Entscheidungsstichwort (Thema)
Folgen der Eintragung der falschen Steuerklasse auf der Lohnsteuerkarte durch die Gemeinde
Leitsatz (redaktionell)
1. Wenn die Gemeindebehörde ohne Verschulden des Arbeitnehmers diesem eine zu günstige Steuerklasse auf seiner Lohnsteuerkarte einträgt, ist das Finanzamt nicht berechtigt die Steuerklasse rückwirkend zu dessen Nachteil zu ändern.
2. Die Lohnsteuer ist vorschriftsmäßig einbehalten, wenn der Arbeitgeber sie nach den Merkmalen der Lohnsteuerkarte berechnet hat. Dies gilt auch für den Lohnsteuerjahresausgleich, den der Arbeitgeber vornimmt. (Leitsätze nicht amtlich)
Normenkette
AO § 96 Abs. 2; EStG 1961 § 2 Abs. 3 Nr. 4, §§ 19, 38; LStDV 1962 §§ 17, 46 Abs. 2 Nrn. 1-2; JAV § 3 Abs. 2 Nr. 4, § 5 Abs. 2
Gründe
Der Beschwerdegegner (Bg.), ein lediger Angestellter, heiratete am 16. August 1962. Am 29. August 1962 trug die Gemeindebehörde auf seiner Lohnsteuerkarte fälschlich die Steuerklasse III ein; richtig hätte gemäß §§ 7 Abs. 7 und 8 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) 1962 die Steuerklasse IV eingetragen werden müssen, da die Ehefrau im Streitjahr 1962 gleichfalls noch in einem Dienstverhältnis stand. Als der Bg. im Januar 1963 beim Finanzamt gemäß § 7 a der Verordnung über den Lohnsteuerjahresausgleich für das Ausgleichsjahr 1962 vom 20. Dezember 1961 (Bundesgesetzblatt – BGBl – 1961 I S. 2016, Bundessteuergesetzblatt – BStBl – 1961 I S. 836) und der Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Verordnung über den Lohnsteuerjahresausgleich vom 12. Dezember 1962 – abgekürzt: JAV – (BGBl 1962 I S. 721, BStBl 1962 I S. 1112) den gemeinsamen Lohnsteuerjahresausgleich für 1962 wegen erhöhter Werbungskosten und Sonderausgaben beantragte, stellte das Finanzamt fest, daß bereits der Arbeitgeber dem Bg. im Lohnsteuerjahresausgleich gemäß § 3 JAV von der einbehaltenen Lohnsteuer 214,50 DM erstattet hatte. Die Erstattung beruhte vor allem darauf, daß der Arbeitgeber gemäß § 5 Abs. 2 Ziff. 1 Satz 1 JAV bei der Berechnung der Jahreslohnsteuer die Steuerklasse III auf den Jahresarbeitslohn angewandt hatte. Das Finanzamt lohnte daraufhin den gemeinsamen Lohnsteuerjahresausgleich ab, weil, wenn die Lohnsteuer richtig nach der Steuerklasse III berechnet werde, der Bg. keinen Erstattungsanspruch habe. Der Bg. focht diesen Bescheid nicht an. Gleichzeitig wies das Finanzamt den Bg. darauf hin, daß es die durch Anwendung der falschen Steuerklasse zu wenig einbehaltene Lohnsteuer nacherhoben werde. Dementsprechend erließ es den dem gegenwärtigen Verfahren zugrunde liegenden Haftungsbescheid, mit dem es 135,50 DM an Lohnsteuer und 13,55 DM an Kirchenlohnsteuer vom Bg. nachforderte. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzamt gab der Berufung statt und führte aus, der Haftungsbescheid habe im Gesetz keine Grundlage. Nach § 46 LStDV 1962 könne zwar auch der Arbeitnehmer für Lohnsteuernachforderungen in Anspruch genommen werden, aber nur unter den Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 LStDV, die hier nicht erfüllt seien. Das Finanzamt könne sich auch nicht auf § 46 Abs. 2 Ziff. 1 LStDV 1962 stützen. Die Gemeindebehörde habe zwar die falsche Steuerklasse III eingetragen, so daß zu wenig an Lohnsteuer einbehalten worden sei. Diese Steuerberechnung sei aber vorschriftsmäßig gewesen, weil der Arbeitgeber die Lohnsteuer nach den Merkmalen der Lohnsteuerkarte habe berechnen müssen. Die Steuerklasse IV könne auch nicht etwa nachträglich eingetragen werden. Für den rückwirkenden Widerruf der unrichtigen Eintragung der Steuerklasse III fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Das Finanzamt habe mit Recht von einem solchen Widerruf abgesehen, weil der Bg. an der falschen Eintragung keine Schuld trage. Es liege ein Irrtum der Gemeindebehörde vor, den der Bg. nicht verschuldet habe. Der Bg. habe auch keine Pflicht gehabt, den Fehler dem Finanzamt anzuzeigen. Eine Anzeigepflicht bestehe nur, wenn die Verhältnisse zu Beginn des Jahres mit der Eintragung bei Ausstellung der Lohnsteuerkarte nicht übereinstimmten. Davon sei hier aber nicht die Rede.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung des § 46 Abs. 2 Ziff. 1 LStDV. Er führt aus, das Finanzgericht habe übersehen, daß der Arbeitgeber den Lohnsteuerjahresausgleich gemäß § 3 Abs. 2 Ziff. 4 JAV nicht hätte vornehmen dürfen, weil bei dem Bg. nur für einen Teil des Jahres die Steuerklasse IV anzuwenden gewesen sei. Der Arbeitgeber habe darum den Arbeitslohn nicht vorschriftsmäßig gekürzt. Diesen Umstand habe das Finanzamt nicht zu vertreten. Der Bg. hätte im übrigen aus dem der Lohnsteuerkarte beigefügten Merkblatt ersehen müssen, daß die Gemeindebehörde eine unrichtige Steuerklasse eingetragen habe. Er könne sich nicht darauf berufen, daß sein Vertrauen in den Bestand der Eintragung besonderen Schutz verdiene. Der Grundsatz der Steuergleichheit erfordere es, die zu wenig einbehaltene Lohnsteuer nachzuerheben.
Die Rb. ist unbegründet.
Zutreffend geht das Finanzgericht davon aus, daß das Finanzamt einen Arbeitnehmer nur in Anspruch nehmen kann, wenn der Arbeitgeber den Lohnsteuerabzug nicht vorschriftsmäßig vorgenommen hat (§ 38 Abs. 3 Ziff. 1 des Einkommensteuergesetzes – EStG–, § 46 Abs. 2 LStDV). Im Streitfall hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer entsprechend den – wenn auch objektiv unrichtigen – Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte berechnet. Damit ist die Lohnsteuer „vorschriftsmäßig” gekürzt worden. Die Lohnsteuerkarte soll den Arbeitgebern, die beim Lohnsteuerabzug im Interesse des Steuerfiskus steuerliche Aufgaben erfüllen und für die richtige Steuererhebung auch einstehen müssen, die ihnen als Nichtfachleuten erforderlichen sicheren Grundlagen bei der Steuerberechnung geben. Im Lohnsteuerverfahren herrscht darum das Steuerkartenprinzip (Hartz-Over, Lohnsteuer, Stichwort „Steuerkarte” unter I 1). Der Arbeitgeber muß die Lohnsteuer entsprechend den Eintragungen auf der Steuerkarte berechnen; er darf sich andererseits aber auch auf die Richtigkeit der Eintragungen verlassen und hat keine Pflicht zu prüfen, ob die Eintragungen, die die Behörde auf der Lohnsteuerkarte gemacht hat, sachlich richtig sind. Nach diesen Grundsätzen hat der Arbeitgeber im Streitfall den Steuerabzug vorgenommen, so daß die Lohnsteuer „vorschriftsmäßig” berechnet worden ist, wie das Finanzgericht mit Recht annimmt.
Zutreffend verneint das Finanzgericht ein Recht des Finanzamts, die Lohnsteuerkarte rückwirkend zum Nachteil des Bg. zu ändern und daraufhin Lohnsteuer nachzuerheben. Das Finanzamt war bei der Berechnung der Lohnsteuer im Lohnsteuerjahresausgleich an die Eintragung der Steuerklasse III auf der Lohnsteuerkarte gebunden. Da der Bg. den Lohnsteuerjahresausgleich nur wegen erhöhter Werbungskosten und Sonderausgaben betrieb, mußte das Finanzamt gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 JAV die auf der Lohnsteuerkarte eingetragene Steuerklasse III zugrunde legen.
Anders wäre die Rechtslage nur, wenn das Finanzamt die Eintragung rückwirkend ändern könnte. Unrichtige Eintragungen auf der Steuerkarte, vor allem hinsichtlich der Steuerklasse, kann die Behörde, die die unrichtige Eintragung vorgenommen hat, während des laufenden Kalenderjahres gemäß § 17 Abs. 2 LStDV richtigstellen, allerdings im allgemeinen nur mit Wirkung für die Zukunft. Ist aber wie hier das Kalenderjahr abgelaufen, so entfällt eine Änderung nach § 17 Abs. 2 LStDV, so daß nicht geprüft zu werden braucht, ob die falsche Eintragung hier wirklich eine „offenbare Unrichtigkeit” war oder ob sie nicht eine falsche Rechtsentscheidung der Gemeindebehörde war.
Hat der Steuerpflichtige die falsche Eintragung auf der Lohnsteuerkarte durch unlautere Mittel, wie Täuschung, Zwang oder Bestechung, veranlaßt, so kann das Finanzamt die Eintragung mit rückwirkende Kraft gemäß § 96 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) zurücknehmen. Ist das geschehen, so kann es die zu wenig einbehaltene Lohnsteuer durch Haftungsbescheid gemäß § 38 Abs. 3 Ziff. 1 und 3 EStG (§ 46 Abs. 2 LStDV) vom Arbeitnehmer nachfordern (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 69/55 U vom 12. Mai 1955, BStBl 1955 III S. 213, Slg. Bd. 61 S. 39). Die Voraussetzungen des § 96 Abs. 2 AO sind aber nach den einwandfreien Feststellungen des Finanzgerichts indessen hier nicht gegeben, weil die unrichtige Eintragung der Steuerklasse nicht auf unlautere Machenschaften des Bg. zurückgeht.
Zu Unrecht macht der Vorsteher des Finanzamts noch geltend, der Arbeitgeber habe den Lohnsteuerjahresausgleich gemäß § 3 Abs. 2 Ziff. 4 JAV nicht vornehmen dürfen, weil bei dem Bg. für einen Teil des Streitjahres die Steuerklasse IV anzuwenden gewesen sei; darum sei nur das Finanzamt für den Lohnsteuerjahresausgleich zuständig gewesen; hier habe der Arbeitgeber zu Unrecht einen Betrag erstattet, so daß ein Fall nicht vorschriftsmäßiger Kürzung des Arbeitslohnes im Sinne des § 46 Abs. 2 Ziff. 1 LStDV 1962 vorliege. Diese Auffassung des Finanzamts ist nicht richtig. Der Arbeitgeber war gemäß § 3 Abs. 1 JAV für den Lohnsteuerjahresausgleich zuständig und mußte sich dabei gemäß § 5 Abs. 2 JAV an die Merkmale der Steuerkarte halten. Daß der Arbeitgeber bei Zugrundelegung der Lohnsteuerkarte die Lohnsteuer der Höhe nach richtig berechnet hat, ist unstreitig.
Nach allem hat das Finanzgericht mit Recht den Haftungsbescheid des Finanzamts aufgehoben. Ob das Finanzamt unter Berücksichtigung der vorstehenden Rechtsgrundsätze den Lohnsteuerjahresausgleich richtig durchgeführt hat, kann der Senat in diesem Verfahren nicht prüfen.
Fundstellen