Leitsatz (amtlich)
Eine Mehrheit von Räumen kann dann nicht als Wohnung angesehen werden, wenn keiner der Räume eindeutig für Kochzwecke ausgestaltet ist und hierfür auch nicht genutzt wird.
Normenkette
BewDV i.d.F. vor BewG 1965 § 32 Abs. 1 Nr. 4
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Eigentümerin eines Grundstücks, das mit einem 1922/1923 errichteten Wohnhaus bebaut ist. Das Haus enthält im Erdgeschoß vier Zimmer, Küche, WC und Dusche sowie zwei Nebenräume; im Obergeschoß sind sechs Zimmer, Bad und ein Nebenraum vorhanden.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) führte im Anschluß an eine Besichtigung des Hauses zum 1. Januar 1960 eine Art- und Wertfortschreibung durch und stellte die Grundstückshauptgruppe "Einfamilienhaus" und einen Einheitswert von 29 600 DM fest. Die Klägerin beantragte, den Einheitswert für ihr Grundstück zum 1. Januar 1969 zur Fehlerbeseitigung erneut fortzuschreiben und wie früher die Grundstückshauptgruppe "Mietwohngrundstücke" festzustellen. Das FA lehnte diesen Antrag ab.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das FG hat die Klage abgewiesen.
Die Revision der Klägerin rügt, das FG habe zu Unrecht angenommen, in ihrem Haus sei nur eine Wohnung vorhanden. Unverständlich sei die Meinung des FG, daß als Kriterium für eine selbständige Haushaltsführung auch eine Küche mit Nebengelassen erforderlich sei. Dem stehe entgegen, daß in dem Haus seit Bezugsfertigkeit tatsächlich mehrere Haushalte geführt worden seien. Der Zustand am 1. Januar 1969 sei als Ausnahmezustand nicht von Dauer gewesen. Nach Auszug der letzten Mieter 1956 sei das Haus nicht mehr zu vermieten gewesen. Inzwischen hätten auch die Söhne der Klägerin ein Alter erreicht, daß sie eine eigene Wohnung beanspruchen könnten. Dem Sohn der Klägerin, der nach Beendigung seines Studiums im Obergeschoß drei Räume bewohne, könne nicht deshalb eine eigene Wohnung abgesprochen werden, weil er die Mahlzeiten am Tisch seiner Mutter einnehme und deshalb eine Küche nicht benutze.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und festzustellen, daß ihr Grundstück ein Mietwohngrundstück sei.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet.
Das FG hat ohne Rechtsirrtum entschieden, daß es sich bei dem Grundstück der Klägerin um ein Einfamilienhaus handelt.
a) Für die begehrte Feststellung zum 1. Januar 1969 ist entsprechend der zutreffenden Rechtserkenntnis des FG gemäß Art. 2 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom 13. August 1965 (BGBl I 1965, 851, BStBl I 1965, 375) die Rechtslage vor Erlaß des Bewertungsgesetzes 1965 maßgebend. Nach § 32 Abs. 1 Nr. 4 der Durchführungsverordnung zum BewG in der Fassung vor dem BewG 1965 waren als Einfamilienhäuser solche Wohngrundstücke anzusehen, die nach ihrer baulichen Gestaltung nicht mehr als eine Wohnung enthalten. Das Gesetz gibt keine Bestimmung des Wohnungsbegriffs. Der Senat hat jedoch in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß unter einer Wohnung die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen zu verstehen ist, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, daß sie die Führung eines selbständigen Haushalts ermöglichen. An sich erfordert der Begriff der Wohnung, daß die zu ihr gehörigen Räume gegen andere Wohnungen oder Wohnräume baulich abgeschlossen sind und einen selbständigen Zugang haben (vgl. BFH-Urteil vom 9. Dezember 1970 III R 3/69, BFHE 101, 266, BStBl II 1971, 230). Der Senat hat es unter Berücksichtigung des zur Zeit vorhandenen Wohnungsbestandes aber für ausreichend angesehen, wenn sich die Zusammenfassung mehrerer Räume zu einer Wohnung aus der Lage dieser Räume zueinander, aus ihrer Zweckbestimmung und der dieser Zweckbestimmung entsprechenden tatsächlichen Nutzung ergibt (Urteil III R 3/69). Jedenfalls erfordert die Annahme einer Wohnung aber die zur Führung eines Haushaltes erforderlichen Nebenräume; dazu gehört immer eine Küche oder ein Nebenraum mit Kochgelegenheit und den erforderlichen zusätzlichen Einrichtungen (vgl. BFH-Entscheidung vom 26. September 1958 III 244/57 U, BFHE 68, 410, BStBl III 1959, 157).
Für die Entscheidung, ob im Einzelfall eine Mehrheit von Räumen nach ihrer baulichen Gestaltung eine Wohnung bildet, ist nicht die architektonische Zielsetzung bei der Erbauung des Hauses maßgebend, sondern die tatsächliche bauliche Gestaltung, so wie sie sich am maßgebenden Feststellungszeitpunkt darstellt. Auszugehen ist auch nicht von dem äußeren Erscheinungsbild des Gebäudes, sondern von der inneren Gestaltung, wie sie durch ihre Nutzung zutage tritt (vgl. Urteil III R 3/69).
b) Das FG hat unangefochten festgestellt, daß der Sohn der Klägerin im Feststellungszeitpunkt 1. Januar 1969 drei Räume des Obergeschosses des Hauses bewohnte, die nicht gegenüber anderen Räumen baulich abgeschlossen waren. Nach den weiteren unangefochtenen Feststellungen des FG befand sich in einem dieser Räume ein Elektroherd, jedoch fehlten die für die Nutzung als Küche typischen weiteren baulichen Ausstattungsmerkmale, insbesondere eine Spüle. Der Sohn der Klägerin lebte auch tatsächlich im elterlichen Haushalt und benutzte den mit einem Elektroherd ausgerüsteten Raum nicht als Küche. Das FG hat seine Feststellungen zutreffend rechtlich dahin gewürdigt, daß sie nicht ausreichen, um eine eigene Wohnung des Sohnes der Klägerin anzunehmen.
Der Wohnungsbegriff scheitert im Streitfall zwar nicht daran, daß die vom Sohn der Klägerin bewohnten Räume nicht gegenüber anderen Räumen oder Wohnungen baulich abgeschlossen waren. Wenn aber eine baulich eindeutige Gestaltung der Mehrheit von Räumen als Wohnung fehlt, dann müssen alle übrigen Voraussetzungen eindeutig gegeben sein, die an den Wohnungsbegriff zu stellen sind. Bei einer zweifelhaften baulichen Gestaltung, wie sie im Streitfall vorliegt, ist es erforderlich, daß die tatsächliche Nutzung es rechtfertigt, eine Wohnung anzunehmen. Der in der behaupteten Wohnung des Sohnes der Klägerin als Küche bezeichneten Raum erfüllt aber weder eindeutig die baulichen Ausstattungsmerkmale einer Küche noch wird er als Küche genutzt.
Die Einwendungen der Klägerin, eine Küche sei bei den heutigen Lebensgepflogenheiten für den Wohnungsbegriff nicht mehr erforderlich, gehen an den tatsächlichen Verhältnissen vorbei. Dagegen spricht zunächst, daß auch die DIN 283 des Fachnormenausschusses Bauwesen im Deutschen Normenausschuß (Hochbaukosten und umbauter Raum. 10. Aufl., Berlin 1960 S. 23), die nach Auffassung des Senats die Verkehrsanschauung ausdrücken, als Wohnung die Summe der Räume anspricht, "welche die Führung eines Haushaltes ermöglichen, darunter stets eine Küche oder ein Raum mit Kochgelegenheit. Zu einer Wohnung gehören außerdem Wasserversorgung, Ausguß und Abort". Im übrigen kann es sich bei den von der Klägerin für ihre Auffassung herangezogenen Fällen der Entbehrlichkeit der Nutzung einer Küche als solche nur um Verhältnisse handeln, in denen aufgrund der baulichen Gestaltung eindeutig eine Wohnung gegeben und damit eine vollständig ausgerüstete und jederzeit uneingeschränkt als solche nutzbare Küche oder Kochstelle mit allen erforderlichen Nebeneinrichtungen und Geräten vorhanden ist. In diesen Fällen mag es für die Annahme einer Wohnung ohne Bedeutung sein, ob die Bewohner die Küche tatsächlich benutzen oder sich anderweitig verpflegen lassen; denn der Wohnungsbegriff wird hier durch die objektiven baulichen Gegebenheiten eindeutig erfüllt. Fehlt jedoch eine solche Küche oder Kochgelegenheit, so liegt schon objektiv keine Wohnung vor, so daß es auf die subjektiven Vorstellungen nicht ankommen kann.
Das FG hat aufgrund seiner unangefochtenen Feststellungen ohne Rechtsirrtum entschieden, daß sich auf dem Grundstück der Klägerin an dem Feststellungszeitpunkt 1. Januar 1969, zu dem die Artfortschreibung begehrt wird, nur eine Wohnung befand. Wie das Haus in früheren Jahren tatsächlich genutzt worden ist oder in Zukunft genutzt werden wird, muß für die Entscheidung über den Antrag auf Artfortschreibung zum 1. Januar 1969 außer Betracht bleiben, weil für die begehrte Feststellung nur die Verhältnisse zu Beginn des Jahres 1969 berücksichtigt werden können (§ 22 Abs. 2 BewG in der vor dem BewG 1965 geltenden Fassung). Danach konnte das Grundstück nicht in die Grundstückshauptgruppe der Mietwohngrundstücke eingeordnet werden.
Fundstellen
Haufe-Index 70872 |
BStBl II 1974, 403 |
BFHE 1974, 198 |