Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Eine Handwerkskammer handelt nicht in Ausübung öffentlicher Gewalt, wenn sie zur Förderung des Handwerks durch eine sogenannte Buchstelle gegen amtlich festgesetzte Gebühren die Buchführung für Kammermitglieder besorgt sowie die Betreuung und Vertretung der Mitglieder in Steuersachen übernimmt.
Normenkette
UStG § 2 Abs. 3; UStDB § 19; HandwO 84/1/9; HandwO 107/3; HandwO 107/4
Tatbestand
Die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige - Stpfl. -) ist nach § 83 Abs. 1 des Gesetzes zur Ordnung des Handwerks vom 17. September 1953 - HO - (BGBl I S. 1411) eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (KöR). Sie betreibt eine sogenannte Buchstelle. Diese führt für Kammermitglieder, die sie in Anspruch nehmen, die Geschäftsbücher, erstellt Abschlüsse einschließlich der Bilanzen, fertigt Steuererklärungen an und übernimmt die Vertretung vor den Finanzämtern. Dafür sind Gebühren nach einer gemäß § 107 Abs. 3 HO staatlich genehmigten Gebührenordnung zu bezahlen, die die Stpfl. im Verzugsfalle gemäß Abs. 2 dieser Vorschrift durch die Gemeinden beitreiben lassen kann. Kein Mitglied ist gezwungen, diese Einrichtung zu benützen.
Streitig ist, ob das Finanzamt (FA) für die Zeit vom 6. Juli 1959 bis 31. Dezember 1960 diese Leistungen der Stpfl. zu Recht zur Umsatzsteuer herangezogen hat. Die Stpfl. vertritt die Auffassung, sie habe mit dieser Tätigkeit Aufgaben erfüllt, die ihr durch § 84 HO zugewiesen seien und sei in Ausübung öffentlicher Gewalt tätig geworden; ihre Leistungen seien deshalb gemäß § 2 Abs. 3 UStG nicht steuerbar.
Das Finanzgericht (FG) wies die zugelassene Sprungberufung (jetzt Klage) gegen die Umsatzsteuerbescheide als unbegründet zurück. Gegen diese Entscheidung legte die Stpfl. Rechtsbeschwerde ein. Sie rügt Verletzung des Verfahrens- und des Steuerrechts. In verfahrensrechtlicher Hinsicht macht sie geltend: Das FG habe seine Aufklärungspflicht verletzt. Sie habe in der mündlichen Verhandlung vor dem FG dargetan, daß die Interessen der Handwerker den Betrieb einer kammereigenen Buchstelle zwingend erforderten und angeregt, hierüber eine Auskunft des ...ischen Ministeriums für Wirtschaft einzuholen. Diese entscheidungserhebliche Beweisaufnahme habe das FG unterlassen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist nach dem Inkrafttreten der FGO am 1. Januar 1966 als Revision zu behandeln (§ 184 FGO). Das Rechtsmittel ist nicht begründet.
Die Stpfl. ist zwar als KöR zur Ausübung hoheitlicher Gewalt befähigt (§ 19 Abs. 1 und 4 UStDB). Nicht alle Handlungen einer KöR haben aber hoheitlichen Charakter. Davon ist nach der Fassung des Abs. 1 der erwähnten Vorschrift auch der Gesetzgeber ausgegangen. Dabei hat er aber zur Abgrenzung der hoheitlichen Tätigkeit von unternehmerischen Leistungen einer KöR keine umfassenden Richtlinien aufgestellt, sondern lediglich - neben der Einordnung spezieller, hier nicht in Frage stehender Leistungen (Abs. 2 und 3) - den Annahmezwang für das Publikum als ein in der Regel entscheidendes Kennzeichen für die Gewaltausübung herausgestellt. Die Abgrenzung des gesetzlichen Begriffs ist deshalb in maßgeblichem Umfang der Rechtsprechung überlassen. Da die Kammermitglieder im Bereich der strittigen Tätigkeit der Stpfl. keinem Annahmezwang unterworfen sind, hängt die Entscheidung des Falles von den Grundsätzen ab, die die Rechtsprechung zum § 2 Abs. 3 UStG herausgearbeitet hat.
Nach dem grundlegenden Gutachten des RFH V D 1/37 vom 9. Juli 1937 (Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs Bd. 42 S. 253 - RFH 42, 253, RStBl 1937, 1306) dem die ständige Rechtsprechung des BFH folgt (vgl. Urteile des BFH V 84/52 U vom 9. Februar 1953, BFH 57, 221, BStBl III 1953, 86; V 120/59 U vom 13. April 1961, BFH 73, 84, BStBl III 1961, 298; V 131/62 U vom 1. April 1965, BFH 82, 263, BStBl III 1965, 339) sind Umsätze einer KöR dann nicht steuerbar, wenn sie aus einer Tätigkeit herrühren, die dem Träger der öffentlichen Gewalt eigentümlich und vorbehalten ist. Bei dieser Wertung ist ein strenger Maßstab anzulegen; § 2 Abs. 3 UStG ist, wie der RFH sich ausgedrückt hat "mit gebührender Vorsicht" anzuwenden. Denn die Umsatzsteuer ist eine allgemeine, grundsätzlich jeden Umsatz erfassende Verbrauchsteuer. Dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung kommt hier eine besondere Bedeutung zu, weil der private Unternehmer nicht durch den Wettbewerb der KöR benachteiligt werden darf (Urteil des RFH V 293/38 vom 9. Februar 1940, RFH 48, 135, RStBl 1940, 575). übernimmt die öffentliche Hand in größerem Umfang Aufgaben, wie sie auch Privatpersonen übernehmen und tritt sie dadurch auch nur ungewollt in Wettbewerb zur privaten Wirtschaft, so ist die Tätigkeit nicht mehr der öffentlichen Hand eigentümlich und vorbehalten, also keine hoheitliche Tätigkeit.
Eigentümlich und vorbehalten sind den KöR regelmäßig diejenigen Aufgaben, die ihnen durch Gesetz ausdrücklich zugewiesen sind oder ihnen herkömmlich obliegen. Zu diesen Aufgaben gehört der Betrieb einer Buchstelle durch eine Handwerkskammer nicht. Die Stpfl. stützt ihre gegenteilige Auffassung zu Unrecht auf § 84 Abs. 1 Nr. 9 HO. Nach dieser Vorschrift obliegt es zwar der Stpfl. "die wirtschaftlichen Interessen des Handwerks und die ihnen dienenden Einrichtungen, insbesondere das Genossenschaftswesen, zu fördern". Damit hat der Gesetzgeber aber den Wirkungskreis der Handwerkskammern nur in einer allgemeinen Form abgesteckt, ihnen aber nicht eine konkrete Aufgabe zugewiesen. Es liegt vielmehr im Sinne dieser Bestimmung, es den Handwerkskammern im Rahmen ihres Selbstverwaltungsrechts freizustellen, mit welchen Mitteln und Maßnahmen sie das allgemein umrissene Programm verwirklichen. Sie sind also gehalten, sich ihre konkreten Aufgaben im Rahmen des § 84 Abs. 1 Nr. 9 HO selbst zu stellen. Obwohl es nicht zu leugnen ist, daß die Stpfl. durch ihre buchführende und steuerberatende Tätigkeit den wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder dient und diese Interessen damit fördert, ist deshalb der Betrieb ihrer Buchstelle doch keine ihr gesetzlich zugewiesene Aufgabe im Sinne der erwähnten Rechtsprechung. Die Frage, ob die Stpfl. mit dieser Stelle eine hoheitliche Tätigkeit ausübt, kann somit nicht mit dem Hinweis auf das Gesetz bejaht werden.
Es ist vielmehr unter Anlegung eines strengen Maßstabes zu prüfen, ob der Betrieb der Buchstelle der Stpfl. aus anderen Gründen als der gesetzlichen Zuweisung vorbehalten und eigentümlich ist. Hierfür lassen sich aber keine Gesichtspunkte finden. Denn Lohnbuchhaltung, Steuerberatung und Vertretung von Privatpersonen vor den Fä sind typische Bereiche der privatunternehmerischen Berufs- und Gewerbeausübung. Die Stpfl. hat sich deshalb durch die strittige Tätigkeit auf die Ebene eines privaten Unternehmers begeben und ist mit der privaten Wirtschaft in Wettbewerb getreten. Sie verwirklicht insoweit die ihr durch § 84 Abs. 1 Nr. 9 HO übertragene allgemeine Funktion durch privatwirtschaftliche Mittel. Die strittigen Leistungen können deshalb nicht als Ausübung öffentlicher Gewalt beurteilt werden. Sie sind steuerbar und steuerpflichtig.
Für diese Rechtsauffassung ist es ohne Bedeutung, daß nach den Behauptungen der Stpfl. ein besonderes örtliches Bedürfnis für den kammereigenen Betrieb der Buchstelle bestand. Denn dieser Umstand ist kein Kennzeichen der zugewiesenen oder vorbehaltenen und eigentümlichen Aufgabe einer KöR. Die Verfahrensrüge, mit der die Stpfl. den Mangel von Feststellungen zur Bedürfnisfrage beanstandet, ist deshalb unbegründet. Die Entscheidung des FG beruht nicht auf der Unterlassung der von der Stpfl. erstrebten Aufklärung (§ 288 der Reichsabgabenordnung - AO - a. F., § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Die Revision ist schließlich auch nicht aus dem Gesichtspunkt begründet, daß die Stpfl. für Tätigkeiten der Buchstelle Gebühren nach einer von der obersten Landesbehörde genehmigten Gebührenordnung erhebt, daß diese Gebühren nach öffentlich rechtlichen Vorschriften beigetrieben werden können (§ 107 Abs. 3 HO) und daß für Streitigkeiten wegen der Entrichtung dieser Gebühren der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist (§ 107 Abs. 4 HO). Es ist zwar einzuräumen, daß sich das Kammermitglied hinsichtlich seiner Pflicht zur Gegenleistung einem öffentlich rechtlichen Gewaltverhältnis unterwerfen muß, wenn es die Einrichtung der Buchstelle in Anspruch nehmen will. Dieser Umstand ist aber nicht entscheidend für die Natur der steuerrechtlich allein erheblichen Leistung der Kammer. Grundlage dieser Leistung ist zweifelsfrei ein gegenseitiger Vertrag. Selbst wenn dieses Rechtsgeschäft dem öffentlichen Recht zuzurechnen wäre, so beruhte es doch nicht auf einem über- und Unterordnungsverhältnis, es bliebe vielmehr eine Abmachung zwischen gleichgeordneten Rechtssubjekten. Müßte auch hinsichtlich der Ansprüche des Kammermitglieds der Verwaltungsrechtsweg beschritten werden, so wäre keine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, sondern eine Parteistreitigkeit gegeben. Auch aus diesen Erwägungen folgt, daß in den Rechtsbeziehungen zwischen der Stpfl. und ihren Mitgliedern jedenfalls den Leistungen der Buchstelle nicht der Charakter des hoheitlichen Wirkens zukommt.
Fundstellen
Haufe-Index 412246 |
BStBl III 1967, 100 |
BFHE 1967, 228 |
BFHE 87, 228 |