Leitsatz (amtlich)
Wird ein Grundstück erworben, um es zu einem Teil zum Bau einer öffentlichen Straße, zum anderen Teil anderen nicht grunderwerbsteuerbegünstigten Zwecken zuzuführen, so ist nur eine Teilgrundstücksfläche "zur Schaffung" einer öffentlichen Straße erworben; die Steuervergünstigung des § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GrEStG kann nur für den Erwerb dieses Teils des Grundstücks gewährt werden.
Normenkette
GrEStG § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a
Tatbestand
Die Klägerin kaufte im Jahr 1964 ein Grundstück von insgesamt 16 Ar. Von dieser Fläche sollten ungefähr 7 Ar zum Bau einer Ortsstraße verwendet werden. Das FA (Beklagter) setzte für den über 7 Ar hinausgehenden Erwerb eine Grunderwerbsteuer fest.
Mit Einspruch und Berufung machte die Klägerin erfolglos geltend, sie habe das erforderliche Straßenland auf Grund der Vorschriften des Württembergischen Zwangsenteignungsgesetzes nur durch Erwerb des ganzen Grundstücks erhalten können. Die Voraussetzungen der Steuervergünstigung seien bereits dann erfüllt, wenn der Zweck des Erwerbs, also des auf den Eigentumsübergang gerichteten Rechtsgeschäfts, die Schaffung einer öffentlichen Straße sei. Das Gesetz fordere also nicht, daß die erworbene Grundstücksfläche in vollem Umfang unmittelbar dem begünstigten Zweck diene.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die gemäß § 184 Abs. 2 FGO der Prüfungszuständigkeit des BFH unterliegende, als Revision zu behandelnde Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
Mit der Klägerin und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats ist davon auszugehen, daß allerdings dem Wortlaut einer Vorschrift bei deren Auslegung entscheidende Bedeutung zukommt und daß ggf. bei steuerbegünstigenden Normen auch eine ausdehnende Auslegung in Betracht kommen kann (vgl. BFH-Urteil II 25/61 vom 20. Mai 1969, BFH 96, 129, 133, BStBl II 1969, 550). Steuerbefreiungsvorschriften sind auch nicht schon deshalb eng auszulegen, weil es sich um Ausnahmen von der Besteuerung handelt (BFH-Urteil II 132/65 vom 13. Januar 1970, BFH 98, 453, BStBl II 1970, 440). Maßgebend muß aber der objektivierte Wille bleiben, wie er sich aus Wortlaut und Sinnzusammenhang der Vorschrift ergibt. Der mit der Ausnahmevorschrift verfolgte, im Wortlaut des Gesetzes zum Ausdruck gekommene Zweck ist dabei sinnvoll zu würdigen. Die Entstehungsgeschichte ist insofern bedeutsam, als sie die Richtigkeit einer solchen Auslegung bestätigt oder als mit ihrer Hilfe letzte Zweifel ausgeräumt werden können (BFH-Urteil II 210/65 vom 21. Oktober 1969, BFH 97, 147, BStBl II 1969, 736).
Der Senat vermag der Klägerin aber nicht darin zu folgen, daß die bisherige Rechtsprechung des RFH und des BFH, wonach dann, wenn nur ein Teil eines Grundstücks dem Straßenbau dienen soll, die Steuerbefreiung nur für den Erwerb dieses Teils zu gewähren ist, mit diesen Auslegungsgrundsätzen in Widerspruch stehe.
Die Klägerin meint, nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GrEStG (vgl. ebenso § 1 Abs. 1 Nr. 15 des Baden-Württembergischen Zweiten Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau 1962 - Gesetz- und Verordnungsblatt S. 74 -) komme es nur darauf an, welchem Zweck der Erwerb (das Rechtsgeschäft) diene; welchem Zweck die erworbene Grundstücksfläche selbst dienen solle, sei unerheblich. Die Klägerin übersieht dabei, daß Besteuerungsgegenstand bei der Grunderwerbsteuer die Erwerbsvorgänge (Rechtsvorgänge: siehe Einleitungssatz zu § 1 GrEStG) selbst sind und daß deshalb in Umkehr ein Gesetzestatbestand, der Befreiung vom Steuertatbestand gewährt, ebenfalls an diesen Erwerbsvorgang anknüpfen, diesen Rechtsvorgang selbst freistellen muß. Im übrigen ist unmittelbarer Zweck eines solchen Erwerbsvorgangs immer nur der Eigentumsübergang am Grundstück. Die sich daraus ergebende und zu begünstigende Verwendungsmöglichkeit kann sich stets nur auf die erworbene Grundstücksfläche beziehen.
Nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GrEStG ist der Erwerb eines Grundstücks von der Besteuerung nur dann ausgenommen, wenn er "zur Schaffung und Erweiterung von öffentlichen Straßen ..." dient. Die Auslegung, daß der Grundstückserwerb "unmittelbar" dem begünstigten Zweck dienen muß, sei es, daß Steuerbefreiung nur eintritt, wenn und soweit die erworbene Grundstücksfläche unmittelbar Straßenzwecken zugeführt wird, sei es, daß Zwischenerwerbe nicht begünstigt werden können (BFH-Urteile II 154/58 U vom 14. Juni 1961, BFH 73, 477, BStBl III 1961, 440; II 30/62 U vom 14. April 1965, BFH 82, 478, BStBl III 1965, 420), entspricht dem Wortsinn der Vorschrift: Wird ein Grundstück erworben, um es zur Hälfte zum Bau einer Straße, zur anderen Hälfte anderen Zwecken zuzuführen, so ist nur ein Teilgrundstück - eine Grundstücksteilfläche - "zur Schaffung" einer Straße erworben. Die Auslegung der Klägerin, wonach nur auf die Einheit des Grundstücks abgestellt wird, müßte letztlich dazu führen, daß auch in den Fällen, in denen nur ein kleiner Bruchteil einer Grundstücksfläche dem Bau einer Straße dienen soll, die gesamte Fläche des Grundstücks (oder gar mehrerer, eine wirtschaftliche Einheit bildenden Grundstücke; vgl. § 2 Abs. 3 Satz 1 GrEStG) ohne Rücksicht auf deren Verwendungszweck befreit werden müßte. Ein solches Ergebnis wäre weder durch den Wortlaut noch durch den Sinn der Vorschrift gedeckt. Der Senat hat am Erfordernis der Unmittelbarkeit der Zweckerfüllung im obigen Sinn auch in neuester Zeit festgehalten (vgl. z. B. BFH-Urteile II 35/64 vom 21. März 1968, BFH 92, 245 a. E.; II 65/65 vom 28. April 1970, BFH 99, 258, BStBl II 1970, 627, und II 119/65 vom 28. April 1970, BFH 99, 402, BStBl II 1970, 670; vgl. auch für den Erwerb von Sportstadien und Friedhöfen die BFH-Urteile II 79/52 vom 15. April 1953, BFH 57, 373, BStBl III 1953, 146, und II 135/52 S vom 22. April 1953, BFH 57, 410, BStBl III 1953, 160, wo ebenfalls bereits entschieden ist, daß dann, wenn nur ein Teil eines Grundstücks steuerbegünstigten Zwecken dient, die Steuerbefreiung nur für den Erwerb dieses Teils zu gewähren ist). - Da es für die Befreiung nur auf den objektiven Verwendungszweck ankommt, muß es - von ausdrücklich anders lautendem Gesetzesbefehl abgesehen - unerheblich bleiben, ob und aus welchen Gründen die "überhängende" Grundstücksfläche miterworben werden mußte. Abgesehen davon, daß der Weg einer Enteignung nicht gewählt worden ist, kann es deshalb nicht darauf ankommen, ob der bisherige Grundstückseigentümer gemäß Art. 11 Abs. 4 des Württembergischen Gesetzes betreffend die Zwangsenteignung von Grundstücken und von Rechten an Grundstücken vom 20. Dezember 1888 (Regierungsblatt für das Königreich Württemberg 1888 S. 446) die Enteignung des ganzen Grundstücks hätte verlangen können.
Die Richtigkeit der Auffassung des Senats wird durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt. § 8 (Abs. 1) Nr. 10 GrEStG 1919/1927 begünstigte den Erwerb von Grundstücken "für Zwecke öffentlicher Straßen". Trotz dieser "milderen" Formulierung hatte der RFH (unter Hinweis auf die Absicht des Gesetzgebers und die Entstehungsgeschichte) bereits durch Urteil II A 263/22 vom 28. November 1922 (RFH 11, 50, Mrozek-Kartei, Grunderwerbsteuergesetz, § 8 Abs. 1 Nr. 10 Satz 1, Rechtsspruch 7) entschieden, daß Steuerbefreiung nur gewährt werden konnte, wenn das Grundstück unmittelbar der Straßenanlegung diente. Im Urteil II A 543/21 vom 5. Januar 1922 (RFH 8, 13, RStBl 1922, 166, Mrozek-Kartei, Grunderwerbsteuergesetz, § 8 Abs. 1 Nr. 10 Satz 1, Rechtsspruch 2, mit § 8 Abs. 1 Nr. 9, Rechtsspruch 3 a) hatte er die Auffassung vertreten, daß in den Fällen, in denen nur ein Teil des Grundstücks dem Straßenbau dienen sollte, nicht etwa - wie der Steuergläubiger meinte - die Steuerbefreiung überhaupt entfalle, daß sie aber nur für den Erwerb des Teilgrundstücks eintrat. Wenn der Gesetzgeber, dem diese Rechtsprechung nicht unbekannt war, in dem "entsprechenden" § 4 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG 1940 (vgl. amtliche Begründung RStBl 1940, 387, 397 linke Spalte) - wenn auch unter Herausnahme des Nachversteuerungstatbestandes aus § 8 (Abs. 1) Nr. 10 Satz 2 GrEStG 1919/1927 selbst ("Falls und insoweit ...") in § 4 Abs. 2 GrEStG 1940 unter Anpassung des Wortlauts für alle in Betracht kommenden Tatbestände des § 4 Abs. 1 GrEStG 1940 - statt der bisherigen Worte "für Zwecke öffentlicher Straßen" in bewußter Abweichung die Worte "zur Schaffung und Erweiterung von öffentlichen Straßen" gewählt hat, so spricht dieser Wortlaut dafür, daß hierdurch der bisherigen Rechtsprechung des RFH durch einen präziseren Gesetzestext Rechnung getragen werden sollte (vgl. hierzu RFH-Urteil II 13/41 vom 27. März 1941, RStBl 1941, 416).
Aus der Sicht der bisherigen ständigen Auslegung des § 4 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a GrEStG 1940 durch den RFH und den BFH wird es schließlich auch verständlich, wenn der baden-württembergische Gesetzgeber in § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des dortigen GrEStG 1966 (Gesetzblatt S. 165) den Gesetzeswortlaut "zur Schaffung und Erweiterung öffentlicher Straßen" beibehalten, jedoch um den Zusatz "einschließlich des Zubehörs (insbesondere der Sichtflächen) und der Nebenanlagen" erweitert hat. Wenn es schon eines ausdrücklichen gesetzlichen Zusatzes für Zubehör und Nebenanlagen bedurfte, so kann eine Steuerbefreiung, die auch die weder unmittelbar noch mittelbar Straßenzwecken dienenden Flächen umfangen würde, keinesfalls in Betracht gezogen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 69173 |
BStBl II 1970, 872 |
BFHE 1971, 228 |