Leitsatz (amtlich)
Hat ein Unternehmer vor dem 9. Mai 1973 ein typengenormtes Fertighaus bestellt, aber erst nach diesem Stichtag sowohl den Antrag auf Baugenehmigung gestellt als auch das Fertighaus auf vorbereiteten Fundamenten montieren lassen, ist die Heranziehung zur Selbstverbrauchsteuer nach § 30 UStG 1973 aufgrund von § 27 Abs. 15 Satz 3 UStG 1973 ausgeschlossen.
Normenkette
UStG 1973 §§ 30, 27 Abs. 15
Tatbestand
Der Kläger betreibt den Lebensmitteleinzelhandel. Im Januar 1973 schloß er zwecks Errichtung eines Supermarkts in Fertigbauweise mit einem Hersteller von Fertighäusern einen Vertrag über die Lieferung eines "Supermarktes Typ 550" gemäß Typenangebot und Preisliste 1972 ab. Der Preis für das Fertighaus betrug 265 200 DM zuzüglich Umsatzsteuer. Der Antrag auf Baugenehmigung wurde nach Vorverhandlungen endgültig am 26. Juni 1973 gestellt. Nach deren Erteilung wurde das Fertighaus vom Hersteller gemäß erstelltem Terminplan auf den vorbereiteten Fundamenten zusammengesetzt. Zum 1. Dezember 1973 vermietete der Kläger den Supermarkt unter Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 des Umsatzsteuergesetzes 1973 (UStG 1973) und übergab dem Mieter an diesem Tage das Mietobjekt.
Das Finanzamt (Beklagter) hielt die Fertighauserrichtung für steuerpflichtig gemäß § 30 Abs. 2 UStG 1973 und setzte demgemäß bei der Festsetzung der Umsatzsteuervorauszahlung für Dezember 1973 eine Selbstverbrauchsteuer von 44 550 DM an (11 v. H. aus den Herstellungskosten von insgesamt 405 000 DM). Die Beschwerde gegen den Vorauszahlungsbescheid, mit dem das Finanzamt statt der erklärten negativen Steuerschuld von 38 180,49 DM eine Steuerschuld von 6 369,51 DM festgesetzt hatte, blieb erfolglos.
Die Klage, mit der der Kläger die Nichtsteuerbarkeit der Supermarkterrichtung geltend macht und eine entsprechend abweichende Steuerfestsetzung begehrt, hat das Finanzgericht abgewiesen. In seiner in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1975 S. 187 (EFG 1975, 187) veröffentlichten Entscheidung hat es unter Hinweis auf § 27 Abs. 15 UStG 1973 ausgeführt, der Kläger habe das Gebäude nach dem maßgeblichen Stichtag des 8. Mai 1973 errichtet, da er erst nach diesem Zeitpunkt die Baugenehmigung beantragt habe. Das Finanzgericht ist nicht der Auffassung des Klägers gefolgt, der Gesetzeszweck zwinge dazu, im vorliegenden Fall auf das Datum der Bestellung des Fertighauses abzustellen. Dem stehe der Wortlaut des § 27 Abs. 15 letzter Satz UStG 1973 entgegen. § 27 Abs. 15 UStG 1973 enthalte bezüglich der Selbstverbrauchsteuer bei Gebäuden keine Lücke; es handele sich um eine im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit typisierende Vorschrift. Etwaige sich aus ihrer Anwendung ergebende Härten müßten im Einzelfall als Folge einer typisierenden Regelung hingenommen werden. Auch das Gesetzesziel einer Konjunkturdämpfung zwinge zu keiner anderen Beurteilung. Die Anwendung des § 30 UStG 1973 sei selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn ein i. S. des Gesetzes konjunkturgerechtes Verhalten nicht möglich gewesen wäre oder zu anderen finanziellen Belastungen geführt hätte. Die Besteuerung der Investitionen innerhalb eines bestimmten Zeitraums führe in jedem Falle zu einer Härte für diejenigen Unternehmer, die aus wirtschaftlichen oder rechtlichen Gründen zum Investieren gezwungen gewesen seien. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Heranziehung zur neuen Selbstverbrauchsteuer bestünden nicht, da die gesetzliche Regelung im vorliegenden Fall einen noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt erfaßt habe, also eine sog. unechte Rückwirkung i. S. der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegeben sei.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 27 Abs. 15 UStG 1973. Das Finanzgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, die Bestellung und Errichtung eines Fertighauses sei wie die Errichtung eines Massivgebäudes herkömmlicher Bauart zu behandeln. Deshalb habe das Finanzgericht bei der Rechtsanwendung außer acht gelassen, daß er, der Kläger, im Januar 1973 ein typengenormtes Fertighaus gekauft habe; Rechtsgeschäfte dieser Art würden wie der Kauf anderer beweglicher Anlagegüter abgewickelt, was sich z. B. bei der Regelung des Gefahrüberganges vom Fertighaushersteller auf den Kläger (bei Abgang im Werk) zeige.
Der Kläger beantragt, die Umsatzsteuervorauszahlung 1973 entsprechend seinem Klagantrag festzusetzen. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet.
1. Nach § 30 Abs. 2 UStG 1973 unterliegt die Zuführung von abnutzbaren körperlichen Wirtschaftsgütern zur Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen der Steuer für den Selbstverbrauch. Diese neue Selbstverbrauchsteuer erfaßt nach der den § 30 Abs. 2 UStG 1973 ergänzenden Bestimmung des § 27 Abs. 15 Satz 1 UStG 1973 grundsätzlich die in der Zeit vom 9. Mai 1973 bis zum 30. April 1975 bewirkten Zuführungen. Jedoch ist nach Satz 2 des § 27 Abs. 15 UStG 1973 auch eine nach dem 30. April 1975 liegende Zuführung von Wirtschaftsgütern selbstverbrauchsteuerpflichtig, wenn der Unternehmer das Wirtschaftsgut in der Zeit vom 9. Mai 1973 bis zum 30. April 1975 bestellt oder mit dessen Herstellung begonnen hatte. Andererseits wird nach § 27 Abs. 15 Satz 3 UStG 1973 eine im Zeitraum des 9. Mai 1973 bis 30. April 1975 bewirkte Zuführung des Wirtschaftsgutes von der Selbstverbrauchsteuerpflicht ausgenommen, wenn der Unternehmer nachweislich vor dem 9. Mai 1973 das Wirtschaftsgut bestellt oder mit seiner Herstellung begonnen hatte. Die Gesamtheit dieser Regelungen, die durch eine Ausweitung bzw. Einengung eines Grundtatbestandes gekennzeichnet ist, läßt die folgende gesetzgeberische Konzeption erkennen:
Fallen sowohl Bestellung des Wirtschaftsgutes bzw. Beginn seiner Herstellung als auch seine Zuführung zur Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen in die Zeit vom 9. Mai 1973 bis zum 30. April 1975, tritt Selbstverbrauchersteuerpflicht ein (Grundtatbestand). Fällt lediglich die Bestellung bzw. der Beginn der Herstellung in den vorbezeichneten Zeitraum, dann setzt der Unternehmer mit diesen unternehmerischen Handlungen die entscheidenden Bedingungen für die Selbstverbrauchsteuerpflicht, mag auch die Zuführungshandlung zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt vorgenommen werden (Ausweitung der Steuerpflicht). Hat dagegen der Unternehmer vor dem 9. Mai 1973 das Wirtschaftsgut bestellt oder mit dessen Herstellung begonnen, dann bleibt er wegen eben dieser vor dem 9. Mai 1973 getroffenen Entscheidung auch bei Zuführung im Zeitraum des 9. Mai 1973 bis 30. April 1975 von der Selbstverbrauchsteuerpflicht unberührt (Einengung der Steuerpflicht).
Damit hat die neue Selbstverbrauchsteuer gegenüber der alten Selbstverbrauchsteuer eine entscheidende Gewichtsverlagerung vollzogen. Bei der alten Selbstverbrauchsteuer war der Eintritt der Selbstverbrauchsteuerpflicht von der Zuführungshandlung und ihrem Zeitpunkt abhängig (vgl. Urteil vom 18. August 1977 V R 33/75, BFHE 123, 209, BStBl II 1977, 883). Zwar muß auch bei der neuen Selbstverbrauchsteuer das Tatbestandsmerkmal der Zuführung gegeben sein, um Steuerpflicht zu begründen; jedoch knüpft diese neue Steuer in erster Linie an die Bestellung bzw. den Beginn der Herstellung des Wirtschaftsgutes an. Das machen die Regelungen zur Einengung bzw. Ausweitung des Steuertatbestandes besonders deutlich. Sie sind Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, zur Dämpfung der Konjunktur und zur Bremsung des Preisanstiegs u. a. auch steuerliche Maßnahmen einzusetzen (vgl. Bundestags-Drucksache 7/592), die für den Bereich der Umsatzsteuer laut Bulletin der Bundesregierung Nr. 53 vom 11. Mai 1973 S. 487 ausdrücklich als Investitionssteuer bezeichnet wurden. Das gesetzgeberische Ziel, das möglichst umgehend, und zwar rückwirkend auf den Tag der Beschlußfassung des Bundeskabinetts über das zweite Stabilitätsprogramm (9. Mai 1973) verwirklicht werden sollte, war die unmittelbare und bei einem Steuersatz von 11 v. H. auch nachdrückliche Einwirkung auf die unternehmerischen Investitionsentschlüsse. Deshalb war es folgerichtig, bei der Ausgestaltung des Steuertatbestandes wesentlich an den am 9. Mai 1973 und später getroffenen Investitionsentschluß des Unternehmers anzuknüpfen; auf diesen Entschluß sollte zur Dämpfung der Konjunktur und des Preisanstiegs prohibitiv eingewirkt werden. Der wohlverstandene Sinn der Besteuerung von Investitionen kann nicht die Erzielung eines möglichst hohen Steueraufkommens, sondern muß die gewünschte Einschränkung bzw. der Aufschub von Investitionen sein.
2. Eine solche nach Wortlaut des § 27 Abs. 15 Sätze 1 bis 3 UStG 1973 sowie nach der Zielsetzung der neuen Selbstverbrauchsteuer erstrebte Besteuerungswirkung konnte im vorliegenden Fall nicht erreicht werden; denn der Kläger hatte seinen Investitionsentschluß bereits im Januar 1973 durch Kauf eines Fertighauses vollzogen. Die gleichwohl vom Finanzgericht bejahte Heranziehung zur neuen Selbstverbrauchsteuer kann nicht auf § 27 Abs. 15 letzter Satz UStG 1973 gestützt werden, der als Zeitpunkt des Beginns der Herstellung eines Gebäudes typisierend denjenigen Tag bestimmt, an dem der Antrag auf Baugenehmigung gestellt worden ist. Diese Vorschrift greift nur ein, wenn eine Investition sich nur als einheitlicher Herstellungsvorgang in bezug auf ein Wirtschaftsgut beurteilen läßt.
In dieser Frage ist zwar davon auszugehen, daß der Kläger nach der Errichtung des Supermarktes seinem Anlagevermögen ein Gebäude zugeführt und für dieses die Baugenehmigung erst nach dem 8. Mai 1973 beantragt hat. Die wirtschaftlichen Gegebenheiten zeigen jedoch auf, daß der Kläger damit nicht - wie es bei formaler Betrachtung den Anschein hat - einen nach dem 8. Mai 1973 getroffenen Investitionsentschluß durch Herstellung eines Wirtschaftsgutes verwirklicht hat. Die Einholung der Baugenehmigung selbst (nach länger zurückreichenden Vorverhandlungen) und die Errichtung des Supermarktes sind nur Folgen der vor dem 9. Mai 1973 getroffenen unternehmerischen Grundentscheidung, zunächst ein typengenormtes Fertighaus zu erwerben und später auf vorbereiteten Fundamenten errichten zu lassen. Dieser Erwerbsvorgang beruht auf einer Bestellung i. S. des § 27 Abs. 15 UStG 1973. Mit ihr war einerseits das Investitionsvorhaben mit den für den Kläger aus dem Vertragsabschluß folgenden zivilrechtlichen Bindungen eingeleitet (der entscheidende Schritt war getan) und andererseits mit dem typengenormten Fertighaus (auch im zerlegten Zustand) ein Wirtschaftsgut erworben, das - im Gegensatz zu Massivbauten - bautechnisch betrachtet an jedem beliebigen Ort errichtet werden konnte. Da den Tatbestandsmerkmalen der Bestellung bzw. Herstellung das entscheidende Gewicht zukommt, ist es folgerichtig, bei der Zuordnung als Anschaffungsvsorgang oder als Herstellungsvorgang nicht auf das Wirtschaftsgut im Zustand der Zuführung abzustellen, sondern die Verhältnisse im Zeitpunkt der Bestellung bzw. bei Beginn der Herstellung zu berücksichtigen. Im Regelfall werden Gegenstand der Bestellung bzw. Herstellung sowie derjenige der Zuführung deckungsgleich sein. Im hier vorliegenden Ausnahmefall sind sie es jedoch nicht. Eine starre Anlehnung an einkommensteuerrechtliche Grundsätze, wie sie im Einführungsschreiben des Bundesministers der Finanzen (BdF) vom 28. Dezember 1973 Tz. 29 f. (BStBl I 1974, 16) befürwortet wird, würde jedenfalls beim vorliegenden Sachverhalt zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen (vgl. demgegenüber BdF-Schreiben zur Verkürzung des Anwendungszeitraumes vom 6. Mai 1974 Tz. 5, BStBl I 1974, 260).
Fundstellen
Haufe-Index 73062 |
BStBl II 1979, 289 |
BFHE 1979, 77 |