Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Einnahmen aus der Verpachtung einer Kiesgrube können selbst dann im Rahmen der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung steuerpflichtig sein, wenn die Kiesgrube sich in einem landwirtschaftlichen Besitz befindet, dessen Bewirtschaftung steuerlich als Liebhaberei behandelt wird.
Die Frage, ob neue Tatsachen "von einigem Gewicht" vorliegen, ist nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Sie liegen regelmäßig nicht vor, wenn eine rechtskräftige Einkommensteuerveranlagung sich bei einer Berichtigung um nicht mehr als 100 DM ändern würde. Der VI. Senat tritt den vom I. Senat im Urteil I 95 und 110/60 S vom 5. Juni 1962 (BStBl 1963 III S. 100) aufgestellten Grundsätzen bei.
Die Behandlung eines Vorgangs bei der Einkommensteuerveranlagung eines Jahres enthält noch keine das Finanzamt bindende Zusage an den Steuerpflichtigen, den gleichen Sachverhalt bei den Veranlagungen der folgenden Jahre ebenso zu behandeln.
Normenkette
EStG § 2/3, § 21/1; AO § 222 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Der beschwerdeführende Ehemann (Bf.), ein selbständiger Zahnarzt, hat 1952 rund 98 ha Grund und Boden erworben, von denen 91 ha Heideland und der Rest Wald sind. Das Finanzamt hat diesen Besitz bei der Einkommensteuerveranlagung für 1952 als Liebhaberei behandelt. Dabei hat es auch eine Einnahme von 200 DM, die der Bf. als Ertrag einer Kiesgrube in seiner Steuererklärung angegeben hatte, bei der Einkommensermittlung außer Betracht gelassen. In den Einkommensteuerveranlagungen für 1953 bis 1958 gab der Bf. keine Erträge aus seinem landwirtschaftlichen Besitz an. Bei einer Betriebsprüfung im Jahr 1960 stellte der Prüfer fest, daß der Bf. durch die Ausnutzung der in diesem Besitz befindlichen Kiesgrube 1957 = 1.665 DM, 1958 = 1.740 DM und 1959 = 1.020 DM eingenommen hatte. Das Finanzamt legte diese Einnahmen bei den Berichtigungsveranlagungen für 1957 und 1958 und bei der erstmaligen Veranlagung für 1959 als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung der Besteuerung zugrunde. Die Sprungberufung des Bf. hiergegen wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Das Finanzgericht führte aus, die auf die Nutzbarmachung der Heidefläche gerichtete Bewirtschaftung gehöre in den für die Einkommensteuer unbeachtlichen Bereich der Liebhaberei. Die vom Bf. aus der Kiesausbeute erzielten Einnahmen ständen in keinem wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang mit der Urbarmachung des Grund und Bodens. Sie könnten daher auch nicht in die steuerliche Behandlung als Liebhaberei einbezogen werden. Die Ausbeutung des Kiesvorkommens sei für die Besteuerung selbständig zu würdigen. Es handle sich dabei um Einnahmen aus der zeitlich begrenzten überlassung von Grundstücken zum Abbau von Bodenschätzen, die der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung zuzurechnen seien. Für 1957 und 1958 sei die Heranziehung im Rahmen von Berichtigungsveranlagungen nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO zulässig, die bereits aus anderen Gründen vorzunehmen gewesen seien. Berichtigungen dieser Art führten zur Wiederaufrollung des gesamten Steuerfalles, so daß dabei auch etwaige Fehler der früheren Veranlagungen berichtigt werden könnten. Im übrigen sei die Feststellung der in den Jahren 1957 und 1958 aus der Ausbeutung des Kiesvorkommens erzielten Erträge auch für sich eine neue Tatsache im Sinne von § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO. Wegen der anderen festgestellten neuen Tatsachen bedürfe es auch keiner Prüfung, ob der Umstand, daß der Bf. für 1952 Einnahmen aus der Kiesausbeute in seiner Einkommensteuererklärung angegeben habe, das Finanzamt in der Folgezeit hätte veranlassen müssen, von sich aus Ermittlungen über den Zufluß derartiger Einnahmen anzustellen. Aus der Behandlung dieser Einnahmen im Jahre 1952 sei auch keine Bindung der Finanzverwaltung herzuleiten, den gleichen Fehler in späteren Veranlagungszeiträumen zu wiederholen. Dem stehe der bei der Einkommensteuer geltende Grundsatz der Abschnittsbesteuerung entgegen.
Der Bf. führt zur Begründung seiner Rb. aus, die gesamte Fläche bilde eine Einheit. Die Kiesausbeute sei demgemäß vom Finanzamt bei der Einkommensteuerveranlagung für 1952 bewußt als Teil der Liebhaberei behandelt worden. An diese Beurteilung sei die Finanzverwaltung bis zum Widerruf gebunden. Ein Widerruf könne nicht rückwirkend im Rahmen einer Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO erfolgen, weil es sich dabei nicht um eine Fehlerberichtigung oder um die Beseitigung eines Rechtsirrtums handle. Auch verstoße es gegen Treu und Glauben, die langjährige steuerliche Behandlung, der eine mögliche rechtliche Beurteilung zugrunde gelegen habe, rückwirkend zu beseitigen. Die Abschnittsbesteuerung rechtfertige nicht ohne weiteres ein Abgehen von der bisherigen steuerlichen Behandlung. Es könne lediglich in jedem Jahr darüber befunden werden, ob eine Betätigung noch Liebhaberei sei. Werde festgestellt, daß dies nicht mehr der Fall sei, könne vom nächsten Veranlagungszeitraum ab anders verfahren werden, nachdem der Steuerpflichtige von der anderen Beurteilung in Kenntnis gesetzt worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nicht begründet.
Die Vorinstanzen haben ohne Rechtsirrtum angenommen, daß die Zahlungen, die ein Steuerpflichtiger dafür erhält, daß er einem anderen gestattet, die auf seinem Grund und Boden vorhandene Bodensubstanz (Kies, Lehm usw.) abzubauen, grundsätzlich Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung im Sinn von § 21 EStG sind (siehe z. B. Urteil des Senats VI 169/59 S vom 21. Oktober 1960, BStBl 1961 III S. 45, Slg. Bd. 72 S. 119).
Der Einwand des Bf., die Verpachtung der Kiesgrube unterliege als Teil seines steuerlich als Liebhaberei behandelten landwirtschaftlichen Besitzes nicht der Einkommensteuer, ist unbegründet. Wenn ein Steuerpflichtiger Einnahmen hat, die mit einer steuerlich der Liebhaberei zugerechneten Betätigung zusammenhängen, so unterliegen diese Einnahmen nicht der Einkommensteuer, wenn sie noch in den Rahmen der Liebhabereibetätigung gehören. Das ist bei den Einnahmen aus der Kiesgrube aber nicht der Fall. Das Finanzgericht weist mit Recht darauf hin, daß die streitigen Einnahmen dem Bf. auf Grund eines Pachtvertrages zugeflossen sind, der nicht als Ausfluß der zur Liebhaberei gehörenden landwirtschaftlichen Betätigung des Bf. anzusehen ist. Diese Beurteilung beruht auf einer Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse, an die der Senat nach § 288 AO gebunden ist, da sie weder einen Verstoß gegen das geltende Recht noch gegen den klaren Inhalt der Akten erkennen läßt.
Das Finanzgericht hat auch mit Recht angenommen, daß das Finanzamt nicht verpflichtet sei, wegen der Freistellung der 200 DM bei der Einkommensteuerveranlagung für 1952 für die folgenden Jahre das gleiche zu tun. Jeder Veranlagungszeitraum ist für die Einkommensteuer ein selbständiger Besteuerungsabschnitt, bei dem die Voraussetzungen der gesetzlichen Vorschriften jeweils erneut zu beurteilen sind. Dieser Grundsatz gilt nur ausnahmsweise nicht, wenn ein Steuerpflichtiger vom Finanzamt eine Zusage erhalten hat, die ihn zu irgendwelchen wirtschaftlichen Dispositionen veranlaßt hat (siehe z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs I 90/57 U vom 3. Dezember 1958, BStBl 1959 III S. 53, Slg. Bd. 68 S. 140; I 176/57 U vom 18. November 1958, BStBl 1959 III S. 52, Slg. Bd. 68 S. 137; VI 269/60 S vom 4. August 1961, BStBl 1961 III S. 562, Slg. Bd. 73 S. 813). Legt das Finanzamt eine bestimmte Rechtsauffassung bei einer Veranlagung zugrunde, so hat das für spätere Veranlagungszeiträume jedoch nicht die Wirkung einer Zusage; denn diese Beurteilung gilt regelmäßig nur für diesen einen Veranlagungszeitraum. Es ist auch zu beachten, daß für spätere Jahre schon verhältnismäßig geringe Unterschiede im Sachverhalt eine andere rechtliche Beurteilung erfordern können. So ist z. B. für die Zurechnung der Einnahmen aus der Kiesgrube zur Liebhaberei nicht unwesentlich, daß diese Einnahmen im Jahre 1952 nur 200 DM betragen haben, während sie in den Streitjahren die fünf- bis achtfache Höhe hatten.
Schließlich verstößt die Berichtigung der rechtskräftigen Veranlagungen für 1957 und 1958 auch nicht gegen § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO. Der Betriebsprüfer hat festgestellt, daß die Einnahmeaufzeichnungen des Bf. bei seiner selbständigen Tätigkeit als Zahnarzt für den Prüfungszeitraum nicht vollständig waren und daß in 97 Fällen Einnahmen von insgesamt 4.054 DM nicht aufgezeichnet waren. Davon entfallen auf die Jahre 1957 und 1958 2.095 DM. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs rechtfertigt zwar die Feststellung neuer Tatsachen die Wiederaufrollung von rechtskräftigen Veranlagungen nur, wenn die neuen Tatsachen von "einigem Gewicht" sind. Der V. Senat des Bundesfinanzhofs hat für die Umsatzsteuer im Urteil V 180/59 U vom 8. Februar 1962 (BStBl 1962 III S. 225, Slg. Bd. 74 S. 610) feste Grundsätze aufgestellt, wann dies für die Berichtigung von rechtskräftigen Umsatzsteuerveranlagungen der Fall ist. Der I. Senat des Bundesfinanzhofs hat diese Abgrenzung für die Ertragsteuern nicht übernommen (Urteil I 95 und 110/60 S vom 5. Juni 1962, BStBl 1963 III S. 100). Er nimmt zwar gleichfalls an, daß eine neue Tatsache, die eine Steuermehrung oder Steuerminderung von weniger als 100 DM zur Folge hätte, im allgemeinen kein so bedeutsamer Umstand ist, daß die Durchbrechung der Rechtskraft bereits vorhandener Veranlagungen gerechtfertigt wäre. Von diesem Mindestbetrag abgesehen, stellt der I. Senat es aber auf die Verhältnisse des Einzelfalles ab, ob eine neue Tatsache gewichtig genug ist, um eine Berichtigung zu rechtfertigen. Der IV. Senat wendet die gleichen Grundsätze an (siehe Urteil IV 296/60 vom 4. Oktober 1962, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung, 1963 S. 123 Nr. 121). Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsprechung des I. und IV. Senats an.
Die Mehrsteuern, die sich bei der Zurechnung der nicht verbuchten Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit des Bf. ergeben, liegen sowohl für 1957 als auch für 1958 über 100 DM. Daß es sich um nicht verbuchte Einnahmen handelt, spricht in besonderem Masse für die Zulässigkeit einer Berichtigung. Der Senat hält daher bereits aus diesem Grund eine Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO für zulässig. Für die Feststellung, ob neue Tatsachen von einigem Gewicht vorliegen, kommt es daher nicht mehr darauf an, ob die dem Finanzamt bei der Veranlagung für 1957 und 1958 nicht bekannten Einnahmen aus der Kiesausbeute für sich allein schon gleichfalls als neue Tatsachen von einigem Gewicht bezeichnet werden könnten. Der Senat braucht deshalb auch nicht zu entscheiden, ob das Finanzamt verpflichtet war, von sich aus etwas zu unternehmen, um festzustellen, ob der Bf. in den Jahren 1957 und 1958 derartige Einnahmen hatte, nachdem es durch die Einkommensteuererklärung für 1952 von der Möglichkeit der Einnahmeerzielung aus der Ausbeutung des Kiesvorkommens erfahren hatte. Weil die rechtskräftigen Einkommensteuerveranlagungen für 1957 und 1958 bereits wegen der bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit festgestellten neuen Tatsachen zu berichtigen waren, konnte und mußte der ganze rechtskräftig abgeschlossene Steuerfall wiederaufgerollt werden. Dabei waren auch andere Fehler, die bei diesen Veranlagungen vorgekommen waren, zu berichtigen (Urteil des Bundesfinanzhofs I 95 und 110/60 S a. a. O.).
Da über die Höhe der Einkünfte aus der Kiesausbeutung kein Streit besteht und insbesondere auch die Absetzung wegen Substanzverringerung entsprechend den Grundsätzen des Urteils des Bundesfinanzhofs VI 169/59 S a. a. O. vom Finanzgericht geprüft wurde, entspricht die angefochtene Entscheidung dem geltenden Recht.
Fundstellen
Haufe-Index 410879 |
BStBl III 1963, 435 |
BFHE 1964, 315 |
BFHE 77, 315 |