Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
1) Einheitswertzurechnungsfortschreibungen hinsichtlich eines Grundstücks sind für die sogenannte Entziehungsperiode gegenüber dem RE-Berechtigten grundsätzlich nicht vorzunehmen.
2) Doch sind ausnahmsweise besondere wirtschaftliche, steuerlich erhebliche, von den Beteiligten selbst tatsächlich geschaffene Entwicklungen des Einzelfalles, z. B. in der Frage des wirtschaftlichen Eigentums am entzogenen Vermögensgegenstand, zu beachten.
Normenkette
StAnpG § 11 Ziff. 4; REAO Art. 79/1/2
Tatbestand
Hinsichtlich des Grundstücks X-Straße 20 in ... hat auf Antrag des Beschwerdeführers (Bf.) ein Rückerstattungs- (= RE) - Verfahren gegen den eingetragenen Eigentümer geschwebt, der das Haus von ihm mit Vertrag vom 28. Dezember 1938 erworben hatte, und dem daraufhin das Grundstück durch Fortschreibung auf den 1. Januar 1939 zugerechnet worden war. Nachdem die Wiedergutmachungskammer dem Antrage unter dem 18. Januar 1952 entsprochen hatte, beauftragte der Bf. am 7. April 1952 seinen Bevollmächtigten in .... seine Wiedereintragung als Eigentümer im Grundbuch zu betreiben. Der seit dem 1. Juli 1950 eingesetzte Treuhänder überließ mit Wirkung vom 30. April 1952 dem Bf. vorbehaltlos Besitz und Nutzung des Grundstücks.
Daraufhin hat das Finanzamt von Amts wegen die streitige Zurechnungsfortschreibung des Grundstücks zum 1. Januar 1953 einheitswertmäßig auf den Bf. vorgenommen. Dieser hat im Einspruchswege gebeten, die Fortschreibung erst auf den 1. Januar 1954 vorzunehmen. Zwar hätten das Kammergericht und im Anschluß daran der Court of Restitution Appeals (CORA) die Entscheidung der Wiedergutmachungskammer bestätigt; der Beschluß von CORA sei aber erst am 19. März 1953 ergangen. Da die RE-Anordnung erst an diesem Tage rechtskräftig geworden sei, dürfe ihm das Grundstück erst ab 1. Januar 1954 zugerechnet werden. Einspruch und Berufung blieben ohne Erfolg. Die Vorbehörden haben sich auf den Standpunkt gestellt, der Bf. sei infolge der Maßnahme des Treuhänders bereits ab 30. April 1952 in den Besitz des streitigen Grundstücks und in den Genuß der Nutzungen gelangt, habe das Grundstück als ihm gehörig besessen und sei deshalb seitdem Eigenbesitzer; deshalb sei ihm das Grundstück schon ab 1. Januar 1953 zuzurechnen (ß II Ziff. 4 des Steueranpassungsgesetzes).
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) wiederholt der Bf. sein früheres Vorbringen und beruft sich auf die Berliner Anordnung BK/Letter (50) 175 vom 14. Dezember 1950, nach der Steuerverfahren über Gegenstände eines RE-Verfahrens erst dann durchgeführt werden könnten, wenn endgültig der Vermögensgegenstand zugesprochen worden sei, oder wenn der RE-Anspruch durch Verzicht oder Verjährung erloschen sei. Am 1. Januar 1953 sei noch der Rückerstattungsverpflichtete Eigentümer des Grundstücks gewesen.
Entscheidungsgründe
Nach Art. 79 Abs. 1 Satz 2 der West-Berliner RE-Anordnung (REAO) können Ansprüche auf öffentliche Abgaben gegen den RE-Berechtigten für die Zeit, in der ihm die Vermögensgegenstände zu Unrecht entzogen waren, nicht geltend gemacht werden. Deshalb sind auch Einheitswertzurechnungsfortschreibungen hinsichtlich eines Grundstücks für die sogenannte Entziehungsperiode gegenüber dem RE-Berechtigten grundsätzlich nicht vorzunehmen. Hieran ist festzuhalten.
Art. 79 Abs. 1 Satz 2 a. a. O. berücksichtigt indessen lediglich die bürgerlich-rechtliche Entwicklung, die sich aus dem Verlauf und Abschluß des RE-Verfahrens ergibt, das eine besondere Form des Zivilprozeßverfahrens darstellt.
Schon in dem Urteil III 179/53 S vom 25. Juni 1954 (Slg. Bd. 59 S. 81, Bundessteuerblatt 1954 III S. 239) hat der Senat einen wirtschaftlichen Sachverhalt steuerrechtlich anerkannt, den in jenem Falle bereits vor Beginn des RE-Verfahrens vollzogen worden war. Die REAO, die lediglich andere Prozeßverfahren ausschließt (Art. 51 a. a. O.), kann nicht die Nichtbeachtung besonderer wirtschaftlicher, steuerlich erheblicher, von den Beteiligten selbst tatsächlich geschaffener Entwicklungen des Einzelfalles gewollt haben. Solche Entwicklungen können sich, unabhängig von der Entwicklung auf der Ebene des bürgerlichen oder RE-Rechts, ausnahmsweise ergeben.
Dies gilt z. B. für die Frage des wirtschaftlichen Eigentums nach § 11 Ziff. 4 in Verbindung mit § 1 des Steueranpassungsgesetzes. Geht in einem besonders gelagerten Falle das wirtschaftliche Eigentum am entzogenen Vermögensgegenstand schon vor dem Abschluß des RE-Verfahrens (durch rechtskräftige RE-Anordnung oder Vergleich im Sinne des Art. 13 a. a. O.) auf den RE-Berechtigten über, so sind ex nunc die steuerlichen Folgerungen unbeschadet des RE-Verfahrens zu ziehen, in dem über die umfassenden bürgerlich-rechtlichen Fragen der rückwirkenden Wiederherstellung des Eigentums, der Nutzungen für die Zeit ab Entziehung, der Rückgewähransprüche, der Ansprüche auf Erstattung von Aufwendungen usw. zu entscheiden sein wird, wie auch sonst dem übergang des wirtschaftlichen Eigentums derjenige der bürgerlichen Rechte zu folgen pflegt.
Im vorliegenden Falle hat der für beide Parteien mit der Verwaltung des Grundstücks betraute Treuhänder der Militärregierung schon vor Ablauf der förmlichen Entziehungsperiode den Besitz am streitigen Grundstück im Jahre 1952 auf den RE-Berechtigten bzw. seinen Bevollmächtigten übertragen und ihn die Nutzungen ziehen lassen. Die Re-Anordnung hat, ohne allerdings bereits Rechtskraft erlangt zu haben, vorgelegen. Der Treuhänder hat offenbar damit gerechnet, daß die RE-Anordnung alsbald in Rechtskraft erwachsen werde, und die Entwicklung hat ihm rechtsgegeben. Der RE-Berechtigte und sein Bevollmächtigter sind mit dieser Regelung einverstanden gewesen, und der RE-Berechtigte hat durch seinen Bevollmächtigten das Grundstück als ihm gehörig besessen und die Nutzungen gezogen. Damit ist er Eigenbesitzer geworden, und das wirtschaftliche Eigentum ist ihm ab 1. Januar 1953 zuzurechnen. Somit rechtfertigt sich die streitige Zurechnungsfortschreibung.
Die Rb. des Bf. ist mit der Kostenfolge des § 307 der Reichsabgabenordnung als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 408227 |
BStBl III 1955, 242 |
BFHE 1956, 113 |
BFHE 61, 113 |