Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer, Verfahrensrecht, Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Regelung des § 26 Abs. 2 Ziff. 2 Satz 3 EStG 1957, nach der im Zuge der getrennten Veranlagung von Ehegatten die Unterschreitung der in den bisherigen Steuerbescheiden festgesetzten Steuerbeträge unzulässig ist, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Da das Ziel des steuerlichen Rechtsmittelverfahrens wie das Ziel des Veranlagungsverfahrens die richtige Steuer ist, haben die Rechtsmittelbehörden nach § 243 Abs. 2 AO ihre Entscheidung ohne Bindung an die Anträge dessen, der das Rechtsmittel eingelegt hat, zu treffen und können demgemäß auch, wie in § 243 Abs. 3 AO ausdrücklich bestimmt ist, die angefochtene Entscheidung zu dessen Nachteil ändern. Darüber, ob dies zu geschehen hat, haben sie nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu befinden. Es steht insbesondere nicht im freien Ermessen des Bundesfinanzhofs, von diesem verfahrensrechtlichen Grundprinzip abzuweichen. Er hat zu entscheiden, was Rechtens ist. Er ist deshalb in aller Regel nach dem Gesetz zur Verböserung verpflichtet. Nur Fälle von untergeordneter Bedeutung oder besondere Umstände des Einzelfalles können ihre Unterlassung rechtfertigen.
Ist den Erfordernissen des rechtlichen Gehörs bereits von den Vorinstanzen erschöpfend genügt, d. h. auch hinsichtlich des sich auf eine etwaige Verböserung beziehenden Fragenbereichs, so besteht für den Bundesfinanzhof weder aus dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs noch aus einem anderen verfahrensrechtlichen Gesichtspunkt Anlaß zu einer Mitteilung an den Bf., die lediglich den Zweck haben könnte, ihn in die Lage zu versetzen, einer möglichen Verböserung durch Zurücknahme seiner Rb. zu begegnen.
Normenkette
EStG § 26 Abs. 2 Ziff. 2 S. 3; AO §§ 222, 243 Abs. 2-3; FGO § 76/1, § 121; GG Art. 103 Abs. 1
Tatbestand
Die Bfin. A. und ihr im Jahre 1955 verstorbener Ehemann waren bis zu dessen Ableben als alleinige Gesellschafter an der KG Z. beteiligt. Die Gewinnbeteiligung des vollhaftenden Ehemannes betrug 75 v. H., diejenige der teilhaftenden Ehefrau 25 v. H. Die Eheleute wurden für die den Gegenstand dieses Verfahrens bildenden Veranlagungszeiträume 1949 und 1951 gemäß § 26 EStG a. F. auf der Grundlage gewerblicher Gewinne aus ihrer Beteiligung an der KG in Höhe von 6.890 DM bzw. von 19.908 DM nach einem Einkommen von 5.520 DM bzw. von 18.241 DM durch Bescheide, die im Jahre 1951 bzw. 1953 unanfechtbar wurden, zu einer Einkommensteuer von 678 DM und von 6.135 DM zusammen veranlagt.
Eine in den Jahren 1955 und 1956 durchgeführte Betriebsprüfung ergab unter anderem, daß für 1949 und für 1951 zu niedrige Gewinne aus der Beteiligung an der KG erklärt und veranlagt worden waren. Nach den Feststellungen des Betriebsprüfers war der Gewinn in 1949 um 185 DM und in 1951 um 464 DM höher.
Für 1949 waren 110 DM zu Unrecht als Betriebsausgaben behandelt worden. Außerdem waren 75 DM für die Bearbeitung der Vermögensteuer- und der Soforthilfeabgabe-Erklärung als Betriebsausgaben verbucht.
Für 1951 waren 344 DM zu Unrecht als Betriebsausgaben gebucht worden; ferner waren im Ergebnis Außenstände in Höhe von 120 DM für diesen Veranlagungszeitraum nicht im Gewinn der Gesellschaft erfaßt worden. Die Gesellschaft hatte die ihr zum 31. Dezember 1950 sowie zum 31. Dezember 1951 zustehenden Rabattansprüche von 1.622 DM bzw. von 1.742 DM nicht zu diesen Bilanzstichtagen aktiviert, sondern diese Beträge erst bei ihrer Vereinnahmung im Jahre 1951 (1.622 DM) bzw. im Jahre 1952 (1.742 DM) als Gewinne berücksichtigt. Durch entsprechende Aktivierung zum 31. Dezember 1950 und zum 31. Dezember 1951 stellte der Prüfer das Bilanzergebnis richtig, so daß sich für 1951 infolge eines um 1.622 DM höheren Anfangsvermögen und durch die Aktivierung eines Betrages von 1.742 DM zum 31. Dezember 1951 der genannte Mehrgewinn von 120 DM (1.742 DM ./. 1.622 DM) ergab. Außerdem stellte der Prüfer noch fest, daß für 1951 bisher Kapitaleinkünfte der Eheleute in Höhe von 90 DM steuerlich nicht erfaßt worden waren.
Die Bf. sind der Meinung, daß die Feststellungen des Prüfers zur Wiederaufrollung der Steuerfälle 1949 und 1951 gemäß § 222 AO und im Zuge dieser Wiederaufrollung im Wege der getrennten Veranlagung der Ehegatten zur Unterschreitung der in den bisherigen Steuerbescheiden festgesetzten Steuerbeträge führen müßten. An der Rechtskraft der bisherigen Steuerfestsetzungen könne im Hinblick auf die Nichtigkeit des § 26 EStG a. F. nicht festgehalten werden. Sie könne jedenfalls einer vollen steuerlichen Auswirkung der getrennten Veranlagung im Zuge der gebotenen Wiederaufrollung nicht entgegenstehen.
Das Finanzamt hat die für 1949 und 1951 begehrte Steuerunterschreitung, die sich bei uneingeschränkt getrennter Veranlagung unzweifelhaft und unbestritten ergeben würde, versagt. Es stützt sich hierbei entscheidend auf die Vorschrift des § 26 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1957. Es entnimmt dieser Bestimmung, daß eine Unterschreitung der bisherigen Steuer dann unzulässig ist, wenn eine Berichtigungsveranlagung nach § 222 AO oder nach § 218 Abs. 4 AO bei Beibehaltung der Zusammenveranlagung nur zu einer höheren Veranlagung führen würde. Diese Voraussetzungen hält es hier im Sinne des Gesetzes für gegeben, da der Prüfer - wie es darlegt - nur gewinnerhöhende neue Tatsachen im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO festgestellt habe. Es hat deshalb - offenbar in der Annahme, daß es den Bf. nur auf die von ihnen begehrte Steuerunterschreitung ankomme - von einer den Feststellungen des Prüfers entsprechenden Gewinnfeststellung nach § 215 Abs. 2 Ziff. 2 AO sowie von einer Verteilung der bisherigen Steuerbeträge auf die Eheleute im Wege getrennter Veranlagung abgesehen.
Dagegen hat es für 1951 die Voraussetzungen für eine begrenzte Zusammenveranlagungsberichtigung im Sinne des § 4 Abs. 3 Ziff. 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) für gegeben erachtet, indem es bei dieser Berichtigung den der Zusammenveranlagung ursprünglich mit 19.908 DM zugrunde gelegten Gewinn aus der KG um die nunmehr zum 31. Dezember 1950 aktivierten und für 1950 steuerlich erfaßten Rabattansprüche von 1.622 DM minderte. Es sieht in der Berichtigung des Endvermögens zum 31. Dezember 1950 bzw. des Anfangsvermögens zum 1. Januar 1951 durch die Aktivierung der Rabattansprüche von 1.622 DM zum 31. Dezember 1950 eine Folgetatsache, die nach der genannten Vorschrift des StAnpG zu einer entsprechend begrenzten Berichtigung der Zusammenveranlagung 1951 führen müsse. Demgemäß hat es durch Bescheid vom 17. Mai 1958 die ursprüngliche Einkommensteuer 1951 in Höhe von 6.135 DM auf 5.415 DM - also um 720 DM - herabgesetzt, während sich bei uneingeschränkt getrennter Veranlagung nur eine Steuer von insgesamt 5.250 DM, mithin eine weitere - von den Bf. in diesem Verfahren erstrebte - Ermäßigung von 165 DM ergeben haben würde.
Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht, auf dessen Entscheidung Bezug genommen wird, hat die Sachbehandlung des Finanzamts gebilligt und ausgesprochen, daß das Finanzamt mit Recht die Durchführung getrennter Veranlagungen für die strittigen Veranlagungszeiträume abgelehnt habe. Es hat insbesondere die von den Bf. in Zweifel gezogene Verfassungsmäßigkeit des § 26 Abs. 2 Ziff. 2 Satz 3 EStG 1957 bejaht und eingehend dargelegt, daß nach dieser mit dem Grundgesetz (GG) zu vereinbarenden Vorschrift die "volle Beseitigung der Rechtskraft der ursprünglichen Steuerfestsetzungen" nicht zulässig sei.
Entscheidungsgründe
Den Rb. muß der Erfolg versagt bleiben; darüber hinaus muß - insoweit unter Aufhebung der Vorentscheidungen - gemäß § 243 Abs. 3 AO insofern zum Nachteil der Bf. entschieden werden, als die durch den Bescheid vom 17. Mai 1958 nach § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG zu ihren Gunsten erfolgte Berichtigungsveranlagung für 1951 ersatzlos aufzuheben ist.
In prozessualer Hinsicht ist zunächst darauf hinzuweisen, daß es auf die von den Beteiligten und von der Vorinstanz erörterte Frage, ob von der Bfin. A. auch für 1949 ein Antrag auf getrennte Veranlagung nach § 26 EStG 1957 gestellt worden sei, nicht ankommt. Die getrennten Veranlagungen im Sinne der genannten Vorschrift sind - von dem hier nicht gegebenen Falle ihres Absatzes 3 abgesehen - von Amts wegen durchzuführen, wenn Zusammenveranlagung nicht beantragt ist. Ein derartiger Antrag ist nicht gestellt worden. Gegen den die getrennte Veranlagung für 1949 ablehnenden Bescheid des Finanzamts vom 6. Juni 1958 ist - wie die Vorinstanz zutreffend ausführt - der Rechtsmittelweg bzw. der Rechtsweg nach § 235 Ziff. 1 AO in Verbindung mit § 229 Abs. 2 AO neuer Fassung gegeben.
In der Sache selbst ist im einzelnen zu bemerken:
Veranlagungszeitraum 1949 Nach § 26 Abs. 5 EStG 1957 kann die Berichtigung vor dem 21. Februar 1957 rechtskräftig gewordener Steuerbescheide nicht mit der Begründung verlangt werden, daß § "( EStG in den vor dem 21. Februar 1957 angewendeten Fassungen nichtig sei. Damit ist dem Prinzip der Rechtssicherheit der Vorrang vor dem Prinzip der materiellen Gerechtigkeit oder - anders ausgedrückt - vor der "richtigen Steuer" eingeräumt. Daß dies mit dem GG vereinbar ist, hat der erkennende Senat in übereinstimmung mit dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts I BvR 678/57 vom 12. Dezember 1957 (BStBl 1958 I S. 52) in seiner Entscheidung IV 66/59 U vom 13. Mai 1959 (BStBl 1959 III S. 290, Slg. Bd. 69 S. 75), auf die Bezug genommen wird, ausgesprochen. Es kann deshalb - entgegen der von den Bf. vertretenen Meinung - auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen, wenn das Gesetz in dem hier in Betracht kommenden § 26 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1957 unter den dort genannten Voraussetzungen die getrennte Veranlagung nur mit begrenzter steuerlicher Auswirkung zuläßt, sofern nach allgemeinen steuerrechtlichen Grundsätzen die Rechtskraft der vor dem 21. Februar 1957 rechtskräftig gewordenen Steuerbescheide nur im begrenzten Umfange aufgehoben bzw. gegenstandslos wird, wie nach den §§ 222 Abs. 1 Ziff. 1 und 234 AO, nach denen zwar eine überschreitung des im bisherigen Steuerbescheid rechtskräftig festgesetzten Steuerbetrages, aber nicht dessen Unterschreitung zulässig ist. Mit anderen Worten: Es ist vom GG her unbedenklich, wenn sich im Falle der höheren Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO - anders als im Falle der niedrigeren Veranlagung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO - die getrennte Veranlagung nach der genannten Vorschrift des EStG 1957 steuerlich im Ergebnis nur im Rahmen der in Betracht kommenden Mehrsteuer auswirkt, während die Rechtskraft der bisherigen Steuerfestsetzung in dem Sinne unberührt bleibt, daß der im bisherigen Steuerbescheid festgesetzte Steuerbetrag auch nicht im Wege der getrennten Veranlagung unterschritten werden darf.
Der Prüfer hat für den Veranlagungszeitraum 1949 nur gewinnerhöhende neue Tatsachen festgestellt, die für eine höhere Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO in Betracht kommen können, wenn sie gewichtig genug im Sinne der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sind. Ob dies der Fall ist, kann dahingestellt bleiben. Auch wenn es zu bejahen sein sollte, können diese Tatsachen aus den dargelegten Gründen nicht zu der Steuerunterschreitung führen, auf die es den Bf. allein ankommt. Das Finanzamt konnte daher auch - wie es das getan hat - davon absehen, im Zuge einer Veranlagungsberichtigung eine getrennte Veranlagung durchzuführen und den im bisherigen Steuerbescheid festgesetzten und bereits getilgten Steuerbetrag auf die Eheleute zu verteilen. Die Bf. sind durch dieses Verfahren nicht beschwert. Das Finanzamt konnte insbesondere auch unbeschadet der Grundsätze, die sonst nach der Entscheidung des erkennenden Senats IV 39/58 U vom 26. Juni 1958 (BStBl 1958 III S. 364, Slg. Bd. 67 S. 237) nunmehr auch im Falle einer aus Ehegatten bestehenden Unternehmergemeinschaft gelten, davon absehen, eine den Feststellungen des Prüfers entsprechende einheitliche und gesonderte Gewinnfeststellung im Sinne des § 215 Abs. 2 Ziff. 2 AO durchzuführen; denn nach der auch für den Anwendungsbereich des § 215 AO geltenden Bestimmung des § 214 AO sind solche Feststellungen nur zu treffen, wenn es sich um "der Besteuerung zugrunde zu legende" Feststellungen handelt. Aus den dargelegten Erwägungen würde aber eine derartige Feststellung im vorliegenden Falle ohne steuerliche Bedeutung sein. Die Bf. haben dieses Verfahren auch zu keinem Zeitpunkt im Laufe des Rechtsstreits beanstandet.
Veranlagungszeitraum 1951 Für diesen Veranlagungszeitraum hat der Prüfer neben der gewinnmindernden Folgewirkung in Höhe von 1.622 DM gewichtige gewinnerhöhende neue Tatsachen im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO (1.742 DM Rabattansprüche und 344 DM zu Unrecht gebuchte Betriebsausgaben) festgestellt. Die Frage, welche rechtliche Bedeutung diesen Feststellungen für den Streitfall zukommt, beurteilt sich nach der Rechtslage, wie sie bei Beibehaltung der Zusammenveranlagung gegeben wäre.
Das Finanzamt hat die für diesen Fall gebotene Berichtigung der ursprünglichen Veranlagung in zwei Berichtigungsvorgänge zerlegt, und zwar auf Grund der gewinnerhöhenden neuen Tatsachen von insgesamt (1.742 DM + 344 DM) 2.086 DM in einen solchen nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO und - auf Grund gewinnmindernder Folgewirkung im Betrag von 1.622 DM - in einen weiteren nach § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG. Das ist rechtlich unzutreffend. Wird ein Einkommensteuerfall bei Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich auf Grund neuer Tatsachen nach § 222 AO wieder aufgerollt, so werden auch alle diejenigen Folgewirkungen, die auf eine Berichtigung des Vorjahresergebnisses zurückzuführen sind, in diese Wiederaufrollung einbezogen, so daß die Berichtigung der Veranlagung ausschließlich auf § 222 AO und nicht auch auf § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG beruht (vgl. die Entscheidung des erkennenden Senats IV 440/60 S vom 21. September 1961, BStBl 1961 III S. 574). Das bedeutet, daß der gewinnmindernde Folgetatbestand im Betrag von 1.622 DM durch die gleichzeitige gewinnerhöhende Tatsache der Aktivierung des Rabattbetrages von 1.742 DM zum 31. Dezember 1951 in seiner Wirkung aufgehoben ist. Da sich hiernach nur eine Gewinnerhöhung von 120 DM (1.742 DM ./. 1622 DM) + 344 DM = 464 DM ergibt und mithin die Berichtigung der bisherigen Zusammenveranlagung nur zu einer überschreitung des im bisherigen Steuerbescheid festgesetzten Steuerbetrages führen würde, hat das Finanzamt aus den bereits für 1949 dargelegten Gründen mit Recht auch für diesen Veranlagungszeitraum die von den Bf. im Wege ihrer getrennten Veranlagung begehrte Steuerunterschreitung abgelehnt und im übrigen zutreffend das gleiche Verfahren wie für 1949 angewendet.
Da mithin eine Unterschreitung des rechtskräftigen ursprünglichen Steuerbetrages von 6.135 DM weder nach § 26 EStG 1957 noch nach § 4 Abs. 3 Ziff. 2 StAnpG zulässig ist, bleibt noch zu prüfen, ob der von den Bf. angegriffene Berichtigungsbescheid vom 17. Mai 1958 zu ihrem Nachteil gemäß § 243 Abs. 3 AO ersatzlos aufzuheben und damit der bisherige Steuerbescheid wieder in Kraft zu setzen ist. Der Senat ist der Auffassung, daß das zu geschehen hat. Es wäre aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und damit aus Gründen der steuerlichen Gerechtigkeit gegenüber anderen Steuerpflichtigen nicht vertretbar, es bei dem ungerechtfertigten Steuervorteil von 720 DM zu belassen. Ebensowenig wie es im beliebigen Ermessen der Rechtsmittelbehörden steht, über den Antrag des Steuerpflichtigen hinaus nach § 243 Abs. 2 AO zu seinem Vorteil zu entscheiden, steht es in ihrem beliebigen Ermessen, nach § 243 Abs. 3 AO zu seinem Nachteil zu entscheiden. Da es sich um einen Betrag von nicht unerheblicher Bedeutung handelt, wäre die Unterlassung der "Verböserung" Ermessensfehlgebrauch (vgl. hierzu auch Wetter-Barske, Leitsatzkartei der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, Reichsabgabenordnung I 1, § 243 Abs. 3 L 1, Anmerkung).
Dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs - Art. 103 Abs. 1 GG - ist insoweit bereits durch das Finanzgericht genügt worden. Mit Schreiben vom 18. März 1959 hat es dem Vertreter des Bf. folgendes mitgeteilt:
" ... für das Jahr 1951 wird das Finanzgericht, je nachdem, zu welchem Ergebnis es hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung der getrennten Veranlagung bei Berichtigungsbescheiden kommt, u. U. auch zu prüfen haben, ob das vom Finanzamt für die Berichtigung zugrunde gelegte Einkommen von 16.619 DM nicht etwa um 1.742 DM aktive Rechnungsabgrenzung laut Tz. 26 des Betriebsprüfungsberichts und um 344 DM Privatausgaben laut Tz. 28 des Betriebsprüfungsberichts und des Nachtrags hierzu zu erhöhen ist. Ich stelle anheim, sich hierzu zu äußern. Auf § 243 Abs. 3 AO mache ich aufmerksam ...".
Dieser hat mit Schreiben vom 9. April 1959 unter anderem mitgeteilt:
"Es ist richtig, daß gemäß Textziffer 26 des Prüfungsberichtes eine aktive Rechnungsabgrenzung für DM 1.742,-- zu machen ist; da jedoch 1950 in gleicher Weise DM 1.622,-- aktiv abzugrenzen waren, würde das Gewinnergebnis 1951 nur mit dem Unterschiedsbetrage von DM 80,-- " (richtig DM 1200) "beeinflußt werden".
Damit ist der im Hinblick auf § 243 Abs. 3 AO gegebene Fragenbereich auch hinreichend konkret im Sinne des Urteils des Bundesfinanzhofs VI 245/59 U vom 21. Oktober 1960 (BStBl 1961 III S. 53, Slg. Bd. 72 S. 143) zur Kenntnis der Bf. gebracht worden.
Für den Senat besteht nunmehr kein Anlaß, den Bf. vor Erlaß seiner Entscheidung eine entsprechende Mitteilung über eine mögliche Verböserung lediglich zu dem Zweck zukommen zu lassen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Rb. wegen drohender Verböserung zurückzunehmen. Diese Möglichkeit wird durch den Schutzzweck des Art. 103 Abs. 1 GG nicht gedeckt. Sie steht in keinem Zusammenhang mit der Verpflichtung der Gerichte, rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. insbesondere hierzu auch Urteil des Bundesfinanzhofs I 145/58 vom 15. April 1959, in Steuerrechtsprechung in Karteiform, AO § 215 Rechtsspruch 22 b).
Fundstellen
Haufe-Index 424158 |
BStBl III 1962, 223 |
BFHE 1962, 603 |
BFHE 74, 603 |