Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht, Abgabenordnung Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Bei Arbeitnehmern, die zur Einkommensteuer veranlagt worden sind, kann eine unanfechtbare Veranlagung nur unter den Voraussetzungen der §§ 93, 94, 222 AO berichtigt werden.

 

Normenkette

AO § 222 Abs. 1 Nr. 1, § 223; EStG § 38 Abs. 3 Ziff. 1, § 46; LStDV § 46

 

Tatbestand

Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige - Stpfl. -) ist Betriebsinspektor einer AG. Bei einer Lohnsteuerprüfung wurde festgestellt, daß ihm im Streitjahr 1959 von der AG Koks unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden war; die AG hatte dafür keine Lohnsteuer einbehalten. Das Finanzamt (FA) hielt sich zunächst an die Arbeitgeberin. Als sich diese darauf berief, daß der Stpfl. zur Einkommensteuer veranlagt werde, und daß es darum unbillig sei, sie in Anspruch zu nehmen, machte das FA die Steuernachforderung gegenüber dem Stpfl. geltend. Es erhöhte die rechtskräftig festgesetzte Einkommensteuerschuld um 116 DM.

Der Stpfl. machte geltend, die Mehrsteuer von 116 DM fiele gegenüber der rechtskräftig festgesetzten Steuerschuld von 12.944 DM nicht ins Gewicht, so daß sein Steuerfall nicht gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO wieder aufgerollt werden dürfe. Das FA vertrat die Auffassung, bei veranlagten Arbeitnehmern könne die Einkommensteuerveranlagung jederzeit bis zum Ablauf der Verjährungsfrist gemäß § 223 AO berichtigt werden, ohne daß die erschwerten Voraussetzungen des § 222 AO erfüllt zu sein brauchten.

Auf die Klage des Stpfl. hob das Finanzgericht (FG) die Einspruchsentscheidung und die Berichtigungsveranlagung des FA auf und erklärte die Berichtigung der Einkommensteuerveranlagung für unzulässig, weil die neue Tatsache nicht von einigem Gewicht sei; die Steuernachforderung von 116 DM gegenüber der ursprünglich festgesetzten Steuer von 12.944 DM sei nur unwesentlich. Der Stpfl. habe sich auch keine Unredlichkeit gegenüber dem Steuerfiskus zuschulden kommen lassen. Der Streitfall sei nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO und nicht nach § 223 AO zu beurteilen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA hat keinen Erfolg. Zutreffend hat das FG es abgelehnt, die Berichtigung der Einkommensteuerveranlagung auf § 223 AO zu stützen. Unanfechtbare Bescheide über Steuern, bei denen die Verjährungsfrist mehr als ein Jahr beträgt, und über die das FA einen besonderen, im Gesetz selbst vorgesehenen schriftlichen Bescheid zu erteilen hat, können nur nach § 222 AO wiederaufgerollt werden. Steuern anderer Art, vor allem solche, die nicht in einem förmlichen Verfahren festgesetzt werden, können nach § 223 AO innerhalb der Verjährungsfrist ohne Einschränkung nachgefordert werden.

Im Streitfall soll ein Einkommensteuerbescheid berichtigt werden. Einkommensteuerbescheide können aber nur unter den Voraussetzungen der §§ 93, 94 und 222 AO berichtigt werden. Die Vorschrift des § 223 AO ist auf sie nicht anwendbar (Urteile des Senats VI 230/56 vom 12. Dezember 1958, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz, § 47, Rechtsspruch 13; VI 344/63 vom 24. April 1964, StRK Einkommensteuergesetz, § 47, Rechtsspruch 18; VI 296/65 vom 23. September 1966, BFH 87, 143, BStBl III 1967, 96).

Das FA nimmt allerdings an, für Arbeitnehmer, die zur Einkommensteuer veranlagt würden, gelte etwas anderes. Das widerspricht aber dem klaren Wortlaut des Gesetzes. Der Hinweis des FA darauf, daß die Nachforderung von Lohnsteuer gemäß § 38 Abs. 3 Ziff. 1 EStG (§ 46 LStDV) nicht an die Voraussetzungen des § 222 AO gebunden sei, greift nicht durch. Im Streitfall geht es nicht um das Steuerabzugsverfahren. Der Stpfl. wurde zur Einkommensteuer veranlagt. Das Lohnsteuerverfahren und das Veranlagungsverfahren stehen selbständig nebeneinander und werden nach den für sie geltenden Vorschriften abgewickelt. Bei veranlagten Arbeitnehmern wird der Steuerfall erst im Veranlagungsverfahren endgültig abgeschlossen. Das vorangegangene Steuerabzugsverfahren schafft nur eine vorläufige Regelung. Die unanfechtbaren Einkommensteuerveranlagungen von Arbeitnehmern können darum wie alle anderen Einkommensteuerveranlagungen nur unter den Voraussetzungen des § 222 AO berichtigt werden.

Zu Recht hat das FG auch die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO verneint. Die Berichtigung einer unanfechtbaren Veranlagung ist zuungunsten des Steuerpflichtigen nur zulässig, wenn neue Tatsachen von einigem Gewicht festgestellt worden sind (Urteile des Bundesfinanzhofs I 95 und 110/60 S vom 5. Juni 1962, BFH 76, 282, BStBl III 1963, 100; VI 324/61 U vom 12. Juli 1963, BFH 77, 315, BStBl III 1963, 435). Im Streitfall beträgt die Steuernachforderung 116 DM, also nicht einmal 1 v. H. des ursprünglichen Steuerbetrages. Der Unterschied ist, wie das FG zutreffend angenommen hat, so gering, daß es bei der unanfechtbaren ursprünglichen Veranlagung bleiben muß.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412410

BStBl III 1967, 272

BFHE 1967, 598

BFHE 87, 598

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