Leitsatz (amtlich)

Wird mit der Anschlußbeschwerde des Steuerpflichtigen gerügt, daß das Finanzgericht trotz eines entsprechenden Antrags ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinweis auf seine Absicht, keine mündliche Verhandlung anzuberaumen, entschieden habe, ist die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das Finanzgericht zurückzuverweisen. Über die Rechtsbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts darf selbst dann nicht materiell-rechtlich entschieden werden, wenn sie einen selbständigen Streitpunkt betrifft.

 

Normenkette

AO §§ 272, 288 Nr. 2, § 296 Abs. 1, 3

 

Tatbestand

Zu entscheiden ist bei der Einkommensteuerveranlagung 1961 des Steuerpflichtigen, ob durch den Tausch einer Güterfernverkehrsgenehmigung gegen zwei Bezirksgüterfernverkehrsgenehmigungen eine Gewinnrealisierung eintrat und ob der Steuerpflichtige berechtigt war, von einer 1961 erworbenen Bezirksgüterfernverkehrsgenehmigung eine Teilwertabschreibung vorzunehmen.

Der Steuerpflichtige betrieb ein Fuhrunternehmen mit Lastkraftwagen. Im Streitjahr tauschte er zwei Bezirksgüterfernverkehrskonzessionen (sog. blaue Genehmigungen) gegen eine Güterfernverkehrskonzession (sog. rote Genehmigung). Er aktivierte die rote Genehmigung nicht.

Außerdem erlangte der Steuerpflichtige am 13. Juni 1961 eine blaue Genehmigung, nachdem ein anderer Unternehmer gegen Zahlung von 30 000 DM auf diese verzichtet hatte. Diese Genehmigung aktivierte der Steuerpflichtige mit 30 000 DM und nahm am Jahresende von diesem Betrag eine Teilwertabschreibung von 5 000 DM vor.

Das Finanzamt aktivierte die rote Genehmigung mit einem geschätzten Wert von 40 000 DM und erklärte die Teilwertabschreibung auf die blaue Genehmigung für unzulässig.

Der Steuerpflichtige legte mit Zustimmung des Vorstehers des Finanzamts statt des Einspruchs Berufung ein und beantragte Anberaumung der mündlichen Verhandlung. Das Finanzgericht entschied ohne mündliche Verhandlung. Auf diese Absicht hatte es den Steuerpflichtigen nicht hingewiesen. Die Berufung des Steuerpflichtigen hatte zum Teil Erfolg. Das Finanzgericht sah in dem Tausch der roten Genehmigung gegen die beiden blauen Genehmigungen keine Gewinnrealisierung und lehnte die Teilwertabschreibung auf die blaue Genehmigung ab.

Der Vorsteher des Finanzamts beanstandete mit der Rb., daß das Finanzgericht die Pflicht des Steuerpflichtigen zur Aktivierung der roten Konzession verneint habe. Der Steuerpflichtige nahm zu der Rechtsbeschwerdebegründung innerhalb der ihm vom Vorsitzenden des Senats nach § 292 AO gesetzten Frist Stellung, beantragte u. a. , die vom Finanzgericht abgelehnte Teilwertabschreibung auf die blaue Konzession in Höhe von 5 000 DM zuzulassen, und rügte, das Finanzgericht habe trotz seines Antrags auf Anberaumung der mündlichen Verhandlung ohne mündliche Verhandlung entschieden und ihn von dieser Absicht vorher nicht unterrichtet.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts und die Anschlußbeschwerde des Steuerpflichtigen führen zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht.

Die "Stellungnahme" des Steuerpflichtigen zur Rechtsbeschwerdebegründung ist als Anschlußbeschwerde (§ 293 AO) anzusehen. Zwar erklärte der Steuerpflichtige nicht ausdrücklich, er lege Anschlußbeschwerde ein. Das ist aber auch nicht nötig. Aus der Erklärung des Steuerpflichtigen geht hervor, daß er sich durch die Entscheidung des Finanzgerichts beschwert fühlt und Nachprüfung begehrt (§ 249 Abs. 2 AO). Denn der Steuerpflichtige beantragte ausdrücklich, der Senat möge im Gegensatz zum Finanzgericht die Teilwertabschreibung auf die blaue Genehmigung in Höhe von 5000 DM anerkennen. Außerdem gab er mit der verfahrensrechtlichen Rüge, das Finanzgericht habe trotz seines entsprechenden Antrags ohne mündliche Verhandlung entschieden, zu erkennen, daß er sich ebenfalls mit einem selbständigen Rechtsmittel gegen die vorinstanzliche Entscheidung wende. Denn nur Beschwerdeführer können Verfahrensmängel rügen. Die Absicht des Steuerpflichtigen, Anschlußbeschwerde einzulegen, kam damit hinreichend deutlich zum Ausdruck (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs V 114, 115/62 vom 10. Dezember 1964, Steuerrechtsprechung in Karteiform -- StRK --, Umsatzsteuergesetz, § 16, Rechtsspruch 108).

Die Rüge des Steuerpflichtigen, das Finanzgericht habe trotz seines entsprechenden Antrags keine mündliche Verhandlung anberaumt und ihn vorher nicht davon unterrichtet, daß es ohne mündliche Verhandlung entscheiden werde, ist berechtigt. Zwar wies das Finanzgericht den Antrag des Steuerpflichtigen auf Anberaumung der mündlichen Verhandlung durch einstimmigen Beschluß zurück, was § 272 Satz 2 AO ausdrücklich zuläßt. Diese gesetzlich vorgesehene Möglichkeit schränkte der Bundesfinanzhof aber als den rechtsstaatlichen Erfordernissen nicht mehr entsprechend in ständiger Rechtsprechung weitgehend ein (vgl. Urteil I 181/60 S vom 17. Oktober 1961, BStBl 1962 III S. 57, Slg. Bd. 74 S. 151). Ob das Finanzgericht ausnahmsweise berechtigt war, trotz entsprechenden Antrags des Steuerpflichtigen nach den vom Bundesfinanzhof entwickelten Grundsätzen ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, kann dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls war es verpflichtet, den Steuerpflichtigen darauf hinzuweisen, daß es ohne mündliche Verhandlung entscheiden werde und ihm eine angemessene Frist zur Stellungnahme zu setzen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 181/60 S). Das geschah nicht. Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben und die Sache an das Finanzgericht zurückzuverweisen (§§ 288 Ziff. 2, 296 Abs. 2 und 3 AO), das nunmehr nach Maßgabe des § 90 FGO erneut entscheiden wird.

Da das Urteil des Finanzgerichts bereits aus dem bezeichneten verfahrensrechtlichen Grund keinen Bestand haben konnte, war der Senat nicht in der Lage, auf die mit der Rb. gegen die Vorentscheidung vorgebrachten materiellrechtlichen Einwendungen einzugehen; denn das Vorgehen des Finanzgerichts, trotz des entsprechenden Antrags des Steuerpflichtigen ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden und den Steuerpflichtigen auch nicht vorher von dieser Absicht zu unterrichten, stellt die Versagung rechtlichen Gehörs und damit einen Verfahrensmangel dar, der dasganze finanzgerichtliche Verfahren fehlerhaft macht. Folgerichtig qualifiziert die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) die Versagung des rechtlichen Gehörs als absoluten Revisionsgrund (§ 138 Ziff. 3). Ob die Vorentscheidung auf dem Mangel beruht, ist nicht zu prüfen. Es besteht nach der genannten Vorschrift eine unwiderlegliche Vermutung dafür.

Dagegen, daß dieser Verfahrensmangel, der das ganze Verfahren erfaßt, nur insoweit berücksichtigt wird, als der Steuerpflichtige durch die Vorentscheidung beschwert ist, spricht auch, daß nach der AO (§ 243) Prozeßgegenstand der gesamte Steueranspruch ist. Das Finanzgericht entschied nicht nur über einen Teil, sondern über den ganzen Prozeßgegenstand durch ein Urteil, das in einem fehlerhaften Verfahren zustande kam.

Der Senat war aus den bezeichneten Gründen gehindert, den vom Finanzgericht in einem insgesamt fehlerhaften Verfahren festgestellten Sachverhalt zur Grundlage einer teilweise materiellrechtlichen Entscheidung zu machen. Anders wäre es nur dann, wenn der Steuerpflichtige einen Verfahrensmangel gerügt hätte, der nur die vom Finanzgericht versagte Teilwertabschreibung betraf, wenn z. B. ein vom Steuerpflichtigen hierzu benannter Zeuge nicht gehört worden wäre (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. August 1962 -- VIII C 49.60, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bd. 15 S. 24).

 

Fundstellen

Haufe-Index 411908

BStBl III 1966, 210

BFHE 1966, 579

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