Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Zum Begriff Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Ziff. 4 EStG 1955 (ß 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV 1955).
Muß ein angestellter kommunaler Revierförster nach dem Arbeitsvertrag die Auslagen für Fahrten vom Forsthaus zu den Revieren und innerhalb der Reviere aus eigener Tasche zahlen, so sind die Fahrtauslagen Werbungskosten.
Arbeitnehmer können Fahrtauslagen insoweit nicht als Werbungskosten geltend machen, als sie einen ihnen zustehenden Rechtsanspruch gegen den Arbeitgeber nicht geltend machen oder der Arbeitgeber nach Prüfung den Ersatz der Fahrtauslagen ablehnt, weil er sie für dienstlich nicht erforderlich hält.
Normenkette
EStG § 9 Ziff. 4, § 9/1/4; LStDV § 20 Abs. 2 Ziff. 2
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) ist von zwei ländlichen Gemeinden als Revierförster angestellt. Die beiden Reviere liegen etwa 5 km und 15 km von seiner Wohnung entfernt. Um dorthin zu gelangen, benutzt er ein eigenes Kraftrad. Dafür erhält er von den Gemeinden anscheinend keine besondere Vergütung. Er muß auch die Kosten für Waffen, Dienstkleidung, Munition und Jagdhunde aus eigener Tasche tragen. Er verlangte, ihm wegen dieser Kosten und für die Fahrten in die Reviere auf der Lohnsteuerkarte 1957 erhöhte Werbungskosten einzutragen. Das Finanzamt gab dem Antrag - ausgenommen die Fahrtkosten - statt.
Das Finanzgericht bestätigte die Auffassung des Finanzamts, daß die Fahrtkosten keine Werbungskosten seien. Es führte im wesentlichen aus: Die Fahrtauslagen könnten nicht nach § 9 Ziff. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1955 (ß 20 Abs. 2 Ziff. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung - LStDV - 1955) berücksichtigt werden, weil die Auslagen nicht durch Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte entstanden seien. Die Arbeitsstätte des Bf. sei das Forsthaus, auch wenn er dort nur etwa 20 v. H. seiner Gesamtarbeitsleistung erbringe. Die Fahrten in die Reviere seien Dienstreisen oder Dienstgänge. Die dadurch entstandenen Fahrkosten könne der Bf. nach den Entscheidungen des Bundesfinanzhofs IV 215/53 U vom 17. Dezember 1953 (Slg. Bd. 58 S. 428, Bundessteuerblatt - BStBl - 1954 III S. 76) und VI 117/56 U vom 10. Mai 1957 (Slg. Bd. 64 S. 613, BStBl 1957 III S. 230) nicht als Werbungskosten geltend machen. Es stehe ihm frei, im Rahmen der Reisekostenbestimmungen Ersatz der Fahrtauslagen zu beantragen. Lehne der Dienstherr nach Prüfung des Falles die Notwendigkeit und Angemessenheit der Auslagen ab, so könne der Bf. die Kosten nicht als Werbungskosten geltend machen.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Zutreffend ist das Finanzgericht davon ausgegangen, daß das Forsthaus die Arbeitsstätte des Bf. sei, weil sich dort der Mittelpunkt seiner Tätigkeit befindet. Die Fahrten in die Reviere hat es mit Recht als Dienstgänge angesehen. Daß die Arbeit in den Revieren mengenmäßig die Arbeit im Büro überwiegt, liegt in der Art der Tätigkeit des Bf. begründet. Dieser Umstand ist jedoch für die Bestimmung des Begriffs Arbeitsstätte ohne Bedeutung. Bei vielen Berufen z. B. bei angestellten Reisenden, Revisoren, amtlichen Betriebsprüfern, Gerichtsvollziehern usw., tritt die Büroarbeit zurück; die Berufsarbeit verlangt von ihnen einen dauernden Ortswechsel, ohne daß sie an den einzelnen Orten längere Zeit tätig sind. In solchen Fällen ist das Büro des Dienstherrn die Arbeitsstätte im Sinne des § 9 Ziff. 4 EStG weil es der Mittelpunkt der Tätigkeit solcher Arbeitnehmer ist, zu dem sie regelmäßig zurückkehren müssen, um zu berichten und Weisungen zu empfangen. Beim Bf. liegen die Verhältnisse nicht anders. Das Finanzgericht hat deshalb ohne Rechtsverstoß die Fahrtkosten nicht als Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anerkannt und die Anwendung der Bestimmungen des § 9 Ziff. 4 EStG 1955 (ß 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV 1955) abgelehnt.
Zweifelhaft ist aber ob das Finanzgericht die Fahrtkosten nicht unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt als Werbungskosten anerkennen mußte. Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes haben, wie das Finanzgericht unter Berufung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 215/53 U zutreffend ausgeführt hat, kein Wahlrecht, ob sie beruflich veranlaßte Aufwendungen als Reisekosten gegenüber dem Dienstherrn oder als Werbungskosten gegenüber den Finanzbehörden geltend machen wollen. Das Reisekostenrecht der Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes ist ein in sich geschlossenes Rechtsgebiet. Fahrtkosten, die aus dienstlich veranlaßten Reisen oder Gängen entstehen, können nur nach diesen Bestimmungen geltend gemacht werden. In den öffentlich-rechtlichen Reisekostenbestimmungen sind mit großer Sorgfalt und auf Grund jahrzehntelanger Erfahrungen die Voraussetzungen und der Umfang des Ersatzes von Reisekosten und Fahrtauslagen festgelegt. Diese Regelung muß grundsätzlich als abschließend betrachtet werden. Es ist nicht zulässig, diese sinnvolle Gesamtregelung der öffentlich-rechtlichen Reisekostenbestimmungen dadurch auszuhöhlen oder zu erweitern, daß Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes Fahrtauslagen, die nach den Reisekostenbestimmungen nicht ersetzt werden können oder ersetzt worden sind, bei den Finanzbehörden als Werbungskosten geltend machen. Die Finanzbehörden würden sonst, wie in der Entscheidung IV 215/53 U näher ausgeführt ist, gewissermaßen zu Kontrollinstanzen für die anderen Behörden, indem sie mittelbar durch die Anerkennung von Werbungskosten die Entscheidung der anderen Behörden, daß Fahrtauslagen nicht zu ersetzen seien, als unrichtig bezeichnen. Es ist auch nicht möglich, daß der Dienstherr dem Beamten an sich nach den Reisekostenbestimmungen geschuldete Fahrtauslagen nicht ersetzt und den Beamten statt dessen veranlaßt, Werbungskosten bei den Finanzbehörden geltend zu machen. Eine solche Lastenverschiebung wäre mit dem Beamtenrecht und dem Steuerrecht nicht zu vereinbaren. Glaubt ein Beamter oder Angestellter des öffentlichen Dienstes, zur Erfüllung seiner Berufsaufgaben Fahrtauslagen machen zu müssen, so muß er die Entscheidung seiner Behörde einholen, ob sie die Fahrten für dienstlich geboten erachtet. Wird die Frage bejaht, so muß die Behörde die Auslagen im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Reisekostenbestimmungen ersetzen. Verneint sie die Notwendigkeit und Angemessenheit der Fahrten und lehnt sie deshalb den Ersatz der Auslagen ganz oder teilweise ab, so steht dem Beamten oder Angestellten frei, sich dagegen mit den Rechtsbehelfen des Dienstrechts zu wehren. Die Finanzbehörden können jedenfalls davon ausgehen, daß Fahrtauslagen, die eine Behörde nach Prüfung nicht ersetzt, dienstlich nicht notwendig waren, sondern auf Grund eigener Entschließung ohne dienstliche Veranlassung aufgewendet wurden. Dann aber handelt es sich nicht um Werbungskosten.
Diese mit der bisherigen Rechtsprechung übereinstimmenden Rechtsgrundsätze gehen aber davon aus, daß der Arbeitnehmer, sofern die Voraussetzungen der Reisekostenbestimmungen erfüllt sind, an sich einen Anspruch auf Ersatz der Fahrtauslagen hat. Muß der Arbeitnehmer indessen auf Grund des Arbeitsvertrags die Fahrtauslagen und andere Kosten, die durch den Dienst entstehen, aus eigener Tasche tragen, so kann er solche Ausgaben als Werbungskosten geltend machen. In diesen Fällen wird das Gehalt entsprechend höher bemessen. Die Rechtslage ist dann hinsichtlich der Fahrtkosten nicht anders als hinsichtlich der obenerwähnten anderen Ausgaben, die der Bf. ebenfalls aus eigener Tasche tragen muß und die die Vorinstanzen mit Recht ohne Beanstandung als Werbungskosten anerkannt haben. Diese anderen Kosten kann der Bf. ebenfalls nur übernehmen, weil sie bei der Bemessung seines Gehalts berücksichtigt worden sind. Auch bei Angestellten des privaten Dienstes werden zuweilen die Fahrtauslagen vom Arbeitgeber nicht besonders ersetzt. Angestellte Reisende z. B. unterhalten oft ein Kraftfahrzeug auf eigene Kosten. In solchen Fällen sind ebenfalls die Ausgaben als Werbungskosten anzusehen. Das Urteil VI 117/56 U, das das Finanzgericht anführt, betraf einen privaten Arbeitnehmer, der an sich einen Anspruch auf Ersatz der nachgewiesenen Fahrtauslagen gegen seinen Arbeitgeber hatte, dem aber der Arbeitgeber den Ersatz der Kosten für einen eigenen PKW versagte, weil er diese Aufwendungen nicht für dienstlich erforderlich hielt. Unter diesen Umständen wurden die Fahrtauslagen nicht als Werbungskosten anerkannt.
Die Vorentscheidung wird wegen möglicher unrichtiger Anwendung des § 9 EStG (ß 20 LStDV) aufgehoben. Die nicht spruchreife Sache wird an das Finanzgericht zurückverwiesen. Dieses hat zu prüfen, ob der Bf. nach seinem Dienstvertrag die Auslagen für die Fahrten zu den Revieren und innerhalb der Reviere nicht von dem Dienstherrn ersetzt verlangen kann, sondern aus eigener Tasche tragen muß. Ist das der Fall, so sind die Fahrtauslagen, soweit der Bf. sie glaubhaft macht, Werbungskosten. Die Durchschnittssätze des § 20 Abs. 2 Ziff. 2 LStDV gelten dabei nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 409088 |
BStBl III 1958, 300 |
BFHE 1959, 73 |
BFHE 67, 73 |