Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem Berufskraftfahrer kann sich die regelmäßige Arbeitsstätte am Betriebssitz des Arbeitgebers befinden, wenn sich aus der Häufigkeit des Aufenthalts am Betriebssitz und dem Umfang der dortigen Verrichtungen ergibt, daß der Betriebssitz trotz der ausgedehnten Reisetätigkeit beruflicher Mittelpunkt des Fahrers ist (Anschluß an BFH-Urteil vom 24. November 1978 VI R 171-172/76, BFHE 126, 454, BStBl II 1979, 148).
2. Ob ein Getränkeverkaufsfahrer seine regelmäßige Arbeitsstätte am Betriebssitz des Arbeitgebers hat, hängt von den im Einzelfall vorliegenden Verhältnissen ab. Der Betriebssitz kann insbesondere dann regelmäßige Arbeitsstätte sein, wenn der Fahrer dort nachweislich in regelmäßiger Wiederkehr z. B. Lade- oder Lagerarbeiten zu verrichten und über den Getränkeverkauf abzurechnen hat.
Normenkette
EStG 1972 § 9 Abs. 1, § 12 Nr. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war im Streitjahr 1972 als Getränkeverkaufsfahrer beschäftigt. Nach einer Bestätigung seines Arbeitgebers hatte er an 240 Tagen in einem Bezirk, der mindestens 15 km vom Betriebssitz entfernt liegt, Getränke auszufahren und zu verkaufen. Dabei war er an 80 Tagen länger als 10 Stunden und an 160 Tagen länger als 12 Stunden ununterbrochen unterwegs. Seine Fahrten trat er jeweils am Sitz des Getränkeunternehmens an und kehrte stets an demselben Tage dorthin zurück. Sein Bruttoarbeitslohn betrug im Streitjahr 17 425 DM. Hierauf wurden Lohnabzugsbeträge von insgesamt 4 996 DM einbehalten.
In der Einkommensteuererklärung 1972 machte der Kläger Verpflegungsmehraufwendungen aus Anlaß von Dienstreisen in Höhe von 6 020 DM als Werbungskosten geltend. Diesen Betrag errechnete er unter Anwendung der Pauschbeträge des Abschn. 21 Abs. 5 Nr. 3 der Lohnsteuer-Richtlinien 1972 (LStR).
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ließ die Verpflegungsmehraufwendungen zunächst nur mit 3 DM je Arbeitstag als Werbungskosten zum Abzug zu. Dabei ging das FA davon aus, daß der Kläger keine Dienstreisen i. S. von Abschn. 21 Abs. 2 LStR ausgeführt habe. Im Einspruchsverfahren bejahte es zwar das Vorliegen von Dienstreisen, vertrat jedoch die Auffassung, die Berücksichtigung der vom Kläger geltend gemachten Pauschbeträge führe zu einer unzutreffenden Besteuerung. Es schätzte die Verpflegungsmehraufwendungen auf insgesamt 2 300 DM (10 DM arbeitstäglich).
Hiergegen richtete sich die Klage, der das Finanzgericht (FG) mit im wesentlichen folgender Begründung stattgab: Zwischen den Beteiligten sei unstreitig, daß der Kläger Dienstreisen in dem vom Arbeitgeber bescheinigten Umfang durchgeführt habe. Das FA sei zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger als Getränkeverkaufsfahrer am Betriebssitz seines Arbeitsgebers seine regelmäßige Arbeitsstätte gehabt habe. Zu Unrecht habe es das FA abgelehnt, die Pauschbeträge des Abschn. 21 Abs. 5 Nr. 3 LStR zu gewähren. Diese Pauschbeträge seien als auf Erfahrungssätzen beruhende Schätzungen nur dann nicht anwendbar, wenn sie im Einzelfall zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung führten. Dies sei dann der Fall, wenn bei umfangreicher Reisetätigkeit unverhältnismäßig geringe Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit verblieben oder wenn die Gegebenheiten einer Dienstreise zu der Annahme nötigten, daß Mehraufwendungen nicht oder jedenfalls nicht in ungefährer Höhe der Pauschbeträge entstanden seien. Die Voraussetzungen einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung lägen im Streitfall nicht vor.
Mit der Revision rügt das FA fehlerhafte Auslegung des § 9 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Gewährung der Pauschbeträge des Abschn. 21 Abs. 5 Nr. 3 LStR führe im Streitfall zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Aufwendungen für den Unterhalt des Steuerpflichtigen gehören zu den Kosten der privaten Lebensführung, die regelmäßig weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden dürfen. Sie sind nach § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG selbst dann nicht abziehbar, wenn sie der Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen dienen (zum sog. Aufteilungs- und Abzugsverbot vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17). Nur wenn und soweit bei einem Arbeitnehmer - wie das FG zutreffend ausführt - zusätzliche und abgrenzbare Aufwendungen für die Ernährung eindeutig durch das Dienstverhältnis veranlaßt sind, kommt ein Werbungskostenabzug gemäß § 9 Abs. 1 EStG in Betracht. Für derartige, den Steueranspruch einschränkende Tatsachen trägt der Steuerpflichtige die objektive Beweislast (Feststellungslast - vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 9. November 1978 VI R 195/77, BFHE 126, 418, BStBl II 1979, 149). Werden beruflich veranlaßte Mehraufwendungen für Verpflegung nachgewiesen oder glaubhaft gemacht, sind sie in der nachgewiesenen Höhe abzüglich der üblichen Haushaltsersparnis als Werbungskosten abziehbar. Auch ohne Einzelnachweis oder Glaubhaftmachung lassen Verwaltung und Rechtsprechung Verpflegungsmehraufwendungen mit Pauschbeträgen bei einzelnen, häufig vorkommenden Sachverhalten, in denen Mehraufwendungen dieser Art typischerweise anfallen, als Werbungskosten zum Abzug zu. Dies gilt z. B. für Verpflegungsmehraufwendungen anläßlich von Dienstreisen und Dienstgängen (Abschn. 21 Abs. 2 und 3 i. V. m. Abs. 5 Nr. 3 LStR; vgl. BFH-Urteil vom 29. November 1974 VI R 203/72, BFHE 114, 422, BStBl II 1975, 339); ferner für Verpflegungsmehraufwendungen aus Anlaß einer beruflich veranlaßten doppelten Haushaltsführung (Abschn. 26 Abs. 1 Nr. 3 LStR; BFH-Urteil vom 2. September 1977 VI R 114/76, BFHE 123, 444, BStBl II 1978, 26), für Verpflegungsmehraufwendungen bei mehr als 12stündiger beruflich veranlaßter Abwesenheit eines Arbeitnehmers von seiner Wohnung (Abschn. 24 Abs. 3 Nr. 1 LStR; BFH-Urteil vom 30. März 1979 VI R 123/76, BStBl II 1979 S. 498), bei Verpflegungsmehraufwendungen von an ständig wechselnden Einsatzstellen beschäftigten Arbeitnehmern, die aus ausschließlich beruflichen Gründen mehr als 10 Stunden täglich von ihrer Wohnung abwesend sind (Abschn. 24 Abs. 3 Nr. 2 LStR; BFH-Urteil vom 24. August 1973 VI R 189/71, BFHE 110, 344, BStBl II 1974, 11) sowie bei Verpflegungsmehraufwendungen anläßlich des Besuchs von Fortbildungsveranstaltungen (Abschn. 24 Abs. 3 letzter Satz LStR; BFH-Urteil vom 9. November 1971 VI R 109/69, BFHE 103, 516, BStBl II 1972, 147).
2. Im Streitfall hat der Kläger die Höhe der ihm tatsächlich erwachsenen Verpflegungsmehraufwendungen weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht. Die von der Rechtsprechung (z. B. BFH-Urteil vom 5. November 1971 VI R 184/69, BFHE 103, 493, BStBl II 1972, 130) als zutreffende Schätzung anerkannten Reisekostenpauschbeträge des Abschn. 21 Abs. 5 Nr. 3 LStR dürfen indes nur angewandt werden, wenn eine Dienstreise i. S. des Abschn. 21 Abs. 2 LStR gegeben ist. Die Annahme einer solchen Dienstreise setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats u. a. voraus, daß ein Arbeitnehmer vorübergehend den Ort seiner regelmäßigen Arbeitsstätte verläßt, um aus dienstlichen Gründen anderswo tätig zu werden (BFH-Urteil vom 11. August 1972 VI R 128/70, BFHE 107, 21, BStBl II 1972, 915). Eine regelmäßige Arbeitsstätte hat der Arbeitnehmer dort, wo er mindestens einen Teil der vertraglich geschuldeten Leistungen in ständiger Wiederkehr zu erledigen hat. Sucht ein Arbeitnehmer den Betriebssitz seines Arbeitgebers nur auf, um dort die geleisteten Arbeitsstunden anzugeben sowie den Arbeitslohn oder weitere Aufträge entgegenzunehmen, so wird dadurch der Betriebssitz noch nicht zur regelmäßigen Arbeitsstätte (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z. B. Urteil VI R 128/70 mit weiteren Hinweisen). Dieser Auffassung ist auch das Schrifttum gefolgt (vgl. z. B. Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 18. Aufl., § 3 EStG, Anm. 157; Blümich/Falk, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, 11. Aufl., § 3 S. 46).
Bei einem Berufskraftfahrer, der arbeitstäglich Fahrten vom Betriebsgelände seines Arbeitgebers aus antritt, hat der erkennende Senat im Urteil vom 24. November 1978 VI R 171-172/76 (BFHE 126, 454, BStBl II 1979, 148) entschieden, daß dieser am Betriebssitz seines Arbeitgebers grundsätzlich keine regelmäßige Arbeitsstätte besitze. Ständige Arbeitsstätte sei hier das Fahrzeug, mit dem der Berufskraftfahrer unterwegs sei. Dem stehe nicht entgegen, daß der Berufskraftfahrer auf dem Betriebsgelände seines Arbeitgebers vor Fahrtantritt bestimmte, regelmäßig nur kurze Zeit beanspruchende Wartungsarbeiten zu erledigen oder vom Gesetzgeber vorgeschriebene Kontrollmaßnahmen durchzuführen habe. Hierdurch werde der Ort des Arbeitsantritts für den Berufskraftfahrer nicht zu einer regelmäßigen Arbeitsstätte. An dieser Rechtsauffassung wird festgehalten. Der Senat betont jedoch, daß Berufskraftfahrer ihre regelmäßige Arbeitsstätte auch am Betriebssitz des Arbeitgebers haben können, nämlich dann, wenn sich aus der Häufigkeit des Aufenthalts am Betriebssitz und dem Umfang der dortigen Verrichtungen ergibt, daß der Betriebssitz trotz der ausgedehnten Fahrtätigkeit beruflicher Mittelpunkt ist. Der Senat weist außerdem darauf hin, daß damit nicht über den hier nicht gegebenen Sachverhalt entschieden ist, bei dem Berufskraftfahrer mehrtägige Fahrten unternehmen.
Ob bei Getränkefahrern regelmäßige Arbeitsstätte das Fahrzeug oder der Betriebssitz des Arbeitgebers ist, ist nach den vorstehenden Grundsätzen zu beurteilen und hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Der Betriebssitz des Arbeitgebers kann bei einem Getränkeverkaufsfahrer insbesondere dann regelmäßige Arbeitsstätte sein, wenn der Fahrer nachweislich in regelmäßiger Wiederkehr am Betriebssitz z. B. Lade- oder Lagerarbeiten zu verrichten und Abrechnungen über den Getränkeverkauf zu erstellen oder andere Büroarbeiten zu erledigen hat und deshalb während eines nicht nur ganz unbedeutenden Teils seiner Arbeitszeit am Betriebssitz beschäftigt ist.
3. Die vom FG im Streitfall getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen nicht aus für eine abschließende Entscheidung des Senats, ob der Kläger Dienstreisen i. S. des Abschn. 21 Abs. 2 LStR ausgeführt hat und ob die Reisekostenpauschbeträge im Streitfall überhaupt dem Grunde nach anzuwenden sind. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben und die nicht spruchreife Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG wird nunmehr unter Beachtung der vorstehend dargelegten Grundsätze die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nachzuholen haben. Der Umstand, daß der Kläger im Streitjahr für 160 Arbeitstage eine mehr als 12stündige und für 80 Arbeitstage eine mehr als 10stündige ununterbrochene Abwesenheit vom Betriebssitz behauptet hat, könnte gegen die Annahme des FG sprechen, der Kläger habe am Betriebssitz des Arbeitgebers seine regelmäßige (feste) Arbeitsstätte besessen.
Sollten die tatsächlichen Feststellungen die Anwendung der Reisekostenpauschbeträge dem Grunde nach rechtfertigen, wird die Vorinstanz erneut zu prüfen haben, ob die Gewährung der ungekürzten Pauschbeträge im Streitfall zu einer unzutreffenden Besteuerung führt. Dabei wird zu beachten sein, daß der Ansatz der Pauschbeträge für Verpflegungsmehraufwendungen auf Dienstreisen (Abschn. 21 Abs. 5 Nr. 3 LStR) nach der Rechtsprechung des Senats in aller Regel dann zu einer offensichlich unzutreffenden Besteuerung führt, wenn die Reisetätigkeit eines Arbeitnehmers lediglich in arbeitstäglichen Fahrten innerhalb einer Großstadt (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1971 VI R 257/70, BFHE 104, 217, BStBl II 1972, 246) besteht oder sich auf Fahrten nach zum Dienstort unmittelbar benachbarten Gemeinden beschränkt (BFH-Urteil VI R 203/72). Das FG wird zu prüfen haben, ob diese Grundsätze bei Verkaufsfahrern nicht auch dann anzuwenden sind, wenn diese arbeitstäglich vom Betriebssitz aus Fahrten nicht nur in unmittelbar benachbarte Gemeinden, sondern in einen weiteren Umkreis vom Betriebssitz aus unternehmen und täglich zu ihrer Wohnung zurückkehren. Dabei dürfte von Bedeutung sein, daß Verkaufsfahrer aufgrund ihrer Reisetätigkeit eher in der Lage sind, von günstigeren Möglichkeiten zur Essenseinnahme Gebrauch zu machen als die große Zahl der übrigen Arbeitnehmer, die an ihren Arbeitsplatz gebunden sind und denen dort - abgesehen von Beschäftigten in Großbetrieben und bei Behörden - regelmäßig keine preisgünstigen Verpflegungsmöglichkeiten geboten werden.
Fundstellen
Haufe-Index 73137 |
BStBl II 1979, 474 |