Leitsatz (amtlich)
Ein nach der Vertreibung geborenes, aber vor der Vertreibung gezeugtes Kind hat keinen Anspruch auf Steuererlaß gemäß § 20 des Baden-Württembergischen Grunderwerbsteuergesetzes.
Normenkette
GrEStG Baden-Württemberg § 20
Tatbestand
Die Klägerin ist im Mai 1945 in Schleswig-Holstein geboren und ist Inhaberin eines Vertriebenenausweises.
Im August 1973 hatten ihr Ehemann und sie je zur Hälfte ein Grundstück in X gekauft. Da die Ehegatten erklärt hatten, daß sie auf dem Grundstück nach Abbruch des vorhandenen Gebäudes ein neues, den Vorschriften über den steuerbegünstigten Wohnungsbau entsprechendes Gebäude errichten wollten, hatte das beklagte FA den Erwerbsvorgang von der Grunderwerbsteuer freigestellt. Als jedoch die Klägerin und ihr Ehemann das Grundstück im Juli 1974 wieder verkauften, setzte das FA für den ursprünglichen Erwerb Grunderwerbsteuer fest.
Innerhalb der Rechtsbehelfsfrist hat die Klägerin Teilerlaß der gegen sie festgesetzten Grunderwerbsteuer gemäß § 20 des Baden-Württembergischen Grunderwerbsteuergesetzes in der Fassung vom 25. Mai 1970 - GrEStG 1970 - (GBl 1970, 295) beantragt, da sie Vertriebene sei. Das FA hat den Erlaßantrag als Einspruch gegen den Steuerbescheid behandelt und ihn durch Einspruchsentscheidung als unbegründet zurückgewiesen.
Die Klage hat keinen Erfolg gehabt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Steuererlaß gemäß § 20 GrEStG 1970 i. d. F. vom 25. Mai 1970 (GBl 1970, 295). Sie ist zwar Vertriebene i. S. des Absatzes 1 dieser Vorschrift i. V. m. Absatz 2, weil sie einen Vertriebenenausweis besitzt. Die Steuervergünstigung für Vertriebene steht ihr jedoch deshalb nicht zu, weil sie zu den "Personen im Sinne des § 7 des Bundesvertriebenengesetzes" gehört (vgl. § 20 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG 1970). Unter § 7 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) fallen Kinder, die nach der Vertreibung geboren sind. Zu diesen Personen gehört die Klägerin, die nach der Vertreibung ihrer Mutter außerhalb des Vertreibungsgebietes in Schleswig-Holstein geboren worden ist. Mit dem Verlassen des Vertreibungsgebietes durch ihre Mutter war die Vertreibung beendet (Urteil des BVerwG vom 26. Mai 1955 III C 82.54, BVerwGE 2, 130).
Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, daß die Klägerin bereits vor der Vertreibung gezeugt worden ist. Dieser Umstand ändert nichts daran, daß sie i. S. des § 20 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG 1970 i. V. m. § 7 BVFG ein nach der Vertreibung geborenes Kind ist. Offenbleiben kann, ob die Klägerin, weil sie vor der Vertreibung gezeugt worden ist, ihre Vertriebeneneigenschaft bereits aus § 1 BVFG deshalb herleiten kann, weil sie als Leibesfrucht das Vertriebenenschicksal ihrer Mutter geteilt hat (so zu § 11 LAG das BVerwG in seinem Urteil vom 27. Februar 1962 III C 28.59, BVerwGE 14, 43). Auch wenn § 7 BVFG für die Klägerin keine Bedeutung haben sollte, fällt sie dem Wortlaut nach unter diese Vorschrift.
Es entspricht auch dem erkennbaren Zweck des § 20 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG 1970, alle nach der Vertreibung geborenen Kinder von der Steuervergünstigung auszunehmen. Die Vorschrift dient dem Zweck, die Grunderwerbsteuervergünstigung, die ohne diese Vorschrift allen Inhabern von Vertriebenenausweisen zustehen würde, in angemessener Weise einzugrenzen. Durch die Verweisung auf den Wortlaut des § 7 BVFG hat der Landesgesetzgeber sich dahin entschieden, die nach der Vertreibung geborenen Kinder generell von der Steuervergünstigung auszunehmen (vgl. die Beilage zu den Sitzungsprotokollen des Landtages von Baden-Württemberg 4. Wahlperiode, Nr. IV. 1720 S. 3107). Es wäre nicht sinnvoll, hiervon im Wege der Gegenausnahme ohne eindeutige gesetzliche Bestimmung wiederum die Kinder auszunehmen, die bereits vor der Vertreibung gezeugt worden sind. Bei einer derartigen Auslegung müßte man, da nur Personen, die das 21. Lebensjahr vollendet haben, eine solche Steuervergünstigung in Anspruch nehmen können (§ 20 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG 1970), noch Jahrzehnte nach der Vertreibung der Mutter Ermittlungen darüber anstellen, wann und wo das Kind gezeugt worden ist. Der Zeitpunkt und der Ort der Geburt lassen sich demgegenüber im allgemeinen ohne besondere Schwierigkeiten nachweisen. Mag diese Überlegung auch nicht ausschlaggebend sein, so spricht sie doch für die vom Senat vertretene Auslegung, da nicht anzunehmen ist, daß der Gesetzgeber eine Regelung beabsichtigt hat, die zu größten Beweisschwierigkeiten führen kann.
Eine Abweichung von dem Urteil des BVerwG vom 27. Februar 1962 III C 28.59 (BVerwGE 14, 43), die zur Anrufung des Gemeinsamen Senates der Obersten Gerichtshöfe des Bundes führen könnte, liegt nicht vor. Der erkennende Senat hat lediglich darüber zu entscheiden, ob durch § 20 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG 1970 i. V. m. § 7 BVFG alle nach der Vertreibung geborenen Kinder von der Inanspruchnahme der Grunderwerbsteuervergünstigung ausgeschlossen sind. Daß die Klägerin Vertriebene i. S. der §§ 1, 7 BVFG ist, ist unstreitig. Ob die Klägerin die Vertriebeneneigenschaft bereits aufgrund des § 1 BVFG erlangt hat, ist nach der Rechtsauffassung des Senates hier nicht entscheidungserheblich.
Fundstellen
Haufe-Index 72248 |
BStBl II 1977, 328 |
BFHE 1977, 211 |