Leitsatz (amtlich)
Der Ausgleichsanspruch i. S. des § 89 b HGB eines verstorbenen Handelsvertreters ist nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung in der Bilanz auf den Todestag mit dem Wert anzusetzen, den ein vorsichtig abwägender ordentlicher Kaufmann unter verständiger Würdigung aller Umstände und Verhältnisse am Bilanzstichtag als angemessen ansehen durfte. Spätere Ereignisse und Umstände, die am Bilanzstichtag nicht vorhersehbar waren und die auch keinen Rückschluß auf die Wertverhältnisse am Bilanzstichtag zuließen, rechtfertigen keinen entsprechend höheren Wertansatz.
Normenkette
EStG §§ 5, 6 Abs. 1 Nr. 2; HGB § 89b
Tatbestand
Der am 22. Mai 1970 verstorbene Ehemann der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) hatte als selbständiger Vertreter gewerbliche Einkünfte. Seine Gewinne hatte er durch Vermögensvergleich ermittelt.
Die Klägerin hatte nach dem Tode ihres Ehemannes gegen eine Gesellschaft, für die ihr Ehemann ständig tätig gewesen war, einen Ausgleichsanspruch i. S. des § 89 b HGB durch einen Rechtsanwalt geltend machen lassen. Die Gesellschaft hatte unverzüglich, am 29. Juli 1970, einen Betrag von 41 131 DM gezahlt. Die Klägerin hatte 1971 einen weiteren Betrag von 12 000 DM eingeklagt und von der Gesellschaft entsprechend einem gerichtlichen Vergleich am 28. Mai 1971 6 500 DM erhalten.
In der Einkommensteuererklärung der Klägerin für das Jahr 1970 - bei dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) eingegangen am 30. April 1973 - waren die von ihrem Ehemann bis zum 22. Mai 1970 erzielten laufenden Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit 5 495 DM angegeben. Das FA hatte nicht veranlagt (Nichtveranlagungsbescheid).
Ende 1973 waren dem FA die Zahlungen an die Klägerin von 41 131 DM und 6 500 DM bekanntgeworden. Durch berichtigten Einkommensteuerbescheid hatte das FA die Einkünfte aus Gewerbebetrieb für das Jahr 1970 mit 46 626 DM (=5 495 DM laufender Gewinn + 41 131 DM Ausgleichszahlung) herangezogen und die Steuer festgesetzt.
Für das Jahr 1971 war die Einkommensteuer auf null DM festgesetzt worden. Das FA hatte dabei u. a. die Zahlung von 6 500 DM erfaßt. Dieser Bescheid war bestandskräftig geworden.
Im Einspruchsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid 1970 hatte die Klägerin die Anwendung des begünstigten Steuersatzes (§ 34 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 24 Nr. 1 Buchst. c des Einkommensteuergesetzes - EStG -) sowie die Berücksichtigung der auf die Ausgleichszahlungen entfallenden Gewerbesteuerrückstellung begehrt. Die vom FA erbetene Zustimmung zur Erfassung des Betrages von 6 500 DM bei der Einkommensbesteuerung 1970 und zur entsprechenden Änderung des Steuerbescheides 1970 gem. § 94 Abs. 1 Nr. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) hatte die Klägerin verweigert. In der Einspruchsentscheidung hatte das FA unter Anwendung des begünstigten Steuersatzes und unter Berücksichtigung der Gewerbesteuerrückstellung die Steuer herabgesetzt, den Betrag von 6 500 DM aber in die Besteuerungsgrundlagen einbezogen.
Das Finanzgericht (FG) setzte die Einkommensteuer 1970 anderweitig fest. Dabei nahm es die Einkünfte aus Gewerbebetrieb nur mit 46 626 DM an. Zwar könne sich die Klägerin bezüglich des Betrages von 6 500 DM nicht auf die materielle Rechtskraft des Einkommensteuerbescheids 1971 berufen; da der Betrag aber erst 1971 aufgrund eines Vergleichs gezahlt worden sei, habe dieser Betrag - ähnlich der Aktivierung einer bestrittenen Schadenersatzforderung, Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. Mai 1964 IV 352/62 U (BFHE 80, 8, BStBl III 1964, 478) - nicht als Forderung im Jahre 1970 aktiviert und damit auch nicht als Gewinn dieses Jahres erfaßt werden müssen. Im übrigen seien bis zur Bilanzaufstellung bekanntgewordene sog. wertaufhellende Tatsachen nur zu berücksichtigen, wenn die Bilanz in einer für einen ordnungsmäßigen Geschäftsgang angemessenen Zeit (sechs bis sieben Monate) aufgestellt werde. Wann die Bilanz zum 22. Mai 1970 aufgestellt worden sei, habe nicht mit hinreichender Sicherheit ermittelt werden können.
Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung der §§ 4, 5, 6, 24 Nr. 1 Buchst. c EStG. Der Ausgleichsanspruch sei im Streitfall auf den Todestag unter Berücksichtigung aller Umstände, die bis zur Aufstellung der Bilanz bekanntwerden (BFH-Urteil vom 26. März 1969 I R 141/66, BFHE 95, 497, BStBl II 1969, 485), zu aktivieren. Eine zeitliche Begrenzung für die Berücksichtigung der bis zur Bilanzaufstellung bekanntgewordenen wertaufhellenden Tatsachen lasse sich mit der BFH-Rechtsprechung nicht vereinbaren. Nach dem zeitlichen Ablauf der Dinge müsse angenommen werden, daß die Bilanz auf den 22. Mai 1970 erst aufgestellt worden sei, als der volle Ausgleichsanspruch (47 631 DM) feststand und durch die Zahlungen auch schon beglichen war.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet. Die Entscheidung des FG läßt im Ergebnis keine Verletzung materiellen Rechts erkennen. Das FG hat unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung den Ausgleichsanspruch des Ehemannes der Klägerin in der Bilanz auf den 22. Mai 1970 zu Recht (nur) mit 41 131 DM angesetzt.
1. Der Ausgleichsanspruch nach § 89 b HGB ist mit der Beendigung des Handelsvertreter-Vertragsverhältnisses durch den Tod des Ehemanns der Klägerin entstanden (vgl. BFH-Urteile I R 141/66 und vom 29. Oktober 1969 IV 175/65, BFHE 98, 25, BStBl II 1970, 315; Urteile des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 13. Mai 1957 II ZR 318/56, BGHZ 24, 214; vom 13. Mai 1957 II ZR 19/57, BGHZ 24, 223 und vom 6. Februar 1964 VII ZR 100/62, BGHZ 41, 129). Er mußte daher in der Bilanz auf den 22. Mai 1970 aktiviert und damit als Vermögensmehrung (= Gewinn aus Gewerbebetrieb) im Jahre 1970 erfaßt werden.
2. Das FG hat den Ausgleichsanspruch der Höhe nach zutreffend mit 41 131 DM in der Bilanz auf den 22. Mai 1970 angesetzt.
Nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung richtet sich die Bemessung des Wertansatzes für Wirtschaftsgüter grundsätzlich nach den objektiven (Wert-) Verhältnissen am Bilanzstichtag. Dementsprechend war die Bilanz so aufzustellen, wie sie hätte lauten müssen, wenn sie mit Ablauf des 22. Mai 1970 aufgestellt worden wäre. Dabei war der Ausgleichsanspruch mit dem Wert anzusetzen, den ein vorsichtig abwägender ordentlicher Kaufmann unter verständiger Würdigung aller Umstände und Verhältnisse am Bilanzstichtag als den angemessenen Wert ansehen durfte (vgl. BFH-Urteil vom 27. April 1965 I 324/62 S, BFHE 82, 445, BStBl III 1965, 409). Wertveränderungen sowie Tatsachen und Ereignisse, die sich nicht auf die Verhältnisse am Bilanzstichtag bezogen und die (erst) in der Zeit zwischen dem Bilanzstichtag und der Bilanzaufstellung eingetreten waren, hatten unberücksichtigt zu bleiben.
An dem im Streitfall maßgeblichen Bilanzstichtag (22. Mai 1970) bestand nach den vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen kein höherer Anspruch als 41 131 DM; ein um 6 500 DM oder gar 12 000 DM höherer Anspruch war daher auch nicht zu aktivieren. Ein entsprechender Anspruch oder ein entsprechend höherer Wert des Anspruchs entstand vielmehr erst aufgrund späterer Ereignisse, die am Bilanzstichtag nicht vorhersehbar waren. Die für die Entscheidung maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen des FG, die ohne Rechtsfehler zustande gekommen sind und an die der Senat wegen Fehlens einer zulässigen und begründeten Revisionsrüge gebunden ist (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), lassen einen Ansatz, wie ihn das FA in seiner Revision für richtig hält, nicht zu. Die Feststellungen des FG gehen dahin, daß die Klägerin im Jahre 1971 "einen weiteren Betrag von 12 000 DM gerichtlich einklagen" ließ und dieses Verfahren (erst) im Mai 1971 mit einem Vergleich endete, wonach der Klägerin 6 500 DM auszuzahlen waren; nach den Feststellungen hatte der 1971 eingeleitete Rechtsstreit einen erweiternden Anspruch der Klägerin gegen die Verlagsgesellschaft zum Gegenstand. Das FG hat somit keine Tatsachen festgestellt, die die Annahme rechtfertigen könnten, der 1970 von der Klägerin geltend gemachte Ausgleichsanspruch habe der Höhe nach ursprünglich auch den später (1971) eingeklagten Betrag von 6 500 DM (12 000 DM) umfaßt. Damit sind keine Tatsachen festgestellt, aufgrund derer nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung dem Ausgleichsanspruch schon am Bilanzstichtag ein höherer Wert (41 131 DM + 6 500 DM oder + 12 000 DM) beizumessen war. Diese tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der Senat mangels einer zulässigen und begründeten Verfahrensrüge des FA gebunden ist, schließen einen höheren Ansatz zum Bilanzstichtag aus.
3. Bei dieser aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des FG gegebenen Rechtsauffassung des Senats scheiden Erwägungen darüber von vornherein aus, ob bezüglich des Ausgleichsanspruchs bei der Bilanzaufstellung spätere bessere Kenntnisse über die (Wert-) Verhältnisse am Bilanzstichtag hätten berücksichtigt werden müssen (sog. wertaufhellende Tatsachen; vgl. BFH-Urteil vom 4. April 1973 I R 130/71, BFHE 109, 55, BStBl II 1973, 485). Solche Kenntnisse berührten nach den getroffenen Feststellungen hinsichtlich des Ansatzes des Ausgleichsanspruchs weder die objektiv nach den Grundsätzen einer ordnungsmäßigen Buchführung maßgeblichen Verhältnisse am Bilanzstichtag noch enthielten sie etwas, was einen Rückschluß auf die Wertverhältnisse am Bilanzstichtag zuließe und deshalb den Ansatz eines höheren Wertes hätten rechtfertigen können.
Aus denselben Gründen läßt der Senat ausdrücklich offen, ob die Erwägungen des FG bezüglich des BFH-Urteils IV 352/62 U (Aktivierung einer bestrittenen Schadensersatzforderung) im vorliegenden Falle rechtliche Bedeutung haben können.
Fundstellen
Haufe-Index 72802 |
BStBl II 1978, 497 |
BFHE 1979, 172 |