Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Grundsätze des Urteils III 130/54 S vom 10. September 1954 (Slg. Bd. 59 S. 363, BStBl 1954 III S. 350) zur Frage der Nachsichtgewährung bei einem Versehen im Büro des bevollmächtigten Rechtsanwalts sind auch dann anzuwenden, wenn infolge eines Versehens im Büro des bevollmächtigten Steuerberaters das Rechtsmittel verspätet eingelegt wird.
Normenkette
AO § 86
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beschwerdeführerin Nachsicht wegen der Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren ist; sie hatte Nachsicht mit der Begründung beantragt, der mit der Führung eines Terminbuchs und der überwachung der Fristen ständig beauftragte Bürovorsteher ihrer Steuerberaterin habe versehentlich den Termin für die Einlegung des Rechtsmittels im Terminbuch nicht notiert und der Steuerberaterin den Vorgang verspätet vorgelegt.
Das Finanzgericht hat ein eigenes Verschulden der Steuerberaterin an der Versäumung der Berufungsfrist angenommen und Nachsicht nicht gewährt.
Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde (Rb.) hat Erfolg.
Entscheidungsgründe
Der Bundesfinanzhof hat durch Urteil III 130/54 S vom 10. September 1954 (Slg. Bd. 59 S. 363, BStBl 1954 III S. 350) entschieden, ein Rechtsanwalt mit einem ordnungsmäßigen Bürobetrieb könne sich im allgemeinen, solange er nicht durch Fälle von Unzuverlässigkeit zu persönlicher Aufsicht genötigt wird, darauf verlassen, daß ihm sein Personal Fristsachen vorlegt, insbesondere auch die Eingänge und die Termine richtig einträgt. In diesem Umfange trifft nach Auffassung des Bundesfinanzhofs den Rechtsanwalt kein Verschulden, wenn er den Eingang von Terminsachen und ihre fristgerechte Vorlage büromäßig nicht persönlich überwacht. Der erkennende Senat wendet die in jenem Urteil ausgesprochenen Grundsätze auch für Steuerberater mit einem ordnungsmäßigen Bürobetrieb entsprechend an. Wenn das Finanzgericht demgegenüber ausführt, daß ein Rechtsvertreter sich selbst um die Innehaltung der Rechtsmittelfristen kümmern müsse, indem er sich davon überzeuge, daß die betreffenden Fristen auch wirklich notiert worden seien, so liegt darin eine überspannung der dem alleinigen Inhaber einer großen Steuerpraxis zuzumutenden Sorgfaltspflicht; auch widerspricht diese Auffassung jedenfalls dann den Grundsätzen des oben angeführten Urteils, wenn für solche Kontrollmaßnahmen nicht ein besonderer Anlaß vorliegt. Hierfür bietet der Akteninhalt jedoch keinen Anhaltspunkt. Auch der Meinung des Finanzamts, daß das Urteil vom 10. September 1954 deshalb nicht auf einen Steuerberater angewendet werden könne, weil bei einem Anwalt Terminsachen eine ganz andere Rolle spielten als bei einem Steuerberater, vermag der Senat in dieser Allgemeinheit nicht beizupflichten. Zutreffend hat die Rb. darauf hingewiesen, daß Fristen und Termine auch bei einer Steuerpraxis eine sehr erhebliche Rolle spielen.
Da somit ein Verschulden des Bevollmächtigten nicht festzustellen ist, und im Streitfalle das Verschulden des Bürovorstehers als Erfüllungsgehilfen der Steuerberaterin einem Verschulden des Vertreters nicht gleichsteht, war Nachsicht zu gewähren.
Die Vorentscheidung, die diese Rechtslage verkannt hat, war aufzuheben und die nichtspruchreife Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen, die nunmehr in eine sachliche Nachprüfung des Streitfalles einzutreten hat.
Dem Finanzgericht waren auch die Kostenentscheidung und die Feststellung des Wertes des Streitgegenstandes zu übertragen (§§ 318 Abs. 2 und 320 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung).
Fundstellen
BStBl III 1956, 327 |
BFHE 1957, 341 |
BFHE 63, 341 |
StRK, AO:86 R 16 |