Leitsatz (amtlich)
Der Abs. 5 des § 59 UStDB 1951 verstößt nicht gegen das GG.
Normenkette
UStG 1938 §§ 8, 18; UStDB 1938 §§ 54-56; UStDB 1951 § 59 Abs. 1, 4-5, § 60; AO §§ 12, 217; GG Art. 80 Abs. 1 S. 2, Art. 86 S. 1, Art. 129 Abs. 3; BVerfGG § 31 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige -- Stpfl. --) betreibt eine Wollwarenfabrik (Spinnerei und Weberei). Sie wurde für die Veranlagungszeiträume 1951 bis 1954 und 1956 bis 1958, teils durch Berichtigungsveranlagungen nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO -- z. T. in Verbindung mit § 225 AO --, teils erstmalig (für 1958 vorläufig) außer zur allgemeinen Umsatzsteuer zur Spinnweber-Zusatzsteuer gemäß § 54 UStDB 1938 (für I/1951) bzw. § 59 UStDB 1951 (für II/1951 bis 1954 und 1956 bis 1958) herangezogen, und zwar im Wege der Abfindung nach Abs. 5 der genannten Vorschriften. Außerdem wurde das Anrechnungsverfahren gemäß § 56 UStDB 1938 (für I/1951) bzw. § 60 UStDB 1951 (für die übrigen Veranlagungszeiträume) angewendet. Die hiergegen eingelegten Einsprüche blieben erfolglos. Das Finanzamt (FA) vertrat den Standpunkt, daß § 59 Abs. 1 UStDB 1951 auf den Ermächtigungen in den §§ 8 und 18 UStG 1934 und in § 12 AO beruhe und daher als vorkonstitutionelles Recht weiter gültig sei. Dagegen hatte die Stpfl. in den beiden von ihr anhängig gemachten Berufungsverfahren (das eine betrifft die Veranlagungszeiträume 1951 bis 1954 sowie 1956 und 1957, das andere betrifft den Veranlagungszeitraum 1958) zum größten Teil Erfolg. Das Finanzgericht (FG) schloß sich der Auffassung des Senats an, daß die §§ 59 bis 62 UStDB 1951 über die Zusatzsteuer in der Textilwirtschaft nachkonstitutionelles Recht darstellten und wegen der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) durch Urteil 2 BvL 18/56 vom 5. März 1958 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfGE -- Bd. 7 S. 282) festgestellten Ungültigkeit der Ermächtigungsvorschriften der §§ 8 und 18 Abs. 1 Ziff. 1 UStG 1951 nichtig seien (vgl. Urteile des BFH V 226/57 S vom 22. Oktober 1959, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 69 S. 486 -- BFH 69, 486 --, BStBl III 1959, 441; V 231/54 S vom 7. April 1960, BFH 71, 244, BStBl III 1960, 339; V 85/60 U vom 9. Februar 1961, BFH 72, 307, BStBl III 1961, 114). Ferner lehnte das FG den Antrag des FA, die angefochtenen Einspruchsentscheidungen zum Nachteil der Stpfl. für alle Jahre durch zusätzliche Festsetzung einer Zusatzsteuer nach § 55 UStDB 1938 zu ändern, ab. Das FG setzte demgemäß die Umsatzsteuern der Stpfl. für die einzelnen Veranlagungszeiträume um die Spinnweber-Zusatzsteuern herab (im Hinblick auf den vom Senat im Urteil V 226/57 S den Steuerpflichtigen zugebilligten Vertrauensschutz bezüglich ordnungsgemäß verabschiedeter und verkündeter Rechtsverordnungen nach Abzug der Kürzungsbeträge gemäß § 60 UStDB). Nur für das 1. Halbjahr 1951 erkannte das FG die Erhebung der Spinnweber-Zusatzsteuer (gekürzt um die Anrechnungsbeträge) als berechtigt, an, weil sie auf dem rechtsgültigen § 54 UStDB 1938 beruhe. Für die Veranlagungszeiträume 1951 und 1952, für die Berichtigungsveranlagungen nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO ergangen waren, ließ das FG die Herabsetzung der Umsatzsteuern unter die ursprünglich festgesetzten Steuerbeträge nicht an der Sperrklausel des § 234 AO scheitern.
In dem zuerst in Gang gekommenen Revisionsverfahren betreffend den Veranlagungszeitraum 1958 machten die Parteien zunächst eingehende Ausführungen zur materiellen Rechtslage, wobei sie ihre bislang schon eingenommenen, entgegengesetzten Standpunkte aufrechterhielten und noch vertieften. Nachdem das BVerfG inzwischen auf Antrag des Bundesministers der Finanzen (BdF) im abstrakten Normenkontrollverfahren durch den Beschluß 2 BvF 1/60 vom 16. Mai 1961 (BVerfGE Bd. 12 S. 341, BStBl I 1961, 432) entschieden hatte, daß § 54 Abs. 1 UStDB 1938 -- derzeit angewandt als § 59 Abs. 1 UStDB 1951 -- mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar ist, stützte das FA sein Revisionsbegehren -- ebenso wie von Anfang an in dem später eingeleiteten zweiten Revisionsverfahren betreffend die anderen in Streit befindlichen Veranlagungszeiträume -- hauptsächlich auf diesen Beschluß, der für jedermann verbindlich sei. Seinen Antrag, zum Nachteil der Stpfl. die Zusatzsteuer nach § 55 UStDB 1938 zusätzlich festzusetzen, nahm das FA im Verlaufe des Revisionsverfahrens ausdrücklich zurück.
Die Revisionsentgegnung der Stpfl. beschränkt sich nach dem Ergehen des Beschlusses des BVerfG 2 BvF 1/60 vom 16. Mai 1961 (a. a. O.) auf die folgenden vier Punkte:...
4. Der bei der Festsetzung der Spinnweber-Zusatzsteuer im Streitfalle angewandte § 59 Abs. 5 UStDB 1951 sei verfassungswidrig, weil die dort ausgesprochene Ermächtigung zur Regelung des Abfindungsverfahrens und des Abfindungssatzes den Anforderungen des GG nicht genüge.
Der Senat hat gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beschlossen, die beiden Revisionsverfahren, von denen das eine die Veranlagungszeiträume 1951 bis 1954 und 1956 bis 1957, das andere den Veranlagungszeitraum 1958 betrifft, miteinander zwecks gemeinsamer Entscheidung zu verbinden, weil dieselben Rechtsfragen streitig sind (vgl. § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revisionen des FA führen zur Aufhebung der Vorentscheidungen....
4. Auch die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 59 Abs. 5 UStDB 1951 ist bereits in dem Grundsatzurteil V 71/61 S vom 29. Juli 1965 (BFH 83, 125, BStBl III 1965, 545) behandelt worden. Diese Vorschrift ist auf Grund der Ermächtigungen des § 8 UStG 1934 und des § 12 AO rechtswirksam erlassen, unverändert aus den UStDB 1938 in die UStDB 1951 übernommen und auch in der Folgezeit weder ergänzt noch geändert worden. Sie muß daher auf Grund der Ausführungen in Abschn. B II des Beschlusses des BVerfG 2 BvF 1/60 vom 16. Mai 1961 (a. a. O.), weil die den Tenor tragenden Teile der Entscheidungsgründe an der Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht teilnehmen, als rechtswirksam angesehen werden. § 59 Abs. 5 UStDB 1951 ist eine Vorschrift, die nicht -- wie die Stpfl. meint -- isoliert besteht, sondern (ähnlich wie die den Buchnachweis regelnde Vorschrift des § 59 Abs. 4 UStDB 1951) mit der Grundnorm der Spinnweber-Zusatzsteuer (§ 59 Abs. 1 UStDB 1951) eng zusammenhängt und deren Handhabung (insbesondere die Entgeltsermittlung) erleichtern soll. Sie stellt keinen eigenen Steuertatbestand dar.
Ermächtigungen zum Erlaß von Verwaltungsanweisungen sind -- wie die Stpfl. zugibt -- durch das GG nicht untersagt. Ohne Regelung durch solche Weisungen kann die Verwaltung die ihr übertragenen Aufgaben nicht erfüllen. Ob die dem § 59 Abs. 5 UStDB (= § 54 Abs. 4 UStDB 1938) zugrunde liegenden Ermächtigungen (§ 8 UStG 1934 und § 12 AO) nach Art. 129 Abs. 3 GG erloschen sind, kann nach den Ausführungen des BVerfG dahingestellt bleiben; denn das nachträgliche Erlöschen einer Ermächtigung ist auf den Rechtsbestand der während ihres Bestehens ordnungsgemäß erlassenen Rechtsverordnung ohne Einfluß (BVerfGE Bd. 9 S. 3; siehe auch Art. 123 Abs. 1 GG). Die Bestimmungen des GG, mit denen die Stpfl. die Rechtsgültigkeit des § 59 Abs. 5 UStDB 1951 angreift (Art. 129 Abs. 3, Art. 80 Abs. 1 Satz 2, Art. 86 Satz 1 GG), kommen daher nicht zum Zuge; sie regeln nur den Erlaß von Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften für die nachkonstitutionelle Zeit.
Es ist daher nicht zu beanstanden, daß in § 59 Abs. 5 UStDB 1951 die Regelung des Abfindungsverfahrens und die Bestimmung des Abfindungssatzes dem BdF überlassen werden. Bedenken hiergegen bestünden nur, wenn die aus den UStDB 1938 übernommene Regelung sachliche Mängel aufwiese und zu unrichtigen Ergebnissen führte. Dies ist indessen nicht der Fall. Die Abfindung ist durch Entrichtung eines Zuschlags für die Lieferung der selbst oder von einem anderen im Werklohn hergestellten Garne zu leisten, wobei davon ausgegangen wird, daß der Garnpreis im Tuch- oder Stoffpreis je Meter mit 3/8 enthalten ist (Zuschlag bei einem Steuersatz von 4 % daher 1,5 %), und daß ein Ansteigen des Garnanteils an den Verkaufspreisen der Erzeugnisse der Tuch- und Kleiderstoffindustrie durch Hinaufsetzen, ein Absinken durch Herabsetzen des Abfindungssatzes berücksichtigt wird. Es sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß diese Berechnungsart auf längere Sicht zu wesentlich anderen Ergebnissen führt als die Berechnung der Spinnweber-Zusatzsteuer an Hand des in § 59 Abs. 4 UStDB 1951 vorgeschriebenen Buchnachweises. § 59 Abs. 5 UStDB dient im Gegenteil dazu, Fehlschätzungen, wie sie bei Anwendung des § 217 AO leicht vorkommen, auszuschließen. Richtlinien, durch die die einheitliche Ausübung des behördlichen Ermessens gewährleistet werden soll, sind auch unter der Herrschaft des GG zulässig (vgl. Maunz-Dürig, Grundgesetz, Anm. 10 zu Art. 86 und Anm. 33 zu Art. 84).
Es kommt hinzu, daß die Parteien nicht gezwungen waren, das Abfindungsverfahren anzuwenden (Kannvorschrift). Die Stpfl. ist vielmehr schon 1951 aus eigenem Entschluß zum Abfindungsverfahren übergegangen. Wie sich aus den Vorgängen des FA ergibt, hat sie wiederholt -- insbesondere, nachdem sie vom FA dahin belehrt worden war, daß die Zusatzsteuer erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Verarbeitung des Garns in der Weberei entsteht -- zugegeben, daß der geforderte Buchnachweis erbracht werden könnte. Sie ist deshalb beim Abfindungsverfahren verblieben, weil der Abfindungssatz in den letzten Jahren mehrfach herabgesetzt worden ist. Es wäre -- wie das FA zutreffend hervorhebt -- ein unhaltbares und gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßendes Ergebnis, wenn diejenigen, die sich der Mühe unterziehen, den Buchnachweis zu erbringen, die Zusatzsteuer auf Grund der rechtsgültigen Absätze 1, 3 und 4 des § 59 UStDB 1951 bezahlen müßten, während sich diejenigen, die das bequemere Abfindungsverfahren wählen, auf die angebliche Verfassungswidrigkeit des Absatzes 5 dieser Vorschrift berufen könnten.
Abs. 5 des § 59 UStDB 1951 ist -- ebenso wie Abs. 1 dieser Vorschrift -- mindestens bis zum Tage des Beschlusses des BVerfG 2 BvF 1/60 vom 16. Mai 1961 (a. a. O.) als rechtsgültig anzusehen.
Fundstellen
BStBl III 1967, 162 |
BFHE 1967, 307 |