Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Volle freie Kost ist gegeben, wenn der Arbeitnehmer die drei üblichen Mahlzeiten zu Morgen, Mittag und Abend erhält.
Normenkette
EStG § 8 Abs. 2; LStDV § 3 Abs. 2, § 3/1
Tatbestand
Die Bfin. hat mit den ständigen Angestellten ihrer Hotel- und Restaurantbetriebe Nettolöhne und die Gestellung freier Station vereinbart. Der größere Teil dieser Arbeitnehmer bezieht die freie Kost in Gestalt von drei Mahlzeiten: Frühstück, Mittagessen, Abendessen. Eine Minderheit, nämlich die in der Wäscherei Tätigen, erhalten daneben ein zweites Frühstück und einen Nachmittagskaffee.
Bei der Berechnung der Lohnsteuer für jene Arbeitnehmer, die drei Mahlzeiten erhielten, kürzte die Bfin. in den Jahren 1954 bis 1958 die in den amtlichen Richtlinien für freie Station vorgesehenen Sätze wegen des nicht bezogenen zweiten Frühstücks und Nachmittagskaffees um zwei Zehntel. Sie machte hierzu geltend: Es sei ein Unterschied, ob ein Arbeitnehmer z. B. nur ein Abendessen oder nur ein Mittagessen oder auch beides beziehe, oder ob er Sachbezüge in Gestalt von 5 Mahlzeiten erhalte. Es sei auch nicht etwa so, daß die gewährten drei Mahlzeiten quantitativ und qualitativ dem Wert von fünf Mahlzeiten entsprächen, denn die Arbeitnehmer mit fünf Mahlzeiten erhielten unter anderem die gleichen Mahlzeiten wie die übrigen Angestellten. Es verstoße gegen die steuerliche Gleichmäßigkeit und Gerechtigkeit sowie gegen den Grundsatz, daß jeder nur das Einkommen zu versteuern habe, das ihm tatsächlich zufließe, wenn die Fälle mit drei und fünf Mahlzeiten zu gleichen Steuern führen sollten. Gegebenenfalls werde die Bfin. beim Bundesverfassungsgericht vorstellig werden. Bei der Höhe des Abzugs habe sie sich an die Richtlinien vom 8. November 1952 gehalten. Im übrigen müsse berücksichtigt werden, daß von ihr Nettolöhne gezahlt würden.
Die Vorinstanzen billigten den Abzug nicht. Auf Grund eines von der Bfin. vorgelegten, die Zeit vom 5. bis 18. September 1961 betreffenden Speisezettels sah das Finanzgericht auch bei den Arbeitnehmern der Bfin., die drei Mahlzeiten erhielten, volle freie Station als gegeben an.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist unbegründet.
Nach § 19 EStG gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit außer den bar bezahlten Gehältern, Löhnen usw. auch andere Bezüge und Vorteile, die für die Beschäftigung gewährt werden; nach § 8 EStG gehören zu den genannten Bezügen alle Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen. Siehe hierzu auch die §§ 2 und 3 LStDV. Die gesetzliche Grundlage für die Bewertung von Sachbezügen ist § 8 Abs. 2 EStG. Danach sind Einnahmen, die nicht in Geld bestehen, insbesondere Kost und Wohnung "mit den üblichen Mittelpreisen" des Verbrauchsorts anzusetzen. Zur Durchführung dieser Vorschrift war in § 3 Abs. 2 LStDV 1954 - zurückgehend auf die Erste Verordnung über die Vereinfachung des Lohnsteuerabzugs vom 1. Juli 1941, RStBl 1941 S. 465 - bestimmt, daß die Oberfinanzdirektionen nach den Richtlinien des Bundesministers der Finanzen für ihren Bezirk den Wert der Sachbezüge festzusetzen und bekannt zu machen hätten. Von seiten des Bundesministers der Finanzen kommen in Frage die "Richtlinien für die Bewertung der Sachbezüge beim Steuerabzug vom Arbeitslohn" vom 8. November 1952 (BStBl 1952 I S. 873). In den LStDV 1957 (Fassung vom 13. Mai 1958, BStBl 1958 I S. 352) lautet § 3 Abs. 2 dahin, daß die für die Finanzverwaltung zuständigen obersten Landesbehörden den Wert von Sachbezügen festsetzen und bekanntgeben, diese Aufgabe aber auch den Oberfinanzdirektionen übertragen können. Für das hier zuständige Land Hessen sind solche Festsetzungen ergangen unter dem 15. Juli 1957 (BStBl 1957 II S. 114) mit Wirkung ab 1. Juli 1957 und unter dem 6. Januar 1958 (BStBl 1958 II S. 9) mit Wirkung ab 1. Januar 1958.
Diese auf Grund des § 3 Abs. 2 LStDV festgesetzten Richtsätze über die Bewertung von Sachbezügen haben zwar nicht Rechtsnormcharakter und sind als solche für die Gerichte nicht verbindlich. Sie haben aber bei der praktischen Anwendung des Gesetzes die Bedeutung von die üblichen Mittelpreise richtig wiedergebenden Erfahrungssätzen. Insbesondere wenn keiner der Beteiligten ihre Höhe beanstandet, können sie auch von den Steuergerichten zugrunde gelegt werden. Siehe Urteile des Bundesfinanzhofs IV 62/54 U vom 26. Mai 1955 (BStBl 1955 III S. 232, Slg. Bd. 61 S. 91) und VI 171/60 U vom 9. Juni 1961 (BStBl 1961 III S. 409, Slg. Bd. 73 S. 394).
Allen vorgenannten Richtlinien ist gemeinsam, daß sie unterscheiden zwischen der vollen freien Station und teilweiser Gewährung von freier Station. Der Begriff der freien Kosten im Rahmen einer vollen freien Station ist gegeben, wenn der Arbeitnehmer seine gesamte Verpflegung, die er zur Lebensfristung braucht, vom Arbeitgeber erhält. Für diesen Tatbestand ist es unerheblich, ob der Arbeitnehmer die zu Morgen, Mittag und Abend üblichen Mahlzeiten gestellt bekommt oder darüber hinaus weitere kleine Stärkungen, wie es ebensowenig eine Rolle spielt, wie aufwendig der Arbeitgeber die verabreichten Mahlzeiten gestaltet. Auf den tatsächlichen Aufwand kommt es nach § 8 Abs. 2 EStG nicht an, sondern auf den üblichen Mittelpreis. Es entspricht den gegenwärtigen Anschauungen, daß drei Mahlzeiten zu Morgen, Mittag und Abend ein "volle" Verpflegung sind. Daß hier in diesem Sinne die drei Mahlzeiten gegeben werden, hat das Finanzgericht der von der Bfin. als Beispiel vorgelegten Zusammenstellung über die Beköstigung der Arbeitnehmer in der Zeit vom 5. bis 18. September 1961 zutreffend entnommen.
Wenn die Bfin. den in der Wäscherei beschäftigten Personen ein zweites Frühstück (darin 1 Liter Milch) und einen Nachmittagskaffee oder Tee verabfolgt, so wird das geschehen wegen der in diesem Betriebsteil herrschenden Hitze und Feuchtigkeit, die die körperliche Widerstandskraft besonders beanspruchen. Auch sonst stellen Arbeitgeber im Interesse der Gesundheit und Erhaltung der Arbeitskraft ihrer Arbeitnehmer und als Ersatz für größeren Energieverlust besondere Stärkungs- und Erfrischungsmittel zur Verfügung. Es sei als Beispiel verwiesen auf den der Entscheidung des erkennenden Senats VI 107/57 U vom 17. Juli 1959 (BStBl 1959 III S. 412, Slg. Bd. 69 S. 406) zugrunde liegenden Sachverhalt (Gestellung von Getränken an Gießereiarbeiter, die bei großer Hitze und erheblicher Staubentwicklung tätig sind). Man wird nicht leugnen können, daß die in der Wäscherei Beschäftigten bei lohnsteuerlich gleicher Behandlung mit den nur drei Mahlzeiten empfangenden Arbeitnehmern diesen gegenüber in einem gewissen steuerlichen Vorteil sind. Das ist jedoch die vom Gesetz in Kauf genommene Folge der mit § 8 Abs. 2 EStG angestrebten Vereinfachung von Sachgleichmäßigkeit der steuerlichen Erfassung von Sachbezügen. Es liegt im Wesen jedes Mittelpreises, daß Fälle günstiger, andere Fälle steuerlich nicht so vorteilhaft behandelt werden. Ohne Bedeutung ist, daß Nettolöhne vereinbart sind. Diese Abrede berührt nur die Berechnungsart der aus den Geld- und Sachbezügen abzuführenden Lohnsteuer, nicht aber den der Lohnsteuer zu unterwerfenden Wert der Sachbezüge.
Die Bfin. greift den nach den Richtlinien anzusetzenden Wert der vollen Verpflegung als solchen, d. h. in der Gesamthöhe, nicht an, sie beruft sich lediglich auf die in den Richtlinien "bei teilweiser Gewährung von freier Station" genannten Bruchteile der vollen Sätze. Von einer teilweisen Gewährung freier Station kann hier jedoch keine Rede sein. Gemeint sind die Fälle, in denen wirklich nur einzelne Mahlzeiten ausbedungen sind, z. B. für einen jeweils von 18 bis 24 Uhr beschäftigten Kellner ein Abendessen. Im Streitfall ist, wie oben ausgeführt, "volle" Kost ausbedungen und gewährt worden.
Schließlich ist es nicht einzusehen und übrigens von der Bfin. nicht näher dargetan, wo eine Verletzung des Grundgesetzes (GG) liegen soll. Die in dem Ansatz von Mittelpreisen liegende Möglichkeit einer geringen Abweichung vom tatsächlichen Wert des Zuflusses, dient im allgemeinen Interesse der Vereinfachung und Gleichmäßigkeit der lohnsteuerlichen Erfassung einer freien Station. Die darin liegende Gleichbehandlung von unwesentlich Ungleichem ist durch das mit § 8 Abs. 2 EStG angestrebte Ziel sachlich gerechtfertigt und enthält, frei von jeglicher Willkür, keine Verletzung des in Art. 3 GG niedergelegten Gleichheitsgrundsatzes. Hinzu kommt, daß die Sätze der Richtlinien erfahrungsgemäß an der untersten Grenze des Vertretbaren liegen, bei Berechnung der Lohnsteuer sich also für die Steuerpflichtigen günstig auswirken.
Da die Höhe der vom Finanzgericht festgesetzten Nachforderung rechnerisch nicht bestritten ist, war die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 410828 |
BStBl III 1963, 331 |
BFHE 1964, 40 |
BFHE 77, 40 |