Leitsatz (amtlich)
1. Zur Tarifierung elektronischer Mikroschaltungen.
2. Die bei sog. hybriden integrierten Schaltungen vorausgesetzte (praktische) Untrennbarkeit der Bauelemente entfällt nicht deshalb, weil einzelne Elemente herausgelöst und --nur-- zur Herstellung neuer Waren verwendet werden können (Anschluß an das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 19.November 1981 Rs.122/80, EuGHE 1981, 2781, 2810).
Orientierungssatz
Ist eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) infolge der Zolltarifrechtsänderungen zum 1.1.1988 außer Kraft getreten, aber hinsichtlich der zu tarifierenden Ware durch das neue Zolltarifrecht eine materielle Rechtsänderung nicht eingetreten und hält deshalb die OFD auch für das neue Recht an ihrer Tarifauffassung fest, so hat der Kläger sein berechtigtes Interesse an der Feststellung, die vZTA sei rechtswidrig gewesen, in hinreichender Weise dargetan, soweit sich aus seinem Vorbringen ergibt, er beabsichtige, für künftige Einfuhren von Waren der tarifierten Art eine neue vZTA einzuholen (vgl. BFH-Urteil vom 29.4.1980 VII K 5/77).
Normenkette
GZT Tarifnr 85.21 Tarifst D-2; GZT Kap 85 Vorschr. 5 Buchst. B; FGO § 100 Abs. 1 S. 4
Tatbestand
I. Die beklagte Oberfinanzdirektion (OFD) erteilte der Klägerin die verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) ..... vom ... 1986, durch die "... Oszillatoren Typen ..." aus den USA und Taiwan als elektronische Mikroschaltungen (hybride integrierte Schaltungen) der Tarifst. 85.21 D II des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zugewiesen wurden. Nach der Beschreibung in der vZTA bestehen die Waren aus einem hermetisch verschlossenem Metallgehäuse und einer bestückten Schichtschaltung, diese aus einem flachen isolierenden Keramiksubstrat mit durch Filmtechnik aufgedruckten passiven Bauelementen und weiteren "auf praktisch untrennbare Weise" aufgebrachten, in Halbleitertechnik hergestellten miniaturisierten Bauelementen; eine wirtschaftlich sinnvolle Reparatur der Waren sei nicht möglich.
Mit ihrer nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, Quarz-Oszillatoren seien zumeist Bestandteile eines automatischen Datenverarbeitungssystems und gehörten zu dessen Funktionseinheit; sie seien der Tarifst.84.55 c GZT --"andere" Teile für automatische Datenverarbeitungsmaschinen-- zuzuweisen. Sie könnten nicht wie in der vZTA geschehen tarifiert werden, weil sie nicht auf praktisch untrennbare Weise auf dem gleichen isolierenden Träger vereinigt seien; damit entsprächen sie nicht der Begriffsdefinition der Vorschrift 5 B c zu Kap.85 GZT für elektronische Mikroschaltungen (hybride integrierte Schaltungen). Zwar sei bei diesen Quarz-Oszillatoren eine Reparatur einzelner Bauteile wirtschaftlich nicht sinnvoll, doch sei die Reparaturfähigkeit nur eines von mehreren Indizien für die Beurteilung der Frage, ob eine Vereinigung auf praktisch untrennbare Weise vorliege. Die Anforderungen der Vorschriften 5 B c zu Kap.85 seien auch dann nicht erfüllt, wenn es --wie hier-- möglich sei, einzelne Bauelemente herauszulöten und zur Herstellung neuer Quarz-Oszillatoren zu verwenden. Aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 19.November 1981 Rs.122/80 (EuGHE 1981, 2781) ergebe sich, daß eine Trennung einzelner Bauelemente auch vorliege, wenn ein Bestandteil einer Schaltung aus anderen Gründen als zur Reparatur entfernt würde; damit sei die Entnahme von Teilen zur Wiederverwendung angesprochen. Der vom EuGH aufgestellte Grundsatz der Wirtschaftlichkeit gelte nur, wenn zur Trennung besondere Verfahren erforderlich seien; reichten einfache technische Möglichkeiten wie das Löten, bei dem die entfernten und die verbleibenden Bauelemente unzerstört blieben, so sei die Kostenfrage ohne Bedeutung. Unabhängig davon erscheine eine Überprüfung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit angebracht, weil schwer zu beurteilen sei, ob eine Reparatur sinnvoll sei --zu bejahen etwa bei (baugleichen) Spezialausführungen, die weitere Qualitätskontrollen bestanden hätten-- und die Tarifierung letztlich von anderen als (auf den maßgebenden Zeitpunkt bezogenen) objektiv feststellbaren Umständen abhängig gemacht würde.
Nach Außerkrafttreten der vZTA infolge der Zolltarifrechtsänderungen zum 1.Januar 1988 hat die OFD die Hauptsache, die Klägerin nur die vZTA, für erledigt erklärt. Die Klägerin ist zur Fortsetzungsfeststellungsklage übergegangen. Sie führt aus, sie habe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der vZTA, weil von einer Entscheidung die Beurteilung in zahlreichen Verfahren über von ihr --Klägerin-- eingelegte Einsprüche gegen Steueränderungsbescheide abhängig sei. Sie --Klägerin-- wolle auch künftig Quarz-Oszillatoren einführen. Das neue Zolltarifrecht stimme in den für die Tarifierung maßgebenden Vorschriften im wesentlichen mit dem GZT überein. Es sei davon auszugehen, daß die OFD auch bei Erteilung einer neuen vZTA an ihrer Tarifauffassung festhalten und im gleichen Sinne tarifieren werde.
Die OFD erhebt keine Einwendungen gegen die Weiterführung des Verfahrens aufgrund der Fortsetzungsfeststellungsklage.
Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Er hat keine Erklärung zur Erledigungsfrage abgegeben.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Klage ist zulässig. Die Voraussetzungen nach § 100 Abs.1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind gegeben. Die angefochtene vZTA hat sich anders als durch Zurücknahme erledigt (vgl. § 23 Abs.3 des Zollgesetzes); hiervon ist nach den übereinstimmenden Erklärungen der Parteien auszugehen. Daß der BMF, der dem Klageverfahren zulässigerweise beigetreten ist (Senat, Urteil vom 10.November 1987 VII K 10/84, BFHE 151, 276, 278), keine Erklärung zur Erledigungsfrage abgegeben hat, ist unerheblich (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl. 1987, § 138 Anm.11). Ihr berechtigtes Interesse an der Feststellung hat die Klägerin in hinreichender Weise dargetan (zu den Anforderungen Senat, Urteil vom 29.April 1980 VII K 5/77, BFHE 130, 568, 570, BStBl II 1980, 593), soweit sich aus ihrem Vorbringen ergibt, sie beabsichtige, für künftige Einfuhren von Waren der tarifierten Art eine neue vZTA einzuholen. Mit den Parteien ist davon auszugehen, daß hinsichtlich der Tarifierung hybrider integrierter Schaltungen durch das neue Zolltarifrecht eine materielle Rechtsänderung nicht eingetreten ist (vgl. Position 8542 20 00 und Anm.5 B b zu Kap.85 der Kombinierten Nomenklatur); ferner hält die OFD auch für das neue Recht an ihrer Tarifauffassung fest.
2. Die Klage ist nicht begründet. Die vZTA ist nach dem maßgebenden Zolltarifrecht mit zutreffendem Tarifierungsergebnis erteilt worden. Die tarifierten Erzeugnisse sind elektronische Mikroschaltungen, und zwar hybride integrierte Schaltungen im Sinne der Tarifst.85.21 D II in Verbindung mit Vorschrift 5 B c zu Kap.85 GZT. Ihre Zugehörigkeit zu dieser Tarifstelle schließt eine anderweitige Tarifierung aus (Vorschrift 5 B Satz 2 zu Kap.85).
Unstreitig entsprechen die Waren hinsichtlich der Herstellung ihrer Bauelemente den für "hybride integrierte Schaltungen" gemäß Vorschrift 5 B c zu Kap.85 geltenden Anforderungen. Streitig ist nur, ob die Bauelemente auch, wie nach dieser Vorschrift bei hybriden integrierten Schaltungen erforderlich, "auf praktisch untrennbare Weise" auf dem gleichen isolierenden Träger (hier: Keramik) vereinigt sind. Nach dem EuGH-Urteil in EuGHE 1981, 2781, 2801 wird mit diesem Begriff der Untrennbarkeit nicht auf die physische Unmöglichkeit der Trennung der Bauelemente abgestellt; vielmehr genügt es, daß die verschiedenen Bauelemente einer hybriden integrierten Schaltung so miteinander verbunden sind, daß sie unter Berücksichtigung der in der elektronischen Industrie üblichen technischen Möglichkeiten "insbesondere zum Zwecke der Reparatur" nur mit Hilfe von Verfahren voneinander getrennt werden können, deren Kosten außer Verhältnis zum Wert des Moduls stehen. Nach dieser Auslegung, der der Senat folgt, müssen die Bauelemente der zu tarifierenden Waren als auf praktisch untrennbare Weise auf dem Träger vereinigt, die Erzeugnisse selbst als hybride integrierte Schaltungen im zolltariflichen Sinne angesehen werden. Dies ergibt sich daraus, daß bei den Waren, wie die Klägerin selbst eingeräumt hat, eine Reparatur einzelner Bauteile wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Hieraus folgt, daß die --technisch mögliche-- Abtrennung von Bauelementen zum Zwecke der Reparatur oder zu gleichstehenden Zwecken nur mit einem unverhältnismäßigen Kostenaufwand bewerkstelligt werden könnte.
Die Einwendungen der Klägerin sind nicht geeignet, ihre abweichende Tarifauffassung --Ausschluß der Waren von Tarifnr. 85.21 und anderweitige Einordnung-- zu stützen.
a) Die Klägerin beruft sich in erster Linie darauf, daß es möglich sei, einzelne Bauelemente aus den Waren herauszulösen und diese Elemente --wirtschaftlich lohnend-- zur Herstellung neuer Oszillatoren zu verwenden; auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH entfalle damit die bei hybriden integrierten Schaltungen vorausgesetzte Untrennbarkeit der Bauelemente. Dem kann nicht gefolgt werden. Der vom EuGH ausdrücklich bezeichnete Grund (Reparaturzweck) ist als herausgehobenes Beispiel von Abtrennungszwecken anzusehen, die die "Einheit" der Bauelemente (vgl. Erläuterungen zum Zolltarif zu Tarifnr. 85.21 Teil I Rdz.58; dazu EuGH, a.a.O.) nicht in Frage stellen. Das aber sind nur Gründe, die zu einer bloß vorübergehenden Entfernung einzelner Teile führen, also die Untersuchung, Besichtigung oder Erprobung, wenn nach Abschluß die betreffenden Elemente wieder eingebaut werden sollen (Kostenfrage). Die Herauslösung von Teilen zur Herstellung neuer Schaltungen zerstört die "Einheit" unwiederbringlich. Sie deutet nicht darauf hin, daß die Teile nur vorübergehend abgetrennt werden, sondern belegt im Gegenteil, daß die Elemente --auf den Trägern-- praktisch untrennbar vereinigt waren. Ihre Abtrennung zu diesem Zweck --Herstellung neuer Schaltungen-- ist nicht anders zu beurteilen als eine nur vorübergehende, aber wirtschaftlich nicht sinnvolle Trennung. In dem einen wie in dem anderen Falle wird die "Einheit", die der Zolltarif voraussetzt --besonders deutlich der Wortlaut der Vorschrift 5 B c zu Kap.85 in englischer Sprache ("to all intents and purposes indivisibly"; der französische Text --"de facon pratiquement indissociable"-- entspricht dem deutschen)-- ein für allemal aufgehoben.
b) Den von der Klägerin geltend gemachten Bedenken gegen den "Grundsatz der Wirtschaftlichkeit" und ihrem Zweifel, ob es auf diesen Grundsatz auch ankomme, wenn zur Abtrennung einzelner Bauelemente ein einfaches Herauslöten genügt, braucht der Senat nicht nachzugehen. Auf diese Gesichtspunkte könnte es nur ankommen, wenn zu beurteilen wäre, ob aufgrund einer vorübergehenden Entfernung von Teilen nach den vom EuGH entwickelten Beurteilungsmaßstäben noch von praktischer Untrennbarkeit auszugehen ist. Diese Frage stellt sich jedoch im Streitfall nicht, da hier davon auszugehen ist, daß eine nur vorübergehende Abtrennung nicht in Betracht kommt.
c) Die Zuweisung der Waren zu Tarifnr.85.21 kann auch nicht mit dem Hinweis in Frage gestellt werden, bei baugleichen Spezialausführungen könnten sich Reparaturen usw. lohnen. Die Möglichkeit unterschiedlicher Tarifierung "gleicher" Waren, auf die die Klägerin damit offenbar anspielen will, dürfte nur bestehen, wenn anhand der vom EuGH aufgestellten Auslegungsgrundsätze entschieden werden müßte, ob eine Trennung zu Reparaturzwecken usw. wirtschaftlich sinnvoll ist (denkbar bei Spezialausführungen) oder nicht (etwa bei Standardwaren). Um dieses Problem geht es aber im Streitfall eben nicht. Abgesehen davon wäre es, unbeschadet möglicher Abgrenzungsschwierigkeiten, keine Besonderheit, wenn Standardwaren zolltariflich anders beurteilt würden als Spezialausführungen ("Militär-Normen"). Es kommt auch sonst vor, daß gleich beschaffene Waren aufgrund sonstiger Unterschiede verschieden tarifiert werden, so etwa Waren, die zu einem bestimmten Zweck verwendet werden, anders als gleiche, aber für andere Zwecke bestimmte Waren. Dasselbe gilt sinngemäß gegenüber den Bedenken der Klägerin, daß etwa bei Neuentwicklungen Reparaturen lohnend sein, letztere später aber ihren wirtschaftlichen Sinn verlieren können. Der Grundsatz, daß die Tarifierung von objektiven Merkmalen und Umständen --darunter ggf. die Zweckbestimmung (Senat, Urteil vom 6.August 1985 VII K 11/84, BFHE 144, 309, 311)-- abhängt, wird nicht in Frage gestellt, denn die objektiven Kriterien können in besonderen Fällen im jeweiligen maßgebenden Zeitpunkt unterschiedlich zu bewerten sein. Der Senat verkennt dabei nicht, daß die technische Weiterentwicklung eine unterschiedliche Auslegung des ZT an sich nicht rechtfertigt (EuGHE 1981, 2781, 2795 f.). Kommt es aber zolltariflich auf Umstände an, die entwicklungsbezogen beurteilt werden müssen, so können sich auch ohne Tarifänderungen zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedliche Tarifierungen ergeben.
Fundstellen
Haufe-Index 62249 |
BFHE 153, 94 |
BFHE 1989, 94 |
HFR 1988, 416 (LT1-2) |