Leitsatz (amtlich)
1. Der Senat hält nach erneuter Prüfung an der Auffassung fest, daß mittelbare Beteiligungen keine Beteiligungen i. S. des Art. 13 Abs. 4 DBA-Niederlande sind (BFH-Urteil vom 13. September 1972 I R 130/70, BFHE 107, 158, BStBl II 1973, 57).
2. Zur Frage des Rechtsmißbrauchs durch Aufteilung von Beteiligungen innerhalb eines Konzerns.
Normenkette
DBA NLD Art. 13, 13 Schlußprotokoll Nr. 18; StAnpG § 6
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine AG mit Sitz im Königreich der Niederlande, ist die alleinige Gesellschafterin niederländischer Aktiengesellschaften (Tochtergesellschaften). Sie ist auch an einer deutschen AG beteiligt. Diese Beteiligung betrug nach einer Kapitalerhöhung der AG im Jahre 1962 85,34 v. H. des Grundkapitals. Mit Wirkung vom 15. Juli 1963 übertrug die Klägerin einen Teil ihrer Anteile an der AG auf drei Tochtergesellschaften, mit der Folge, daß ihre Beteiligung an der AG und jede Beteiligung ihrer Tochtergesellschaften an der AG weniger als 25 v. H. des Grundkapitals betrugen.
Die AG schüttete nach dem Gewinnverteilungsbeschluß vom 20. Juni 1968 am 28. Juni 1968 an die Klägerin einen Gewinnanteil von 3 250 000 DM aus. Davon behielt sie 25 v. H. Kapitalertragsteuer ein und führte diesen Betrag ab. Mit Schreiben vom 12. August 1968 reichte sie beim FA den Antrag der Klägerin vom 24. Juli 1968 ein, die Kapitalertragsteuer, soweit sie 15 v. H. überstieg, zu erstatten. Das FA lehnte diesen Antrag ab. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Auf die Klage hat das FG den ablehnenden Bescheid und die Einspruchsentscheidung des FA aufgehoben und den Beklagten und Revisionskläger (das Bundesamt für Finanzen) verpflichtet, die Erstattung von 325 000 DM Kapitalertragsteuer an die Klägerin anzuordnen. Das Bundesamt für Finanzen ist nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung (FVG) i. d. F. des Art. 5 des Finanzanpassungsgesetzes (FAnpG) vom 30. August 1971 (BGBl I 1971, 1426, BStBl I 1971, 390) anstelle des FA als Beklagter in das Verfahren eingetreten.
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das FG ausgeführt, der Steuerabzug vom Kapitalertrag betrage im Streitfall 15 v. H., da der Klägerin nicht mindestens 25 v. H. der stimmberechtigten Anteile an der AG gehörten (Art. 13 Abs. 2, 3, 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete vom 16. Juni 1959 - DBA-Niederlande -, BStBl I 1960, 382; Nr. 18 des Schlußprotokolls).
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Bundesamtes für Finanzen, mit der Verletzung des materiellen Rechts und des Verfahrensrechts gerügt wird. Das Bundesamt für Finanzen führt aus, das FG habe Art. 13 Abs. 3 und 4 DBA-Niederlande i. V. m. Nr. 18 des Schlußprotokolls unrichtig angewandt, insbesondere die Begriffe "Kapitalgesellschaft", "stimmberechtigte Anteile" und "gehören" unzutreffend ausgelegt. Die Beteiligung der Klägerin an der AG schließe die Anteile an der AG ein, die die Tochtergesellschaften der Klägerin besäßen. Sie betrage damit 90,84 v. H. des Grundkapitals der AG. Dies ergebe sich aus dem Rechtsinstitut der "fiskalischen Einheit", das auf folgender Vorschrift des niederländischen Steuerrechts beruhe (§ 27 einer Verordnung vom Jahre 1940):
"(1) Solange alle Aktien einer Aktiengesellschaft im Besitz einer in § 1 bezeichneten Körperschaft sind, kann der Leiter des Finanzministeriums unter Auferlegung von Bedingungen bestimmen, daß die nach dieser Verordnung geschuldete Steuer erhoben wird, als sei die erstgenannte Gesellschaft in der Körperschaft aufgegangen, die ihre sämtlichen Aktien besitzt.
(2) Absatz 1 wird nur angewandt, wenn die Leiter aller beteiligten Gesellschaften, Genossenschaften und Vereine, die auferlegten Bedingungen angenommen haben."
Das FG habe das Verfahrensrecht dadurch verletzt, daß es diese Eigentümlichkeit des niederländischen Steuerrechts nicht genügend untersucht habe. Die Zusammenrechnung der Anteile der Klägerin und ihrer Tochtergesellschaften an der AG sei auch nach dem Zweck des DBA-Niederlande geboten. Schließlich ergebe sich die Zusammenrechnung auch aus § 6 StAnpG - Rechtsmißbrauch -. Das FG habe nicht geprüft, ob die Aufteilung der Anteile an der AG auf die Klägerin und ihre Tochtergesellschaften wirtschaftlich vernünftig gewesen sei.
Das Bundesamt für Finanzen beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Der Bundesminister der Finanzen (BdF) ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 FGO). Er führt im wesentlichen aus: Berücksichtige man bei der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des DBA-Niederlande die ganze Spannbreite des möglichen Wortsinns und den objektiven Vertragswillen, so ergebe sich, daß Empfänger der Zahlungen von Dividenden i. S. des Art. 13 Abs. 4 DBA-Niederlande die Person sei, der die Dividenden nach niederländischem Steuerrecht zuzurechnen seien. Das sei nach dem niederländischen Rechtsinstitut der fiskalischen Einheit die Klägerin, auch für die Dividenden aus den Beteiligungen ihrer Tochtergesellschaften an der AG.
Selbst wenn man aber der Auffassung wäre, die Zurechnung nach deutschem Steuerrecht sei maßgeblich, ergebe sich die Zurechnung an die Klägerin aus dem Treuhandverhältnis zwischen der Klägerin und ihren Tochtergesellschaften (Urteil des BFH vom 21. Mai 1971 III R 125-127/70, BFHE 102, 555, BStBl II 1971, 721).
Schließlich liege in der Verteilung der Anteile der Klägerin an der AG auf die Tochtergesellschaften ein Rechtsmißbrauch (§ 6 StAnpG), weil die Klägerin ohne jeden wirtschaftlich vernünftigen Grund - von der Absicht der Steuerersparnis abgesehen - einen ungewöhnlichen Weg zur Herbeiführung dieses von der Rechtsordnung zu mißbilligenden Erfolges gewählt habe.
Der BdF beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Der Steuerabzug vom Kapitalertrag beträgt im Streitfall 15 v. H. der ausgeschütteten Gewinne der AG, da der Klägerin nicht mindestens 25 v. H. der Anteile an der AG gehören (Art. 13 Abs. 2, 3, 4 DBA-Niederlande, Nr. 18 des Schlußprotokolls).
Zur Begründung dieser Auffassung nimmt der Senat, um Wiederholungen zu vermeiden, auf sein Urteil vom 13. September 1972 I R 130/70 (BFHE 107, 158, BStBl II 1973, 57) Bezug. Ergänzend wird bemerkt:
1. Auslegung des DBA-Niederlande
a) Nach Art. 13 Abs. 3 DBA-Niederlande beträgt der Steuersatz für die Kapitalertragsteuer, die im Wege des Abzugs vom Kapitalertrag erhoben wird, im Normalfall 15 v. H. Er beträgt 25 v. H., "wenn die Dividenden von einer Kapitalgesellschaft mit Wohnsitz in einem der Vertragsstaaten an eine Kapitalgesellschaft mit Wohnsitz in dem anderen Staat gezahlt werden, der mindestens 25 v. H. der stimmberechtigten Anteile der erstgenannten Gesellschaft gehören", solange in der Bundesrepublik Deutschland der Satz der Körperschaftsteuer für ausgeschüttete Gewinne niedriger ist als der Steuersatz für nicht ausgeschüttete Gewinne und der Unterschied 20 v. H. oder mehr beträgt (Art. 13 Abs. 4 DBA-Niederlande, Nr. 18 des Schlußprotokolls). Der Senat bezweifelt, ob es noch im Rahmen des möglichen Wortsinns liegt, bei Gewinnausschüttungen deutscher Kapitalgesellschaften an niederländische Kapitalgesellschaften als Bezieherin der Dividenden diejenige Gesellschaft anzusehen, der die Dividenden nach niederländischem Steuerrecht zuzurechnen sind. Er braucht indes diese Frage nicht abschließend zu prüfen. Da die Worte "gezahlt werden", "stimmberechtigte Anteile" und "gehören" dagegen sprechen, daß hier die Zuordnung nach niederländischem Steuerrecht gemeint sei, wäre diese Auslegung nur möglich, wenn sie sich auf einen feststellbaren objektiven Vertragswillen stützen könnte. Das ist nicht der Fall. Was der BdF als objektiven Vertragswillen bezeichnet, ist in Wahrheit seine subjektive Vorstellung von der Bedeutung der angeführten Bestimmungen des DBA-Niederlande. Ungewiß ist, ob diese Vorstellung auch beim Abschluß des DBA-Niederlande bestanden hat und bei den Vertragsverhandlungen zum Ausdruck gebracht wurde, ungewiß ist vor allem, ob sie sich mit den Vorstellungen der Vertreter des Königreichs der Niederlande deckte. Dagegen spricht der unwidersprochene Vortrag der Klägerin, die Vertreter der Bundesrepublik Deutschland hätten bei den Vertragsverhandlungen den Vorschlag der Vertreter des Königreichs der Niederlande abgelehnt, in Art. 13 Abs. 4 die mittelbare Beteiligung der unmittelbaren Beteiligung gleichzustellen. Im Abkommen selbst hat jedenfalls die Auffassung des BdF keinen Niederschlag gefunden, so daß auch "der Zusammenhang" der einzelnen Bestimmungen des Abkommens die Auslegung durch den BdF nicht zu rechtfertigen vermag (Art. 2 Abs. 2 DBA-Niederlande).
Im übrigen kann die Eigenständigkeit des Regelungsbereichs eines Doppelbesteuerungsabkommens - DBA - (BFH-Urteile vom 15. Januar 1971 III R 125/69, BFHE 101, 536, BStBl II 1971, 379; vom 23. März 1972 I R 128/70, BFHE 106, 501, BStBl II 1972, 948, und vom 27. Januar 1972 I R 37/70, BFHE 105, 8, BStBl II 1972, 459) nur anerkannt werden, soweit das DBA Bestimmungen enthält, die einen vom innerstaatlichen Recht abweichenden Gehalt haben. Die Auslegung findet damit ihre Grenze am gesetzten Recht. Bei der Auffassung des BdF, ein DBA diene nicht allein der Vermeidung der Doppelbesteuerung, sondern auch der Koordination der von den Vertragsstaaten vorzunehmenden Besteuerung, besteht die Gefahr, daß einseitige Vorstellungen über ein noch nicht bestehendes Gemeinschaftsrecht in das DBA hineingelegt werden. Zutreffend bemerkt in diesem Zusammenhang die Klägerin, ein DBA habe nicht die Aufgabe, die Rechtsordnungen der beiden Staaten zu harmonisieren, sondern die Aufgabe, sie voneinander abzugrenzen.
b) In dem DBA-Niederlande ist nicht "eigenständig" bestimmt, wer als Bezieher einer Schachteldividende nach Art. 13 Abs. 4 DBA-Niederlande, Nr. 18 des Schlußprotokolls anzusehen ist. Daher greift, soweit es sich um Gewinnausschüttungen deutscher Kapitalgesellschaften an niederländische Kapitalgesellschaften handelt, das deutsche Recht ein. Denn es geht hier um eine Frage der deutschen beschränkten Steuerpflicht. Nach deutschem Steuerrecht ist, wie sich bereits aus dem Urteil I R 130/70 ergibt, die Klägerin die Gläubigerin der Kapitalerträge und damit die Steuerschuldnerin (§ 6 Abs. 1 Satz 1 KStG, § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG, § 58 Abs. 4 AktG). Deren rechtliche Selbständigkeit, die das DBA-Niederlande ausdrücklich anerkennt (Art. 2 Abs. 1 Nr. 1), wird durch die Besteuerung nach den Vorschriften des niederländischen Steuerrechts über die fiskalische Einheit nicht berührt. Die Verfahrensrüge, das FG habe dieses Rechtsinstitut ungenügend erforscht, ist daher unbegründet.
Auch wenn man § 9 KStG über das Schachtelprivileg in die Betrachtung miteinbezieht, bleibt die Klägerin die Bezieherin der Schachteldividenden. Denn der Senat hat inzwischen entschieden, daß es für die Frage, wem die Schachtelbeteiligung gehört, nicht auf die steuerrechtliche Zurechnung, sondern auf die zivilrechtliche Rechtszuständigkeit ankommt (BFH-Urteil vom 4. April 1974 I R 73/72, BFHE 112, 351, BStBl II 1974, 645).
c) Die Tochtergesellschaften der Klägerin können schließlich nicht als Treuhänder der Klägerin angesehen werden, mit der Folge, daß die Anteile an der AG, die den Tochtergesellschaften gehören, der Klägerin zuzurechnen wären (§ 11 Nr. 2 StAnpG). Mit der gegenteiligen Ansicht überschätzt der BdF die Tragweite des BFH-Urteils III R 125-127/70. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf sein Urteil vom 29. Januar 1975 I R 135/70 (BFHE 115, 107, BStBl II 1975, 553).
2. Rechtsmißbrauch
Ein Rechtsmißbrauch liegt nicht vor. Die Annahme eines Rechtsmißbrauchs (§ 6 StAnpG) setzt voraus, daß der Steuerpflichtige eine Gestaltung wählt, die gemessen an dem erstrebten Ziel unangemessen ist, und daß die Rechtsordnung das Ergebnis mißbilligt.
Der Senat hält daran fest, daß die Beteiligten grundsätzlich ihre Verhältnisse, auch ihre Auslandsbeziehungen, so gestalten können, wie sie ihnen steuerrechtlich am günstigsten erscheinen (BFH-Urteil I R 130/70). Auch wenn die Klägerin bei der Verteilung der Anteile an der AG auf die Tochtergesellschaften vorwiegend die Absicht verfolgt haben sollte, auf diese Weise Steuern zu sparen, läge darin ebensowenig ein Rechtsmißbrauch wie in der Umwandlung einer Kapitalgesellschaft auf eine Personengesellschaft, die überwiegend aus steuerlichen Gründen vorgenommen wird. Unter diesen Umständen bedarf es nicht der weiteren Prüfung, ob die Aufteilung der Beteiligung an der AG auf die Tochtergesellschaften wirtschaftlich vernünftig war. Dies zu beurteilen, war allein Sache der Klägerin. Auch in diesem Punkt ist daher die Verfahrensrüge des Bundesamtes für Finanzen unbegründet.
Fundstellen
BStBl II 1975, 584 |
BFHE 1975, 327 |