Leitsatz (amtlich)
1. Ein Arbeitnehmer, der nicht am Ort der Familienwohnung arbeitet und am Arbeitsort eine zweite Wohnung gemietet hat, kann wählen, ob er die Aufwendungen für sämtliche Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG oder die notwendigen Mehraufwendungen aus Anlaß der doppelten Haushaltsführung nach § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.5 EStG (nur eine Familienheimfahrt pro Woche, Unterkunftskosten, Verpflegungsmehraufwendungen) als Werbungskosten geltend machen will.
2. Die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung sind erfüllt, wenn der Arbeitnehmer am Beschäftigungsort eine fest angemietete Unterkunft zur jederzeitigen Verfügung hat. Daß der Arbeitnehmer die Mehrzahl der Wochentage in dieser Wohnung anwesend ist und dort übernachtet, ist nicht erforderlich.
Orientierungssatz
Soweit der Senat im Urteil vom 16.12.1981 VI R 227/80 die Auffassung vertreten hat, beim Vorlegen einer doppelten Haushaltsführung müsse sich die Behandlung der Kosten für Familienheimfahrten stets nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG richten, hält er nicht mehr daran fest.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nrn. 4-5, Abs. 1 Nrn. 4-5
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 03.05.1985; Aktenzeichen 6 K 113/84) |
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1982 als Hochschullehrer in D tätig. Er hatte dort ganzjährig eine Unterkunft gemietet, in der er übernachtete, wenn er wegen stärkerer beruflicher Inanspruchnahme die Heimfahrt zur 163 km entfernten Familienwohnung in W nicht mehr auf sich nehmen konnte oder wollte. In dieser Unterkunft in D hielt er sich auch manchmal tagsüber auf, da ihm am Arbeitsplatz in der Hochschule lediglich ein Arbeitsraum zur Verfügung stand, den er sich mit einem Kollegen teilen mußte. In der gemieteten Unterkunft bewahrte er auch Fachbücher auf. Die Familienwohnung in W bewohnte der Kläger mit seiner Ehefrau (Klägerin) und seinen beiden Kindern.
In der Einkommensteuererklärung für 1982 machten die Kläger bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers Aufwendungen für 179 Fahrten zwischen W und D mit einer einfachen Entfernung von 163 km in Höhe des Pauschbetrages von 0,36 DM je Entfernungskilometer als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geltend. Sie beantragten darüber hinaus den Werbungskostenabzug für die Miete in D als Mehraufwendungen im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid für 1982 neben den Aufwendungen für die Unterkunft Aufwendungen für zunächst 36 Fahrten und schließlich auf den Einspruch hin für 46 Fahrten als Aufwendungen im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung.
Mit ihrer Klage trugen die Kläger vor, der Kläger sei pro Woche durchschnittlich viermal von W nach D und zurück gefahren, um den Kontakt zu der Familie aufrechtzuerhalten. Sei er nicht am selben Tage nach W zurückgefahren, habe er in seiner Unterkunft in D übernachtet. Sie beantragten den Werbungskostenabzug hinsichtlich der nicht anerkannten Aufwendungen für 133 Fahrten.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1985, 489 veröffentlichten Begründung statt, die Fahrten seien solche zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und deshalb seien die Aufwendungen gemäß § 9 Abs.1 Nr.4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als Werbungskosten anzuerkennen.
Die Vorschrift des § 9 Abs.1 Nr.5 EStG, nach der Aufwendungen für Fahrten vom Beschäftigungsort zum Ort des eigenen Hausstandes und zurück jeweils nur für eine Familienheimfahrt wöchentlich als Werbungskosten abgezogen werden könnten, stehe dem nicht entgegen. Denn eine doppelte Haushaltsführung in diesem Sinne liege nicht vor. Wohnen am Beschäftigungsort i.S. des § 9 Abs.1 Nr.5 Satz 2 EStG setze voraus, daß der Arbeitnehmer zwischen den Arbeitstagen in seiner Unterkunft am Beschäftigungsort übernachte und nicht täglich nach Hause fahre bzw. daß er seine Arbeitsstätte regelmäßig von der Wohnung am Beschäftigungsort aus aufsuche. Das sei aber beim Kläger nicht der Fall gewesen. Denn dieser könne bei 179 Fahrten zwischen W und D und zurück unter Berücksichtigung von Semesterferien bzw. Urlaub und Feiertagen allenfalls ein- bis zweimal pro Woche in D übernachtet haben. Die berufliche Veranlassung der Aufwendungen des Klägers für die Unterkunft habe das FA zu Recht bejaht (§ 9 Abs.1 Satz 1 EStG).
Mit seiner Revision macht das FA geltend, das Urteil des FG verstoße gegen § 9 Abs.1 Nr.5 EStG. Die Fahrtkosten seien notwendige Mehraufwendungen, die dem Kläger wegen einer aus beruflichem Anlaß begründeten doppelten Haushaltsführung entstanden seien. Denn der Kläger habe zwischen den Arbeitstagen in seiner Bleibe am Beschäftigungsort übernachtet und sei nicht täglich nach Hause gefahren. Eine bestimmte Anzahl von Übernachtungen verlange weder der Gesetzgeber noch die Rechtsprechung. Der Kläger suche die Arbeitsstätte in D von seiner dortigen Unterkunft aus regelmäßig auf, da er in seiner Unterkunft ein- bis zweimal pro Woche übernachte. Im übrigen seien die Aufwendungen für die 163 km langen PKW-Fahrten auch deshalb nicht gemäß § 9 Abs.1 Nr.4 EStG als Werbungskosten abziehbar, weil diese Fahrten ein Arbeitnehmer des Zeitaufwandes und der damit verbundenen Strapazen wegen in der Regel nicht arbeitstäglich auf sich nehmen würde.
Das FA beantragt sinngemäß, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid für 1982 in Gestalt der Einspruchsentscheidung abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Die Fahrten des Klägers zwischen W und D sind sowohl Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG als auch Fahrten zwischen Beschäftigungsort und Ort des eigenen Hausstandes (Familienheimfahrten) i.S. des § 9 Abs.1 Nr.5 EStG. Der Kläger hat daher ein Wahlrecht, entweder die Aufwendungen für sämtliche Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte oder die notwendigen Mehraufwendungen aus Anlaß der doppelten Haushaltsführung (nur eine Familienheimfahrt pro Woche, Unterkunftskosten, Verpflegungsmehraufwendungen) als Werbungskosten geltend zu machen.
Ein Arbeitnehmer kann Aufwendungen für Fahrten mit dem eigenen Kfz zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für jeden Arbeitstag, an dem das Kfz benutzt wird, mit 0,36 DM für jeden Entfernungskilometer als Werbungskosten geltend machen. Wie der Senat in seinem Urteil vom 13.Dezember 1985 VI R 7/83 (BFHE 145, 386, BStBl II 1986, 221) entschieden hat, kann ein Arbeitnehmer, der zwei Wohnungen hat, von denen aus er sich abwechselnd zu seiner Arbeitsstätte begibt, die Aufwendungen für seine Fahrten von der weiter entfernt liegenden Wohnung --wenn diese seinen Lebensmittelpunkt bildet-- ohne Rücksicht auf die Entfernung zur Arbeitsstätte als Werbungskosten absetzen.
Der Kläger hatte im Jahre 1982 jeweils eine Wohnung i.S. des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG am Familienwohnort und am Beschäftigungsort. Denn Wohnung im Sinne dieser Vorschrift ist jede irgendwie geartete Unterkunft, von der aus sich der Steuerpflichtige zur Arbeitsstätte begibt (Urteil in BFHE 145, 386, BStBl II 1986, 221, und die dort erwähnte Rechtsprechung). Die Wohnung in W war als Mittelpunkt seiner Lebensinteressen anzusehen. Denn der örtliche Mittelpunkt der Lebensinteressen eines verheirateten Arbeitnehmers ist im allgemeinen dort, wo seine Familie wohnt.
Der Kläger konnte auch die Aufwendungen für je eine Familienheimfahrt pro Woche im Rahmen der doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten geltend machen. Eine doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, an dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Der Kläger war in D als Hochschullehrer beschäftigt, und er wohnte auch dort. Die Kläger führten im Streitjahr zwei Haushalte, da ihre Haushaltsführung auf zwei verschiedene Haushalte aufgesplittert war (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 2.Februar 1979 VI R 108/75, BFHE 127, 37, BStBl II 1979, 338; vom 17.Dezember 1976 VI R 145/74, BFHE 121, 190, BStBl II 1977, 294). Eine Aufsplitterung der normalerweise einheitlichen Haushaltsführung auf zwei verschiedene Haushalte ist gegeben, wenn der Arbeitnehmer am Ort der Arbeitsstätte eine fest angemietete Unterkunft zur jederzeitigen Verfügung hat. Nicht erforderlich ist, daß der Arbeitnehmer die Mehrzahl der Wochentage in der Wohnung an der Arbeitsstätte anwesend ist und dort übernachtet. Daß der Kläger in der Unterkunft am Beschäftigungsort in D durchschnittlich lediglich ein- bis zweimal pro Woche übernachtete, steht demnach der Annahme einer doppelten Haushaltsführung nicht entgegen (so auch v.Bornhaupt in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 9 Rdnr.G 52), zumal der Kläger seine Unterkunft außerdem gelegentlich tagsüber während seiner Arbeitspausen in der Hochschule aufsuchte.
Wie der Senat bereits in seinem Urteil in BFHE 145, 386, BStBl II 1986, 221 ausgeführt hat, können verheiratete Arbeitnehmer Aufwendungen für Fahrten von der Familienwohnung zur Arbeitsstätte als Werbungskosten absetzen, wenn sie nicht Kosten für Familienheimfahrten im Rahmen einer beruflich veranlaßt entstandenen doppelten Haushaltsführung geltend machen. Damit ist Arbeitnehmern, die Aufwendungen für wöchentlich mehrere Fahrten tätigen, ein Wahlrecht eingeräumt. Sie können entweder lediglich die Aufwendungen für --dann allerdings sämtliche-- tatsächlich durchgeführte Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als Werbungskosten geltend machen. Oder sie können die Aufwendungen zwar nur für eine tatsächlich durchgeführte Familienheimfahrt pro Woche, dann aber zusätzlich Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwendungen, berücksichtigt bekommen (so auch v.Bornhaupt in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 9 Rdnr.F 5; Anmerkung in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1986, 234; Boeker/Offerhaus in Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 9 Rdnr.118; Gericke in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 9 Rdnr.26a; Oeftering/Görbing, Das gesamte Lohnsteuerrecht, § 9 C Rdnr.77; Offerhaus, Die Information über Steuer und Wirtschaft --Inf-- 1979, 169, 172; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 7.Aufl., § 9 Anm.9 i; so jetzt auch Lohnsteuer-Richtlinien --LStR-- Abschn.24 Abs.5 Sätze 6 bis 8; anderer Ansicht Urteile des FG Düsseldorf vom 10.Februar 1982 I 744/79 L, EFG 1982, 513; Schleswig-Holsteinischen FG vom 5.Oktober 1983 I 254/78, EFG 1984, 173; Günther, Finanz-Rundschau --FR-- 1987, 7; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, 4.Aufl., "Doppelte Haushaltsführung", Anm. D I). Soweit der Senat im Urteil vom 16.Dezember 1981 VI R 227/80 (BFHE 135, 57, BStBl II 1982, 302) die Auffassung vertreten hat, beim Vorliegen einer doppelten Haushaltsführung müsse sich die Behandlung der Fahrtkosten stets nach § 9 Abs.1 Nr.5 EStG richten, hält er daran nicht mehr fest.
Das Wahlrecht mildert Härten bei denjenigen Arbeitnehmern, die am Beschäftigungsort keine oder nur geringe Unterkunftskosten bzw. Verpflegungsmehraufwendungen haben, aber pro Woche mehrfach Familienheimfahrten unternehmen. Für sie kann es günstiger sein, die Aufwendungen für sämtliche Fahrten zwischen Arbeitsstätte und Familienwohnung geltend zu machen.
Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Weil sich der Kläger noch nicht entschieden hat, ob er die Fahrtaufwendungen gemäß § 9 Abs.1 Nr.4 EStG oder gemäß § 9 Abs.1 Nr.5 EStG (mit Unterkunftskosten und Verpflegungsmehraufwendungen) als Werbungskosten geltend machen will, kann er das ihm zustehende Wahlrecht bis zum Ende der mündlichen Verhandlung beim FG noch ausüben. Wenn der Kläger die Anerkennung der notwendigen Mehraufwendungen als Werbungskosten beantragt, die ihm wegen der aus beruflichem Anlaß begründeten doppelten Haushaltsführung entstanden sind, kann er außerdem die Fahrtkosten zwischen der Wohnung am Beschäftigungsort und der Arbeitsstätte als Werbungskosten abziehen.
Fundstellen
Haufe-Index 62369 |
BFH/NV 1988, 1 |
BStBl II 1988, 990 |
BFHE 154, 59 |
BFHE 1989, 59 |
BB 1989, 407-408 (LT1-2) |
DB 1988, 2388-2389 (LT) |
DStR 1988, 689 (S) |
DStZ 1989, 102 (KT) |
HFR 1988, 622 (LT) |
WPg 1989, 78 (S) |
StRK, R.28 (LT) |
FR 1988, 673 (KT) |
Information StW 1989, 16 (T) |
NJW 1989, 608 |
NJW 1989, 608 (L) |
DStZ/E 1989, 12 (K) |
NWB, Fach 6 3015 (1/1989) (KT) |
RWP 1988, 1176 SG 1.3 2789 (KT) |
Quelle 1989, 115-116 (LT) |