Leitsatz (amtlich)
Die Anfechtung eines vollzogenen Gesellschaftsvertrages und der damit in Zusammenhang stehende Abschluß eines Prozeßvergleichs haben grundsätzlich nicht zur Folge, daß ein Merkmal der Besteuerung i. S. des § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG nachträglich mit Wirkung für die Vergangenheit wegfällt.
Normenkette
StAnpG § 1 Abs. 3, § 4 Abs. 3 Nr. 2, § 5 Abs. 5
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und der Kaufmann R gründeten zum 1. Oktober 1966 eine Kommanditgesellschaft, an der R als Komplementär und der Kläger als Kommanditist beteiligt waren. Die Gesellschaft wurde beim zuständigen Gewerbeamt angemeldet und alsbald ins Handelsregister eingetragen. Zum Geschäftsführer wurde R bestellt. Die von der Kommanditgesellschaft auf den 1. Januar 1968 und 1. Januar 1969 abgegebenen Vermögensaufstellungen und das Ergebnis einer Betriebsprüfung bildeten die Grundlage für die Feststellung des Einheitswerts der Gesellschaft auf den 1. Januar 1967, 1. Januar 1968 und 1. Januar 1969. Der Einheitswert wurde jeweils in vollem Umfang dem Kläger zugerechnet. Für den Kläger wurden in den genannten Jahren außerdem Ausgleichsforderungen gegen R ermittelt.
Die Einheitswertbescheide wurden dem in den Erklärungen als Zustellungsvertreter genannten Gesellschafter R zugestellt. Die Bescheide wurden nicht angefochten. Nach deren Bestandskraft, aber vor Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der KG im Juli 1972, erbat der Kläger vom Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) erstmals Aufklärung über die Höhe seines Einheitswertanteils zum 1. Januar 1969 sowie der Ausgleichsforderung. Sodann beantragte er unter Hinweis auf die Anfechtung des mit R geschlossenen Gesellschaftsvertrages wegen arglistiger Täuschung Berichtigung der Einheitswertbescheide zum 1. Januar 1967, 1. Januar 1968 und 1. Januar 1969 gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG. Zum Nachweis der Anfechtung des Gesellschaftsvertrages legte der Kläger einen vor dem Landgericht am 20. Juni 1968 geschlossenen Prozeßvergleich vor.
Das FA lehnte diesen Antrag ab.
Der Einspruch war erfolglos. Auch die Klage hatte keinen Erfolg.
Die Revision des Klägers rügt falsche Anwendung des § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG. Der Kläger macht geltend, er sei aufgrund des Prozeßvergleichs ex tunc, d. h. seit Gründung der KG zum 1. Oktober 1966, zivilrechtlich nicht als Gesellschafter, sondern lediglich als Darlehensgeber anzusehen. Der Vergleich habe nur unter der Voraussetzung zustande kommen können, daß der Gesellschaftsvertrag als von Anfang an nichtig anzusehen war. Der Kläger habe vom wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen niemals die Stellung eines Kommanditisten innegehabt. Dies ergebe sich schon allein aus der Tatsache, daß der Kläger bei der einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte weder einen Gewinnnoch einen Verlustanteil zugewiesen bekommen habe. Dies sei jedoch Voraussetzung für die Annahme einer Mitunternehmerschaft. In der mündlichen Verhandlung betonte der Kläger, daß R ihm die als Kommanditisten zustehenden Informationsrechte, insbesondere das Recht auf Bilanzeinsicht, verweigert habe. Daraus folge, daß er wirtschaftlich nicht die Stellung eines Mitunternehmers gehabt habe. Selbst wenn zivilrechtlich eine Gesellschaft zustande gekommen wäre, könne steuerlich nicht vom Bestehen einer Kommanditgesellschaft ausgegangen werden.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, den zum 1. Januar 1967, 1. Januar 1968 und 1. Januar 1969 festgestellten Einheitswert auf jeweils 0 DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß eine nachträgliche Änderung der bestandskräftigen Einheitswertbescheide zum 1. Januar 1967, 1. Januar 1968 und 1. Januar 1969 nicht mehr möglich ist.
I. Eine Änderung der Bescheide kann nicht auf § 5 Abs. 5 StAnpG gestützt werden. Diese Vorschrift sieht zwar vor, daß Steuerfestsetzungen und Steuerfeststellungen zu ändern sind, wenn das wirtschaftliche Ergebnis eines nichtigen Rechtsgeschäfts nachträglich wieder beseitigt wird. Sie ist jedoch nach der Rechtsprechung des RFH und BFH (vgl. insbesondere RFH-Urteil vom 9. Januar 1936 III A 226/35, RFHE 39, 14, RStBl 1936, 116; BFH-Urteil vom 28. März 1969 III 177/65, BFHE 95, 456, BStBl II 1969, 432) nicht auf laufend veranlagte Steuern anzuwenden, für die das Stichtagsprinzip gilt. Der Senat sieht keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung, die er für zutreffend hält, abzugehen. Im Streitfall ist zwar der Vergleich über die Anfechtungsklage 1968 abgeschlossen worden, aber die Folgen des nichtigen Gesellschaftsvertrages waren auch zum Stichtag 1. Januar 1969 noch nicht rückgängig gemacht.
II. Auch § 4 Abs. 3 Nr. 2 StAnpG stellt keine Rechtsgrundlage für eine Änderung der bestandskräftigen Einheitswertbescheide dar. Die Anfechtung des Gesellschaftsvertrages durch den Kläger und der damit in Zusammenhang stehende Prozeßvergleich führten nicht dazu, daß ein Besteuerungsmerkmal im Sinne jener Vorschrift, nämlich die für die Durchführung einer einheitlichen Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens nach § 215 AO erforderliche Mitunternehmerschaft des Klägers, rückwirkend weggefallen ist. Die Auffassung des Klägers, steuerlich habe eine Mitunternehmerschaft von Anfang an nicht bestanden, ist unzutreffend.
1. Der rechtswirksame Abschluß eines Gesellschaftsvertrages, mit dem die Errichtung einer Kommanditgesellschaft vereinbart wird, führt zivilrechtlich i. d. R. bereits zur Entstehung der Gesellschaft (vgl. Urteil des RG vom 23. Juni 1933 II 95/33, RGZ 141, 277). Da die bürgerlich-rechtliche Gestaltung Ausgangspunkt für die steuerliche Beurteilung ist, sind die Gesellschafter dieser Gesellschaft regelmäßig auch als Mitunternehmer im Sinne des Steuerrechts anzusehen. Dies schließt nicht aus, daß sich im Einzelfall auf Grund der Wirtschaftlichen Betrachtungsweise unter besonderen Umständen eine andere steuerliche Wertung ergeben kann (vgl. BFH-Urteil vom 22. November 1955 I 139/54 S, BFHE 62, 9, BStBl III 1956, 4). Entspricht jedoch die Stellung des Kommanditisten nach den vertraglichen Vereinbarungen dem, was handelsrechtlich das Bild des Kommanditisten bestimmt, und ist die Gesellschaft entsprechend der Vertragsregelung in Vollzug gesetzt, so ist auch wirtschaftlich eine Mitunternehmerschaft entstanden (vgl. BFH-Urteil vom 30. Juli 1975 I R 174/73, BFHE 116, 497, BStBl II 1975, 818). Bei der Prüfung der Frage, ob der Kommanditist einer Handelsgesellschaft auch wirtschaftlich eine Mitunternehmerstellung hat, ist zu berücksichtigen, daß der Gesellschaftsbeitrag des Kommanditisten nach Handelsrecht regelmäßig nur darin besteht, eine bestimmte vermögenswerte Leistung, vornehmlich eine Geldleistung, zum Zweck der Erreichung des Gesellschaftszwecks zur Verfügung zu stellen, und daß demgemäß seine Stellung schon handelsrechtlich schwach ist. Dies wirkt sich insbesondere dahin gehend aus, daß der Kommanditist von der eigenen Unternehmerfunktion weithin ausgeschlossen ist (§ 164 HGB) und er demgemäß nur in sehr beschränktem Umfang Mitunternehmerinitiative ergreifen kann (vgl. BFH-Urteil I R 174/73).
2. Das FG kam auf Grund des vom Kläger geschlossenen Prozeßvergleichs, der Einheitswertakten der KG und den Feststellungen der Betriebsprüfung zu der Annahme, daß der Kläger auch wirtschaftlich als Mitunternehmer an der KG beteiligt war. Diese Annahme ist rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Für die durch R und den Kläger errichtete KG waren, da ein schriftlicher Gesellschaftsvertrag nicht abgeschlossen worden war, die §§ 161 ff. HGB maßgebend. Entsprechend dieser Regelungen ist die KG in Vollzug gesetzt worden. Der Kläger hat auf Grund des Gesellschaftsvertrages eine Kommanditeinlage geleistet und auf diese Weise Gesamthandsvermögen gebildet. Die gesamthänderische Bindung des Gesellschaftsvermögens war an den maßgebenden Bewertungsstichtagen noch gegeben. Dies gilt auch für den 1. Januar 1969, dem auf den Abschluß des Vergleichs folgenden Stichtag. Der Vergleich sah zwar eine Beendigung des gesellschaftsrechtlichen Verhältnisses zwischen dem Kläger und R und damit den Wegfall der gesamthänderischen Bindung des Gesellschaftsvermögens in bezug auf den Kläger vor. Am 1. Januar 1969 hatte jedoch weder der Kläger seinen Kommanditanteil auf einen Dritten übertragen, noch war das Gesamthandsvermögen tatsächlich liquidiert und damit die Gesellschaft und mit ihr die Mitunternehmerschaft voll beendet.
Die Eintragung der KG ins Handelsregister und die Bestellung des R als Geschäftsführer der KG erfolgten unter Billigung des Klägers ebenfalls in Vollzug des Gesellschaftsvertrages.
Der Vollzug der Gesellschaft äußerte sich ferner darin, daß die Gesellschaft als solche nach außen aufgetreten ist, insbesondere auch dem FA gegenüber. Der Kläger wurde nicht nur im Rahmen der Betriebsprüfung, sondern auch in den dem FA eingereichten Vermögensaufstellungen auf den 1. Januar 1968 und 1. Januar 1969 als Kommanditist ausgewiesen.
Im übrigen ging der Kläger selbst von seiner Stellung als Kommanditist aus; denn er machte die ihm als Kommanditisten zustehenden Informationsrechte, insbesondere das Recht auf Bilanzeinsicht, gegenüber R geltend. Der Umstand, daß er seinem Vorbringen zufolge diese Rechte nicht verwirklichen konnte, berührt nicht den Bestand der Gesellschaft, sondern betrifft die Frage der Begründung neuer Ansprüche auf der Grundlage des Gesellschaftsrechtsverhältnisses (vgl. § 166 Abs. 3 HGB).
b) Die Auffassung des Klägers, er könne deshalb nicht als Mitunternehmer angesehen werden, weil ihm bei der einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte weder ein Gewinn- noch ein Verlustanteil zugewiesen worden sei, ist unzutreffend. Zum einen hat das FA den Kläger auch bei der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung als Mitunternehmer angesehen, seinen Gewinnanteil jedoch auf 0 DM festgestellt. Darüber hinaus ist die Entscheidung, ob im Verfahren der einheitlichen Feststellung des Einheitswerts des Betriebsvermögens vom Vorhandensein einer Mitunternehmerschaft auszugehen ist, unabhängig davon, ob auf Grund der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung einem Beteiligten ein Gewinn oder ein Verlust zugewiesen worden ist.
Damit entfällt gleichzeitig die vom Kläger geltend gemachte Umdeutung des Gesellschaftsverhältnisses in ein Darlehensverhältnis.
3. Das FG ist ferner zutreffend davon ausgegangen, daß weder der vom Kläger geschlossene Prozeßvergleich noch die Anfechtung des Gesellschaftsvertrages bewirken konnten, daß der Kläger ex tunc, d. h. seit Gründung der KG nicht als Gesellschafter und damit als Mitunternehmer, sondern als Darlehensgeber anzusehen sei.
Der Vergleich enthält keine Regelung für die Vergangenheit, sondern nur für die Zeit nach dem Vergleichsabschluß. Er konnte im übrigen steuerlich wirksam nur eine Regelung für die Zukunft treffen, wie sich aus den nachfolgenden Darlegungen ergibt.
Zwar ist es dem Kläger durch den Prozeßvergleich nicht verwehrt, darzutun, daß der angefochtene Gesellschaftsvertrag als von Anfang an nichtig anzusehen sei (vgl. BFH-Urteil vom 9. März 1971 II R 94/67, BFHE 102, 207, BStBl II 1971, 597). Entscheidend ist jedoch, daß selbst eine wirksame Anfechtung es nicht rechtfertigen würde, die Gesellschaft und damit auch die Stellung des Klägers als Mitunternehmer steuerrechtlich rückwirkend als von Anfang an nicht gegeben anzusehen. Der Vollzug der Gesellschaft und die damit verbundene Mitunternehmerschaft können nicht rückwirkend beseitigt werden. Die Gesellschaft hat insbesondere über das Gesamthandsvermögen verfügt, das Vermögen wurde ständig umgeschichtet. Dies sind Vorgänge, die einerseits nicht mehr rückgängig gemacht und zum anderen aber auch nicht außer Betracht gelassen werden können. Das vorhandene Vermögen läßt sich nicht derart auflösen, daß jeder einzelne Vermögensgegenstand wieder an seinen früheren Eigentümer zurückgeführt wurde. Gesellschaft und Mitunternehmerschaft können daher nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden. Gerade die wirtschaftliche Betrachtungsweise verbietet es, wirtschaftliche Ergebnisse, die nicht beseitigt werden können, im nachhinein unberücksichtigt zu lassen.
4. Die zivilrechtliche Beurteilung entspricht entgegen der Auffassung des Klägers in vollem Umfang der steuerlichen Rechtslage. Danach ist eine infolge Anfechtung des Gesellschaftsvertrages fehlerhafte Gesellschaft, die im Außen- und Innenverhältnis ins Leben getreten ist, aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit regelmäßig nicht von Anfang an nichtig, sondern wegen des Anfechtungsgrundes nur mit Wirkung für die Zukunft vernichtbar (vgl. Urteil des BGH vom 24. Oktober 1951 II ZR 18/51, BGHZ 3, 285; Urteil vom 12. Mai 1954 II ZR 167/53, BGHZ 13, 320; Urteil vom 29. Juni 1970 II ZR 158/69, BGHZ 55, 5). Die Lösung des Gesellschaftsverhältnisses kann vielmehr nur unter Anwendung des § 133 HGB durch gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden. Dies ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht nur durch den Schutz Dritter bedingt, die mit der Gesellschaft Geschäftsverbindung aufgenommen haben, sondern auch deshalb – wie oben dargelegt–, weil eine Auflösung der vollzogenen Gesellschaft in Rückerstattungs- und Bereicherungsansprüche nicht möglich ist.
Diese Grundsätze gehören heute zum gesicherten Bestandteil des Gesellschaftsrechts. Es ist nicht möglich, ihre Anwendung von der individuellen Gestaltung des Einzelfalles abhängig zu machen (vgl. BGHZ 55, 5).
III. Einer Beiladung der in Konkurs gefallenen Gesellschaft und/oder des Komplementärs bedurfte es nicht. Das FG hat insoweit zutreffend ausgeführt, daß nicht einmal die Möglichkeit einer Änderung der bestandskräftigen Einheitswerte bestand.
Fundstellen
Haufe-Index 557294 |
BStBl II 1976, 656 |
BFHE 1977, 214 |