Entscheidungsstichwort (Thema)
Zollrecht Berufsrecht Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Zur Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben gegenüber der Nachforderung von Eingangsabgaben, wenn die Abgabenforderungen unbedingt geworden sind, weil Waren, die während einer längeren Zeit im Zollgewahrsamsverfahren unter Zollbewachung hergestellt und anschließend unter Fehltarifierung zu einem Zollvormerklager abgefertigt wurden, vom Abgabenschuldner der Abfertigung entsprechend im Zollvormerklager behandelt worden sind.
Normenkette
ZG §§ 16, 45, 101; ZPO § 52
Tatbestand
Der Klägerin war 1955, später verlängert bis 1958, ein Eigenveredelungsverkehr (VV) im Zollgewahrsamsverfahren unter Zollbewachung mit Schmierölen der Tarifnr. 2710 - D - 3 des Zolltarifs (ZT) 1951 (ab 1. November 1955 Tarifnr. 2710 - D - 2, seit 1. Januar 1958 der Tarifnr. 27.10 - A 2 ZT 1958) und Additives der Tarifnr. 3826 B ZT 1951 (seit 1. Januar 1958 Tarifnr. 38.14 ZT 1958) zum Vermischen (Herstellen von sog. HD- ölen) bewilligt. Aus einem Zollvormerklager (ZVL) der Klägerin wurden Schmieröl und Additives und seit dem 10. September 1956 entgegen der Genehmigung auch Phenole der Tarifnr. 2908 ZT 1951 (seit 1. Januar 1958 der Tarifnr. 29.06 ZT 1958) zum VV abgefertigt. Nach der Veredelung wurde das HD-öl als Schmieröl der Tarifnr. 2710 - D 2 ZT 1951 bzw. 27.10 - A - 2 - a - 2 ZT 1958 zollamtlich zu einem ZVL der Klägerin abgefertigt, wo es bis zur Lieferung an die Verbraucher lagern sollte. Das öl wurde jedoch in ZVL durch Mischen mit Schmierölen der gleichen Tarifnr. in einem bestimmten Verhältnis (1 : 40) auf ein Schmieröl mit bestimmten analytischen Daten abgestimmt, um ein besonderes legiertes Schmieröl (Turbinenöl) herzustellen. Das Zollamt (ZA) hielt das Mischen für eine unzulässige Lagerbehandlung und folgerte daraus, daß durch das Mischen die zum ZVL abgefertigten Waren in den freien Verkehr getreten seien und die bedingt entstandene Abgabenschuld unbedingt geworden sei. Es forderte daher von der Klägerin 83.754,70 DM Abgaben (29.076,20 DM Zoll, 49.234,10 DM Mineralölsteuer und 5.444,40 DM Ausgleichsteuer) für Mischungen im ZVL in der Zeit vom 15. Oktober 1956 bis 10. Juni 1958.
Die seinerzeitige Sprungberufung hatte keinen Erfolg. Ihre nunmehr als Revision zu bezeichnende Rechtsbeschwerde begründet die Klägerin wie folgt. An der Mischung von Schmierölen und Additives habe sich nichts dadurch geändert, daß der Komponente Additive mit stillschweigender Zustimmung der Zollbehörde auch Phenole zugefügt wurden. Das im VV entstandene Produkt sei also ein Schmieröl der Tarifnr. 2710 A gewesen und sei vom ZA selbst als solches jahrelang zum ZVL abgefertigt worden. Die Auffassung der Zollbehörden, daß das zum ZVL abgefertigte Produkt kein Schmieröl, sondern ein Additive sei, sei unrichtig. Wäre es aber so gewesen, hätte sich das Zollamt, das Jahre später den Steuerbescheid erließ, weigern müssen, die Abfertigung als Schmieröl vorzunehmen. HD-öle mit hohem Additivanteil seien handelsüblich geworden. Die ablehnende Entscheidung der Vorinstanz stütze sich lediglich auf die Unzulässigkeit der Mischung im ZVL. Nach den Erläuterungen zu Tarifnr. 2710 - A - 2 könnten Schweröle der Tarifnr. 2710 - A - 2 - a - 1 und 2710 - A - 2 - b miteinander gemischt werden. Um so mehr sei das für Waren der Tarifnr. 2710 - A - 2 - a zulässig. Da die Zollbehörde von dieser Mischung gewußt hätte, verstoße es gegen Treu und Glauben, die Abgaben nachträglich zu fordern.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Nach der von der Klägerin angeführten Erläuterung I zur Tarifnr. 27.10 ZT 1958 - zu A 2 - gelten Schweröle der Tarifnr. 27.10 - A - 2 - a - 1 und - b im Sinne des § 52 der (früheren) Zollager- Ordnung (ZLO) und des § 15 Abs. 1 der (früheren) Zollvormerk- Ordnung (ZVormO) als Waren der gleichen Tarifbenennung. Sie dürfen im Zolleigenlager und im ZVL miteinander vermischt werden, wenn auch das Gemisch zu einer dieser Tarifstellen gehört. Entsprechendes bestimmte auch die zu Abs. D gehörende Erläuterung 6 zu Tarifnr. 2710 ZT 1951 in der Fassung von 1955. Diese rechtsverbindlichen Erläuterungen (vgl. dazu den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 2 BvL 4/63 vom 5. Mai 1965, abgedruckt in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1965 S. 298) stellen durch § 16 Abs. 3 Satz 3 ZG 1939 zugelassene Ausnahmen von dem Grundsatz dar, daß ein Mischen innerhalb eines ZVL eine nicht zulässige Lagerbehandlung ist. Soweit die Vorinstanz eine ungetrennte Lagerung von Waren der genannten Tarifstellen für unzulässig hält und aus ihr ein Unbedingtwerden der Abgabenschuld folgert, kann ihr daher nicht beigetreten werden.
Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob es sich bei den zum ZVL abgefertigten Waren um Schmieröl der oben genannten Tarifstellen - wie die Klägerin behauptet - oder - wie das beklagte Hauptzollamt (HZA) behauptet - um Additives der Tarifnrn. 3826 B ZT 1951 bzw. 38.14 ZT 1958 handelte. Denn waren die zum ZVL abgefertigten Waren Schmieröl der oben genannten Tarifstellen, so war eine Mischung mit anderen ölen dieser Tarifstellen im Lager zugelassen und hatte diese ein Unbedingtwerden der Abgabenschulden nicht zur Folge. Stellten die Waren jedoch, obwohl sie - wie die Vorinstanz für den Senat bindend festgestellt hat - als Schmieröle der Tarifnrn. 2710 - D - 2 ZT 1951 bzw. 27.10 - A - 2 - a - 2 ZT 1958 abgefertigt wurden, in Wirklichkeit Additives der Tarifnrn. 3826 - B ZT 1951 bzw. 38.14 ZT 1958 dar, war zwar eine Mischung dieser Additives im Lager mit Schmierölen unzulässig mit der Folge, daß die bedingten Abgabenschulden für beide Mischungskomponenten unbedingt wurden, doch konnten die Abgabenansprüche dann mit Rücksicht auf die Grundsätze von Treu und Glauben nicht geltend gemacht werden. Denn, wenn die abfertigenden Zollbeamten mehr als 1 1/2 Jahre hindurch eine unrichtige Tarifierung und Abfertigung der einzulagernden Waren vornahmen und die Klägerin daher der Meinung sein konnte, daß eine Mischung im Lager zulässig und daher steuerunschädlich sei, das Unbedingtwerden der Abgabenschulden also überwiegend auf das Verhalten der Zollbeamten zurückzuführen war, setzt sich die Verwaltung mit diesem Verhalten in krassen Widerspruch, wenn sie die unbedingt gewordenen Abgabenforderungen geltend macht (vgl. dazu das Urteil des erkennenden Senats VII 207/57 U vom 17. Dezember 1958, BStBl 1959 III S. 146, Slg. Bd. 68 S. 378). Die Einschränkung aber, daß die Grundsätze von Treu und Glauben der Geltendmachung einer Abgabennachforderung dann nicht entgegenstehen, wenn der Zollbeteiligte die Möglichkeit gehabt hätte, sich gegen eine spätere Nachforderung zu schützen, wie z. B. durch Einholung einer verbindlichen Zoll (tarif) Auskunft (vgl. die Urteile des Senats VII 95/58 U vom 2. Dezember 1959, BStBl 1959 III S. 127, Slg. Bd. 70 S. 341; VII 117/60 U vom 11. Januar 1961, BStBl 1961 III S. 89, Slg. Bd. 72 S. 237; VII 107/62 vom 31. Juli 1962, HFR 1963 S. 41) kann im Streitfalle nicht Platz greifen. Denn hier handelte es sich um eine Fehltarifierung von Waren, die während einer längeren Zeit im Zollgewahrsamsverfahren unter Zollüberwachung, d. h. unter den Augen von Zollbeamten, hergestellt worden waren, und deren genaue Beschaffenheit daher der Verwaltung bekannt war. Bei dieser Sachlage mußte sich der Zollbeteiligte auch ohne Einholung einer verbindlichen Zoll (tarif) Auskunft darauf verlassen können, daß die Tarifierung der Waren bei der Abfertigung zum ZVL zutreffend war und daß er eine nach dieser Tarifierung zulässige Lagerbehandlung durchführen konnte, ohne hierauf beruhenden Nachforderungen ausgesetzt zu sein.
Da nach dem Vorstehenden eine Nachforderung von Abgaben entweder deshalb ausschied, weil irgendwelche Abgabenschulden auf Grund der Lagerbehandlung nicht unbedingt geworden sind, oder deshalb, weil der Geltendmachung der unbedingt gewordenen Abgabenforderungen die Grundsätze von Treu und Glauben entgegenstehen, war nicht nur die Vorentscheidung, die das verkannt hat, sondern - ohne daß es einer weiteren Aufklärung in tatsächlicher Hinsicht bedurft hätte - auch der angefochtene Steuerbescheid aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 411923 |
BStBl III 1966, 235 |
BFHE 1966, 66 |
BFHE 85, 66 |