Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsteuer
Leitsatz (amtlich)
Hat ein Steuerpflichtiger versäumt, bei der ersten Veranlagung des Grundsteuermeßbetrags nach der Bezugsfertigkeit einer Wohnung die Grundsteuervergünstigung geltend zu machen, so kann er das auf den Beginn eines folgenden Kalenderjahres nachholen. Dies gilt jedoch nur, wenn die Voraussetzungen für die Steuervergünstigung bei der Bezugsfertigkeit der Wohnung vorgelegen haben und seitdem nicht fortgefallen sind. Die Steuervergünstigung ist in einem solchen Fall nur noch für den Rest der Laufzeit des Vergünstigungszeitraums zu gewähren.
Ist für ein Wohnheim, das bis zum 30. Juni 1956 bezugsfertig geworden ist, die Grundsteuervergünstigung wegen verspäteter Geltendmachung nicht für den ganzen Vergünstigungszeitraum von 10 Jahren, sondern nur für einen Rest der Laufzeit des Vergünstigungszeitraums gewährt worden oder zu gewähren, so ist sie auf Antrag nach den Vorschriften der §§ 92 bis 94 2. WoBauG noch zusätzlich auf die Dauer der ausgefallenen Jahre zu gewähren.
Normenkette
WoBauG §§ 7, 47; 2-WoBauG 110/3
Tatbestand
Die Beschwerdeführerin (Bfin.) hat im Jahre 1950 ein Ledigenheim errichtet, das neben den gemeinschaftlich genutzten Räumen zwei Einbettzimmer, zehn Zweibettzimmer, sechs Vierbettzimmer und eine Hausmeisterwohnung enthält. Zum 1. Januar 1951 ergab die Feststellung des Einheitswerts 65.700 DM und die Festsetzung des Grundsteuermeßbetrages 459,90 DM. Die maßgebenden Bescheide wurden von der Bfin. nicht angefochten.
Im Jahre 1952 errichtete die Bfin. auf dem gleichen Grundstück ein weiteres Ledigenheim (Hinterhaus), das neben den gemeinschaftlich genutzten Räumen zwei Einbettzimmer, zwölf Zweibettzimmer und sieben Vierbettzimmer enthält. Die Fortschreibung des Einheitswerts zum 1. Januar 1953 ergab einen Einheitswert von 164.400 DM und einen Grundsteuermeßbetrag von 1.150,80 DM. Auf den Einspruch hin wurde durch änderungsbescheide vom 13. Juli 1954 der Einheitswert auf 77.100 DM und der Grundsteuermeßbetrag auf 539,70 DM herabgesetzt. Auch diese Bescheide wurden von der Bfin. nicht angefochten.
Am 3. September 1954 teilte das städtische Wohnungsbau- und Siedlungsamt dem Finanzamt mit, daß es die Anträge der Bfin. vom 5. September 1952 und vom 20. Mai 1954, ihr für die beiden Ledigenheime die Bestätigung zur Erlangung der Grundsteuervergünstigung nach dem Ersten Wohnungsbaugesetz (I. WoBauG) zu erteilen, abgelehnt habe. Auf Rückfrage des Finanzamts, wie es mit der Hausmeisterwohnung stehe, wurde bestätigt, daß diese Wohnung die Voraussetzungen der Grundsteuervergünstigung erfülle, daraufhin gewähre das Finanzamt die Grundsteuervergünstigung für die Hausmeisterwohnung und setzte mit Bescheiden vom 28. April 1955 die Grundsteuermeßbeträge fest:
Zum 1. Januar 1951 auf 408,90 DM und zum 1. Januar 1953 auf 512,90 DM. Der weitergehende Antrag der Bfin. wurde abgelehnt.
Auf die Sprungberufung der Bfin. hat die Vorinstanz mit der Begründung, daß die ursprüngliche Festsetzung der Steuermeßbeträge (459,90 DM zum 1. Januar 1951 und 539,70 DM zum 1. Januar 1953) rechtskräftig geworden sei, die beiden Bescheide 28. April 1955 aufgehoben und die ursprünglichen Festsetzungsbescheide wieder hergestellt.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
I. - Nach der Entscheidung des Senats III 80/55 U vom 1. Juli 1955 (Slg. Bd. 61 S. 184, Bundessteuerbl. - BStBl - 1955 III S. 269), die zum Bayer. Gesetz über die Grundsteuerfreiheit und Gebührenfreiheit für den sozialen Wohnungsbau ergangen ist, kann ein Verzicht auf die Grundsteuerbefreiung für neuerrichtete Kleinwohnungen nicht darin erblickt werden, daß die Grundsteuerbefreiung bei der ersten Veranlagung des Grundsteuermeßbetrags nach der Bezugsfertigkeit der Kleinwohnungen nicht geltend gemacht wird. Vielmehr kann die Grundsteuerbefreiung auch noch später, das heißt nach Rechtskraft des Steuermeßbescheids, geltend gemacht werden. In einem solchen Fall kann die Steuerbefreiung jedoch nur noch für den Rest der Laufzeit des Befreiungszeitraums gewährt werden. Die Gründe, die zu dieser Entscheidung geführt haben, liegen auch für die Grundsteuervergünstigung nach dem 1. WoBauG vor. Der Senat kommt daher zu dem Ergebnis, daß der Bfin. für die Hausmeisterwohnung die Grundsteuervergünstigung wenigstens für einen Rest der Laufzeit des Befreiungszeitraums zu gewähren ist.
II. - Der Senat hat im Urteil III 158/55 S vom 16. Dezember 1955 (Slg. Bd. 62 S. 126, BStBl 1956 III S. 47) weiter entschieden, daß die Grundsteuervergünstigung nach dem 1. WoBauG auch für einzelne neugeschaffene Wohnräume gilt und daß solche Wohnräume auch dann steuerbegünstigt sein können, wenn sie nicht in eine vorhandene Wohnung einbezogen werden, sondern für sich bestehen (z. B. Wohnräume in Wohnheimen). Entsprechend den Ausführungen zu I. oben müßte der Bfin. für das Wohnheim schon nach den Vorschriften des 1. WoBauG für einen Rest der Laufzeit des Befreiungszeitraums die Grundsteuervergünstigung gewährt werden. Es ist jedoch hinsichtlich des Wohnheims der Bfin. zu berücksichtigen, daß seit dem Tage, an dem das Urteil des Finanzgerichts ergangen ist (28. März 1956), die Rechtslage durch § 110 Abs. 3 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (Wohnungsbau- und Familienheimgesetz) - 2. WoBauG - vom 27. Juni 1956 (Bundesgesetzbl. I S. 523) eine änderung erfahren hat. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs III 48/52 S vom 6. November 1953 (Slg. Bd. 58 S. 190, BStBl 1953 III S. 364) hat der Bundesfinanzhof rückwirkende Rechtsänderungen zwischen dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung und der Entscheidung durch den Bundesfinanzhof zu berücksichtigen.
In § 110 Abs. 3 2. WoBauG ist folgendes bestimmt: Ist für Wohnheime, die bis zum 30. Juni 1956 bezugsfertig geworden sind, die Grundsteuerbefreiung bisher noch nicht gewährt worden, so ist sie auf Antrag nach den Vorschriften der §§ 92 bis 94 2. WoBauG auf die von 10 Jahren vom 1. April des Jahres an zu gewähren, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem der Antrag gestellt worden ist. Danach kann also für Wohnheime, die während der zeitlichen Geltungsdauer des 1. WoBauG bezugsfertig geworden sind und bisher keine Grundsteuervergünstigung erlangt haben, noch nachträglich die Grundsteuervergünstigung für volle zehn Jahre gewährt werden. Bei wörtlicher Auslegung des § 110 Abs. 3 2. WoBauG würden Wohnheime, für die nach den Vorschriften des 1. WoBauG die Grundsteuervergünstigung nicht für volle zehn Jahre, sondern nur für den Rest der Laufzeit des Vergünstigungszeitraums gewährt worden ist oder zu gewähren ist, schlechter gestellt sein als jene Wohnheime, für die bisher überhaupt keine Vergünstigung geltend gemacht worden ist. Das kann nicht dem Sinn dieser Vorschrift entsprechen. Der Senat ist der Auffassung, daß in solchen Fällen die Steuervergünstigung auf Antrag nach den Vorschriften der §§ 92 bis 94 2. WoBauG zusätzlich für die ausgefallenen Jahre zu gewähren ist. Die Steuervergünstigung für diese Jahre beginnt vom 1. April des Jahres an, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem der Antrag gestellt worden ist.
III. - Die Vorentscheidung unterliegt der Aufhebung. Die nicht spruchreife Sache wird zweckmäßig an das Finanzamt zur weiteren Untersuchung und Entscheidung - unter Berücksichtigung der geänderten Rechtslage und der vorstehenden Ausführungen - zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 408564 |
BStBl III 1956, 339 |
BFHE 1957, 373 |
BFHE 63, 373 |