Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer
Leitsatz (amtlich)
Werden Baukostenzuschüsse der Mieter als Mietvorauszahlungen auf ein für längere Zeit abgeschlossenes Mietverhältnis entrichtet und später auf die mit dem Vermieter vereinbarte Miete verrechnet, so sind die aus den Vorausleistungen der Mieter entstehenden Ansprüche grundsätzlich als Rechte auf wiederkehrende Nutzungen und Leistungen zu behandeln, denen entsprechende Verbindlichkeiten des Vermieters gegenüberstehen. Die auf Grund der Mietvorauszahlungen entstandenen Ansprüche können daher nur unter den Voraussetzungen des § 67 Ziff. 4 (ß 67 Abs. 1 Ziff. 4) BewG, die ihnen gegenüberstehenden Verbindlichkeiten nur unter den Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 Ziff. 2 BewG zum Ansatz kommen.
Normenkette
BewG § 67/1/4, § 110/1/4, § 74 Abs. 1 Ziff. 1, § 118/1/1, § 74 Abs. 1 Ziff. 2, § 118/1/2
Tatbestand
Der Bg. ist Eigentümer mehrerer Grundstücke, von denen eines, ein Mietwohngrundstück, nach der Währungsumstellung wiederaufgebaut wurde. An den Kosten des Wiederaufbaues haben sich die Mieter des Hauses mit zinslosen Baukostenzuschüssen beteiligt, die auf ihre Miete angerechnet wurden.
Das Finanzamt hat bei der Veranlagung zur Vermögensteuer 1953 und für die folgenden Jahre diese Zuschüsse (Mietvorauszahlungen), die sich am 1. Januar 1954 auf insgesamt 3.910 DM, am 1. Januar 1955 auf 1.930 DM und am 1. Januar 1956 auf 550 DM beliefen, nicht zum Abzuge zugelassen.
Der Einspruch wurde, soweit er die Veranlagung 1953 betraf, als unzulässig verworfen, im übrigen hinsichtlich der Vermögensteuer-Neuveranlagungen 1954, 1955 und 1956 als unbegründet zurückgewiesen. Der Steuerausschuß vertrat die Ansicht, die Mieter hätten auf Grund ihrer Mietvorauszahlungen den Anspruch erworben, die Mietsache eine bestimmte Anzahl von Jahren zu nutzen, während den Vermieter eine entsprechende Verpflichtung zur überlassung der Mietsache treffe. Bei dem Anspruche des Mieters handle es sich um ein Recht auf wiederkehrende Nutzungen im Sinne des § 67 Ziff. 4 BewG in der für die Streitjahre geltenden Fassung, bei der Verpflichtung des Vermieters um eine entsprechende Last im Sinne des § 74 Abs. 1 Ziff. 2 BewG, die jedoch beide wegen der zu geringen Dauer von weniger als 10 Jahren bei der Vermögensteuer-Veranlagung nicht zu berücksichtigen seien.
Dagegen ließ das Finanzgericht, das über die Berufung betreffend die Neuveranlagungen für 1954, 1955 und 1956 in einem besonderen Urteil entschieden hat, den begehrten Abzug der Mietvorauszahlungen zu und änderte die Einspruchsentscheidung und die Vermögensteuerbescheide entsprechend ab. Das Finanzgericht führte aus, die Verwaltung habe das Recht des Mieters auf Grund seiner Mietvorauszahlungen als ein Recht auf wiederkehrende Leistungen im Sinne des § 67 Ziff. 4 BewG angesehen. Auch wenn ein solches Recht für den Fall, daß es auf eine geringere Nutzungsdauer als 10 Jahre beschränkt sei, von der Vermögensteuer nicht erfaßt werde, rechtfertige dies nicht, den Abzug der entsprechenden Schuldverpflichtung zu versagen. Eine Schuld sei grundsätzlich jede Verpflichtung gegenüber einem anderen, wie sich ohne jede Einschränkung aus § 62 BewG in Verbindung mit § 74 Abs. 1 Ziff. 1 BewG ergebe. Damit erscheine die Aufführung besonderer Schuldverpflichtungen in Ziff. 2 des § 74 Abs. 1 BewG problematisch und habe wohl nur sicherstellen sollen, daß derartige Verpflichtungen auch bei kürzerer als 10jähriger Dauer auf jeden Fall abgezogen werden könnten. Selbst wenn man aber § 74 Abs. 1 Ziff. 2 BewG als Sondervorschrift gegenüber Ziff. 1 a. a. O. ansehen wolle, so würde sich die Sonderregelung nur auf den Kapitalwert von Leistungen mit über 10jähriger Dauer beschränken. Der Schuldcharakter der auf kürzere Zeiträume beschränkten Mietvorauszahlungen bleibe auf jeden Fall bestehen. Bei derartigen Geldleistungen der Mieter handle es sich letztlich um Darlehen, die durch die überlassung von Wohnungen unter Anrechnung auf die Mietzinsen getilgt würden.
Mit der Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts fehlerhafte Anwendung des § 74 Abs. 1 Ziff. 2 BewG in Verbindung mit § 67 Ziff. 4 BewG.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Es handelt sich bei den hier streitigen Beträgen um Zahlungen, die die Mieter beim Aufbau des Mietwohnhauses als Mietvorschüsse an den Bg. entrichtet haben. Die rechtliche Behandlung und Einordnung derartiger Zahlungen ist ebenso umstritten wie die Frage ihrer Abzugsfähigkeit. Im Anschluß an das Urteil des Finanzgerichts München I 60/54 vom 16. Juni 1954 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1954 S. 246) hat die Verwaltung in Abschnitt 22 der Vermögensteuer-Ergänzungsrichtlinien (VStER) 1957 ihren bisherigen abweichenden Rechtsstandpunkt aufgegeben. In dieser Entscheidung werden die Mietvorauszahlungen unter ausdrücklicher Ablehnung der Auffassung, daß es sich um Geldforderungen und Geldschulden im Sinne des § 67 Ziff. 1 bzw. des § 74 Abs. 1 Ziff. 1 BewG handle, als Vorausleistungen auf Grund eines gegenseitigen Vertrages behandelt. Auf Grund dieser Vorausleistungen erwerbe der Mieter das Recht, die Mietsache eine bestimmte Anzahl von Jahren zu nutzen, während den Vermieter die Verpflichtung treffe, die Mietsache für den bestimmten Zeitraum zur Verfügung zu stellen. Da es sich bei diesem Anspruche auf Grund der Mietvorauszahlungen um ein Recht auf eine wiederkehrende Leistung, bei der Last um eine dementsprechende Verpflichtung handle, sei ihr Ansatz bei Nichtgewerbetreibenden davon abhängig, daß die zeitlichen Voraussetzungen des § 67 Ziff. 4 bzw. des § 74 Abs. 1 Ziff. 4 BewG erfüllt seien.
Die gleiche Rechtsauffassung hatte der Steuerausschuß vertreten.
Ohne seinerseits das zwischen dem Bg. und seinen Mietern bestehende Rechtsverhältnis näher zu charakterisieren, hat die Vorinstanz die Einspruchsentscheidung und die Steuerbescheide schon deshalb abgeändert, weil es die Mietvorauszahlungen ohne Rücksicht auf ihre zeitliche Dauer in jedem Falle auch dann für abzugsfähig hält, wenn es sich dabei um eine Last im Sinne des § 74 Abs. 1 Ziff. 2 BewG handeln sollte. Das Finanzgericht geht dabei davon aus, die Vorschrift des § 74 Abs. 1 Ziff. 2 BewG stelle nur eine an sich nicht unbedingt erforderliche Ergänzung zu § 74 Abs. 1 Ziff. 1 BewG dar, die nichts anderes bezwecke, als den Abzug derartiger Lasten auf jeden Fall sicherzustellen, die aber den allgemeinen Grundsatz des § 74 Abs. 1 Ziff. 1 BewG, der die Abzugsfähigkeit aller Schulden garantiere, nicht berühren könne. Soweit man aber auf dem Standpunkt stehe, § 74 Abs. 1 Ziff. 2 BewG stelle eine Sonderbestimmung gegenüber § 74 Abs. 1 Ziff. 1 BewG dar, sei ihr Anwendungsbereich auf die wiederkehrenden Nutzungen und Leistungen von mehr als 10jähriger Dauer beschränkt, während für die sonstigen wiederkehrenden Nutzungen und Leistungen der § 74 Abs. 1 Ziff. 1 BewG als allgemeine Bestimmung maßgebend bleibe.
Diese Auffassung des Finanzgerichts ist rechtsirrtümlich. Geht man davon aus, daß das Recht des Mieters auf Grund der Mietvorauszahlungen einen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen, die ihr gegenüberstehende Verbindlichkeit des Vermieters eine ebensolche Last darstellt, so scheidet die Anwendung des § 74 Abs. 1 Ziff. 1 BewG aus. Die Vorschrift des § 74 Abs. 1 Ziff. 2 BewG stellt eine Sondervorschrift für alle wiederkehrenden Nutzungen und Leistungen bzw. für die sich aus ihnen ergebenden Lasten dar, durch die die Anwendung des § 74 Abs. 1 Ziff. 1 a. a. O. ausgeschlossen und der Rückgriff auf diese Vorschrift auch in solchen Fällen verboten wird, in denen die Dauer der wiederkehrenden Nutzungen und Leistungen auf einen Zeitraum von weniger als 10 Jahren beschränkt ist. Andererseits gilt aber die Einschränkung, die in § 67 Ziff. 4 BewG für den Ansatz wiederkehrender Nutzungen und Leistungen von kürzerer Dauer als 10 Jahren gemacht wird, durch die Bezugnahme in § 74 Abs. 1 Ziff. 2 BewG auch für den Abzug entsprechend zeitlich beschränkter Lasten. Diese Ansicht wird auch allgemein im Schrifttum vertreten (vgl. hierzu Gürsching-Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz, § 74 Anm. 41; Krekeler, Das Bewertungsgesetz, 6. Auflage § 74 Ziff. 2 V; Haider-Engel-Dürschke, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Bodenschätzungsgesetz, 3. Auflage § 74 Anm. 3; vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs III 66/61 U vom 6. April 1962, BStBl 1962 III S. 267, Slg. Bd. 74 S. 725). Sie wird dadurch gerechtfertigt, daß es ein Grundgedanke des Bewertungsrechtes ist, Schulden im allgemeinen nur in dem Umfange zum Abzuge zuzulassen, wie die ihnen gegenüberstehenden Forderungen als Vermögenswerte anzusetzen sind. Das schließt nicht aus, daß es vereinzelt auch Wirtschaftsgüter gibt, die nicht als aktive Vermögenswerte anzusetzen, die aber auf der Gegenseite als Schuldverbindlichkeiten in Abzug gebracht werden können. Dazu gehören jedoch die in § 67 Ziff. 4 bzw. § 74 Abs. 1 Ziff. 2 BewG bezeichneten Wirtschaftsgüter nicht.
Das angefochtene Urteil, das auf einer unrichtigen Gesetzesauslegung beruht, unterliegt deshalb der Aufhebung.
Das Finanzgericht hat die Ansprüche der Mieter bzw. die ihnen gegenüberstehenden Verbindlichkeiten des Bg. als Darlehen, d. h. als Geldforderungen und Geldschulden, bezeichnet. Ob die gelegentlich im Schrifttum vertretene Ansicht, die Vorausleistungen der Mieter an den Vermieter könnten im Einzelfalle den Charakter eines Darlehens annehmen (vgl. Hierzu Ziegeler im WK-Kommentar, Anm. 2 zu § 67 BewG, und Gürsching-Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz, Anm. 41 zu § 74), zutreffend ist, braucht nicht näher erörtert zu werden. Denn die hier in Betracht kommenden Leistungen der Mieter sind vom Bg. als "zinslose Baukostenzuschüsse" bezeichnet worden, die innerhalb eines bestimmten Mietzeitraumes auf die Miete verrechnet werden und deshalb die Gestalt und das Wesen echter Mietvorauszahlungen tragen. Diese Ansicht entspricht auch den Ausführungen in dem Urteil des Bundesfinanzhofs VI 308/61 S vom 4. Dezember 1962 (BStBl 1963 III S. 120). Da demnach die Ansprüche aus derartigen Vorauszahlungen ihrer Rechtsnatur nach ebenso wie die daraus entstehenden Verpflichtungen auf wiederkehrende Nutzungen und Leistungen gerichtet sind, liegen keine Darlehnsforderungen bzw. Darlehnsschulden im Sinne des § 67 Ziff. 1, § 74 Abs. 1 Ziff. 1 BewG vor.
Die Sache ist entscheidungsreif; unter Aufhebung des angefochtenen Urteils war die Einspruchsentscheidung wiederherzustellen.
Fundstellen
Haufe-Index 410804 |
BStBl III 1963, 356 |
BFHE 1964, 103 |
BFHE 77, 103 |