMonG und des Art. 37 Abs. 1 EWGV.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Die Vorentscheidung ist zutreffend davon ausgegangen, daß im Rahmen der Prüfung, ob Art. 95 Abs. 1 EWGV verletzt ist, die Abgabenbelastung des eingeführten französischen Wermutweins mit der entsprechenden Belastung von im Inland hergestellten Wermutweinen zu vergleichen ist. Der Vorentscheidung ist ferner darin zu folgen, daß im Hinblick auf die Regelung des § 30 Abs. 3 Nr. 1 WeinG., wonach inländischem Wermutwein nur Weindestillat, Branntwein aus Wein und Weinalkohol zugesetzt werden darf, für den Belastungsvergleich nur inländischer Branntwein aus Obstbrennereien i. S. des § 27 BranntwMonG in Betracht kommt, der von der Ablieferungspflicht an die BMV befreit und auch nicht ablieferungsfähig ist (§ 76 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 BranntwMonG). Eines Vergleiches mit der Abgabenbelastung ablieferungspflichtigen und von der BMV vermarkteten Branntweines bedarf es also nicht.
Schließlich hat das FG auch zutreffend in die Prüfung der Frage, wie hoch die Belastung der zum Vergleich herangezogenen inländischen Waren war, die besonderen Vergünstigungen im Hinblick auf den zu erhebenden Branntweinaufschlag für bestimmte Erzeuger nach §§ 79 Abs. 2, 79 a BranntwMonG einbezogen. Eine differenzierende, auf die Umstände der Erzeugung abgestellte Belastung der inländischen Produkte ist den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften (EG) grundsätzlich nicht verwehrt (vgl. EGH-Urteile in EGHE 1976, 1079 und EGHE 1978, 1787, 1806 sowie vom 27. Februar 1980 Rs. 168, 169, 170, 171/78, noch nicht veröffentlicht). Eine solche Differenzierung bewirkt aber, daß die Abgabenbelastung je nach den Umständen der Erzeugung verschieden hoch ist. Auch wenn dabei nur ein geringer Teil der inländischen Produkte in den Genuß eines besonders günstigen Abgabensatzes kommt, muß diese Vergünstigung nach Art. 95 Abs. 1 EWGV in nicht diskriminierender Weise auch auf eingeführte Erzeugnisse „in gleicher Lage” angewendet werden (vgl. EGH-Urteil Rs. 168, 169, 170, 171/78, jeweils Abs. 16 der Urteilsgründe). Voraussetzung ist freilich, daß die eingeführten Produkte unter Berücksichtigung der Kriterien des Art. 95 Abs. 1 EWGV „die gleichen Voraussetzungen erfüllen” (vgl. EGH-Urteil in EGHE 1978, 1787).
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dieser Rechtslage, daß ein Vergleich anzustellen ist zwischen den Umständen der Erzeugung des Branntweins, der den eingeführten Waren zugesetzt worden ist, und den Umständen der Erzeugung von jenen Branntweinen, die vergleichbaren inländischen Waren zugesetzt werden. Entgegen der Auffassung des FG kann dieser Vergleich nicht theoretisch anhand der Rechtslage und den von dieser den Herstellern gleichartiger inländischer Waren eröffneten Möglichkeiten durchgeführt werden.
Nach dem Wortlaut des Art. 95 Abs. 1 EWGV ist eine eingeführte Ware nur dann diskriminiert, wenn sie höheren inländischen Abgaben unterliegt als gleichartige inländische Waren zu tragen haben. Schon die Frage, ob gleichartige inländische Waren vorliegen, kann nur konkret anhand der tatsächlichen Gegebenheiten geprüft werden, wie der EGH in ständiger Rechtsprechung entschieden hat Folgerichtig kann dann aber auch beim Belastunsvergleich nur die Abgabenbelastung relevant sein, der die zum Vergleich tatsächlich herangezogenen inländischen Waren konkret unterliegen. Sicherlich müssen bei diesem Belastungsvergleich auch Steuervergünstigungen berücksichtigt werden, in deren Genuß auch nur ein geringer Teil der vergleichbaren inländischen Waren gelangt. Scheiden solche Steuervergünstigungen aber praktisch völlig aus, so kann die allein theoretisch gegebene rechtliche Möglichkeit, daß es anders sein könnte, keine Diskriminierung begründen. Denn tatsächlich liegt dann eine sachlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung nicht vor.
Die Richtigkeit dieser Auffassung wird durch die zuletzt zitierten EGH-Urteile bestätigt. Der EGH hat im Urteil in EGHE 1978, 1787 in Abs. 20 seiner Urteilsgründe entschieden, daß die gewährten Vergünstigungen auf eingeführten Branntwein, der die gleichen Voraussetzungen erfüllt, erstreckt werden müssen, „auch wenn nur ein geringer Teil der nationalen Erzeugung in ihren Genuß gelangt oder sie aus besonderen sozialen Gründen gewährt werden”. Im Hinblick auf diese Rechtsprechung des EGH bedarf es auch nicht der Einholung einer Vorabentscheidung des EGH nach Art. 177 EWGV.
Zu Unrecht beruft sich das FG für seine gegenteilige Auffassung auf die EGH-Urteile in EGHE 1974, 837 und 1976, 1921. Dort hat der EGH ausgeführt, daß jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, als eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung anzusehen ist. Damit hat er zum Ausdruck gebracht, daß es bei Maßnahmen der Mitgliedstaaten, die mengenmäßigen Beschränkungen ähnlich sind, des Nachweises der tatsächlichen Behinderung nicht bedarf (der in solchen Fällen auch in der Tat kaum zu führen wäre) und die Existenz der (ja konkret gegebenen und angewendeten) Regelung allein schon genügt. Die Problematik dieses Falles ist also mit der des vorliegenden Falles nicht vergleichbar.
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann aus dem Umstand, daß durch das Änderungsgesetz vom 13. Juli 1978 (BGBl I 1978, 1002) § 79 a BranntwMonG aufgehoben und § 79 Abs. 2 Nr. 1 BranntwMonG im Hinblick auf die Obstgemeinschaftsbrennereien geändert worden ist, nicht entnommen werden, der deutsche Gesetzgeber habe damit bestätigt, daß die rechtliche Diskriminierungsmöglichkeit allein schon genüge, um das Diskriminierungsverbot des Art. 95 Abs. 1 EWGV zum Tragen zu bringen. Diese Gesetzesänderung kann auf vielfältigen anderen Überlegungen beruhen. Ein zwingender Schluß auf eine bestimmte Auffassung des Gesetzgebers ergibt sich daraus nicht Überdies wäre sie für die Auslegung des Art. 95 Abs. 1 EWGV ohne Belang, weil dieser Vorschrift als Gemeinschaftsrecht ohnehin der Vorrang vor nationalem Recht zukommt.
Das FG hat – von seiner Rechtsauffassung aus gesehen zu Recht – keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen getroffen, die es ermöglichen würden, darüber zu entscheiden, ob Art. 95 Abs. 1 EWGV dem durch die angefochtenen Bescheide geltend gemachten Abgabenanspruch entgegensteht. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben und die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 510562 |
BFHE 1981, 410 |