Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Ist der angefochtene Steuerbescheid in der Einspruchsentscheidung ohne Gewährung des rechtlichen Gehörs zum Nachteil des Steuerpflichtigen geändert worden (§ 243 Abs. 3 AO), so hat das Finanzgericht gleichwohl von einer Zurückverweisung der Sache an das Finanzamt abzusehen und in der Sache zu entscheiden, wenn der Steuerpflichtige im weiteren Rechtsmittelverfahren einen dahin gehenden Willen erkennen läßt. 2. Bei übergang von der Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG zur überschußrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG sind die durch den Wechsel der Gewinnermittlungsart bedingten Zusetzungen und Absetzungen in der Regel im Veranlagungszeitraum des übergangs vorzunehmen. Der Steuerpflichtige kann aber bei besonders gelagerten Verhältnissen ein berechtigtes Interesse haben, die gebotenen Zusetzungen und Absetzungen erst in einem späteren Veranlagungszeitraum durchzuführen.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1, 3; AO § 205 Abs. 3, § 243 Abs. 3, § 284 Abs. 1
Tatbestand
Der Bf. und seine am 5. Januar 1961 verstorbene Ehefrau, deren alleiniger Erbe der Bf. ist, wurden nach mehrfacher vergeblicher Aufforderung zur Abgabe ihrer Einkommensteuererklärung 1957 für diesen Veranlagungszeitraum nach geschätzten gewerblichen Einkünften (aus Kohlenhandel) in Höhe von 8 000 DM sowie nach geschätzten Mieteinkünften in Höhe von 1 000 DM im Wege der eingeschränkten Zusammenveranlagung durch einen im November 1959 ergangenen Bescheid zu einer Einkommensteuer von 449 DM herangezogen. Die Ehefrau des Bf. wurde gleichzeitig für den Veranlagungszeitraum 1957 noch gesondert mit - aus den gleichen Gründen geschätzten - gewerblichen Einkünften (aus Gastwirtschaft) zur Einkommensteuer 1957 veranlagt. Gegenstand des hier anhängigen Verfahrens ist lediglich der die Eheleute gemeinsam betreffende Zusammenveranlagungsbescheid zur Einkommensteuer 1957.
Im Einspruchsverfahren wie auch im späteren Verlauf des Rechtsmittelverfahrens wurde von den Eheleuten und wird nunmehr von dem Bf. zur Begründung vorgetragen: Für alle seit dem Veranlagungszeitraum 1950 ergangenen Steuerbescheide - also auch für die Einkommensteuerbescheide 1957 - sei keine Rechtsgrundlage gegeben, weil weder für den Kohlenhandelsbetrieb des Bf. noch für den Gastwirtschaftsbetrieb der Ehefrau des Bf. eine Anmeldung dieser Betriebe nach § 165 d AO bei dem Amt für öffentliche Ordnung der Stadt H. vorgelegen habe.
Vor Erlaß der im Juni 1960 ergangenen Einspruchsentscheidung reichte die Ehefrau des Bf. eine den Kohlenhandelsbetrieb und den Gastwirtschaftsbetrieb betreffende überschußrechnung im Sinne des § 4 Abs. 3 EStG für 1957 nach. Daneben ergab sich für den Kohlenhandelsbetrieb des Bf. bei Betriebseinnahmen von 126 790 DM und Betriebsausgaben von 119 937 DM ein überschuß der Betriebseinnahmen von 6 853 DM. Bei einer nunmehr durchgeführten Betriebsprüfung stellt der Prüfer fest, daß die Gewinne 1955 und 1956 unter Berücksichtigung der Debitoren, Kreditoren und Warenbestände, der Gewinn 1957 dagegen durch überschußberechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) ermittelt worden waren. Berücksichtige man den übergang von der Gewinnermittlung 1956 durch beschränkten Bestandsvergleich zur überschußberechnung 1957, so ergäben sich folgende Gewinnberichtigungen:
Gewinn 1957 nach § 4 Abs. 3 EStG - - 6.853 DM ./. schon versteuerte Debitoren 31. Dezember 1956 - - - - - - - - - 4.553 DM plus Warenschulden 31. Dezember 1956 plus Warenschulden 31. Dezember 1956 (haben sich schon ausgewirkt - - - 30.863 DM ./. Warenvorräte 31. Dezember 1956 (schon versteuert) - - - - - - - - 16.700 DM Gewinn - - - - - - - - - - - - - - 16.463 DM.In der Einspruchsentscheidung übernahm der Steuerausschuß diese Gewinnermittlung des Prüfers und gelangte so zu einer wesentlich höheren Einkommensteuer. Im Sitzungsprotokoll des Steuerausschusses wird hierzu bemerkt: "... Auf die Verböserungsabsicht wurde der Bf. mit Schreiben vom 1. April 1960 und durch die übersendung des Betriebsprüfungsberichts am 10. Mai 1960 hingewiesen. Damit wurde ihm Gelegenheit gegeben, der Verböserung durch die Zurücknahme des Rechtsmittels zuvorzukommen".
Das Finanzgericht wies die Sache unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung zur erneuten Entscheidung "über den Einspruch durch den Steuerausschuß" an das Finanzamt zurück, wobei es sich maßgeblich auf das Urteil des Bundesfinanzhofs III 286/57 U vom 4. September 1959 (BStBl 1959 III S. 472, Slg. Bd. 69 S. 569) stützte. In der übersendung des Prüfungsberichts an den Ehemann könne - so führt das Finanzgericht aus - kein ausreichender Verböserungshinweis gesehen werden. Das gleiche müsse für den Hinweis im Schreiben vom 1. April 1960 gelten, da dieses Schreiben lediglich an die Ehefrau des Bf. und nicht auch an diesen selbst gerichtet worden sei. Der Mangel ausreichenden Verböserungshinweises müsse als wesentlicher Verfahrensmangel zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzamt gemäß § 284 Abs. 1 Satz 2 AO führen, um so die Möglichkeit einer Einspruchszurücknahme zu schaffen. Ob dann das Finanzamt den unanfechtbar gewordenen Bescheid nach § 222 AO berichtigen könne, müsse der Prüfung in einem anderen Verfahren vorbehalten werden.
Mit der Rb. hält der Bf. sein bisheriges Vorbringen aufrecht. Er bleibt insbesondere mit Nachdruck dabei, daß mangels wirksamer Gewerbeanmeldung auf seinen Namen keine Rechtsgrundlage für seine Heranziehung zur Einkommensteuer 1957 gegeben sei. Er beantragt "Untersuchung durch den Bundesfinanzhof" mit dem Bemerken, daß er die "Rückweisung an das Finanzamt und den Steuerausschuß" ablehne.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht.
Nach der Entscheidung des III. Senats des Bundesfinanzhofs III 286/57 U, der der erkennende Senat beitritt, gilt auch für das Einspruchsverfahren die Vorschrift des § 205 Abs. 3 AO. Danach sind dem Steuerpflichtigen die Punkte zur vorherigen äußerung mitzuteilen, in denen zu seinen Ungunsten eine wesentliche Abweichung - hier vom angefochtenen Einkommensteuerbescheid - in Frage kommt. Wird diese Vorschrift bei Erlaß der Einspruchsentscheidung nicht beachtet, so handelt es sich zwar grundsätzlich um einen wesentlichen Verfahrensmangel. Wesentliche Verfahrensmängel berechtigen aber das Finanzgericht nicht ganz allgemein zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzamt. Nach § 284 Abs. 1 Satz 1 AO hat das Finanzgericht vielmehr grundsätzlich "gleichwohl in der Sache zu entscheiden". Eine Zurückverweisung der Sache unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung kommt nach Abs. 1 Satz 2 der genannten Vorschrift "nur aus besonderen Gründen" in Betracht. Ein derartiger besonderer Grund ist in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs anerkannt, wenn dem Steuerpflichtigen infolge fehlenden Verböserungshinweises die Möglichkeit genommen war, sich vor Erlaß der Einspruchsentscheidung darüber schlüssig zu werden, ob eine Einspruchszurücknahme oder die Hinnahme einer etwaigen Einspruchsentscheidung zu seinem Nachteil (§ 243 Abs. 3 AO) geraten erscheine (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs III 286/57 U).
Das Finanzamt war jedenfalls bei Erlaß der Einspruchsentscheidung der Auffassung, daß dem Bf. und seiner Ehefrau diese Möglichkeit durch einen hinreichend konkretisierten Verböserungshinweis gegeben war. Ob dies zutrifft, braucht nicht entschieden zu werden. Denn auch wenn es in übereinstimmung mit der Vorinstanz zu verneinen ist, kommt eine Zurückverweisung an das Finanzamt aus den nachfolgenden Erwägungen nicht in Betracht.
In übereinstimmung mit der Entscheidung des VI. Senats des Bundesfinanzhofs VI 264/61 U vom 1. Dezember 1961 (BStBl 1962 III S. 140, Slg. Bd. 74 S. 371) ist trotz fehlenden Verböserungshinweises ein besonderer Grund zur Zurückverweisung dann nicht gegeben, wenn nach den Verhältnissen des Falles eine Zurücknahme des Rechtsmittels nicht in Betracht kommt. Der VI. Senat hat hierzu in der genannten Entscheidung ausgeführt: "Eine Zurückverweisung kommt nicht in Betracht, wenn der Steuerpflichtige, obwohl er auf Grund der gegen ihn erlassenen Einspruchsentscheidung die Verböserung kennt, im weiteren Rechtsmittelverfahren zu erkennen gibt, daß er sich nicht durch die Verböserung, sondern durch die Ablehnung seiner sachlichen Einwendungen beschwert fühlt und auf Entscheidung über seine sachlichen Einwendungen besteht". Entgegen der von der Vorinstanz vertretenen Auffassung ist mithin ein fehlender Verböserungshinweis nicht schlechthin ein zur Zurückverweisung berechtigender besonderer Grund. Der Bf. hat sich während des finanzgerichtlichen Verfahrens zu keinem Zeitpunkt darüber beschwert, daß ihm durch fehlenden Verböserungshinweis die Möglichkeit der Einspruchszurücknahme genommen worden sei. Sein Bestreben geht vielmehr eindeutig dahin, daß der mit dem Einspruch angefochtene Einkommensteuerbescheid wegen "fehlender Rechtsgrundlage" aufgehoben und er von der Einkommensteuer überhaupt freigestellt werde, wie er ja auch - dem Finanzgericht bekannt - in einem weiteren Verfahren aus dem gleichen rechtlichen Gesichtspunkt für die vorangehenden Veranlagungszeiträume seit 1950 Aufhebung der Steuerbescheide und Erstattung der auf ihrer Grundlage entrichteten Steuern begehrt. Hier bestand jedenfalls nach Lage der Sache mindestens die Vermutung, daß eine Zurückverweisung nicht dem Willen des Bf. entsprach. Nach alledem war das Finanzgericht verpflichtet, sich vor der Zurückverweisung der Sache an den Bf. zu wenden, der sich dann - wie auch in dieser Instanz - gegen eine Zurückverweisung ausgesprochen haben würde. Dazu bestand für die Vorinstanz auch aus prozeßökonomischen Erwägungen Anlaß. Es kann nach dem Inhalt der Akten nicht zweifelhaft sein, daß der Wechsel der Gewinnermittlungsart dem Finanzamt erstmals im Einspruchsverfahren bekannt wurde und demgemäß als neue Tatsache im Sinne des § 222 AO anzusehen ist. Auch bei Einspruchszurücknahme hätte daher das Finanzamt die Möglichkeit gehabt, die sich daraus ergebenden Folgerungen im Wege der Berichtigungsveranlagung durchzusetzen. Es ist Sache der Finanzgerichte, zur Vermeidung unnötiger Verfahren beizutragen und nicht in zwei Verfahren zu entscheiden, was sich in einem Verfahren entscheiden läßt.
Die Sache geht an das Finanzgericht zurück, das nunmehr sachlich zu entscheiden hat. Hierzu weist der Senat auf folgendes hin:
Die Auffassung des Bf., daß es für die steuerliche Heranziehung der Gewinne aus dem von ihm betriebenen Kohlenhandel auf die ordnungsgemäße Anmeldung (Gewerbeanmeldung) ankomme, ist - wie keiner weiteren Ausführung bedarf - rechtlich unzutreffend. Entscheidend ist allein, daß der Bf. das Gewerbe betrieben und ob er daraus Gewinne erzielt hat.
Das Finanzamt ist in der Einspruchsentscheidung zutreffend davon ausgegangen, daß sich die zum 31. Dezember 1956 aktivierten oder passivierten Endbestände an Waren, Warenforderungen und Warenschulden bereits auf den Erfolg des Jahres 1956 ausgewirkt haben und sich deshalb bei ihrer Umschichtung durch Warenverkauf, Forderungseingang und Schuldentilgung in der Folgezeit - ebenso wie bei Beibehaltung des Vermögensvergleichs - auch im Rahmen der überschußrechnung nur erfolgsneutral auswirken dürfen, was durch entsprechende Absetzungen oder Hinzurechnungen sichergestellt wird. Es ist dabei der Verwaltungsanweisung entsprechend verfahren (vgl. Anlage 2 zu Abschn. 19 Abs. 1 EStR 1955 in der Fassung der Einkommensteuer-Ergänzungsrichtlinien 1956/1957). Dabei wird unterstellt, daß sich die entsprechenden Umschichtungen bereits im ersten Jahr nach dem Wechsel der Gewinnermittlungsart - hier also im Jahre 1957 - in vollem Umfange vollzogen haben. Das dient der Vereinfachung und ist dann nicht zu beanstanden, wenn Einwendungen gegen dieses Verfahren nicht erhoben werden oder nichts Gegenteiliges einwandfrei dargetan wird (vgl. auch Urteil des Finanzgerichts München II 198/59 vom 29. September 1960, Entscheidungen der Finanzgerichte 1961 Nr. 119, S. 100, 101). Es müssen jedenfalls die erforderlichen Korrekturen dann in anderer Weise als nach der zitierten Anlage zu den EStR durchgeführt werden, wenn und soweit dadurch wesentliche Unstimmigkeiten in der Gewinnermittlung vermieden werden und der Gedanke der Vereinfachung nicht ernsthaft verletzt wird. Dem Vereinfachungsgedanken kommt für das Rechtsproblem deshalb besondere Bedeutung zu, weil eine eindeutige gesetzliche Regelung der mit dem übergang zu einer anderen Gewinnermittlungsart entstehenden Gewinnermittlungsfragen nicht besteht und die Durchführung der Korrekturen im Erstjahr nach dem übergang zur überschußrechnung für den Regelfall den tatsächlichen Verhältnissen Rechnung trägt. Die Umstände, die für eine Abweichung von den in den EStR enthaltenen Grundsätzen geltend gemacht werden, müssen einfach und leicht nachprüfbar sein. So ist hier zu beachten, daß der zum 31. Dezember 1956 aktivierte Warenendbestand in Höhe von 16 700 DM in jedem Falle abzusetzen ist, da insoweit die entsprechende Umschichtung (durch Verkauf dieser Ware) als im Jahre 1957 vollzogen angesehen werden muß. Es kann indessen beispielsweise zweifelhaft sein, ob es sich bei dem in der überschußrechnung 1957 genannten Posten "Wareneingang 83 887 DM" nur um Betriebsausgaben handelt, die den Wareneingang 1957 betreffen, oder auch um solche, die den Wareneingang 1956 oder früherer Jahre betreffen und damit der Tilgung von Warenschulden dienen, die zum 31. Dezember 1956 passiviert worden sind.
Der Betriebsprüfer ist im Rahmen seiner auf Wunsch des Bf. vorzeitig abgebrochenen, auf einen Tag beschränkten Prüfung auf diese Fragen nicht näher eingegangen. Der Bf. hat sich seinerseits wiederholt auf die durch die erhöhte Nachfrage nach Heizöl bedingte Rückläufigkeit der Konjunktur im Kohlenhandel berufen. Sein Umsatz ist in 1957 gegenüber 1956 erheblich zurückgegangen. Es wird besonders seine Sache sein, bei der erneuten Prüfung seiner Mitwirkungspflicht anders als bisher nachzukommen.
Fundstellen
Haufe-Index 410729 |
BStBl III 1963, 228 |
BFHE 1963, 628 |
BFHE 76, 628 |
DB 1963, 787 |