Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Doppelbesteuerungsabkommen
Leitsatz (amtlich)
Erleidet ein Rechtsanwalt auf einer Fahrt von seinem Büro zu einer anderweitigen beruflichen Tätigkeit ohne eigenes Verschulden einen Unfall mit seinem eigenen Personenkraftwagen, so sind die Aufwendungen zur Beseitigung der durch den Unfall verursachten Gesundheitsschäden Betriebsausgaben.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4, § 12 Nr. 1; OECD-MA 6/1; OECD-MA 6/4
Tatbestand
Der Bf. erlitt am 13. September 1955 bei einer Fahrt mit seinem PKW einen unverschuldeten Autounfall. Streitig ist, ob die dem Bf. zur Wiederherstellung seiner durch den Unfall beeinträchtigten Gesundheit erwachsenen und durch eine Versicherung oder sonstige Zahlungen Dritter nicht gedeckten Aufwendungen in Höhe von 2.263 DM als Betriebsausgaben abgezogen werden können. Der Bf. befand sich im Zeitpunkt des Unfalls auf einer Fahrt von seinem Rechtsanwaltsbüro zu einer Aufsichtsratssitzung der W. AG, deren Rechtsberater und Aufsichtsratsvorsitzender er ist.
Der Steuerausschuss des Finanzamts hatte unter Kürzung eines Betrages für Haushaltsersparnis in Höhe von 237 DM dem Begehren des Bf. stattgegeben, weil sich dieser zur Zeit des Unfalls in der Berufsausübung befunden habe. Auf die Berufung des Vorstehers des Finanzamts lehnte das Finanzgericht die Anerkennung der Aufwendungen als Betriebsausgaben ab. Es führte hierzu im wesentlichen aus, die Aufwendungen seien weder durch den Betrieb des Bf. veranlaßt noch zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen getätigt worden. Das Gericht verkenne nicht, daß der Bf. den Unfall in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit erlitten habe. Das Risiko eines Autounfalls aber habe der Bf. nicht durch seine berufliche Tätigkeit auf sich genommen, sondern dadurch, daß er sich in den Straßenverkehr begeben habe. Der Unfall sei daher wohl in Ausübung der beruflichen Tätigkeit entstanden, nicht aber durch sie veranlaßt worden. Der Bundesfinanzhof habe auch in seinem Urteil IV 158/56 U vom 6. Juni 1957 (BStBl 1957 III S. 286, Slg. Bd. 65 S. 136) Krankheitskosten als Betriebsausgaben nur anerkannt, wenn die Krankheit mit Sicherheit nachweisbar eine Folge der Berufsausübung sei. In dem entschiedenen Falle habe sich die Anerkennung der Krankheitskosten als Betriebsausgaben ohne weiteres aus dem Betriebsausgabenbegriff des § 4 Abs. 4 EStG ergeben, weil die Erkrankung eine Folge der eigentlichen Berufstätigkeit des Steuerpflichtigen als Arzt war.
Mit der Rb. wird unrichtige Anwendung bestehenden Rechts gerügt. Das Finanzgericht habe den Begriff der Betriebsausgaben verkannt. Zu ihnen gehörten nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sowohl die unmittelbar als auch die nur mittelbar mit dem Betrieb zusammenhängenden Ausgaben. Ohne Bedeutung sei es, ob die Ausgaben für den Betrieb geeignet oder erforderlich seien, wenn sie nur ernstlich zur Förderung des Betriebs gemacht worden seien und mit ihm in einem sachlichen Zusammenhang stünden (Urteil des Reichsfinanzhofs I A 186, 187/37 vom 31. Mai 1938, RStBl 1938 S. 1044; auch Urteil des Bundesfinanzhofs IV 404/53 U vom 10. Februar 1955, BStBl 1955 III S. 99, Slg. Bd. 60 S. 254). Auch das Argument, daß die Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr keine typische Betätigung eines Rechtsanwalts sei, der Autounfall somit nicht durch die berufliche Tätigkeit veranlaßt sei, könne nicht unwidersprochen bleiben. Der Bundesfinanzhof sei auch erfreulicherweise in letzter Zeit immer mehr dazu übergegangen, die Typisierung nur noch ganz begrenzt anzuwenden (vgl. das auch vom Finanzgericht zitierte Urteil des Bundesfinanzhofs IV 158/56 U vom 6. Juni 1957, a. a. O.). Das Finanzgericht habe auch das Urteil des Reichsfinanzhofs VI 739/38 vom 14. Dezember 1938 (RStBl 1939 S. 212) nicht richtig ausgelegt. Nach dem klaren Text der Urteilsbegründung habe der Reichsfinanzhof nicht darauf abgestellt, ob ein Autounfall typisch beruflich sei; er habe dies vielmehr direkt unterstellt. Dies gehe einwandfrei aus dem Rechtssatz hervor, aber auch aus der Urteilsbegründung. In seinem Urteil IV 101/42 vom 3. Dezember 1942 (Steuer und Wirtschaft 1943 Nr. 49) habe der Reichsfinanzhof bei der Entscheidung der Frage, ob die Aufwendungen eines Beamten aus einem Kraftwagenunfall als Werbungskosten anerkannt werden könnten, darauf abgestellt, daß der Unfall auf einer betrieblichen oder beruflichen Fahrt eingetreten sei, und sich hierzu auf die Entscheidung VI 739/38 vom 14. Dezember 1938 berufen. Die Fahrt selbst sei auch vom Finanzgericht als betriebliche anerkannt worden, und das Finanzgericht habe nicht verkannt, daß der Bf. den Autounfall in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit erlitten habe. Damit sei notwendig auch das Risiko eines Autounfalls gegeben.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Betriebsausgaben sind nach § 4 Abs. 4 Satz 1 EStG 1955 Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlaßt sind. Dieser Begriff der Betriebsausgaben - darin ist dem Bf. uneingeschränkt zuzustimmen - ist weit. Er umfaßt nicht nur die unmittelbar, sondern auch die mittelbar durch den Betrieb veranlaßten Aufwendungen; ebenso nicht nur die notwendigen Aufwendungen, sondern auch solche, die der Steuerpflichtige über die objektive Notwendigkeit seines Betriebs hinaus macht, weil er sie nach seiner Auffassung als dem Betrieb dienlich ansieht. Nicht hingegen kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen, die ihrem Wesen nach oder infolge ihrer konkreten Veranlassung mit dem Betrieb nichts zu tun haben, durch seinen Willensentschluß zu Betriebsausgaben machen. Die Frage, ob Aufwendungen eines Steuerpflichtigen tatsächlich durch den Betrieb veranlaßt sind und deshalb zu den Betriebsausgaben gehören oder ob sie mit seiner Lebensführung zusammenhängen und deshalb zu den nichtabzugsfähigen Ausgaben im Sinne des § 12 Ziff. 1 EStG gehören, ist durch die Steuerbehörden und die Steuergerichte nach objektiven Gesichtspunkten zu entscheiden und der Willensentscheidung des Steuerpflichtigen entzogen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 63/56 U vom 4. September 1956, BStBl 1956 III S. 304, Slg. Bd. 63 S. 277).
Aufwendungen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit sind grundsätzlich Kosten der Lebenshaltung eines Steuerpflichtigen und daher nach § 12 Ziff. 1 EStG nicht abzugsfähig. Solche Aufwendungen rechnen, wie insbesondere die Kosten der Ernährung und Bekleidung sowie der Privatwohnung eines Steuerpflichtigen, zu den typischen Lebenshaltungskosten. Sie können daher nur ausnahmsweise und nur dann als Betriebsausgaben oder Werbungskosten bei der Ermittlung der Einkünfte abgezogen werden, wenn ihre betriebliche oder berufliche Veranlassung so stark ins Gewicht fällt, daß sie ohne diese nicht erwachsen wären. Es entspricht deshalb der ständigen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und der Bundesfinanzhofs, daß Kosten zur Wiederherstellung der Gesundheit, soweit sie auf Gesundheitsschädigungen zurückzuführen sind, die ausschließlich durch die Berufsausübung entstanden sind, als Werbungskosten oder Betriebsausgaben abgezogen werden können (vgl. die vom Finanzgericht und vom Bf. zitierte Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 158/56 U vom 6. Juni 1957). Das gilt nicht nur für Berufskrankheiten, sondern auch für Aufwendungen zur Beseitigung von Körperschäden, die ihre Ursache in berufsbedingten Unfällen haben.
In der sowohl vom Finanzgericht als auch vom Bf. angeführten Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI 739/38 vom 14. Dezember 1938 (a. a. O.) ist ausgeführt, daß ein Unfall, den ein Gewerbetreibender oder Angestellter auf einer ausschließlich betrieblichen oder beruflichen Fahrt erleidet, in gleicher Weise als betrieblich oder beruflich angesehen werden müsse, als wenn etwa ein Bauarbeiter oder ein Bauunternehmer auf der Baustelle verunglückte. Derartige Unfälle seien typisch beruflich, und die Kosten zur Beseitigung der Unfallfolgen müßten deshalb als Werbungskosten oder Betriebsausgaben anerkannt werden. Dem schließt sich der Senat an. Hiernach sind im Streitfall auch die Aufwendungen des Bf. zur Wiederherstellung seiner durch den Unfall beeinträchtigten Gesundheit Betriebsausgaben. Die Fahrt des Bf. zur Aufsichtsratssitzung der W. AG war eine ausschließlich beruflich bedingte Fahrt. Alle Aufwendungen, die durch diese Fahrt verursacht worden sind, sind daher als Betriebsausgaben anzuerkennen. Ob der Ursachenzusammenhang zwischen der Fahrt und den durch den Unfall entstandenen Aufwendungen durchbrochen worden wäre, wenn der Bf. den Unfall schuldhaft herbeigeführt hätte, braucht nicht entschieden zu werden; denn unstreitg trifft den Bf. an dem Unfall kein eigenes Verschulden.
Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war deshalb aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 409833 |
BStBl III 1960, 511 |
BFHE 1961, 699 |
BFHE 71, 699 |