Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer Sonstiges Körperschaftsteuer
Leitsatz (amtlich)
Zum Begriff "Krankenanstalten, die in besonderem Maße der minderbemittelten Bevölkerung dienen".
UStG § 4 Ziff. 15 Buchst. b; UStDB § 42 Abs. 1 Ziff. 2, Abs. 2, 3 und 5; GewO § 30; GemV 1941 § 11
Normenkette
UStG § 4/15/b; UStDB § 42 Abs. 1 Ziff. 2, § 42/2, § 42 Abs. 3, 5; UStG § 4/16/b; GewO § 30; GemV § 11; GemV § 10/2; GemV § 10/3
Tatbestand
Der verstorbene Ehemann der Bgin. - Steuerpflichtiger - war seit 1930 Eigentümer zweier Gebäude mit dem Namen "Haus B." in X. Im "Haus B." werden auf Grund eines Vertrages mit der Landesversicherungsanstalt (LVA) Y, vom ... 1945 seit 1947 jeweils für durchschnittlich 12 bis 40 Wochen ausschließlich von der LVA eingewiesene Frauen, die an aktiver, aber geschlossener Tuberkulose (Tbc) leiden, aufgenommen. Nach dem Vertrage mit der LVA obliegen dem Besitzer des Hauses die Unterbringung und Verpflegung der aufgenommenen Personen einschließlich der üblichen Nebenleistungen, der LVA deren ärztliche und arzneimäßige Betreuung sowie die Gestellung einer Krankenschwester. Das "Haus B." wird im Haushaltsplan der LVA als "Dependance" der von der LVA im gleichen Ort unterhaltenen eigenen Heilstätte Z. geführt, deren ärzte mindestens zweimal wöchentlich im "Haus B." Visiten und Untersuchungen durchführen. Für die ärztliche Versorgung der Insassen stehen im "Haus B." ein Untersuchungs- und Behandlungszimmer, ein Bestrahlungsraum und zwei Liegehallen für Liegekuren zur Verfügung. Sämtliche Räume gehören der Bgin., die in ihnen befindlichen medizinisch-technischen Einrichtungen und Geräte einschließlich der Liegestühle und Wolldecken der LVA.
Streitig ist für die Jahre 1952 bis 1954, ob das "Haus B." eine Krankenanstalt im Sinne des § 4 Ziff. 15 b UStG ist und ob die von der LVA dem Steuerpflichtigen für die Unterbringung und Verpflegung der eingewiesenen Personen und für die Nebenleistungen gezahlten Vergütungen umsatzsteuerfrei sind.
Das Finanzamt hat die Voraussetzungen des § 4 Ziff. 15 b UStG sowie des § 42 Abs. 1 Ziff. 2, Abs. 2, 3 und 5 UStDB nicht als erfüllt angesehen und den Steuerpflichtigen nach vorangegangener Betriebsprüfung für 1952 und 1953 durch Berichtigungsveranlagungen gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO und für 1954 durch vorläufigen Umsatzsteuerbescheid mit den streitigen Umsätzen zur Umsatzsteuer herangezogen. Nach erfolglosem Einspruch stellte das Finanzgericht die Umsätze von der Umsatzsteuer frei. In der Vorentscheidung wird ausführlich dargelegt, daß alle Voraussetzungen der oben genannten Vorschriften gegeben seien.
Hiergegen richtet sich die Rb. des Vorstehers des Finanzamts. Gerügt werden fehlerhafte Rechtsanwendung und wesentliche Verfahrensmängel.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Menschen, die an aktiver, wenn auch geschlossener Tbc leiden, sind nach der Auskunft des Regierungsmedizinalrats A. im medizinischen Sinne Kranke. Der Senat hat keinen Anlaß, an der Richtigkeit dieser Auskunft zu zweifeln. Die Einweisung solcher Kranker in eine Anstalt zur Ausheilung ihres aktiven Leidens ist - wie allgemein bekannt - auch notwendig. Nichts spricht dafür, daß die LVA bei der Auswahl für die 12 bis 40 Wochen dauernde Krankenbehandlung auch bloß erholungsbedürftige Frauen berücksichtigt hätte.
Ein Haus muß, um als Krankenanstalt zu gelten, entsprechende Einrichtungen aufweisen. Solche Einrichtungen sind im "Haus B." vorhanden (Untersuchungs- und Behandlungszimmer, Bestrahlungsraum, Liegehallen, medizinisch-technische Einrichtungen und Geräte). Ihre Zahl und ihre Art richten sich nach der Art der behandelten Krankheiten. Den ärztlichen Aufsichtsbehörden haben bei ihren wiederholten Kontrollbesuchen die Räumlichkeiten und Einrichtungen des "Hauses B." (von einzelnen Beanstandungen, die abgestellt worden sind, abgesehen) für die Behandlung leichterer Tbc-Fälle ausgereicht. Es besteht für die Finanzverwaltung kein Grund, strengere Anforderungen zu stellen als die zuständigen Gesundheitsbehörden.
Wenn die Rechtsprechung und Schrifttum gelegentlich davon die Rede ist, Krankenanstalten müßten eigene Einrichtungen und ein eigenes Instrumentarium haben, so soll damit nur zum Ausdruck gebracht werden, daß solche Gegenstände, die für die Untersuchung und Behandlung der Kranken erforderlich sind, im Hause vorhanden sein müssen. Auf die Eigentumsverhältnisse kann es nicht ankommen. Ein Haus verliert die Eigenschaft als Krankenanstalt nicht dadurch, daß die erforderlichen Einrichtungen und Geräte ganz oder teilweise geliehen, gemietet oder - wie im Streitfalle - auf Grund eines besonderen Vertrages überlassen sind. Es spielt auch keine Rolle, von wem die Krankenschwester angestellt und besoldet wird. Das Pflegepersonal wird in Krankenhäusern oft von dritter Seite (z. B. katholischen Orden, evangelischen Schwesternschaften, Rotes Kreuz) gestellt.
Die Steuerfreiheit des § 4 Ziff. 15 UStG erstreckt sich nach § 42 Abs. 2 UStDB insbesondere auf die ärztlichen und ähnlichen Hilfeleistungen, die Lieferungen von Arznei-, Hilfs- und Heilmitteln an Kranke, die Beherbergung und Beköstigung von Kranken sowie die üblichen Naturalleistungen an Kranke. Diese Leistungen müssen in der Krankenanstalt objektiv sämtlich bewirkt werden (vgl. Entscheidung des Bundesfinanzhofs V 197/56 U vom 1. August 1957, BStBl 1957 III S. 309, Slg. Bd. 65 S. 198). Es ist nicht vorgeschrieben, daß sie ganz oder überwiegend vom Eigentümer der Krankenanstalt bewirkt werden. Auch die sogenannten Belegkrankenhäuser, in denen selbständige ärzte ihre Kranken unterbringen, sind Krankenanstalten im Sinne des § 4 Ziff. 15 UStG. Ebenso kann beim Vorliegen der übrigen Voraussetzungen der selbständige Erfüllungsgehilfe einer Krankenanstalt, dem lediglich die Wirtschaftsführung und Krankenpflege übertragen ist, für die von ihm getätigten Umsätze die Steuerfreiheit des § 4 Ziff. 15 UStG in Anspruch nehmen. Dasselbe muß für den Besitzer eines Krankenhauses gelten, dem selbst nur die Beherbergung und Beköstigung der Kranken sowie die Bewirkung der üblichen Nebenleistungen obliegen, während die ärztlichen und ähnlichen Hilfeleistungen sowie die Lieferungen von Arznei- usw. - stoffen von einer anderen Stelle (hier der LVA) ausgeführt werden, sofern nur das Haus als solches - objektiv gesehen - alle Merkmale einer Krankenanstalt aufweist.
Eine dem einzelnen Kranken individuell gewidmete ärztliche Tätigkeit, die von der Rechtsprechung für die Anerkennung eines Krankenhausbetriebes gefordert wird, setzt - wie das Finanzgericht zutreffend ausführt - nicht eine tägliche ärztliche Betreuung voraus. Das Ausmaß der ärztlichen Versorgung richtet sich vielmehr nach der Art der Krankheit. Bei einer mit einer Landwirtschaft verbundenen Anstalt, in der unheilbare Geisteskranke untergebracht waren, hat der Senat sogar in Abständen von etwa vier Wochen stattfindende ärztliche Visiten für ausreichend erachtet (Entscheidung des Bundesfinanzhofes V 258/54 U vom 21. Dezember 1955, BStBl 1956 III S. 56, Slg. Bd. 62 S. 152). Nähere Feststellungen durch das Finanzgericht, in welcher Weise die ärztliche Betreuung im "Haus B." erfolgt ist, waren bei der Art der dort behandelten Krankheit nicht erforderlich. Im übrigen wird in der Vorentscheidung nicht - wie in der Rb. behauptet wird - ausgeführt, daß "einzelne Patienten bis zweimal in der Woche durch einen Arzt betreut werden", sondern, daß die im "Haus B." untergebrachten Patienten "in regelmäßigen, dem Grade ihrer Erkrankung angepaßten Abständen - mindestens zweimal in der Woche - durch einen Arzt der Heilstätte Z. aufgesucht und individuell betreut werden". Ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht liegt seitens des Finanzgerichts insoweit nicht vor.
Es ist dem Finanzamt zuzugeben, daß die Konzession nach § 30 der Gewerbeordnung grundsätzlich auf den Inhaber der Krankenanstalt lauten muß. Es ist aber nicht zu beanstanden, wenn bei den besonderen Umständen des vorliegenden Falles die Vorinstanz die an die LVA gerichtete Urkunde des zuständigen Regierungspräsidenten vom ..., in der dieser "die Erweiterung der Tbc-Heilstätte Z. durch Inbetriebnahme des früheren Kur- und Erholungsheimes "Haus B." in X. und dessen Belegung mit leichtkranken Tuberkulösen gestattet worden ist, als ausreichend erachtet hat. Es ist zu berücksichtigen, daß im Frühjahr 1947 nach der unwidersprochenen Behauptung der Bgin. neue Konzessionen für Krankenanstalten noch nicht erteilt worden sind, sondern nur Konzessionserweiterungen stattgefunden haben, und daß nach dem in den Jahren 1952 bis 1954 geltenden Wortlaut des § 42 Abs. 5 UStDB die Beteiligten davon haben ausgehen können, es genüge, wenn die Privatkrankenanstalt (nicht ihr Unternehmer) die Konzession besitze. Aus dem Inhalt der Urkunde vom ... ergibt sich, daß der Regierungspräsident das "Haus B." als Privatkrankenanstalt für leichtkranke Tuberkulöse für geeignet gehalten hat. Es darf nicht unbeachtet bleiben, daß die zuständigen Gesundheitsbehörden den Betrieb des Krankenhauses durch den Steuerpflichtigen jahrelang gebilligt haben und daß das "Haus B." seit 1947 letztlich nichts anderes als ein Nebenhaus (Dependance) des Haupthauses Z. der LVA ist und beide Häuser von allen Beteiligten in wirtschaftlicher, pflegerischer und medizinischer Hinsicht als Einheit angesehen werden.
Dagegen beanstandet das Finanzamt zu Recht, daß das Finanzgericht seiner Aufklärungspflicht in der Frage, ob das "Haus B." in besonderem Maße der minderbemittelten Bevölkerung dient (ß 4 Ziff. 15 b UStG), nicht hinreichend nachgekommen ist. Nach § 42 Abs. 3 UStDB müssen die in § 11 Abs. 2 bis 6 der Gemeinnützigkeits-Verordnung (GemV) 1941 (RStBl 1941 S. 937) bzw. § 10 Abs. 2 und 3 GemV 1953 (BStBl 1954 I S. 6) bezeichneten Voraussetzungen erfüllt sein. Im Gegensatz zur Vorinstanz hat der Senat keinen Zweifel, daß § 42 Abs. 3 UStDB durch die Ermächtigung des § 18 Abs. 1 Ziff. 2 UStG, über den Umfang der Befreiungen Bestimmungen zu treffen, gedeckt ist. Die LVA hat mit Schreiben vom ... ausdrücklich bestätigt, daß nur Frauen in das "Haus B." eingewiesen werden, "die entweder selbst rentenversichert sind oder deren Männer der Arbeiterrentenversicherung angehören". Die Voraussetzung des § 11 Abs. 2 Ziff. 2 GemV 1941 bzw. des § 10 Abs. 2 Ziff. 2 GemV 1953, wonach mindestens 40 v. H. der jährlichen Verpflegungstage auf Kranke der Sozialversicherung (und ähnliche Kreise) entfallen müssen, ist danach gegeben.
Zweifelhaft ist dagegen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Ziff. 1 GemV 1941 bzw. § 10 Abs. 2 Ziff. 1 GemV 1953, wonach die Pflegesätze in allen Verpflegungsstufen die Beträge nicht übersteigen dürfen, die der Oberfinanzpräsident als Höchstsätze bezeichnet hat bzw. die von vergleichbaren Kreis- oder Gemeindekrankenanstalten erhoben werden. Die von der LVA an den Steuerpflichtigen gezahlten Pflegesätze überstiegen in den Jahren 1952 bis 1954 nach den von der Bgin. nicht bestrittenen Feststellungen des Finanzamts die für allgemeine Krankenanstalten amtlich festgesetzten Höchstbeträge. Die Mehrbeträge machten zeitweilig 1/3 bis 1/2 der Höchstbeträge aus und können daher keineswegs als geringfügig bezeichnet werden. Das Finanzgericht hätte prüfen müssen, ob diese Preisüberschreitungen durch die Eigenart der Krankenanstalt gerechtfertigt waren. Es hätte hierbei nicht nur in Betracht ziehen dürfen, daß es sich bei dem "Haus B." um eine Tbc-Heilstätte handelt, in denen zu den Heilfaktoren die Verabreichung einer besonders guten Verpflegung gehört, sondern hätte ebenso berücksichtigen müssen, daß die an den Steuerpflichtigen gezahlten Beträge sich lediglich auf die Kosten der Unterbringung und der Verpflegung der Kranken und auf die Kosten der üblichen Nebenleistungen, nicht dagegen auf die ärztlichen Leistungen, die Krankenpflege durch die Krankenschwester und die Lieferungen von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln beziehen, die in den festgesetzten Höchstbeträgen mitabgegolten sind, im Streitfalle aber von der LVA bewirkt worden sind. Es darf bei dem Preisvergleich auch nicht unberücksichtigt bleiben, daß das "Haus B." nur mit Leichtkranken belegt wird, daß Sonderleistungen (Bäder, unbelegte Betten) besonders vergütet werden und daß die medizinisch-technischen Einrichtungen und Geräte (einschließlich Liegestühlen und Wolldecken) der LVA gehören, was auf den Pflegesatz ebenfalls nicht ohne Einfluß ist. In Anbetracht dieser Umstände und der vom Finanzamt dargelegten Vergleichszahlen durfte das Finanzgericht auf nähere Ermittlungen nicht einfach mit der Bemerkung verzichten, die LVA sei ein öffentlich-rechtlicher Versicherungsträger und werde daher schon keine unangemessen hohen Preise zahlen.
Die Sache geht an das Finanzgericht zurück, damit es die oben bezeichneten Feststellungen nachträglich treffe. Sollte sich hierbei herausstellen, daß die Voraussetzung des § 11 Abs. 2 Ziff. 1 GemV 1941 bzw. des § 10 Abs. 2 Ziff. 1 GemV 1953 nicht vorlagen, so wird die Vorinstanz weiter zu prüfen haben, ob nicht im Hinblick darauf, daß das Finanzamt mit Schreiben vom ... den Steuerpflichtigen mit den Krankenhausumsätzen ausdrücklich gemäß § 4 Ziff. 15 b UStG von der Umsatzsteuer freigestellt hat, für die Zeit ab 1. November 1953 nach den Grundsätzen von Treu und Glauben von der Nachversteuerung der streitigen Umsätze abzusehen ist. Die vorangegangene Erklärung des Steuerpflichtigen vom ..., daß eigenes Pflegepersonal und eine eigene klinische Einrichtung vorhanden seien und sein Betrieb als Tbc-Heilstätte genehmigt sei, bot nach den obigen Ausführungen des Senats (oben Abschnitt 2 Abs. 2) keinen Anlaß, die Freistellungserklärung vom ... mit rückwirkender Kraft aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 410801 |
BStBl III 1963, 274 |
BFHE 1963, 752 |
BFHE 76, 752 |