Leitsatz (amtlich)
1. Ist eine für die Bebauung eines Grundstücks gesetzlich vorgeschriebene Frist nicht eingehalten worden, so ist, da die Erweiterung solcher Fristen Aufgabe des Gesetzgebers und nicht der Gerichte ist, für Billigkeitsmaßnahmen nur dann Raum, wenn die Anwendung des Gesetzes zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Härte führt.
2. Zur Frage, welche zusätzlichen Momente (BFH-Urteil II 184/62 vom 29. September 1965, HFR 1966, 31), insbesondere welches Verhalten einer für die Mittelbewilligung zuständigen Behörde in solchen Fällen einen Billigkeitserlaß rechtfertigen können.
Normenkette
AO § 131; niedersächsisches Gesetz über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaus von der GrESt vom 2. Juli 1952 (GVBl S. 53) § 1 Nr. 1, § 5
Tatbestand
Die Kläger haben durch Verträge vom September 1955/Februar 1956 ein unbebautes Grundstück erworben. Sie erklärten, daß sie darauf innerhalb von fünf Jahren Gebäude mit grundsteuerbegünstigten Wohnungen errichten würden. Das FA ließ den Erwerb antragsgemäß nach § 1 Nr. 1 des niedersächsischen Gesetzes über die Befreiung des sozialen Wohnungsbaus von der Grunderwerbsteuer vom 2. Juli 1952 - GrESWG - (Gesetz- und Verordnungsblatt - GVBl - S. 53) steuerfrei, setzte aber im November 1960 unter Bezugnahme auf § 5 GrESWG eine Grunderwerbsteuer fest, da das Grundstück nicht fristgemäß steuerbegünstigt verwendet worden sei.
Den Einspruch nahmen die Kläger zurück, beantragten jedoch Erlaß der Grunderwerbsteuer aus Billigkeitsgründen. Sie hätten die Bebauungsfrist nicht einhalten können, weil trotz ihrer größten Bemühungen seit September 1955 die Stadt die wiederholt beantragten öffentlichen Mittel nicht rechtzeitig habe bereitstellen können. Erst im Jahre 1960 seien Mittel von der Landestreuhandstelle bewilligt bzw. Bürgschaftsvorbescheide erteilt worden. Erst danach habe mit dem Bauen begonnen werden können. Die Bauten seien im Oktober/Dezember 1960 rohbaufertig gewesen. Die Durchführung der Bauten sei nicht durch die spätere Umfinanzierung, wohl aber auch durch den Arbeitskräftemangel verzögert worden. Schließlich würden durch die bei Ablehnung des Billigkeitserlasses notwendige Mieterhöhung nicht sie, sondern - entgegen dem Sinne auch der grunderwerbsteuerrechtlichen Förderungsmaßnahmen - die künftigen Mieter geschädigt.
FA und OFD lehnten einen Billigkeitserlaß ab.
Auch die Berufung war erfolglos.
Das FG vertrat die Auffassung, daß eine unbillige Härte in der Sache selbst insbesondere dann vorliegen könne, wenn sich die Behörden, die über die Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus zu bestimmen haben, den Klägern gegenüber schuldhaft oder doch zumindest so verhalten hätten, daß ihre Entscheidungen nach einem Ausgleich durch Steuererlaß verlangt hätten. Diese Voraussetzungen hielt das FG nicht für erfüllt. Nach seinen Feststellungen haben sich die Kläger zwar fortlaufend um die für ihr - zunächst im öffentlich geförderten Wohnungsbau geplantes - Projekt erforderlichen Mittel bemüht. Andererseits standen die Mittel für das Projekt in dem von den Klägern geplanten Ausmaß nicht zur Verfügung. Auch die Bemühungen des Bauverwaltungsamtes beim Regierungspräsidenten und über diesen beim Sozialministerium waren erfolglos. Nach einem Schreiben des Regierungspräsidenten vom Januar 1961 haben die Kläger auf die im Jahre 1959 bereitgestellten Mittel verzichtet und die Bauten im freifinanzierten steuerbegünstigten Wohnungsbau mit Landesbürgschaft für I b-Hypotheken errichtet. Das FG kam zu dem Ergebnis, daß zwar auch die Kläger die Verzögerung der Fertigstellung der Bauten nicht verschuldet hätten, daß aber andererseits angesichts des Umstandes, daß der niedersächsische Gesetzgeber eine allgemeine Verlängerung der Fünfjahresfrist bisher nicht erwogen habe, auch die Zeitspanne der Fristüberschreitung für die Ablehnung des Erlaßantrages nicht entscheidend sei.
Die Rb. stützen die Kläger vornehmlich darauf, daß die Ablehnung des Erlaßantrages bei unverschuldeter Fristüberschreitung als Ausnahmefall wegen der durch die Grunderwerbsteuernachforderung bedingten, mit dem Willen des Gesetzgebers aber unvereinbaren Mieterhöhung ermessensmißbräuchlich sei. Die vom Senat in dem Urteil II 184/62 vom 29. September 1965 (HFR 1966, 31, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Grunderwerbsteuergesetz, § 1, Rechtsspruch 156) geforderten "zusätzlichen Momente" müßten angesichts ihrer Bemühungen um die öffentlichen Mittel einerseits und der verzögerlichen Behandlung ihrer entsprechenden Anträge andererseits und der nur kurzen Fristüberschreitungen bejaht werden. Schließlich müßten auch die Erkenntnisse des FG Rheinland-Pfalz in dem Urteil III 52/66 vom 22. Februar 1967 (EFG 1967, 364) über die Ablaufshemmung der Fünfjahresfrist bei treuewidrigem Verhalten des Steuergläubigers in ihrem Fall den Billigkeitserlaß rechtfertigen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Rb. - jetzt Revision - kann keinen Erfolg haben.
Steuerpflicht oder Steuerfreiheit hängt in Fällen der streitigen Art lediglich von den objektiven Merkmalen der fristgemäßen Bebauung des erworbenen Grundstücks mit steuerbegünstigten Wohnungen ab. So mußte der Senat ständig, auch in neuerer Zeit, die Nachversteuerungspflicht aus Rechts gründen ohne Rücksicht darauf bejahen, ob ein Steuerpflichtiger den Eintritt des Nachversteuerungstatbestandes (subjektiv) zu vertreten hat oder nicht (vgl. zuletzt Urteil II 186/63 vom 1. August 1967, BFH 90, 77, BStBl III 1967, 765). Deshalb ist in solchen Fällen auch für Billigkeits maßnahmen nur dann Raum, wenn die Anwendung des Gesetzes zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Härte führt. § 131 AO kann aber grundsätzlich nicht dazu dienen, eine vom Gesetz nach sachlichen und zeitlichen Voraussetzungen genau abgegrenzte Befreiungsvorschrift auf dem Billigkeitsweg ohne das Vorliegen der obigen Umstände erweiternd anzuwenden. Denn auch für Billigkeitsentscheidungen gemäß § 131 AO sind, wie der Senat z. B. in dem Urteil II 184/62 vom 29. September 1965 (a. a. O.) ausgesprochen hat, die in den Steuergesetzen selbst gesetzten Maßstäbe bindend. Eine Unbilligkeit kann also nicht schon darin gefunden werden, daß § 5 GrESWG überhaupt eine Frist setzt, nach deren Ablauf die Steuerpflicht eintritt, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der Steuerpflichtige die Nichterreichung des steuerbegünstigten Zwecks selbst verschuldet oder ob er seinerseits alles zur Fristwahrung in seinem Einflußbereich Erforderliche getan hat. Deshalb konnte das FG ohne Verkennung der materiellen Maßstäbe des § 131 AO zu der Rechtsauffassung kommen, daß zur Rechtfertigung eines Billigkeitserlasses - als zusätzliches Moment des o. a. Urteils des erkennenden Senats II 184/62 vom 29. September 1965 - das Verhalten der Behörden, die über die Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus zu bestimmen haben, hinsichtlich der Mittelbewilligung schuldhaft oder zumindest in dem Sinne ursächlich für die Fristversäumnis hätte sein müssen, daß wegen dieser Art des Verhaltens die gesetzliche Rechtsfolge der Steuernachforderung als unbillig erscheinen müßte.
Das FG hat die für seine Urteilsfindung erforderlichen Feststellungen ohne Verfahrensverstoß, insbesondere ohne Verkennung der ihm obliegenden Aufklärungs- und Nachprüfungspflichten, getroffen. Die Kläger haben diese Feststellungen nicht mit Verfahrensrügen angegriffen. Die somit für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG (§ 288 AO a. F., § 118 Abs. 2 FGO) rechtfertigten die Entscheidung des FG. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Billigkeitsmaßnahmen der Finanzverwaltungsbehörden grundsätzlich in deren pflichtgemäßem Ermessen stehen und daß diese Ermessensentscheidungen der Nachprüfung durch die Gerichte nicht voll unterworfen, sondern nur darauf nachprüfbar sind, ob sie sich ohne Verletzung von Recht oder Billigkeit innerhalb des den Verwaltungsbehörden eingeräumten Ermessensspielraums halten. Darum können die Gerichte nicht ohne weiteres ihr eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Verwaltungsbehörden setzen (vgl. Urteil des BFH VII 22/62 S vom 19. Januar 1965, BFH 81, 572, BStBl III 1965, 206).
Das Vorbringen der Kläger, die Ablehnung des Erlaßantrags sei ermessensmißbräuchlich, weil die entsprechend höhere Mietbelastung dem Willen des Gesetzgebers widerspreche, kann der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Höhere Belastungen dieser Art treten zwangsläufig in allen Fällen, in denen bestimmte Fristen nicht eingehalten werden, ein, müssen also vom Gesetzgeber durch die gesetzlich angeordnete Fristgebundenheit generell in Kauf genommen worden sein und können demgemäß nicht als zusätzliches Moment für eine Billigkeitsmaßnahme wegen besonderer Umstände eines Einzelfalles in Betracht gezogen werden. Jede Fristsetzung birgt die Möglichkeit solcher genereller Härten; ein Kulanzspielraum würde nur die Grenze verschieben und neue Billigkeitsforderungen wecken (vgl. insoweit den Beschluß des Senats II S 57/66 vom 20. Juni 1967, BFH 89, 1, BStBl III 1967, 492). Die Erweiterung gesetzlicher Fristen ist - wenn sie für sachdienlich gehalten wird - Aufgabe des Gesetzgebers, nicht der an das Gesetz gebundenen Gerichte (Art. 20 Abs. 3 GG). Auf den Beschluß des FG Stuttgart I 952/63 vom 26. Mai 1964 (EFG 1964, 435) können die Kläger sich nicht berufen. Diesen Vorlagebeschluß hat das BVerfG für unzulässig erklärt (BVerfGE 19, 138; HFR 1965, 535; EFG 1966, 2). Die verfassungsrechtlichen Bedenken eines erneuten Vorlagebeschlusses dieses FG (I 952/63 vom 23. November 1965, EFG 1966, 71) teilt der VI. Senat des BFH nicht mit dem ausdrücklichen Bemerken, daß der allein maßgebliche Umstand, ob die gesetzlich vorgesehene Frist überschritten ist, gleichermaßen zuungunsten wie zugunsten der Steuerpflichtigen gilt (BFH-Urteil VI R 24/66 vom 8. März 1967, BFH 88, 182, BStBl III 1967, 317; vgl. auch Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 11. Aufl., § 23 EStG, Tz. 7). Demgegenüber ist aus dem Urteil VI 82/61 U vom 29. Juni 1962 (BFH 75, 330, BStBl III 1962, 387) dieses Senats für den streitigen Fall schon deshalb nichts abzuleiten, weil eine Steuerpflicht aus § 23 EStG nicht aus Fristgründen, sondern wegen fehlender Gewinnverwirklichung verneint worden ist.
Mit der Behauptung schließlich, die verzögerliche Behandlung ihrer Anträge auf Bewilligung der öffentlichen Mittel sei auf eigene Ankaufs- und Bauabsichten der Stadt zurückzuführen, können die Kläger in dieser Revisionsinstanz schon deshalb nicht durchdringen, weil sich aus den - wie bereits dargelegt - für den Senat bindenden, mit der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des FG Anhaltspunkte in dieser Richtung nicht ergeben. Noch weniger ist daraus etwas dafür zu entnehmen, daß im vorliegenden Fall ein treuewidriges Verhalten einer Verwaltungsbehörde - etwa durch rechtswidrig versagte Baugenehmigung - vorläge, das nach Auffassung des von den Klägern zitierten Urteils des FG Rheinland-Pfalz III 52/66 vom 22. Februar 1967 eine - ggf. auch noch im Billigkeitsverfahren berücksichtigungsfähige - Ablaufshemmung der Fünfjahresfrist hätte bewirken können.
Fundstellen
Haufe-Index 68126 |
BStBl II 1968, 663 |
BFHE 1968, 14 |