Leitsatz (amtlich)
1. Im Falle der Zusammenveranlagung unbeschränkt steuerpflichtiger Eheleute ist das Einkommen auch dann mit dem Steuersatz, der sich aufgrund des Progressionsvorbehalts eines DBA ergibt, zu besteuern, wenn der eine Ehegatte ausschließlich ausländische Einkünfte -- hier solche aus nichtselbständiger Arbeit -- bezieht, die in der Bundesrepublik Deutschland nach den Vorschriften des Abkommens steuerfrel sind.
2. Zur Berechnung des maßgeblichen Steuersatzes aufgrund eines Progressionsvorbehalts.
Normenkette
DBA AUT Art. 9 Abs. 1, Art. 15 Abs. 1, 3; EStG 1975 § 26 Abs. 1, §§ 26b, 32b
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und seine Ehefrau waren im Streitjahr 1975 als Angestellte tätig. Ihr gemeinsamer Wohnsitz befand sich im Inland. Die Ehefrau bezog aus ihrem inländischen Arbeitsverhältnis Einkünfte von ... DM. Der Kläger war das ganze Jahr über in Österreich beschäftigt und bezog einen Bruttoarbeitslohn von ... DM. Weitere Einkünfte hatte er nicht. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) veranlagte die Eheleute im Wege der Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer. Er behandelte die Einkünfte des Klägers als steuerfrei nach Art. 9 Abs. 1 i. V. m. Art. 15 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und Grundsteuern vom 4. Oktober 1954 -- DBA -- Österreich -- (BGBl II 1955, 750, BStBl I 1955, 370) und besteuerte das Einkommen der Eheleute unter Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts (Art. 15 Abs. 3 des Abkommens) nach der Splittingtabelle mit einem Satz von 30,085 v. H.
Hiergegen wandte sich der Kläger nach erfolglosem Einspruch mit der Klage. Er begehrte die Herabsetzung der Einkommensteuer. Die Anwendung des Progressionsvorbehalts des Art. 15 Abs. 3 DBA-Österreich setze inländische Einkünfte voraus. Er habe aber im Streitjahr keine inländischen Einkünfte gehabt, denen seine ausländischen Einkünfte zur Ermittlung eines Steuersatzes hinzugerechnet werden könnten.
Das Finanzgericht (FG) wies mit dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1979, 500 veröffentlichten Urteil die Klage ab.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der vom FG zugelassenen Revision. Er rügt Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Das FG hat zu Recht entschieden, daß das in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) zu versteuernde Einkommen der Eheleute mit dem Steuersatz zu versteuern ist, der sich unter Einbeziehung der österreichischen Einkünfte des Klägers (Ehemanns) ergibt. Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben, weil der anzuwendende Steuersatz nicht richtig berechnet worden ist.
1. Der Progressionsvorbehalt des Art. 15 Abs. 3 DBA-Österreich enthält nicht nur eine Ermächtigung für die Bundesrepublik, eine Vorschrift zu schaffen, daß bei der Ermittlung des Steuersatzes für das zur Besteuerung verbleibende Einkommen die von der inländischen Steuer befreiten Einkünfte wieder hinzuzurechnen sind; der Progressionsvorbehalt des Abkommens stellt selbst diese Vorschrift dar (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 4. August 1976 I R 152, 153/74, BFHE 119, 470, BStBl II 1976, 662). Der bei der Veranlagung 1975 schon anzuwendende § 32 b des Einkommensteuergesetzes -- EStG -- (eingefügt durch das Einkommensteuerreformgesetz vom 5. August 1974, BGBl I, 1769, BStBl I 1974, 530), mit dem erstmals Vorschriften über den Progressionsvorbehalt in das EStG aufgenommen worden sind, dient lediglich der Bestätigung einer bisherigen Praxis und der Rechtssicherheit (vgl. die Begründung des Finanzausschusses, BT-Drucks 7/2180 S. 20 zu Nr. 42; Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 19. Aufl., § 32 b EStG Rdnr. 8; Schreiben des Bundesministers der Finanzen -- BMF -- vom 29. November 1974, BStBl I 1974, 946 Tz. 13.5).
Das FG hat zutreffend darauf hingewiesen, daß durch den Progressionsvorbehalt die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, wie sie durch die progressive Gestaltung des Steuertarifs bewirkt wird, sichergestellt werden soll. Ist in ein DBA der Progressionsvorbehalt aufgenommen worden, soll die Besteuerung der dem Wohnsitzstaat zugeteilten Einkünfte mit dem für das Einkommen maßgeblichen Steuertarif unberührt bleiben. Die Tatsache, daß die Einkünfte aus verschiedenen Staaten stammen, soll sich auf den Steuersatz nicht auswirken (BFH-Urteil vom 25. Mai 1970 I R 109/68, BFHE 99, 367, BStBl II 1970, 660).
Nach Art. 15 Abs. 3 DBA-Österreich kann der Wohnsitzstaat die Steuern von den ihm zur Besteuerung überlassenen Einkünften nach dem Satz erheben, der dem Gesamteinkommen der steuerpflichtigen Person entspricht. Die Angriffe der Revision richten sich insbesondere dagegen, daß bei der Zusammenveranlagung von Eheleuten der anzuwendende Steuersatz auf der Grundlage des gemeinsamen Einkommens selbst dann berechnet wird, wenn einer der Eheleute in der Bundesrepublik keine steuerpflichtigen Einkünfte bezogen hat.
Der Begriff des Gesamteinkommens ist im Abkommen nicht näher umschrieben und kann auch aus dem Zusammenhang der Vorschriften des Abkommens nicht geschlossen werden. Er ist daher nach innerstaatlichem Recht auszulegen. Das Gesamteinkommen einer im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen Person setzt sich entsprechend der in § 2 Abs. 4 EStG 1975 gegebenen Definition des Einkommens aus den in Abs. 1 dieser Vorschrift näher bestimmten Einkunftsarten zusammen. Bei der Zusammenveranlagung von unbeschränkt steuerpflichtigen Ehegatten werden die Einkünfte, die die Ehegatten erzielt haben, zusammengerechnet, den Ehegatten gemeinsam zugerechnet und, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, die Ehegatten sodann gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt (§ 26 Abs. 1 Satz 1, § 26 b EStG 1975). Das bedeutet, daß nur ein Gesamtbetrag der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG), nur ein Einkommen (§ 2 Abs. 4 EStG) und nur ein zu versteuerndes Einkommen (§ 2 Abs. 5 EStG) gebildet wird. Die Einkommensteuer wird sodann in der Weise ermittelt, daß sie von der Hälfte des zu versteuernden Einkommensbetrages berechnet und der sich ergebende Betrag verdoppelt wird (§ 32 a Abs. 5 EStG). Damit wird jedem Ehegatten die Hälfte des Gesamteinkommens zugerechnet.
Aus Art. 15 Abs. 3 DBA-Österreich läßt sich nicht entnehmen, daß auch im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten der Progressionsvorbehalt nur auf die inländischen Einkünfte desjenigen Ehegatten angewendet werden darf, der Einkünfte aus Österreich bezogen hat. Die Worte "Gesamteinkommen der steuerpflichtigen Person" deuten vielmehr darauf hin, den Progressionsvorbehalt auf das Gesamteinkommen beider Ehegatten anzuwenden, wenn das innerstaatliche Recht die Zusammenveranlagung vorschreibt oder zuläßt mit der Folge, daß für die Zwecke der Besteuerung die Ehegatten als eine steuerpflichtige Person behandelt werden. Es ist im Schrifttum nicht streitig, und etwas Gegenteiliges wird auch vom Kläger nicht vertreten, daß im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten der Progressionsvorbehalt eingreift, wenn beide Ehegatten inländische Einkünfte haben und außerdem der eine von ihnen ausländische Einkünfte bezieht. Der Progressionsvorbehalt kann sich auch bei negativen Einkünften auswirken. Nach der Rechtsprechung (BFHE 99, 367, BStBl II 1970, 660; BFH-Urteil vom 25. Mai 1970 I R 146/68, BFHE 99, 572, BStBl II 1970, 755) können in Österreich erlittene Verluste im Wege eines sog. negativen Progressionsvorbehalts sogar dazu führen, daß auf die inländischen Einkünfte ein Steuersatz von O v. H. anzuwenden ist und damit das im Inland zu versteuernde Einkommen im Ergebnis steuerfrei bleibt. Alles das folgt notwendig daraus, daß aufgrund eines Progressionsvorbehalts der Steuersatz anzuwenden ist, der sich ergibt, wenn das DBA nicht bestünde, d. h. wenn der Steuerpflichtige oder im Falle der Zusammenveranlagung die Ehegatten mit dem gesamten in- und ausländischen Einkommen der inländischen Besteuerung unterlägen.
Ist Gegenstand der Anwendung des Progressionsvorbehalts das inländische Gesamteinkommen der Ehegatten, kann es nicht darauf ankommen, welcher von Ihnen die ausländischen und inländischen Einkünfte bezogen hat. Er ist anzuwenden, wenn nur einer der Ehegatten Bezieher sämtlicher in- und ausländischen Einkünfte ist. Es ist nicht einzusehen, daß es anders sein soll, wenn der eine Ehegatte Bezieher der inländischen und der andere Bezieher der ausländischen Einkünfte ist. Auch wenn nur einer der Ehegatten im Inland steuerpflichtige Einkünfte bezieht, haben im Falle der Zusammenveranlagung beide Ehegatten ein inländisches Gesamteinkommen, das, wie oben dargestellt, in bestimmter Weise -- nach dem Splittingsteuersatz -- besteuert wird.
Der erkennende Senat hält daher die Anwendung des Progressionsvorbehalts, somit die Errechnung des Steuersatzes aufgrund der Zusammenrechnung der österreichischen Einkünfte des Klägers mit den inländischen Einkünften seiner Ehefrau, für Rechtens. Dieser Auffassung ist auch die österreichische Rechtsprechung. Diese hat das DBA-Österreich so ausgelegt, daß bei der auch nach österreichischem Steuerrecht möglichen Zusammenveranlagung von Ehegatten der Progressionsvorbehalt anzuwenden ist, wenn der eine der in Österreich wohnenden Ehegatten nur Einkünfte aus Österreich und der andere nur Einkünfte aus Deutschland bezieht (Erkenntnis des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs vom 2. Oktober 1964 B 3/64 -- Sammlung 29 Nr. 4796 --, und Erkenntnis des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Januar 1965 Z 348/64 -- Sammlung 20 Nr. 3208 --).
Entgegen der Auffassung des Klägers stellt die Anwendung des Progressionsvorbehalts im Streitfall -- nur einer der Ehegatten bezieht seine Einkünfte ausschließlich aus Österreich -- keine doppelte Besteuerung dar. Müssen Ehegatten im Falle der Zusammenveranlagung wie ein einheitliches Steuersubjekt behandelt werden, ist das im Inland der Besteuerung unterliegende Einkommen mit dem ihm zukommenden progressiven Steuersatz zu belegen. Es wird damit vom Normalfall der Besteuerung nicht abgewichen und nicht gegen das DBA verstoßen (vgl. die Hinweise auf die Rechtsprechung Schweizer Steuergerichte bei Locher, Das schweizerische und deutsche Doppelbesteuerungsabkommen, Bd. 2, B § 3, II C Nr. 2).
2. Wie sich aus dem FG-Urteil und dem Steuerbescheid ergibt, sind zur Errechnung des Progressionsvorbehalts die Bruttobezüge des Klägers (40 595 DM) angesetzt worden. Das ist rechtsfehlerhaft. Für die Errechnung des Steuersatzes, der auf das zu versteuernde inländische Einkommen der Eheleute anzuwenden ist, ist das Einkommen zugrunde zu legen, wie es sich aus den innerstaatlichen Besteuerungsvorschriften -- hier nach dem für den Veranlagungszeitraum 1975 geltenden EStG 1975 -- ergibt. Hierzu sind die ausländischen Einkünfte des Klägers nach den maßgeblichen Grundsätzen des deutschen Einkommensteuerrechts zu ermitteln (vgl. BFH-Urteil vom 11. Juli 1979 I R 149/76, BFHE 128, 248; Abschn. 185 Abs. 1 der Einkommensteuer-Richtlinien 1975). Insbesondere sind Werbungskosten, der Weihnachtsfreibetrag und der Arbeitnehmerfreibetrag zu berücksichtigen. Da nicht feststeht. ob der Kläger nach deutschem Einkommensteuerrecht über den Werbungskostenpauschbetrag hinaus höhere Werbungskosten geltend machen kann, ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zur Neuberechnung des anzuwendenden Steuersatzes zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 74462 |
BStBl II 1983, 34 |
BFHE 1983, 533 |