Leitsatz (amtlich)
Durch das Grundgesetz wird keine ausdrückliche Verpflichtung für die Landesgesetzgebung aufgestellt, bei den Finanzgerichten hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellte Richter zu verwenden. Es entspricht aber dem Geist des Grundgesetzes, die Finanzgerichte mit solchen Richtern zu besetzen.
Normenkette
GG Art. 92, 97 Abs. 2
Tatbestand
Streitig ist der Abzug von Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Finanzamt und Finanzgericht haben den Abzug abgelehnt.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) wird Aufhebung der Vorentscheidungen beantragt. Verfahrensrechtlich wird insbesondere gerügt, daß das Finanzgericht nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei. Nach Art. 96 des Grundgesetzes (GG) sei die Rechtspflege Richtern anvertraut. Richter seien aber nur solche Persönlichkeiten, die die in Art. 97 GG bezeichnete persönliche Unabhängigkeit genießen. Dies gelte nicht nur für die ordentliche Gerichtsbarkeit, sondern auch für die Finanzgerichtsbarkeit und nicht nur für die oberen Bundesgerichte, sondern auch für die unteren Rechtszüge. Alle früheren Gesetze, die mit dem Art. 96 nicht vereinbar seien, könnten nicht mehr als gültig angesehen werden. Das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, sei nicht mit Richtern besetzt, sondern mit zwei persönlich abhängigen Finanzbeamten, die beide Beamte des Finanzministeriums seien.
Das Finanzministerium des Landes Württemberg-Hohenzollern hat gemäß § 6 Abs. 3 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof vom 29. Juni 1950 (Bundesgesetzblatt -- BGBl. -- S. 257) den Beitritt zur Rb. erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rb. ergibt:
Das Finanzgericht des Landes Württemberg-Hohenzollern hat seine Rechtsgrundlage in der Rechtsanordnung über die Wiedereinführung des Berufungsverfahrens in Steuersachen und über die Errichtung eines Finanzgerichts vom 21. März 1947 (Regierungsblatt für das Land Württemberg-Hohenzollern 1947 S. 102). Durch diese Anordnung ist in Württemberg-Hohenzollern für das Gebiet der Besitz- und Verkehrsteuern das Berufungsverfahren im Sinne der §§ 228 ff., §§ 259 ff., § 278 der Reichsabgabenordnung (AO) wiederhergestellt worden. Zur Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung wurde ein Finanzgericht gebildet. Das Finanzgericht ist der Landesdirektion der Finanzen angegliedert und hat seinen Sitz in Tübingen. Bei dem Finanzgericht werden nach Bedarf Kammern gebildet. Die Kammern entscheiden in der Besetzung von fünf Mitgliedern, und zwar wirken bei der Entscheidung mit: der Vorsitzende, ein beamteter Beisitzer (ständiges Mitglied) und drei ehrenamtliche Beisitzer. Der Vorsitzende und die beamteten Beisitzer (ständigen Mitglieder) des Finanzgerichts werden vom Direktorium aus den Beamten der Staatsfinanzverwaltung bestellt. Die ehrenamtlichen Mitglieder werden je zur Hälfte vom Landtag und von den öffentlichen Berufsvertretungen gewählt. Im § 3 Abs. 3 der Rechtsanordnung vom 21. März 1947 ist bestimmt: Die Mitglieder des Finanzgerichts sind als solche unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.
Diese Rechtsanordnung ist seinerzeit ordnungsmäßig zustande gekommen und rechtsgültig verkündet worden. Sie beruht auf dem Statut des Staatsekretariats für das französisch besetzte Gebiet Württembergs und Hohenzollerns vom 30. Oktober 1945 (Amtsblatt des Staatssekretariats für das französisch besetzte Gebiet Württembergs und Hohenzollerns S. 1). Sie war bei ihrem Inkrafttreten bindendes Recht. Es ist zu untersuchen, ob diese Rechtsanordnung, soweit sie die Besetzung des Gerichts mit Richtern behandelt, durch das Bonner Grundgesetz berührt worden ist. Nach Art. 123 Abs. 1 GG gilt Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestags fort, soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht. Als "Recht" im Sinne dieser Vorschrift ist jede Rechtsnorm anzusehen, unabhängig von ihrer Erscheinungsform (formelles Gesetz, Rechtsanordnung, Gewohnheitsrecht) und unabhängig von der Rechtsquelle (früheres Reichsrecht, früheres Landesrecht, neues Landesrecht, bizonales Recht und zonales Recht). Unter Art. 123 Abs. 1 GG fällt insbesondere auch das gesamte nach dem 8. Mai 1945 entstandene, von deutschen Stellen neu gesetzte Recht, das irgendwie unter Mitwirkung der Besatzungsmacht zustande gekommen ist, wobei es unerheblich ist, in welchem Grade diese Mitwirkung der Besatzungsmacht stattgefunden hat (Anregung, Befehl, nachträgliche Genehmigung). Die Rechtsanordnung des Landes Württemberg-Hohenzollern vom 21. März 1947 ist sonach Recht im Sinne des Art. 123 Abs. 1 GG. Sie gilt weiter, soweit sie nicht dem Grundgesetz widerspricht. Der Art. 97 Abs. 1 GG regelt die sachliche Unabhängigkeit der Richter: "Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen." Da in § 3 Abs. 3 der Rechtsanordnung des Landes Württemberg-Hohenzollern vom 21. März 1947 die sachliche Unabhängigkeit der Richter des Finanzgerichts Tübingen ausdrücklich ausgesprochen ist, besteht jedenfalls insoweit kein Widerspruch zu dem Grundgesetz. Im Art. 97 Abs. 2 GG ist die persönliche Unabhängigkeit der Richter behandelt. Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter können danach wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtstätigkeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Die Gesetzgebung kann Altersgrenzen festsetzen, bei deren Erreichung auf Lebenszeit angestellte Richter in den Ruhestand treten. Für die ordentliche Gerichtsbarkeit (Zivilgerichtsbarkeit und Strafgerichtsbarkeit) ist im Gerichtsverfassungsgesetz bestimmt, daß die Richter auf Lebenszeit ernannt werden (§ 6 des Gerichtsverfassungsgesetzes). Das gleiche gilt auf dem Gebiete der Finanzgerichtsbarkeit für die Mitglieder des Bundesfinanzhofs (§ 3 Abs. 2 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof vom 29. Juni 1950, BGBl. S. 257). Die Mitglieder des Bundesfinanzhofs dürfen weder in der Finanzverwaltung des Bundes noch in der Finanzverwaltung eines Landes hauptamtlich oder nebenamtlich beschäftigt werden (§ 3 Abs. 4 a. a. O.). Die Finanzgerichte -- mit Ausnahme des Bundesfinanzhofs -- sind nach der derzeitigen Rechtslage Behörden der Länder. Das im Art. 108 Abs. 5 GG vorgesehene Bundesgesetz, durch das die Finanzgerichtsbarkeit einheitlich geregelt werden soll, ist in Vorbereitung. Die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Finanzgerichte bestimmen sich danach, soweit nicht Vorschriften der Reichsabgabenordnung noch Platz greifen, nach Landesrecht. Durch das Grundgesetz wird keine ausdrückliche Verpflichtung für die Landesgesetzgebung aufgestellt, bei den Finanzgerichten als Richter nur hauptamtlich und planmäßig angestellte Richter oder Richter auf Lebenszeit zu verwenden. Dem Bf. ist darin beizupflichten, daß es dem Geiste des Grundgesetzes entspricht, die Finanzgerichte mit hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richtern zu besetzen. Nach den Vorschriften der Reichabgabenordnung ist es zulässig, daß die hauptamtlichen Mitglieder der Finanzgerichte nicht auf Lebenszeit ernannt werden, und daß sie neben ihrer richterlichen Tätigkeit auch noch eine Tätigkeit in der Finanzverwaltung ausüben. In den Landesgesetzen ist die persönliche Unabhängigkeit der Richter der Finanzgerichte verschieden geregelt. So wird z. B. nach dem bayerischen Gesetz zur Wiederherstellung der Finanzgerichtsbarkeit vom 19. Mai 1948 (Gesetz- und Verordnungsblatt S. 87, Amtsbl. des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen S. 113) der Vorsitzende des Finanzgerichts (Finanzgerichtspräsident) vom Bayer. Staatsministerium der Finanzen auf Lebensdauer ernannt, die übrigen Kammervorsitzenden und die beamteten Beisitzer werden vom Bayer. Staatsministerium der Finanzen auf die Dauer von sechs Jahren aus der Zahl der in der Finanzverwaltung tätigen Beamten, welche die Fähigkeit zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienst haben, ernannt. Die beamteten Beisitzer können vorzeitig abberufen werden. Die in der Rechtsanordnung des Landes Württemberg-Hohenzollern über die Wiederherstellung des Berufungsverfahrens in Steuersachen und über die Errichtung eines Finanzgerichts vom 21. März 1947 getroffene Regelung über die persönliche Unabhängigkeit der Richter des Finanzgerichts Tübingen steht nicht im Gegensatz zu Art. 92, 97 GG.
Auch der Einwand des Bf., daß die Besetzung des Finanzgerichts gegen den allgemein anerkannten Satz verstoße, daß niemand Richter in eigener Sache sein könne, ist nicht durchschlagend. Nach § 67 Abs. 1 Ziff. 5 AO soll in Steuersachen nicht mitwirken, wer bei einer angefochtenen Entscheidung oder Rechtsmittelentscheidung mitgewirkt hat. Wer nicht mitwirken soll, darf nicht zugegen sein, solange über die Angelegenheit beraten und entschieden wird (§ 67 Abs. 2 AO). Durch diese Vorschrift wird sichergestellt, daß ein Finanzamtsvorsteher, in dessen Namen ein Steuerbescheid erlassen ist, beim Finanzgericht nicht als Richter in einem Verfahren mitwirken kann, in dem über die Rechtmäßigkeit dieses Steuerbescheides entschieden wird. Desgleichen kann nach dieser Vorschrift ein Beamter des Finanzministeriums, der in einer Sache eine Weisung erteilt hat, nicht als Richter beim Finanzgericht mitwirken, wenn über die Rechtsgültigkeit dieser Weisung zu entscheiden ist.
Der Einwand des Bf., daß das Finanzgericht bei Erlassung der angefochtenen Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt war, ist danach unbegründet.
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Die Rb. muß danach als unbegründet zurückgewiesen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 407357 |
BStBl III 1952, 162 |
BFHE 1953, 417 |