Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Förderungsgesetze

 

Leitsatz (amtlich)

Die Regelung in Tz. 24 Satz 2 der VAO vom 25. Mai 1962, wonach in den Fällen einer Eheschließung erst nach dem 20. Juni 1948 mindestens ein Erlaß in der Höhe auszusprechen ist, in der die eigenen verfügbaren Mittel des Schuldnerehegatten zur Entrichtung der HGA-Leistungen nicht ausreichen, gleicht die gegenüber § 131 LAG bestehenden Nachteile der in Tz. 24 Satz 1 der angegebenen VAO getroffenen Regelung nicht in vollem Umfang aus. Die Tz. 24 der genannten VAO ist in vollem Umfang mit § 131 LAG nicht vereinbar und deshalb nicht anzuwenden, soweit die sich abweichend von der in § 131 LAG getroffenen Regelung nachteilig auswirkt.

 

Normenkette

LAG § 131

 

Tatbestand

Streitig ist der Erlaß von HGA-Leistungen wegen wirtschaftlicher Bedrängnis (§ 131 LAG) für den Erlaßzeitraum 1959 bis 1961.

Die Revisionsklägerin bildet zusammen mit ihrer Mutter eine ungeteilte Erbengemeinschaft nach ihrem Vater. Steuerlich ist die Revisionsklägerin als Bruchteilseigentümerin zu 3/4 des Grundstücks in X anzusehen. Der restliche 1/4 - Bruchteil wurde der Mutter der Revisionsklägerin zugerechnet. Nach dem unanfechtbar gewordenen HGA-Bescheid waren im Erlaßzeitraum 1959 bis 1961 insgesamt 2.130 DM an HGA-Leistungen zu erbringen.

Die Revisionsklägerin und ihre Mutter beantragten, die HGA- Leistungen für den Erlaßzeitraum gemäß § 131 LAG in vollem Umfang zu erlassen. Ob Mutter und Tochter in einer Familieneinheit leben, ist nicht festgestellt worden.

Das FA erließ den auf die Mutter der Revisionsklägerin entfallenden 1/4 - Anteil der HGA-Leistungen in Höhe von 532,50 DM. Den Antrag auf Erlaß von weiteren 1.597,50 DM (= 2.130 DM ./. 532,50 DM) lehnte das FA ab.

Mit der dagegen eingelegten Beschwerde machte die Revisionsklägerin geltend, obwohl in ihrer im Jahre 1950 geschlossenen Ehe Gütertrennung bestehe, sei das Einkommen ihres Ehemannes bei der Berechnung der für einen Erlaß wesentlichen verfügbaren Mittel miterfaßt worden. Das sei widersprüchlich. Zumindest hätten aber die gepfändeten Gehaltsbezüge ihres Ehemannes außer Ansatz bleiben müssen. Es müsse auch berücksichtigt werden, daß ihr Ehemann erhebliches Vermögen an die Russen verloren habe, ohne eine Entschädigung zu erhalten. Durch die Besatzungsmacht seien darüber hinaus das Haus und auch fast alle Möbel, Hausrat, Bekleidung und ihre Aussteuer beschädigt worden. Die dafür anerkannte Entschädigung habe in keinem Verhältnis zu dem tatsächlichen Schaden gestanden. Sie müsse ferner ihre Mutter, die keine Rente, Pension und dergleichen beziehe, voll unterhalten. Es komme hinzu, daß sie wegen der Krankheit ihres Sohnes hohe Kosten für Heizung, Verpflegung, Nahrungsmittel und Erholungsreisen habe.

Das FA und die OFD forderten die Revisionsklägerin ohne Erfolg wiederholt auf, die Höhe der Krankheitskosten für ihren Sohn und die Höhe der Gehaltspfändungen im Erlaßzeitraum zu belegen.

Die OFD wies die Beschwerde als unbegründet zurück. Sie führte aus, für den Erlaßzeitraum seien folgende Pauschbeträge für die Lebenshaltungskosten anzusetzen:

Für die Antragstellerin vom 1. Januar 1959 bis 31. Dezember 1960 je 3.000 DM jährlich ------------------- = 6.000.- DM vom 1. Januar bis 31. Dezember 1961 ---- = 3.600,- DM für den Ehegatten vom 1. Januar 1959 bis 31. Dezember 1960 je 900 DM jährlich ------------------------------- = 1.800,- DM vom 1. Januar bis 31. Dezember 1961 ---- = 1.200,- DM für drei sonstige Angehörige (zwei eheliche Kinder und ein uneheliches Kind) vom 1. Januar 1959 bis 31. Dezember 1960 je dreimal 420 DM jährlich ------------------------------- = 2.520,- DM vom 1. Januar bis 31. Dezember 1961 dreimal 600 DM -------------------------- = 1.800,- DM zusammen: ----------------------------- = 16.920,- DM Zuschlag wegen wirtschaftlichen Notstandes (Krankheit in der Familie) jährlich 2.400,- -------------- = 7.200,- DM Lebenshaltungskosten für den Erlaßzeitraum 1959/61 insgesamt ------- = 24.120,- DM dazu anteilig zu erbringende HGA-= Leistungen für den gleichen Erlaßzeitraum -------------------------- = 1.597,50 DM zusammen: ----------------------------- = 25.717,50 DM. Dem stünden im Erlaßzeitraum als verfügbare Mittel gegenüber: 3/4-Anteil am Grundstücksüberschuß von 12.888,55 DM rd. ------------------- = 9.666,40 DM Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit des Ehemannes nach Abzug der Sozialbeiträge, Lohn- und Kir= chensteuer und des ohne besonderen Nachweis nach Tz. 44 der Verwal= tungsanordnung (VAO) 1959 als Werbungskosten anzuerkennenden Betrags von monatlich 10,- DM = 360 DM ------------------------------ = 20.836,- DM --------------------------------------- = 30.502,40 DM Jahreslohnsteuerausgleich für 1960 ------ + 126,- DM verfügbare Mittel insgesamt ----------- = 30.628,40 DM.Die verfügbaren Mittel reichten zur Deckung der Lebenshaltungskosten und zur Begleichung der HGA-Leistungen aus.

Die Gehaltsteile des Ehemannes der Revisionsklägerin seien zwar gepfändet worden, die Revisionsklägerin habe aber den Zeitpunkt der Entstehung der Schulden, die Namen der Gläubiger und die Schuldgründe nicht angegeben. Es habe sich daher nicht feststellen lassen, inwieweit die gepfändeten Beträge von den Einkünften hätten abgesetzt werden können. Selbst wenn man die festgestellten Pfändungsbeträge von 4.925,60 DM ohne Prüfung berücksichtigte, reichten die verfügbaren Mittel zur Deckung der Lebenshaltungskosten bis auf 15,- DM aus. Nach Tz. 24 der zu § 131 LAG ergangenen VAO vom 25. Mai 1962 seien die Lebenshaltungskosten und verfügbaren Mittel von nicht dauernd getrenntlebenden Ehegatten zusammenzurechnen. Einkünfte des Nichtschuldner-Ehegatten dürften allerdings, wenn die Ehe nach dem 20. Juni 1948 geschlossen worden sei, nur für die Deckung des Unterhalts, nicht auch für die Deckung der HGA herangezogen werden. Da die Revisionsklägerin aus dem Grundstück einen überschuß von 9.666,40 DM erzielt habe, könne sie die HGA- Leistungen von 1.597,50 DM aus ihren Einkünften begleichen. Pauschbeträge für den Unterhalt ihrer Mutter könne die Revisionsklägerin nicht beanspruchen, da sie nicht vorgetragen habe, daß sie mit ihrer Mutter in einer Familieneinheit lebe. Wegen der Krankheit des Sohnes und der weiteren zur Familieneinheit gehörenden Personen seien bereits Zuschläge von insgesamt 7.200 DM berücksichtigt. Darüber hinausgehende Aufwendungen seien nicht nachgewiesen.

Die dagegen eingelegte, von der Revisionsklägerin nicht begründete Berufung blieb ohne Erfolg.

Das Urteil des FG wurde der Revisionsklägerin am 24. Dezember 1965 zugestellt. Die jetzt als Revision zu behandelnde Rb. ging am 24. Januar 1966 beim FG ein. Zur Begründung der Rechtsbeschwerde wurde der Revisionsklägerin Fristverlängerung bis zum 4. April 1966 gewährt. Mit Schriftsatz vom 1. April 1966, beim BFH eingegangen am 5. April 1966, wiederholt die Revisionsklägerin im wesentlichen ihren Vortrag aus der Beschwerdeinstanz. Ergänzend trägt sie noch vor, die gesamten Einnahmen aus dem Haus in X betrügen 3.569 DM. Davon seien die Ausgaben zu bestreiten. Sie müsse ihre Mutter vollständig unterhalten.

Dafür wende sie jährlich auf ------------- 1.440,- DM bar für Versicherungen, Pacht, Wasser usw. ----- 100,- DM für Wohnung -------------------------------- 641,50 DM ------------------------------------------ 2.182,- DM Zusätzlich Ausgaben für das Haus --------- 1.145,- DM Fremdkapital ------------------------------- 794,- DM ------------------------------------------ 4.121,- DMDiesen Aufwendungen von 4.121 DM stünden nur Einnahmen von 3.569 DM gegenüber.

Zum Beweis der Gehaltspfändungen legt die Revisionsklägerin noch mehrere Zahlungsbefehle sowie Pfändungs- und überweisungsbeschlüsse vor. Die Höhe der gesamten Pfändungen sei ihrem Mann unbekannt gewesen. Krankheitskosten hätten nicht alle aufgezeichnet werden können. Die Revisionsklägerin legt noch eine amtsärztliche Bescheinigung vom Februar 1966 vor, wonach die "Erwerbsfähigkeit" ihres Sohnes vom 2. Lebensjahr an zu 100 v. H. gemindert sei. Seit dieser Zeit sei er auch so hilflos, daß er nicht ohne Pflege bleiben könne. Des weiteren reicht die Revisionsklägerin Belege für Erholungsreisen ein, die sie mit ihrem Sohn in 1964 und 1965 ausführte.

Die Revisionsbeklagte (OFD) beantragt, die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen. Die Ertragsberechnung der Revisionsklägerin sei nicht vollständig. Sie lasse auch nicht erkennen, für welchen Zeitraum sie gelten soll. Im übrigen müßten für die Ermittlung der für den Lebensunterhalt verfügbaren Beträge die Einkünfte aus den einzelnen Einkunftsarten zusammengerechnet werden. Aus dem Grundstücksüberschuß stünden der Mutter der Revisionsklägerin für den Erlaßzeitraum 1959 bis 1961 3.222 DM zu. Zugunsten der Revisionsklägerin habe das FA bereits 1/4-Anteil ihrer Mutter an den HGA-Leistungen für den Erlaßzeitraum erlassen. Die jetzt vorgelegten Pfändungsunterlagen ließen nicht in allen Fällen den Schuldgrund erkennen. Für das Erlaßverfahren seien die nunmehr eingereichten Belege über Kreditaufnahmen nach dem Jahr 1961 ohne Bedeutung. Es komme auch nicht darauf an, welche Aufwendungen für die Krankheit des Sohnes nach dem Ende des Erlaßzeitraumes entstanden seien.

 

Entscheidungsgründe

I. - Die Revision ist zulässig.

Nach § 124 FGO ist die Revision zwar unzulässig, wenn sie nicht fristgemäß - wie es hier der Fall ist - begründet wurde. Auf den Streitfall ist diese Vorschrift jedoch nicht anzuwenden. Denn nach § 184 Abs. 2 Nr. 2 FGO richtet sich die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs gegen die vor dem Inkrafttreten der FGO ergangenen Entscheidungen nach den bis zum 31. Dezember 1965 geltenden steuerlichen Verfahrensvorschriften. Bis zu dem genannten Termin mußte eine Rechtsbeschwerde, wenn nur materiell-rechtliche Verstöße gerügt werden sollten, nicht begründet werden. Insoweit bestand nur eine Soll-Vorschrift (§ 289 AO a. F.). Diese Soll- Vorschrift gilt auch noch für den Streitfall, da das am 24. Dezember 1965 der Revisionsklägerin zugestellte Urteil vor dem 1. Januar 1966 (Inkrafttreten der FGO, § 184 Abs. 1 Satz 1 FGO) ergangen ist (vgl. BFH-Urteil VI R 80/66 vom 15. Juli 1966, BFH 86, 543, BStBl III 1966, 595).

II. - Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Beschwerdeentscheidung der OFD.

Fällige Leistungen auf die HGA können bei wirtschaftlicher Bedrängnis insoweit erlassen werden, daß dem Abgabeschuldner der für eine bescheidene Lebensführung unerläßliche Betrag verbleibt (§ 131 Abs. 1 Satz 1 LAG). Das Nähere bestimmt nach § 131 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 LAG der BdF. Diese Bestimmungen sind in der VAO vom 10. Juli 1956 - IV C/5 - LA 2623 - 3/56 - (BStBl I 1956, 347), die für vor dem 1. Januar 1959 abgelaufene Erlaßzeiträume anzuwenden ist, und in der VAO vom 25. Mai 1962 - IV C/4 - LA 2623 - 5/62 - (BStBl I 1962, 834), die für alle nach dem 31. Dezember 1958 beginnenden Erlaßzeiträume gilt, enthalten. Im Streitfalle handelt es sich um den Erlaßzeitraum 1959/61, für den deshalb die VAO 1959 gilt.

Die Gewährung oder Ablehnung eines Erlasses wegen wirtschaftlicher Bedrängnis nach § 131 LAG ist eine Ermessensentscheidung, die von den Steuergerichten nur darauf zu überprüfen ist, ob eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt (vgl. BFH-Urteil III 243/60 U vom 1. Februar 1963, BFH 76, 663, BStBl III 1963, 242). Dies gilt auch für Erlaßentscheidungen, die auf eine VAO gestützt werden, da die Steuergerichte an eine solche grundsätzlich nicht gebunden sind. Sie haben deshalb zu prüfen, ob sich die in der VAO getroffene Regelung innerhalb der Grenzen hält, die das Gesetz der Ausübung des Ermessens gezogen hat. Ist das zu bejahen, ist außerdem zu prüfen, ob die Finanzverwaltung ihr Ermessen in übereinstimmung mit den Bestimmungen der VAO ohne Ermessensverstoß ausgeübt hat (BFH-Urteil III 243/60 U, a. a. O.).

III. -

Nach Tz. 23 der VAO 1956 ist der Ehegatte, der von dem Antragsteller nicht dauernd getrennt lebt, mit seinen Lebenshaltungskosten und eigenen verfügbaren Mitteln stets zu berücksichtigen. Diese Bestimmung ist in die Tz. 24 Satz 1 der VAO 1959 unverändert übernommen worden. Im Gegensatz zu der Regelung in Tz. 23 der VAO 1956 hat der BdF als Satz 2 der Tz. 24 der VAO 1959 eine zusätzliche Bestimmung angefügt, wonach bei der Anwendung des Grundsatzes in Tz. 24 Satz 1 der VAO 1959 in den Fällen einer Eheschließung erst nach dem 20. Juni 1948 mindestens ein Erlaß in der Höhe auszusprechen ist, in der die eigenen verfügbaren Mittel des Schuldnerehegatten zur Entrichtung der HGA- Leistungen nicht ausreichen. Mit dieser Sonderregelung wollte der BdF wohl die bisherigen Bedenken gegen die aus Tz. 23 der VAO 1956 in die Tz. 24 Satz 1 der VAO 1959 übernommene Regelung ausräumen. Außerdem sollte wohl dem Vorwurf begegnet werden, es sei untragbar, einem gut verdienenden Nichtabgabeschuldner zuzumuten, mit HGA-Leistungen nur deswegen im tatsächlichen Ergebnis belastet zu werden, weil er nach dem 20. Juni 1948 die Ehe mit einem mit HGA belasteten Abgabeschuldner eingegangen ist, dem die HGA- Leistungen nur als Folge der Eheschließung nicht erlassen werden, obwohl sie, wenn der Schuldnerehegatte unverheiratet geblieben wäre, nach § 131 LAG zu erlassen gewesen wären oder auch tatsächlich bis zur Eheschließung erlassen worden sind. Ob dieser Grund für eine unterschiedliche Erlaßregelung je nach dem Tag der Eheschließung vor oder nach dem Währungsstichtag hinreichend ist, kann dahingestellt bleiben, da einer Verletzung des Gleichheitssatzes, wenn eine solche in Betracht kommen würde, nicht nur durch eine Aufhebung dieser Anordnung, sondern auch durch eine Ausdehnung auf die Fälle einer Eheschließung vor dem Währungsstichtag abgeholfen werden könnte. Vor wesentlicher Bedeutung wäre es aber, wenn durch die Vergünstigung in Tz. 24 Satz 2 der VAO 1959 die Mängel der grundsätzlichen Regelung in Satz 1 dieser Tz. beseitigt würden. Wie sich aus dem BFH-Urteil III 131/63 vom 21. April 1967, BFH 89, 31, BStBl III 1967, 564, ergibt, bestehen diese Mängel einmal darin, daß entgegen § 131 LAG bei der Erlaßentscheidung nicht auf den Schuldnerehegatten allein, sondern auf die Ehegatten als einer Personeneinheit abgestellt, und daß außerdem bei der einheitlichen Feststellung der Lebenshaltungskosten der Nichtschuldnerehegatte hinsichtlich des unerläßlichen Lebensbedarfs wie ein Schuldnerehegatte behandelt wird. Diese Mängel wären deshalb nur dann beseitigt, wenn durch den in Tz. 24 Satz 2 der VAO 1959 vorgesehenen Erlaß des durch die eigenen Mittel des Schuldnerehegatten nicht gedeckten Spitzenbetrags der HGA-Leistungen das gleiche Ergebnis wie durch die in § 131 LAG getroffene Regelung erzielt würde. In dieser Hinsicht ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die in Tz. 24 Satz 2 der VAO 1959 vorgesehene Erlaßmaßnahme in der Regel nicht zur Auswirkung kommt. Die Anordnung in dieser Tz. setzt voraus, daß der nach Abzug der Lebenshaltungskostenpauschale für beide Ehegatten verbleibende überschußbetrag der zusammengerechneten verfügbaren Mittel der Ehegatten höher als die zu entrichtende HGA-Leistungen ist, was auch regelmäßig in einer Ehe mit einem gut verdienenden Nichtschuldnerehegatten der Fall ist. Da aber § 131 LAG grundsätzlich erst dann anwendbar wird, wenn nach der Ertragsberechnung ein überschußbetrag verbleibt, der mindestens die HGA-Leistungen deckt, da sonst ein Erlaß oder Teilerlaß der Leistungen nach § 129 LAG in Betracht käme, verfügt in der Regel der Schuldnerehegatte immer über so viel Mittel, daß sie, wie im Streitfall, zur Entrichtung der HGA-Leistungen ausreichen. Die Vorschrift des § 131 LAG kann deshalb in diesen Fällen nicht zur Anwendung kommen und es verbleibt trotz der Regelung in Tz. 24 Satz 2 der VAO 1959 bei der Ablehnung des Erlasses. In der Regel könnte sich nur in den Ausnahmefällen des § 129 Abs. 5 und 6 LAG, soweit es sich dabei um natürliche Personen als Eigentümer des Grundstücks (Abgabeschuldner) handelt, eine Erlaßmöglichkeit eröffnen. Die Vergünstigung in Tz. 24 Satz 2 der VAO 1959 hat deshalb im Grunde genommen keine große praktische Bedeutung. Aber selbst dann, wenn auf Grund dieser Anordnung ein Erlaß auszusprechen wäre, wird dadurch nur die unmittelbar nachteilige Auswirkung gegenüber dem Nichtschuldnerehegatten beseitigt. Dies ist aber nur einer der Nachteile, die sich aus Tz. 24 Satz 1 der VAO 1959 gegenüber der Regelung in § 131 LAG ergeben und die sich, soweit sie bestehen bleiben, unmittelbar gegenüber dem Schuldnerehegatten auswirken.

Auch in den Fällen des Satzes 2 der Tz. 24 der VAO 1959 müssen infolge des ausdrücklichen Hinweises auf Satz 1 dieser Tz. die verfügbaren Mittel der Ehegatten zusammengerechnet werden, jedoch nicht zu dem Zweck, um daraus den auf den Schuldnerehegatten entfallenden Anteilsbetrag zu ermitteln, sondern um den zusammengerechneten Betrag den Lebenshaltungskosten beider Ehegatten gegenüberzustellen. Bei dem Ansatz der Lebenshaltungskosten wird aber der gut verdienende Nichtschuldnerehegatte ebenso behandelt, als ob auch ihm wie dem Schuldnerehegatten nur der für eine bescheidene Lebensführung unerläßliche Betrag zuzustehen habe, wie sich aus Tz. 34 der VAO 1959 in übereinstimmung mit Tz. 33 der VAO 1956 ergibt. Zwar wäre gegen eine angemessene Abstufung der Pauschsätze der Lebenshaltungskosten bei einer gemeinsamen Haushaltsführung grundsätzlich nichts einzuwenden. Dies hat aber nichts damit zu tun, daß dabei gegenüber dem Nichtschuldnerehegatten von Grundbeträgen ausgegangen wird, die nur gegenüber dem Schuldnerehegatten Geltung haben und deshalb nur diesem gegenüber anzuwenden sind. Die sich daraus gegenüber der Regelung in § 131 LAG ergebenden Nachteile für den Schuldnerehegatten sind durch die Regelung in Tz. 24 Satz 2 der VAO 1959 nicht beseitigt worden. Da auch in Satz 3 der Tz. 24 der VAO 1959 auf Satz 2 verwiesen und in dieser auf Satz 1 weiterverwiesen wird, verstößt die Tz. 24 der VAO 1959 in gleicher Weise wie die Tz. 23 der VAO 1956 gegen § 131 LAG und ist nicht anwendbar, soweit sie sich abweichend von der sich unmittelbar aus § 131 LAG ergebenden Regelung nachteilig auswirkt.

Um dem gesetzlichen Erfordernis des § 131 LAG gerecht zu werden, kann nicht auf die Ehegatten als einer Personeneinheit, sondern muß grundsätzlich auf den Schuldnerehegatten abgestellt werden, es sei denn, daß der Nichtschuldnerehegatte selbst bedürftig ist. Zu diesem Zweck sind die zur Deckung des notwendigen Lebensbedarfs vorhandenen Mittel, insbesondere die Einkünfte des Ehegatten einschließlich der Grundstückserträge aus dem mit HGA belasteten Grundstück nach dem Urteil des BVerfG 1 BvR 314/60 vom 21. Februar 1961 (BVerfGE Bd. 12 S. 180 (190), BStBl I 1961, 63) zusammenzurechnen. Da mit der HGA der Schuldnerehegatte allein belastet ist, muß aus den zusammengerechneten vorhandenen Mitteln der auf ihn entfallende Anteil nach den Grundsätzen des Familienunterhaltsrechts ermittelt werden. Ohne Belang ist, ob die Ehegatten im Güterstand der Gütertrennung leben. Die Unterhaltsverpflichtungen werden von der Art des Güterstands nicht berührt (vgl. Palandt, Kommentar zum BGB, 26. Aufl., § 1360 Anm. 1). Dabei kann grundsätzlich unterstellt werden, daß die vorhandenen Mittel des Ehemannes, insbesondere seine Einkünfte, wenn er der Nichtschuldnerehegatte ist, in voller Höhe zum Unterhalt verwendet werden. Der Unterhaltsbeitrag der Ehefrau besteht in ihrer Tätigkeit als Hausfrau, Mutter und Mithelferin innerhalb der gemeinsamen Lebensgemeinschaft. Da ihr Unterhaltsbeitrag in der Regel nicht ohne die Geldleistung des Mannes geleistet werden kann, und die Ehefrau im Ergebnis die Geldleistung des Mannes in ihre Hausfrauentätigkeit umwandelt, stehen sich die Geldleistungen des Ehemannes und die Hausfrauentätigkeit der Ehefrau gleichwertig gegenüber. Beide Unterhaltsleistungen verdoppeln sich jedoch dadurch nicht, sondern der Ehefrau verbleibt die Hälfte der zusammengerechneten vorhandenen Mittel, während sie die andere Hälfte in Form ihrer Hausfrauentätigkeit ihrem Ehemann zurückgibt. Sind gemeinsame Kinder zu versorgen, so verkürzt die gemeinsame Unterhaltsverpflichtung den Unterhaltsanteil der Eltern um den an die Kinder weitergegebenen Unterhaltsanteil. Der danach auf den Schuldnerehegatten entfallende Anteil ist in der Regel der Betrag, der ihm zur Entrichtung der HGA-Leistungen zur Verfügung steht. Er ist deshalb mit demjenigen Betrag in Vergleich zu setzen, der ihm für eine bescheidene Lebensführung als unerläßlich verbleiben muß. Aus der Gegenüberstellung der beiden Beträge, des verfügbaren Betrags und des für eine bescheidene Lebensführung unerläßlichen Betrags, läßt sich abschließend ermitteln, ob und in welcher Höhe ein Erlaß auszusprechen oder abzulehnen ist. Die Abstellung auf den Schuldnerehegatten und nicht auf die von beiden Ehegatten gebildete Einheit hat zur Folge, daß es keines Ansatzes der Lebenshaltungskosten des nichtbedürftigen Nichtschuldnerehegatten bedarf.

IV. - Das FG und die OFD haben ihrer Entscheidung die gegen § 131 LAG verstoßende und deshalb nicht anwendbare Regelung in Tz. 24 der VAO 1959 zugrunde gelegt. Beide Entscheidungen sind deshalb aufzuheben. Die OFD wird über die Beschwerde nach vorstehenden Grundsätzen erneut zu entscheiden haben. Bei der Ermittlung der vorhandenen Mittel der Revisionsklägerin und ihres Ehegatten wird das gesamte in der Revisionsinstanz geltend gemachte tatsächliche Vorbringen (eingereichte Unterlagen und neues Zahlenmaterial), soweit es sich auf den Erlaßzeitraum bezieht, zu überprüfen sein. Zu beachten bleibt, daß die Revisionsklägerin mit ihrem Ehemann nur zwei gemeinsame Kinder hat, und daß sie gegenüber dem unehelichen Kind ihres Ehegatten nicht unterhaltspflichtig ist. Die OFD wird jedoch zunächst abwarten müssen, ob und in welcher Weise der BdF die VAO zu ergänzen oder neu zu fassen beabsichtigt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412599

BStBl III 1967, 636

BFHE 1967, 294

BFHE 89, 294

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