Entscheidungsstichwort (Thema)
Berichtigung nach Fehleraufdeckung durch die Aufsichtsbehörde
Leitsatz (amtlich)
Ein Fehler ist auch „aufgedeckt” im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO, wenn die Aufsichtsbehörde nicht von sich aus, sondern erst auf Veranlassung des Finanzamts den Fehler amtlich feststellt.
Normenkette
AO § 222 Abs. 1 Nr. 3
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob eine Kreditgewinnabgabeveranlagung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 der Reichsabgabenordnung (A0) berichtigt werden kann.
Die Abgabepflichtige war im Jahre 1954 erstmals zu einer Kreditgewinnabgabe von 500 DM veranlagt worden. Auf den Einspruch setzte das Finanzamt im August 1955 die Kreditgewinnabgabe gemäß § 94 Abs. 1 Ziff. 2 AO auf 0 DM fest.
Bei einer Betriebsprüfung im Jahre 1957 beanstandete der Prüfer, daß einige Aktivposten der Übergangsbilanzen zum Währungsstichtage –nämlich Genossenschaftsanteile (2 250 RM), Aktien (32 584 DM) und Delcredere (20 550 DM – zu Unrecht in die auf die Schuldnergewinne angerechneten Gläubigerverluste (§ 162 des Lastenausgleichsgesetzes – LAG–) einbezogen worden seien. Das Finanzamt berechnete daraufhin die Gläubigerverluste neu und berichtigte die Kreditgewinnveranlagung unter Hinweis auf § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO. In dem Berichtigungsbescheid ist die Abgabenschuld auf 12 400 DM festgesetzt.
Im Rechtsmittelverfahren bestritt die Abgabepflichtige die Zulässigkeit_ des – Berichtigungsbescheides, weil neue Tatsachen gemäß § 222 Abs. 1. Ziff. 1 AO nicht gegeben seien. Das Finanzamt trug diesem Einwand Rechnung und erließ einen Änderungsbescheid gemäß § 94 Abs.1 Ziff. 2 AO, in dem es –entsprechend dem Antrage der Abgabepflichtigen– die Abgabeschuld wiederum auf 0 DM festsetzte. In den „Erläuterungen” (Ziffer F) des Bescheides ist ausgeführt:
„Die Berichtigung ist erfolgt wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 AO. Fehleraufdeckung durch die Aufsichtsbehörde bleibt jedoch uneingeschränkt vorbehalten.”
Anschließend legte das Finanzamt den Vorgang der Oberfinanzdirektion vor und bat diese wegen der angeführten Positionen um Fehleraufdeckung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO. Die Oberfinanzdirektion wies das Finanzamt an, die Veranlagung –nunmehr gestützt auf § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO– durch Kürzung der beanstandeten Gläubigerverluste zu berichtigen. Das Finanzamt setzte darauf die Abgabeschuld in einem erneuten Berichtigungsbescheide auf 12 400 DM fest.
Gegen diesen Bescheid wurde geltend gemacht, er habe nicht ergehen dürfen, weil die Oberfinanzdirektion nicht von sich aus, vielmehr erst auf Veranlassung des Finanzamts die Fehler „aufgedeckt” habe (§ 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO). Im übrigen sei eine Fehlerberichtigung nach § 222 Abs.1 Ziff. 3 A0 bei der Kreditgewinnabgabe ohnehin nicht möglich. Die Kreditgewinnabgabe falle als Steuer vom Vermögen unter die Vorschrift des § 222 Abs. 1 Ziff. 3 Halbsatz 3 AO (Verbot der Fehleraufdeckung). Auf das Urteil des Bundesfinanzhofs III 273/57 S vom 7. Februar 1958 (Bundessteuerblatt –BStBl –1958 III S. 157 Slg.Bd. 66 S.407),in dem eine andere Auffassung vertreten werde, könne die Berichtigungsveranlagung auch wegen § 222 Abs.2 AO nicht gestützt werden.
Die Sprungberufung – hatte Erfolg: Das Finanzgericht ist dem Abgabepflichtigen darin beigetreten, daß die Veranlagungen zur Kreditgewinnabgabe von der Möglichkeit der Fehlerberichtigung nach § 222 Abs.1 Ziff. 3 AO ausgeschlossen seien. Die Auffassung des Bundesfinanzhofs in seinem Urteil III 165/57 U vom 18. April 1958 (BStB1 1958 III S. 250, S1g.Bd. 66 S.654) werde von der Kammer nicht geteilt. Sie sei mit dem Wortlaut des Gesetzes und den überkommenen Auslegungsregeln nicht zu vereinbaren.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
1. § 222 Abs.1 Ziff.3 AO setzt entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin (Bgin.) nicht voraus, daß die Aufsichtsbehörde von sich aus ohne Zutun das Finanzamts einen Fehler aufdeckt. Es Genügt, wenn der Fehler von der Aufsichtsbehörde amtlich festgestellt wird. Es ist unerheblich, bei welcher Gelegenheit, dies geschieht (vgl. auch Vogel, Die Berichtigungsveranlagung, Der Rechts- und Steuerdienst, Heft 41 S. 57; Kühn, Reichsabgabenordnung, § 222 Anm.7d; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, § 222 Anm. 33). Die Tatsache, daß der Fehler auf Anregung des Finanzamts von der Oberfinanzdirektion aufgedeckt worden ist, schließt daher die Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO nicht aus.
2. Auch in der Beurteilung hinsichtlich des Verhältnisses, das zwischen § 222-Abs.1 Ziff. l und Abs.1 Ziff.3 AO besteht, kann der Auffassung der Bgin. nicht gefolgt werden. Eine Berichtigungsveranlagung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil keine neuen Tatsachen im Sinne der Ziff. 1 a.a.O. vorliegen. Die Vorschriften des § 222 Abs. 1 AO und die dort unter Ziff. 1 und 3 jeweils eröffneten Berichtigungsmöglichkeiten sind vielmehr in ihren Voraussetzungen voneinander unabhängig.
3. Zu der Frage der Fehlerberichtigung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO bei der Kreditgewinnabgabe ist erstmals in dem Urteil III 273/57 S vom 7. Februar 1958 vom 7. Februar 1958 (BStBl 1958 III S. 157, Slg.Bd. 66 S. 407) richtungweisend für die Abgaben nach dem LAG Stellung genommen worden. Eine anderweitige Beurteilung dieser Rechtsfrage durch eine frühere höchstrichterliche Entscheidung liegt nicht vor. § 222 Abs. 2 AO scheidet daher aus.
In der Entscheidung vom 7. Februar 1958 ist eingehend dargelegt, aus welchen Gründen die Vorschrift des § 222 Abs. 1 Ziff. 3 Halbsatz 2 AO nur für die laufend (periodisch) veranlagten Steuern gilt, nicht aber für solche, die durch einen einmaligen, besonderen Anlaß ausgelöst werden. Zu den letzteren gehören die Abgaben nach dem LAG, also auch die Kreditgewinnabgabe. In seinem Urteil III 165/57 U vom 18. April 1958 (BStBl 1958 III S. 250, SLG. Bd. 66 S. 654) hat der Senat in Fortentwicklung seiner Rechtsprechung die Vorschrift des § 222 Abs. 1 Ziff.3 Halbsatz 1 AO überdies bei der Vermögensabgabe für anwendbar erklärt und damit auch die Möglichkeit der Fehlerberichtigung bejaht (vgl. auch das zur Hypothekengewinnabgabe ergangene Urteil des Senats III 281/58 U vom 29. April 1960, BStBl 1960 III 298, Slg. Bd. 71 S. 134).
Der Senat hält an seiner Ansicht fest, daß eine Fehlerberichtigung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO bei der Kreditgewinnabgabe zulässig ist. Dies hat die Vorinstanz verkannt. Ihre Entscheidung war daher aufzuheben (§§ 296, 288 AO).
Die Sache geht unter Hinweis auf § 296 Abs. 4 AO an das Finanzgericht zurück, damit dieses nunmehr prüft und entscheidet, ob und inwieweit die Beanstandungen, die zu der Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 3 AO geführt haben, sachlich berechtigt sind.
Fundstellen