Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonstiges Steuerliche Betriebsprüfung Verfahrensrecht/Abgabenordnung Bewertung Bewertung/Vermögen-/Erbschaft-/Schenkungsteuer
Leitsatz (amtlich)
In den Ländern der früheren amerikanischen Zone ist gegen Beschwerdeentscheidungen der Oberfinanzdirektion über Anordnungen der Finanzämter, die nach § 202 Abs. 1 AO erzwungen werden können, für die aber ein Zwangsmittel nicht angedroht ist, das Rechtsmittel der Berufung gegeben.
Wird gleichzeitig oder nachträglich vom Finanzamt ein Zwangsmittel angedroht, so besteht für diese Androhung der gleiche Rechtsmittelzug.
Zur Frage, ob der Eigentümer eines gemischt-genutzten Grundstücks verpflichtet ist, für Zwecke der Einheitsbewertung dem Finanzamt eine Aufstellung über die Baukosten einzureichen.
GG Art. 19 Abs. 4; AO §§ 202, 288, 305 Abs. 1, 205 Abs. 1 und 2, 166, 170 in Verbindung mit § 43
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4; AO §§ 202, 205 Abs. 1-2, § 305/1; FGO § 33; AO §§ 230, 166, 170; BewDV § 43; BewG § 29
Tatbestand
Die vom Beschwerdeführer (Bf.) als Eigentümer eines gemischt genutzten Grundstücks zur Feststellung des Einheitswertes auf den 1. Januar 1954 in der Mietnachweisung angegebene Höhe der Baukosten gab zu Zweifeln Anlaß. Das Finanzamt reichte einen von dem Steuerberater des Bf. übergebenen Ordner mit Baurechnungen zurück und forderte den Bf. durch die den Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens bildende Verfügung vom 15. Oktober 1954 auf, eine genaue Aufstellung der Baukosten einzureichen, die folgendes enthalten sollte:
Die Bezeichnung der Rechnung stellenden Firmen nach Name, Beruf und Ortsangabe;
das Datum der Rechnung;
den Rechnungsbetrag in DM.
Das ursprünglich geäußerte Verlangen, auch die Art der Zahlung anzugeben, wurde fallengelassen. Streitig ist, ob die Anordnungsverfügung vom 15. Oktober 1954 zu Recht ergangen ist.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde und die Berufung blieben erfolglos.
Auch die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Entgegen der Auffassung des Bf. ist es nicht zu beanstanden, daß die Vorinstanz das Rechtsmittelverfahren betreffend die Anordnung der Vorlage einer Aufstellung und dasjenige betreffend die Androhung eines Erzwingungsgeldes - enthalten in einer weiteren Verfügung des Finanzamts vom 28. Oktober 1954 - als zwei Verfahren behandelt und demgemäß zwei Entscheidungen gefällt hat.
Der Vorentscheidung ist auch darin beizutreten, daß im Streitfalle verfahrensrechtliche Bedenken auch nicht im Hinblick auf § 305 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) bestehen. über die Berufung hat - in einem Lande der früheren amerikanischen Zone - das Finanzgericht entschieden. Nach § 305 Abs. 1 Satz 1 AO ist zwar u. a. gegen Beschwerdeentscheidungen der Oberfinanzdirektionen über Anordnungen, die nach § 202 Abs. 1 AO erzwungen werden können, und über die Androhung eines Zwangsmittels zur Erzwingung einer solchen Anordnung die Rechtsbeschwerde an den Bundesfinanzhof zulässig. Dieser Bestimmung geht jedoch die höherrangige Vorschrift des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) vor. Der Rechtsweg, den Art. 19 Abs. 4 GG garantiert, erfordert insbesondere (mindestens) eine gerichtliche Instanz, die zur Nachprüfung auch in tatsächlicher Hinsicht berufen ist. Daran würde es in Fällen der streitigen Art fehlen - vgl. § 288 AO -, wenn gegen Beschwerdeentscheidungen der Oberfinanzdirektionen über erzwingbare Anordnungen der Bundesfinanzhof unmittelbar angerufen werden könnte. Es ist vielmehr erforderlich, daß das Finanzgericht zuvor über die Berufung durch Urteil entscheidet. Eine solche Auslegung des Gesetzes trägt auch seinem Sinne Rechnung. Es kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, daß nach dem Inkrafttreten des Art. 19 Abs. 4 GG gegenüber Beschwerdeentscheidungen der Oberfinanzdirektionen in Fällen nicht erzwingbarer Anordnungen ein besserer Rechtsschutz gewährt würde als in den Fällen erzwingbarer Anordnungen; ebensowenig wäre es mit dem Sinne des Gesetzes vereinbar, im Rechtsmittelverfahren betreffend die erzwingbare Anordnung und die Androhung eines Erzwingungsgeldes einen geringeren Rechtsschutz zu gewähren als im Rechtsmittelverfahren betreffend die Festsetzung des Erzwingungsgeldes. Entsprechend hat bereits das Finanzgericht Stuttgart in dem rechtskräftigen Urteil II 556/53 vom 9. Juni 1954 - Entscheidungen der Finanzgerichte 1954 Nr. 360 S. 302 - entschieden, ferner das Finanzgericht München in dem Urteil I 4/54 vom 7. Dezember 1954 - Entscheidungen der Finanzgerichte 1955 Nr. 142 S. 118, 119 zu 1 -, dessen Ausführungen über die Zulässigkeit des Berufungsverfahrens gegen die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion der Bundesfinanzhof in dem Urteil I 188/55 U vom 11. September 1956, Slg. Bd. 63 S. 292, Bundessteuerblatt (BStBl) 1956 III S. 309, für zutreffend erklärt hat.
Zutreffend hat das Finanzamt das Verlangen der Auskunftserteilung auf die §§ 205 Abs. 1 und 2, 170 Abs. 1 und 2, 166 AO in Verbindung mit § 43 der Durchführungsverordnung zum Bewertungsgesetz (BewDV) gestützt. Die Vorinstanzen haben mit Recht ausgeführt, daß die Voraussetzungen der §§ 205 Abs. 1 und 2 AO in Verbindung mit § 43 Abs. (1 bis) 3 BewDV im Streitfall vorliegen. Die Beschwerde- und die Berufungsinstanz begründen die Verpflichtung des Bf. jedoch zu Unrecht mit der Vorschrift des § 171 AO. Das Finanzamt hat nicht den "Nachweis" der Steuererklärung (Mietnachweisung) gefordert; es hat vielmehr zunächst - dem Gesetz entsprechend - um schriftliche Auskunft gemäß § 170 AO in Verbindung mit § 43 Abs. 1 und 3 BewDV gebeten (vgl. dazu auch das Urteil des Reichsfinanzhofs I A 97/27 vom 22. April 1927, Reichssteuerblatt - RStBl - 1927 S. 139, 140). Dieses Verlangen war - entgegen den Ausführungen des Bf. - nach Form und Inhalt berechtigt. Der Einwand des Bf., die Anordnung des Finanzamts sei ungeeignet, den erstrebten Zweck zu erfüllen, geht fehl. Die Vorbehörden haben zutreffend dargelegt, daß bei gemischt-genutzten Grundstücken, die gemäß §§ 33 Abs. 1 BewDV (grundsätzlich) mit einem Vielfachen der Jahresrohmiete zu bewerten sind, die Kenntnis der Höhe und der Zusammensetzung der Baukosten für die Ermittlung des Einheitswertes von Bedeutung ist. Die Baukosten geben in Zweifelsfällen einen Anhaltspunkt dafür, ob die angegebene Jahresrohmiete der Größe und der Ausstattung des errichteten Gebäudes entsprechen kann. Die vom Finanzamt verlangte Aufstellung über die Baukosten war im Streitfall für die Bewertung des Grundstücks erforderlich. Sie bietet dem Finanzamt - anders als die vom Bf. gelieferte summarische Mitteilung der Baukosten - in Anbetracht der Aufgliederung u. a. nach Namen, Beruf und Rechnungsbetrag zunächst hinreichendes Material zur überprüfung, ob die in der Mietnachweisung angegebenen Jahresrohmieten richtig sein können. Dafür, daß sich das Finanzamt etwa unter dem Vorwande, es benötige die Bewertungsgrundlagen für die Bewertung des Grundstücks des Bf., Kontrollmaterial für die Bewertung der Grundstücke anderer Steuerpflichtiger habe beschaffen wollen, fehlt jeder stichhaltige Anhaltspunkt. Wenn der Bf. geltend macht, daß er sämtliche Baurechnungen in einem Leitz-Ordner im Original dem Finanzamt rechtzeitig übergeben habe und daß eine Einzelaufstellung über die Baurechnungen deshalb nicht gefordert werden könne, so verkennt er, daß er in der Mietnachweisung die Baukosten nur schätzungsweise angegeben hatte ("ca. 30.000 DM") und daß er in der Beschwerdeschrift vom 1. November 1954 selbst bemerkt hatte, er werde demnächst die Baukosten betragsmäßig nochmals überprüfen und den gesamten Bauaufwand dem Finanzamt mitteilen. Es bestand also sogar bei dem Bf. zunächst keine volle Klarheit über die Baukosten. Um so mehr war das Verlangen des Finanzamts berechtigt, von dem Bf. eine klare, eindeutige Auskunft mit der Versicherung nach bestem Wissen und Gewissen zu erhalten (vgl. auch § 43 Abs. 3 BewDV in Verbindung mit § 166 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AO).
Dem Finanzgericht ist auch darin zuzustimmen, daß die mit der Aufstellung verbundene Arbeit dem Bf. nach den Umständen des Streitfalles zugemutet werden konnte. Die Verwaltungsbehörden haben also mit ihrem Verlangen Recht und Billigkeit nicht verletzt.
Fundstellen
Haufe-Index 408957 |
BStBl III 1958, 136 |
BFHE 1958, 356 |
BFHE 66, 356 |