Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Die Anweisungen in Abschn. 2 Abs. 2 Ziff. 2 und Ziff. 4 LStR 1952 und 1954, nach denen Fehlgeldentschädigungen und der Bezug einer Werkswohnung steuerlich begünstigt sind, sind keine Milderungserlasse i. S. der Rechtsprechung; sie sind Vereinfachungsmaßnahmen der Verwaltung und binden nicht die Gerichte.

EStG 1951 und 1953 § 19 Abs. 1 Ziff. 1; LStDV 1952 und 1954 § 2 Abs. 2 Ziff. 1; LStR 1952 und 1954

 

Normenkette

EStG § 19/1/1; LStDV § 2/2/1; LStR Abschn. 2/2/2; LStR Abschn. 2/2/4

 

Tatbestand

Die Beschwerdegegnerin (Bgin.) betreibt in X. den Bau von Elektrizitätszählern, Tarif- und Schaltapparaten. Sie hat in der Zeit vom 1. September 1952 bis 31. Mai 1954 ihrem Hauptbuchhalter monatlich einen Betrag von 30 DM als Fehlgeltentschädigung gezahlt und ihrem Prokuristen eine Werkswohnung zur Verfügung gestellt. Streitig ist die Lohnsteuerpflicht dieser Bezüge. Das Finanzamt hat mit Haftungsbescheid vom 14. September 1954 und mit der Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 1954 die Lohnsteuerpflicht bejaht. Das Finanzgericht hat die als Fehlgeldentschädigung gezahlten Beträge für lohnsteuerfrei gehalten und hinsichtlich der Gewährung freier Wohnung lediglich für die Zeit ab 1. Januar 1954 Lohnsteuerpflicht angenommen. Es hat den Haftungsbescheid des Finanzamts entsprechend geändert.

 

Entscheidungsgründe

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts. Sie ist im Ergebnis begründet.

Nach § 19 Abs. 1 Ziff. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1951 und 1953 (ß 2 Abs. 2 Ziff. 1 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV - 1952 und 1954) gehören alle Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden, zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Dazu rechnen auch Lohnzuschläge, die für die Besonderheit der Arbeit gewährt werden (ß 2 Abs. 3 Ziff. 5 LStDV). Als Lohnzuschläge dieser Art ist die Fehlgeldentschädigung i. S. des Abschn. 2 Abs. 2 Ziff. 2 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1952 und 1954 anzusehen. Ebensowenig ist zweifelhaft, daß die Erlangung einer freien oder verbilligten Werkswohnung (Dienstwohnung) ein Sachbezug ist, der zum Arbeitslohn gehört.

Im Gegensatz zu den Vorschriften des EStG und der LStDV ist in Abschn. 2 Abs. 2 Ziff. 2 und Ziff. 4 LStR 1952 und 1954 angeordnet, daß unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen Fehlgeldentschädigungen und der Wert einer freien oder verbilligten Werkswohnung innerhalb bestimmter Grenzen nicht zum steuerpflichtigen Arbeitslohn gehören. Das Finanzgericht hat diese Anweisungen ausgelegt, ohne zu untersuchen, ob es als Steuergericht dazu berufen war. Die Prüfung dieser Frage ergibt folgendes:

Die LStR behandeln nach Abs. 1 ihrer Einführung in der Hauptsache Zweifelsfragen und Auslegungsfragen, die sich bei der praktischen Anwendung des Lohnsteuerrechts ergeben haben und von allgemeiner Bedeutung sind. Sie wollen daher keine mit dem Gesetz unvereinbaren zusätzlichen Rechte schaffen. Da die Richtlinien diese Frage "vorbehaltlich der Entscheidung der Rechtsmittelbehörden" behandeln, haben sie schon aus diesem Grund nicht den Charakter einer Rechtsverordnung, so daß die Frage, ob die in § 51 Abs. 1 Ziff. 1 EStG 1951 und 1953 erteilte allgemeine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen im Hinblick auf Art. 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) als ausreichende Grundlage anzusehen ist, hier dahingestellt bleiben kann. Eine besondere Ermächtigung zum Erlaß der im Abschn. 2 Abs. 2 Ziff. 2 und 4 der Richtlinien getroffenen Anordnungen ist nicht erteilt.

Nach der ständigen Rechtsprechung können die Steuergerichte Verwaltungsanweisungen nur anwenden und auslegen, wenn es sich um sogenannte Milderungserlasse aus der Zeit vor Inkrafttreten des GG handelt. Unter Milderungserlassen versteht man Steuermilderungen, die die obersten Verwaltungsbehörden allgemein aus Billigkeitsgründen auf Grund von § 13 der Reichsabgabenordnung (AO) angeordnet haben. Wegen der Entwicklung der Rechtsprechung wird auf das Urteil des Bundesfinanzhofs I 94/54 U vom 16. November 1954 (Slg. Bd. 60 S. 14, Bundessteuerblatt - BStBl - 1955 III S. 6) Bezug genommen.

Die hier streitigen Verwaltungsanweisungen gehen zwar auf Abschn. B Nr. 5 und 9 des gemeinsamen Erlasses des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 20. September 1941 über die einheitliche Behandlung von Lohnbezügen beim Steuerabzug vom Arbeitslohn und bei der Sozialversicherung (Reichssteuerblatt - RStBl - 1941 S. 697) zurück, der auf die früheren §§ 12 und 13 AO gestützt war. Auch sind sie seitdem unverändert in die LStR übernommen worden (vgl. LStR 1948, Amtliches Mitteilungsblatt der Verwaltung für Finanzen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes - AMBlFin. - S. 64; LStR 1950, Ministerialblatt des Bundesministers der Finanzen S. 592); sie befinden sich auch in den LStR 1955.

Der Senat ist jedoch der An sich, daß den Anweisungen in erster Linie der Gedanke der Verwaltungsvereinfachung zugrunde lag. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Fehlgeldentschädigungen sollen Verluste ausgleichen, die mit der Tätigkeit im Kassen- und Zähldienst erfahrungsgemäß verbunden sind. Muß der Arbeitnehmer Verluste ersetzen, so kann er die zurückgezahlten Beträge als Werbungskosten geltend machen. Die in Abschn. 2 Ziff. 2 LStR getroffene Regelung hat zur Folge, daß der Arbeitnehmer Ersatzleistungen bis zur Höhe der empfangenen Fehlgeldentschädigung nicht als Werbungskosten abziehen darf. Die Begünstigung von Fehlgeldentschädigungen hat somit eine Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens zur Folge. Das Entsprechende gilt von der in Ziff. 4 a. a. O. angeordneten Begünstigung für den Bezug von Werkswohnungen. Mit dieser Anweisung soll offensichtlich Arbeitgebern und Finanzverwaltung ein zeitraubendes Eindringen in die Verhältnisse des Einzelfalls erspart werden. Der Arbeitsaufwand würde hier in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zum steuerlichen Ergebnis stehen.

Die hier streitigen Anweisungen stellen somit keinen von den Steuergerichten anzuwendenden und auszulegenden Milderungserlaß dar. Das zur steuerlichen Behandlung einer Fehlgeldentschädigung ergangene Urteil IV 531/52 U vom 3. Juni 1953 (Slg. Bd. 57 S. 662, BStBl 1953 III S. 252) hat zu dieser Frage keine Stellung genommen, da in jedem Fall eine Tätigkeit der Steuerpflichtigen im Kassen- und Zähldienst nicht vorlag, so daß schon aus diesem Grund die Richtlinien nicht anwendbar waren.

Die Nichtanwendung der Richtlinien im vorliegenden Fall bedeutet auch nicht eine Verletzung des Art. 3 GG. Der Gleichheitsgrundsatz gilt nicht gegenüber Bestimmungen, die kein Recht setzen. Die Gerichte können ihre Entscheidungen nur auf Grund gesetzlicher oder ihnen gleichstehender Vorschriften treffen. Soweit einer Anordnung der Normencharakter fehlt, können im gerichtlichen Verfahren keine Rechte aus ihr hergeleitet werden, da andernfalls jede Verwaltungsmaßnahme einer Gesetzesvorschrift gleichgesetzt würde. In einem auf den Grundsätzen der Gewaltenteilung und der Rechtssicherheit fundierten Staatswesen kann nur das verfassungsmäßige, zur Gesetzgebung bestimmte Organ bindende Normen erlassen oder zu deren Erlaß ermächtigen; die Verwaltung kann ohne ausreichende Rechtsgrundlage über das Gesetz hinaus oder gegen das Gesetz kein bindendes Recht schaffen.

Da das Finanzgericht diese Grundsätze verkannt hat, muß die Vorentscheidung aufgehoben werden. Die Sache ist spruchreif. Sowohl die als Fehlgeldentschädigung an den Hauptbuchhalter gezahlten Beträge als auch der volle Wert der dem Prokuristen eingeräumten Werkswohnung gehören zum Arbeitslohn und unterliegen dem Lohnsteuerabzug. Daß etwa dem Hauptbuchhalter infolge Ersatzes von Fehlgeldern zusätzliche Werbungskosten entstanden seien, ist nicht behauptet und aus den Akten nicht ersichtlich.

Demnach war, wie geschehen, zu erkennen. Es erschien dem Senat angezeigt, der Bgin. die Kosten der Rb. nach § 319 Abs. 1 AO zu erlassen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408615

BStBl III 1957, 148

BFHE 64, 396

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