Leitsatz (amtlich)

Für die Abgabenfreiheit für Übersiedlungsgut genügt es, daß der Übersiedelnde mindestens ein Jahr im Zollausland oder in einem Zollfreigebiet gewohnt hat. Er braucht dort weder seßhaft geworden zu sein noch dort den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen gehabt zu haben.

 

Normenkette

ZG § 24; AZO § 41 Abs. 1, 2 S. 1; ZollDA E Nr. 19; EWGV Art. 177

 

Tatbestand

Der Kläger war bei der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) in Brüssel vom 1. Januar bis 31. Dezember 1965 angestellt. Während dieser Zeit kaufte er bei der Firma M. in Brüssel einen PKW der Marke BMW. Das Kraftfahrzeug war von Deutschland in Einzelteilen nach Belgien geliefert und dort montiert worden. Auf Grund der Vergünstigungen für EWG-Bedienstete wurde es in Belgien nicht verzollt und am 1. Oktober 1965 zum Verkehr zugelassen. Während seiner Tätigkeit in Brüssel hatte der Kläger seinen Familienwohnsitz in S. (Bundesrepublik Deutschland – BRD –) beibehalten und war durchschnittlich alle zwei Wochen am Wochenende dorthin zurückgekehrt. Nach Beendigung seiner Tätigkeit in Brüssel führte er den PKW in die BRD ein und beantragte beim Zollamt (ZA) die Abfertigung zum freien Verkehr. Das ZA erhob die Eingangsabgaben.

Nach erfolglosem Einspruch wies das Finanzgericht (FG) die Klage ab.

Mit der auf Nichtzulassungsbeschwerde hin zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, daß das Kraftfahrzeug auf Grund des Zusatzprotokolls über die Vorrechte und Befreiungen der EWG vom 17. April 1957 (BGBl II, 1182) frei von Eingangsabgaben sei. Das Zusatzprotokoll sei Bestandteil der Verträge (vgl. Art. 239 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – EWGV –) und gehe nationalem Recht vor. Nach Art. 11 Buchst. d a. a. O. erstrecke sich die Vergünstigung auf alle persönlichen Gebrauchsgegenstände, die im Eigentum des Bevorrechtigten oder seiner Familienangehörigen stehen. Der deutsche Gesetzgeber habe nicht „im einen oder anderen Falle” von Art. 11 Buchst. d abweichende Vorschriften erlassen. Die Worte „zollfrei wieder ausführen” würden auch die Abgabenfreiheit im Heimatland umfassen. Es handle sich um eine Auslegungsfrage, die dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EGH) gemäß Art. 177 EWGV vorgelegt werden müßte.

Das HZA führt aus, daß die Vorschriften des Zusatzprotokolls lediglich die zollfreie Einfuhr der persönlichen Gebrauchsgegenstände der begünstigten Bediensteten bei Dienstantritt in dem Beschäftigungsland und die zollfreie Wiederausfuhr dieser Gebrauchsgegenstände bei Beendigung ihrer Amtstätigkeit aus dem Beschäftigungsland beträfen. Die Vorschriften enthielten keine Bestimmungen darüber, wie diese Gebrauchsgegenstände und die im Beschäftigungsland erworbenen Gebrauchsgegenstände nach erfolgter Ausfuhr aus dem Beschäftigungsland bei der Einfuhr in das Heimatland des Bediensteten zollrechtlich zu behandeln seien.

Nach Ansicht des BMWF enthält Art. 11 Buchst. d des Protokolls weder eine Regelung über Abgabenbefreiungen beim Verlassen des Heimatlandes noch eine Regelung über die abgabenrechtliche Behandlung zurückkehrender Staatsbürger in ihrem Heimatland. Es werde lediglich die Behandlung der EWG-Bediensteten in dem Lande, in dem sie ihren Dienst verrichten, geregelt. Bei ihrer Rückkehr in ihren Heimatstaat kämen ausschließlich die nationalen Bestimmungen zur Anwendung, Demnach sei auch für die Anwendung von Art. 177 EWGV kein Raum.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg.

Art. 11 Buchst. d des Zusatzprotokolls hat folgenden Wortlaut:

„Den in Art. 212 dieses Vertrages genannten Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaft stehen im Hoheitsgebiet jedes Mitgliedstaates ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit folgende Vorrechte und Befreiungen zu:

d) Das Recht, ihre Wohnungseinrichtung und ihre persönlichen Gebrauchsgegenstände aus dem Land ihres letzten ständigen Aufenthalts oder dem Land, dem sie angehören, bei Antritt ihres Dienstes in das in Frage stehende Land zollfrei einzuführen und bei Beendigung ihrer Amtstätigkeit in diesem Land ihre Wohnungseinrichtung und ihre persönlichen Gebrauchsgegenstände zollfrei wieder auszuführen, vorbehaltlich der Bedingungen, welche die Regierung des Landes, in dem dieses Recht ausgeübt wird, in dem einen und anderen Fall für erforderlich erachtet.”

Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung werden lediglich die zollfreie Einfuhr in das Land der Amtstätigkeit, im Streitfall Belgien, und die zollfreie Wiederausfuhr in das Heimatland bevorrechtigt. Der EWG-Bedienstete soll dadurch sowohl bei der Einfuhr als auch bei der Ausfuhr von den Zöllen seines Tätigkeitslandes freigestellt werden. Das vom Kläger vorgelegte Merkblatt des belgischen Finanzministeriums handelt dementsprechend auch nur von den Zollbefreiungen bei der Einfuhr nach Belgien. Es kann dahinstehen, ob diese Befreiung auch die Befreiung von anderen Eingangsabgaben umfaßt. Denn es geht im Streitfall nur darum, ob bei der Einfuhr eines Kraftfahrzeugs aus dem Tätigkeitsland in das deutsche Zollgebiet die Eingangsabgaben zu erheben sind. Ob die Frage, wie die Worte „zollfrei wieder auszuführen” auszulegen sind, eine Frage im Sinne des Art. 177 EWGV ist, braucht nicht geprüft zu werden, weil das Kraftfahrzeug schon nach § 41 der Allgemeinen Zollordnung (AZO) von den Eingangsabgaben freizustellen war.

Das FG hat das Kraftfahrzeug deshalb nicht als Übersiedlungsgut angesehen, weil der Kläger seinen allgemeinen Wohnsitz in S. (BRD) beibehalten habe und in Brüssel nicht „seßhaft” geworden sei. Er habe dort nicht den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen gehabt, wie es in der Dienstanweisung zum Zollgesetz und zur Allgemeinen Zollordnung (ZollDA) E Nr. 19 gefordert werde. In § 41 Abs. 1 AZO wird jedoch lediglich gefordert, daß eine natürliche Person mindestens ein Jahr im Zollausland gewohnt hat. Zwar ist der Kläger nach seiner Angabe erst am 3. Januar 1965 in Brüssel eingetroffen. Im Hinblick auf seine Beschäftigung bei der Kommission vom 1. Januar bis 31. Dezember 1965 hat der erkennende Senat jedoch keine Bedenken, die Voraussetzung des § 41 Abs. 1 AZO als erfüllt anzusehen. Das Kraftfahrzeug war auch Übersiedlungsgut im Sinne des § 41 Abs. 2 Satz 1 AZO, weil es dem Gebrauch des Klägers diente, im unmittelbaren Zusammenhang mit der Übersiedlung eingeführt wurde und weiterhin für den Gebrauch des Klägers bestimmt war.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514690

BFHE 1972, 565

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