Leitsatz (amtlich)
Die vom BFH in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Nichtabzugsfähigkeit von Strafen und Geldbußen als Werbungskosten oder Betriebsausgaben gelten auch für die gegenüber einem Sachverständigen nach § 411 ZPO verhängten Ordnungsstrafen.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 4
Tatbestand
Streitig ist, ob der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) den zur Bezahlung einer Ordnungsstrafe nach § 411 ZPO aufgewendeten Betrag als Betriebsausgabe absetzen kann.
Der Steuerpflichtige ist beratender Ingenieur. Als Sachverständiger erstattet er Gutachten für die Gerichte. Das Amtsgericht in X forderte in einem Zivilrechtsstreit vom Steuerpflichtigen ein schriftliches Gutachten an. Nachdem das Gericht ihn mehrfach an die Erstattung des Gutachtens erinnert hatte, setzte es ihm mit Verfügung vom 23. Juli 1962 eine Nachfrist bis 3. August 1962. Für den Fall der Fristversäumnis wurde eine Ordnungsstrafe von 500 DM angedroht. Der Steuerpflichtige gab innerhalb der Frist das angeforderte Gutachten nicht ab. Daraufhin verurteilte ihn das Amtsgericht gemäß § 411 ZPO durch Beschluß vom 6. August 1962 zu einer Ordnungsstrafe von 500 DM, ersatzweise zehn Tage Haft. Auf die Beschwerde des Steuerpflichtigen änderte das LG den Ordnungsstrafbeschluß dahin gehend ab, daß die Verurteilung zu einer Ersatzhaftstrafe entfiel. In dem Beschluß des LG ist ausgeführt, daß den Kläger an der Versäumung der Frist ein Verschulden treffe. Ein weiterer Antrag des Steuerpflichtigen, den Ordnungsstrafbeschluß aufzuheben, wurde vom Amtsgericht durch Beschluß vom 1. November 1962 abgelehnt. Diese Ablehnung wurde damit begründet, daß sich aus dem Schriftwechsel ergebe, daß die Säumnis des Klägers nicht auf Arbeitsüberlastung, sondern auf seinem Entschluß beruhe, das Gutachten zu verweigern.
Der Steuerpflichtige behandelte den Betrag von 500 DM als Betriebsausgabe. Der Revisionsbeklagte (FA) erkannte nach Durchführung einer Betriebsprüfung in dem berichtigten Einkommensteuerbescheid 1962 den Betrag von 500 DM nicht als Betriebsausgabe an und erhöhte dementsprechend die Einkünfte aus selbständiger Arbeit.
Die Sprungklage des Steuerpflichtigen blieb ohne Erfolg. Das FG führte zur Begründung seiner Entscheidung aus: Obwohl ein Zusammenhang zwischen der Ordnungsstrafe und der Berufstätigkeit des Steuerpflichtigen bestehe, sei die Aufwendung nicht im Sinne des § 4 Abs. 4 EStG durch den Betrieb veranlaßt. Nach der Rechtsprechung des RFH, des OFH und des BFH handle es sich bei der Zahlung von Geldstrafen des allgemeinen Strafrechts und von Ordnungsstrafen, die wegen Verstößen gegen die Wirtschaftsgesetze verhängt worden seien, grundsätzlich um Lebenshaltungskosten. Es werde das persönliche Verhalten des Täters bestraft. Bei den engen Beziehungen zwischen der Strafe und der Person des Täters müsse ein etwa daneben bestehender Zusammenhang zwischen Strafe und Betrieb oder Beruf zurücktreten (RFH-Urteile VI A 1147/28 vom 31. Oktober 1928, RStBl 1929, 83; VI A 1359/33 vom 19. Dezember 1934, RStBl 1935, 1126; VI 175/39 vom 8. März 1939, RStBl 1939, 507; OFH-Urteil IV 12/47 vom 24. Oktober 1947, StRK, Einkommensteuergesetz, § 4, Rechtsspruch 1; BFH-Urteile IV 373/54 U vom 21. Juli 1955, BFH 61, 361, BStBl III 1955, 338; I 322/56 S vom 10. September 1957, BFH 65, 471, BStBl III 1957, 415). Ebenso werde die Abzugsfähigkeit der zur Beseitigung von Unfallschäden aufgewendeten Beträge verneint, wenn der Unfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht worden sei, weil in derartigen Fällen der betriebliche Zusammenhang zwischen der Aufwendung und dem Schaden als zumindest erheblich gelockert angesehen werde (BFH-Urteil VI 79/60 S vom 2. März 1962, BFH 74, 513, BStBl III 1962, 192; Urteil des FG Nürnberg III 257/66 vom 17. März 1967, EFG 1967, 447). Einer Anerkennung von Geldstrafen als Betriebsausgaben stehe jedoch vor allem der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung entgegen, denn Steueranspruch und Strafanspruch seien öffentlich-rechtliche Ansprüche. Die Auslegung der ihnen zugrunde liegenden Gesetze müsse aufeinander abgestimmt sein. Es könne nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, daß eine Geldstrafe durch Anerkennung als Betriebsausgabe zum Teil auf die Allgemeinheit abgewälzt und auf diese Weise verändert werde. Auch sei es mit dem Sinn der Strafe nicht zu vereinbaren, daß ihre Auswirkung von der Höhe des Einkommens abhängig sein solle (BFH-Entscheidung I 322/56 S). Diese Grundsätze müßten auch für die in den §§ 409, 411 ZPO vorgesehenen Ordnungsstrafen gelten, die gegen einen Sachverständigen wegen Ungehorsams oder wegen schuldhafter Versäumung der zur Erstattung des Gutachtens gesetzten Frist verhängt würden. Bei derartigen Maßnahmen handle es sich entgegen der Meinung des Steuerpflichtigen nicht lediglich um Pflichtmahnungen oder Beugemittel, denen der Strafcharakter fehle. Auch von einem Verschulden des Steuerpflichtigen sei auszugehen, denn dem FG sei es verwehrt, das amtsgerichtliche Straferkenntnis auf seine sachliche Richtigkeit und das Strafmaß auf seine Angemessenheit nachzuprüfen (vgl. BFH-Entscheidung I 322/56 S). Selbst wenn man die wegen berufsbedingter Verfehlungen verhängten Ordnungsstrafen grundsätzlich als Betriebsausgaben ansehen wollte, könnte die Klage keinen Erfolg haben, denn das der Strafe zugrunde liegende Verhalten des Steuerpflichtigen sei nicht Ausfluß einer typischen Berufsgefahr. Bestrafungen von Sachverständigen wegen gröblichen Verstoßes gegen die ihnen nach der Prozeßordnung obliegenden Pflichten seien keineswegs so häufig, daß man sagen könnte, es handle sich dabei um eine unvermeidbare Folge ihrer beruflichen Tätigkeit.
Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragt der Steuerpflichtige, die Vorentscheidung aufzuheben und das FA anzuweisen, den Betrag von 500 DM als Betriebsausgabe anzuerkennen. Er rügt die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) und des Grundrechts der Freiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie die unzutreffende Auslegung des § 4 Abs. 4 EStG. Er - der Steuerpflichtige - sei Sachverständiger für Wasserbau. Die Einnahmen aus dem angeforderten Gutachten flössen unstreitig in die Betriebseinnahmen und unterlägen somit der Besteuerung. Selbst wenn er zu erkennen gegeben habe, daß die Säumnis nicht auf Arbeitsüberlastung, sondern auf seinem Entschluß, das Gutachten zu verweigern, beruhe, so doch nur deshalb, weil die Gebühr ihm zu niedrig erschienen sei. Die spätere Verhandlung habe ergeben, daß die Gebühr erhöht worden sei. Die Ordnungsstrafe stehe somit in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den Betriebseinnahmen. Mit Rücksicht auf den unterschiedlichen Charakter könnten reine Ordnungsstrafen ohne kriminellen Einschlag hinsichtlich ihrer steuerlichen Abzugsfähigkeit nicht den Kriminalstrafen gleichgestellt werden. Die vom FG in der Vorentscheidung zitierten Urteile gingen daher hier an der Sache vorbei. Wenn das FG Kriminalstrafen und Ordnungsstrafen gleichstelle, so behandle es hiermit ungleiche Tatbestände zu Unrecht gleich und verstoße somit gegen Art. 3 GG. Dagegen hätten privatrechtlich vereinbarte Vertragsstrafen ebensowenig Kriminalcharakter, wie die Bestrafung eines Sachverständigen gemäß § 411 ZPO. Der Strafcharakter der §§ 380, 409 und 411 ZPO müsse mit Rücksicht auf Art. 103 Abs. 3 GG in Frage gestellt werden, da die ZPO die mehrmalige Bestrafung von Zeugen und Sachverständigen zulasse. Gerade diese Tatsache weise deutlich darauf hin, daß es sich bei den sogenannten Ordnungsstrafen gegen Zeugen und Sachverständige nach der ZPO materiell um Erzwingungsgelder handle, denen überhaupt kein Strafcharakter beizumessen sei. Andernfalls wären die Vorschriften, die eine mehrmalige Bestrafung zuließen, mit Rücksicht auf Art. 103 Abs. 3 GG nichtig. Zur Abrundung des Gesamtbildes sei noch darauf hinzuweisen, daß er - der Steuerpflichtige - in seiner beruflichen Stellung einzigartig in der BRD dastehe. Neben ihm kämen für die Erstattung von Sachverständigengutachten nur noch öffentlich-rechtliche Anstalten in Betracht, da sich auf privatwirtschaftlicher Ebene kein weiterer Unternehmer mit dem in Betracht kommenden Spezialgebiet befasse. Er werde daher sehr häufig durch die Gerichte als Sachverständiger in Anspruch genommen und könne sich mit Rücksicht auf seine staatsbürgerlichen Pflichten dieser Inanspruchnahme nicht entziehen, obwohl er es mit Rücksicht auf seine große berufliche Inanspruchnahme häufig sehr gerne tun würde. Ihm gehe es daher in erster Linie um eine grundsätzliche Entscheidung des hier in Frage stehenden Rechtsproblems, da er gewärtigen müsse, daß gegen ihn weit höhere Ordnungsstrafen nach der ZPO verhängt würden, als sie hier in Streit seien.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es bestehe, so führt es aus, zwar sicherlich ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Ordnungsstrafe und Betriebseinnahmen. Diese Verbindung sei jedoch nicht entscheidend, denn die engen Beziehungen zwischen Strafe und Person des Bestraften konsumierten etwa bestehende Zusammenhänge zwischen Strafe und Beruf.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
Der BFH hat mehrfach u. a. in der Grundsatzentscheidung I 322/56 S sowie im Urteil I R 12/66 vom 6. November 1968 (BFH 94, 56, BStBl II 1969, 74) entschieden, daß Geldstrafen nicht als Betriebsausgaben abgesetzt werden können, auch wenn die strafbare Handlung, derentwegen die Geldstrafe festgesetzt worden ist, eine betriebliche Beziehung aufweist. Diese Rechtsprechung stellt - anders als frühere Entscheidungen zu diesem Fragenkreis, die den betrieblichen Zusammenhang schon durch das Rechtswidrige und Schuldhafte des Tuns als unterbrochen ansahen - die Erwägung in den Vordergrund, daß die Rechtsordnung eine Einheit bilde und es nicht angehe, Geldstrafen mittelbar dadurch zu mildern oder aufzuheben, daß ihre Entrichtung zu einer Steuersenkung führe. Auch könne es nicht rechtens sein, Geldstrafen über das Steuerrecht zum Teil auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Dies gelte sowohl für Strafen wie auch für Geldbußen, die wegen Ordnungswidrigkeiten verhängt worden seien. Ohne Rechtsverstoß hat das FG diese Grundsätze, an denen der Senat festhält, auch im Falle einer vom Zivilgericht gemäß § 411 ZPO verhängten Ordnungsstrafe für anwendbar gehalten.
Der Steuerpflichtige weist zwar mit Recht darauf hin, daß zwischen einer solchen Ordnungsstrafe und einer gemäß § 339 BGB zu zahlenden Vertragsstrafe gewisse Ähnlichkeiten bestehen, die die Überlegung nahelegen könnten, auch die Ordnungsstrafe im Sinne des § 411 ZPO als Betriebsausgabe anzusehen. Bei einem solchen Vergleich werden indes der Schutzcharakter dieser Ordnungsstrafe gegenüber der Allgemeinheit und deren hoheitliche Natur nicht hinreichend beachtet. Die gegen einen säumigen Sachverständigen verhängte Ordnungsstrafe dient - mögen auch an dem unmittelbar in Betracht kommenden Rechtsstreit nur wenige Personen beteiligt sein - der Aufrechterhaltung einer ordnungsgemäß funktionierenden Rechtspflege, die als eine der drei Staatsgewalten eine tragende Kraft eines Gemeinwesens darstellt und dem Schutz jedes einzelnen im Staate dient. Die Bedeutung der Strafsanktion des § 411 ZPO kann aus diesem Grunde nicht geringer veranschlagt werden als die anderer Rechtsnormen, etwa der Straßenverkehrsordnung, deren Zweck darin besteht, durch Androhung von Geldstrafen oder -bußen auf die Aufrechterhaltung der allgemeinen Ordnung im Staate hinzuwirken.
Auch der Erwägung des Steuerpflichtigen, die Ordnungsstrafe im Sinne des § 411 ZPO habe nur Erzwingungs-, nicht aber Strafcharakter und könne daher nicht mit Kriminalstrafen und Geldbußen gleichgestellt werden, vermag der Senat nicht zu folgen. Es mag zwar zutreffen, daß unter dem Eindruck einer vom Gericht vorgenommenen Fristsetzung mit Strafandrohung die Willensbildung des Sachverständigen in Richtung auf eine alsbaldige Abgabe des Gutachtens beeinflußt wird. Dieser durch Strafdrohung auf eine bestimmte Entscheidung des einzelnen gerichtete Zwang ist aber keine Besonderheit der Ordnungsstrafe im Sinne des § 411 ZPO und hebt diese Sanktion nicht aus dem Kreis anderer Strafen heraus; denn auch dort wirkt das durch Gesetz angedrohte Übel willensbildend auf den potentiellen Rechtsbrecher ein mit dem Ziel, ein sozial-adäquates Verhalten herbeizuführen.
Schließlich kann auch nicht aus der Zulässigkeit einer zweimaligen Verhängung der Ordnungsstrafe einerseits und dem Verbot einer mehrmaligen Bestrafung gemäß Art. 103 Abs. 3 GG andererseits geschlossen werden, daß der Ordnungsstrafe im Sinne des § 411 ZPO der Strafcharakter fehle; denn durch die zulässigen zwei selbständigen Strafaussprüche werden jeweils zwei verschiedene Unterlassungen, nämlich Nichtabgabe des Gutachtens zu zwei verschiedenen vom Gericht nacheinander festgesetzten Zeitpunkten, geahndet, so daß ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3 GG nicht vorliegt.
Fundstellen
Haufe-Index 413251 |
BStBl II 1972, 623 |
BFHE 1972, 486 |