Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht, Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO ist auf Gesellschaftsteuerbescheide nicht anwendbar.
Normenkette
AO §§ 212, 222 Abs. 1 Nr. 2; KVStDV 6/2/1
Tatbestand
Streitig ist, ob die Vorschrift des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) auf Gesellschaftsteuerbescheide anwendbar ist.
Die Beschwerdegegnerin (Bgin.) - Organ - hat 1952 einen Verlust erlitten. Diesen Verlust hat auf Grund eines Ergebnisabführungsvertrages die Organträgerin übernommen. Für diese Leistung hat das Finanzamt Gesellschaftsteuer festgesetzt. Der Bescheid ist rechtskräftig geworden. Eine 1955 bei der Bgin. vorgenommene Betriebsprüfung hat ergeben, daß der Verlust 1952 niedriger war als ursprünglich errechnet. Die Bgin. beantragte nunmehr, die Steuerfestsetzung entsprechend zu berichtigen und den Unterschiedsbetrag zu erstatten. Das Finanzamt hat dies mit der den Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens bildenden Verfügung vom 13. Februar 1957 abgelehnt. Auf die Sprungberufung hat das Finanzgericht die Verfügung des Finanzamts aufgehoben und die Sache an das Finanzamt zurückverwiesen. Es hat die Auffassung vertreten, daß der Gesellschaftsteuerbescheid gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO zu berichtigen sei.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) rügt der Vorsteher des Finanzamts die unrichtige Anwendung bestehenden Rechts. Er ist der Ansicht, daß die Vorschrift des § 222 Abs. 1 AO auf Gesellschaftsteuerbescheide nicht anwendbar sei.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet.
Das Finanzgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß § 222 Abs. 1 AO auf Gesellschaftsteuerbescheide anwendbar sei. Zwar trifft zu, daß § 222 Abs. 1 AO anwendbar ist, wenn das Finanzamt einen "im Gesetze selber vorgesehenen schriftlichen Bescheid ... erteilt" hat und daß das Finanzamt den Gesellschaftsteuerbescheid vom 20. April 1955 gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 der Durchführungsbestimmungen zum Kapitalverkehrsteuergesetz (KapVStDB) schriftlich erteilt hat. Der Gesellschaftsteuerbescheid jedoch gilt gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 KapVStDB "als Steuerbescheid im Sinne des § 212 der Reichsabgabenordnung", d. h. als nichtförmlicher Steuerbescheid. Der Festsetzungsverfügung des Finanzamts eine solche Rechtsnatur beizulegen, lag im Rahmen der Befugnis des früheren Reichsministers der Finanzen zum Erlaß von Ausführungs- und Durchführungsbestimmungen (ß 12 AO früherer Fassung, vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs II 97/55 U vom 18. Mai 1955, Bundessteuerblatt - BStBl - 1955 III S. 208, 209, Slg. Bd. 61 S. 27). Auf nichtförmliche und diesen gleichgestellte Steuerbescheide ist § 222 Abs. 1 AO nicht anwendbar. Das folgt daraus, daß der Gesetzgeber zwischen schriftlich zu erteilenden (ß 210 b AO) und nichtförmlichen Steuerbescheiden (ß 212 AO) unterscheidet und nur für jene eine Berichtigungsmöglichkeit im Rahmen des § 222 Abs. 1 AO vorgesehen hat (vgl. den einleitenden Satz des § 222 Abs. 1 AO).
Das Finanzgericht ist in übereinstimmung mit der Bgin. der Auffassung, daß § 222 Abs. 1 AO auf Gesellschaftsteuerbescheide nur insoweit nicht anwendbar sei, als es sich um Berichtigungen zuungunsten des Steuerpflichtigen handele. Der Senat habe zwar im Urteil II 97/55 U vom 18. Mai 1955 die Nachforderung von Gesellschaftsteuer bis zum Ablauf der Verjährungsfrist für zulässig erachtet, weil Gesellschaftsteuerbescheide als Steuerbescheide im Sinne des § 212 AO nicht den Vertrauensschutz des § 222 AO genössen. Dieser Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes könne jedoch dann keine Bedeutung haben, wenn es sich - wie im Streitfalle - um eine Berichtigung des Gesellschaftsteuerbescheids nicht zuungunsten, sondern zugunsten des Steuerpflichtigen handele.
Dieser Auffassung vermag der Senat nicht zuzustimmen. Der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ist in einem erweiterten Sinne auch dann von Bedeutung, wenn es sich um die Frage handelt, ob ein Bescheid zugunsten des Steuerpflichtigen geändert werden kann. In Fällen dieser Art kann der Gesetzgeber das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Rechtsbeständigkeit eines rechtskräftigen Steuerbescheids und die damit verbundene Rechtssicherheit höher bewerten als die richtige Steuerfestsetzung im Einzelfall (vgl. Hübschmann-Hepp-Spitaler, "Kommentar zur Reichsabgabenordnung" § 222 AO Anm. 3).
Ob eine Anwendung des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO auf Gesellschaftsteuerbescheide rechtsstaatlichen Grundsätzen besser entsprechen würde als die derzeit geltende Regelung, ist eine rechtspolitische Frage, für die der Gesetzgeber zuständig ist (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland).
Eine Anwendung des § 222 Abs. 1 Ziff. 2 AO auf Gesellschaftsteuerbescheide würde eine änderung des Gesetzes bedeuten, zu der die Gerichte nicht befugt sind (vgl. hierzu das in einer Beförderungsteuersache ergangene Urteil II 207/55 U vom 26. Juni 1957, BStBl 1957 III S. 370, 371, Slg. Bd. 65 S. 360 ff.).
Fundstellen
Haufe-Index 409136 |
BStBl III 1958, 426 |
BFHE 1959, 398 |
BFHE 67, 398 |