Leitsatz (amtlich)
Wurde bei der Bestandsaufnahme zum 20. Juni 1948 vorsätzlich oder fahrlässig verschwiegenes Vorratsvermögen vor Inkrafttreten des § 6 des II. Gesetzes zur vorläufigen Neuordnung von Steuern nachgemeldet, so sind die hinsichtlich des nachgemeldeten Vorratsvermögens nicht entrichteten Steuern nachzuerheben. Ein Reuezuschlag nach § 18 Absatz 4 Ziffer 1 Buchstabe a SHG ist in diesem Fall nicht zu entrichten.
Normenkette
II. Gesetz zur vorläufigen Neuordnung von Steuern § 6; SHG § 18 Abs. 4 Ziff. 1
Tatbestand
Der Abgabepflichtige hat durch mündliche Erklärung vom 2. Dezember 1948, bestätigt durch Schriftsatz vom 3. Dezember 1948, also am ersten bzw. zweiten Tag nach der Verabschiedung des -- infolge Widerspruchs der Besatzungsmächte nicht zur Verkündung gelangten -- Ersten Lastenausgleichsgesetzes durch den Wirtschaftsrat die nach Artikel IX des Anhangs zum Militärregierungsgesetz Nr. 64 durchgeführte Bestandsaufnahme unter Hinweis auf § 410 der Reichsabgabenordnung (AO) berichtigt und dabei u. a. Gegenstände des Anlage- und des Vorratsvermögens nachgemeldet. Auf Grund dieser Berichtigung wurden die in Betracht kommenden Nachsteuern festgesetzt und erhoben. Hinsichtlich der nacherhobenen Steuern wurde Straffreiheit nach § 410 AO gewährt. Bei der Festsetzung der Soforthilfe-Sonderabgabe wurde wegen des nachgemeldeten Vorratsvermögens mit 121 313 RM ein Reuezuschlag von 12 131 DM gemäß § 18 Absatz 4 Ziffer 1 Buchstabe a des Soforthilfe-Gesetzes (SHG) festgesetzt. Um ihn geht der Streit, in dem der Abgabepflichtige in erster Linie den Reuezuschlag anficht, in zweiter Linie vorbringt, falls der Reuezuschlag aufrechterhalten werde, müßte wenigstens die Steuernachforderung rückgängig gemacht werden.
Das Finanzgericht hat den Reuezuschlag aufgehoben mit der Begründung, die Bestimmungen des § 18 Absatz 4 SHG wie auch der Erste Soforthilfeabgabe-Sammelerlaß des Direktors der Verwaltung für Finanzen vom 6. September 1949 bezögen sich nicht auf diejenigen Fälle, in denen die Angaben über das Vorratsvermögen bereits vor Inkrafttreten des Soforthilfegesetzes berichtigt und sämtliche Steuern hinsichtlich des nachgemeldeten Vorratsvermögens für die Zeit bis zum 20. Juni 1948 nachgezahlt worden seien. Die Erhebung des Reuezuschlags neben der Nachzahlung der Steuern würde zu einer unbilligen Benachteiligung derjenigen Abgabepflichtigen, die bereits vorzeitig eine Berichtigung vorgenommen hätten, gegenüber denjenigen Abgabepflichtigen führen, die erst nach Inkrafttreten des Soforthilfegesetzes nachgemeldet hätten und nur den Reuezuschlag, nicht aber die Nachsteuern entrichten müßten.
Entscheidungsgründe
Die gegen die Entscheidung des Finanzgerichts eingelegte Rechtsbeschwerde (Rb.) des Finanzamts-Vorstehers, die auf der Erhebung des Reuezuschlags besteht, ist nicht begründet.
Schon bei den Beratungen über das Erste Lastenausgleichsgesetz war klar geworden, daß zur Erreichung zutreffender Angaben über die Grundlagen für den Lastenausgleich aus dem Betriebsvermögen die Möglichkeit einer straffreien Nachmeldung für diejenigen Abgabepflichtigen geschaffen werden müßte, die in der nach Artikel IX des Anhangs zum Militärregierungsgesetz Nr. 64 geforderten Bestandsaufnahme ihr Anlage- und Vorratsvermögen zu niedrig oder gar nicht angegeben hatten. Das geschah zunächst und bereits vor Inkrafttreten des Soforthilfegesetzes in den §§ 5 und 6 des II. Gesetzes zur vorläufigen Neuordnung von Steuern (StNeuOG) vom 20. April 1949 (Gesetz- und Verordnungsblatt der Verwaltung des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebietes -- WiGBl. -- 1949 S. 69), die am 26. Mai 1949 in Kraft traten. Während § 5 dieses Gesetzes Straffreiheit für die Nachmeldung von Anlagevermögen zusicherte -- gegen Entrichtung eines besonderen Reuezuschlages nach § 5 Absatz 2 und unter Nachholung der verkürzten Steuern --, verwies § 6 wegen des Vorratsvermögens auf die Bestimmungen des § 18 Absatz 4 des noch gar nicht in Kraft getretenen, seit seiner Verabschiedung durch den Wirtschaftsrat der Öffentlichkeit aber bekanntgewordenen Ersten Lastenausgleichsgesetzes. In § 82 Ziffern 4 und 5 des am 18. August 1949 in Kraft getretenen Soforthilfegesetzes wurden dann die Bestimmungen der §§ 5 und 6 StNeuOG formell dem Soforthilfegesetz angepaßt.
Hiernach sind für die Beurteilung der Nachmeldung von Vorratsvermögen drei Zeiträume zu unterscheiden, die Zeit zwischen der Einreichung des Bestandsverzeichnisses nach § 5 des Artikels IX a. a. O. und dem 25. Mai 1949 (letzter Tag vor Inkrafttreten des II. Gesetzes zur vorläufigen Neuordnung von Steuern), zwischen dem 26. Mai 1949 und dem 17. August 1949 (letzter Tag vor Inkrafttreten des Soforhilfegesetzes) und zwischen dem 18. August 1949 und dem 20. Oktober 1949 (letzter Tag für die Nachmeldung nach dem Soforthilfegesetz). In den ersten dieser drei Zeiträume fällt die Nachmeldung durch den Abgabepflichtigen. Es ist möglich, daß dem Abgabepflichtigen im Zeitpunkt seiner Nachmeldung § 18 Absatz 4 des vom Wirtschaftsrat soeben verabschiedeten Ersten Lastenausgleichsgesetzes bekannt war und er sich mindestens darauf verließ, daß nicht nur etwaige durch die Nachmeldung bekanntgewordene Steuervergehen im Sinne des § 410 AO, sondern auch mit dem nachgemeldeten Vorratsvermögen in Zusammenhang stehende Vergehen gegen Artikel IX des Anhangs zum Militärregierungsgesetz Nr. 64 und Verstöße gegen die Preis- und Bewirtschaftungsvorschriften straffrei bleiben würden.
Fällt eine Nachmeldung (Selbstanzeige) von Vorratsvermögen in den ersten der genannten Zeiträume, so kann zweifelhaft sein, ob die Wirkung der Selbstanzeige ausschließlich nach § 410 AO in der damals gültigen Fassung (Straffreiheit im Rahmen des § 410 AO, also nicht für Verstöße gegen die Preis- und Bewirtschaftungsvorschriften und nach der vorherrschenden Meinung auch nicht für Vergehen i. S. des § 8 des Artikels IX des Anhangs zum Militärregierungsgesetz Nr. 64, Nachholung der verkürzten Steuern, kein Reuezuschlag) zu beurteilen ist oder ob die Bestimmungen des § 6 StNeuOG bzw. des § 18 Absatz 4 SHG in vollem Umfang oder wenigstens mit ihren Straffreiheitsvorschriften rückwirkend anzuwenden sind, obwohl beide Gesetze in diesem Zeitraum noch nicht in Kraft waren und sich auch jedenfalls dem Wortlaut nach keine rückwirkende Kraft beigelegt haben (vgl. zu diesen Fragen Mattern, Zum neuen Steuerstrafrecht, Finanz-Rundschau 1949 S. 177 f. unter I 3). Dazu ist zunächst festzustellen, daß der Auffassung des Finanzamts, das zwar die Bestimmung des § 18 Absatz 4 Ziffer 1 Buchstabe a SHG über den Reuezuschlag, nicht aber diejenige des § 18 Absatz 4 Ziffer 1 Buchstabe c über die Nichtnachholung der mit dem nachgemeldeten Vorratsvermögen zusammenhängenden Steuern rückwirkend angewandt hat, nicht gefolgt werden kann. Die steuer rechtlichen Bestimmungen des § 18 Absatz 4 Ziffer 1 (Buchstaben a, c und d) wirken entweder in vollem Umfange oder gar nicht zurück. Nun wird sowohl in der Literatur (Kühne, Erläuterungsbuch zur Soforthilfe Textziffer 273; Binder -- Drexl -- Seweloh -- Wehe -- Zimmerle, Kommentar zur Soforthilfe Anm. 8b, gg zu § 18 SHG) als auch in dem 1. SHA-Sammelerlaß des Direktors der Verwaltung für Finanzen vom 6. September 1949 (Ziffer 90) die Auffassung vertreten, daß vor Inkrafttreten des Soforthilfegesetzes abgegebene Nachmeldungen von Vorratsvermögen zur Vermeidung einer Schlechterstellung in vollem Umfange so zu behandeln seien, wie wenn sie erst nach Inkrafttreten abgegeben worden wären. Das würde zur steuerlichen Seite des vorliegenden Falles bedeuten, daß zwar der Reuezuschlag zu erheben, die Steuernachholung jedoch zu unterlassen wäre. Der Senat hat gegen diese Auffassung jedenfalls bezüglich derjenigen Nachmeldungen, die vor Inkrafttreten des II. Gesetzes zur Neuordnung von Steuern (d. i. vor dem 26. Mai 1949) liegen, Bedenken. So ist im vorliegenden Falle die Nachholung von Steuern im Zeitpunkt der Nachforderung unzweifelhaft Rechtens gewesen und die Nachforderungsbescheide sind rechtskräftig geworden. Auch fehlt es für die Erhebung eines Reuezuschlags als Rechtsfolge der Nachmeldung an einer Rechtsgrundlage, wenn die Nachmeldung vor dem 26. Mai 1949 erfolgt ist. Im übrigen kann der vom Finanzgericht eingeschlagene umgekehrte Weg, kein Reuezuschlag, aber Nachholung der Steuern, je nach Lage des Falles für den Abgabepflichtigen sowohl günstiger als auch ungünstiger sein als das nach § 18 Absatz 4 Ziffer 1 SHG auf spätere Nachmeldungen anzuwendende Verfahren. Man kann daher nicht grundsätzlich sagen, die Auffassung des Finanzgerichts führe steuerlich zu einer Schlechterstellung der vorzeitig anmeldenden Abgabepflichtigen. Hiernach ist das Vorgehen des Finanzgerichts zu billigen und die Rb. des Finanzamts- Vorstehers als unbegründet zurückzuweisen.
Die steuerstrafrechtliche Seite des Falles ist zwar nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Der Senat glaubt jedoch, wegen des engen Zusammenhangs der steuerlichen und steuerstrafrechtlichen Folgen einer vorzeitigen Nachmeldung gleichwohl auf folgende Gesichtspunkte hinweisen zu sollen. Im Zeitpunkt der Nachmeldung konnte der Abgabepflichtige im Rahmen des § 410 AO durch die Selbstanzeige Straffreiheit nicht wegen der Verstöße gegen die Preis- und Bewirtschaftungsvorschriften und nach der vorherrschenden Ansicht auch nicht wegen der Vergehen im Sinne des § 8 des Abschnitts IX des Anhangs zum Militärregierungsgesetz Nr. 64 erlangen. Gleichwohl ist der Senat der Auffassung, daß die von ihm abgelehnte Rückwirkung der steuerlichen Begünstigungsvorschriften des § 18 Absatz 4 Ziffer 1 SHG auf die Zeit vor dem 26. Mai 1949 auch in steuerstraf rechtlicher Beziehung mindestens dann, wenn die strafrechtliche Aburteilung nicht bis dahin schon erfolgt ist, nicht zu einer Schlechterstellung der Abgabepflichtigen führt, die vor diesem Zeitpunkt Vorratsvermögen nachgemeldet haben. Im allgemeinen sind Rechtsvorschriften, die nicht ausdrücklich mit Rückwirkung ausgestattet sind, nur auf die Tatbestände anzuwenden, die z. Zt. ihrer Gültigkeit verwirklicht werden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz stellt z. B. die Vorschrift des § 2a Absatz 2 des Strafgesetzbuches (StrGB) über die Anwendbarkeit des milderen, z. Zt. der Aburteilung geltenden Strafgesetzes dar. Dem in dieser Vorschrift zum Ausdruck gebrachten Gedanken dürfte es entsprechen, eine von einer bestimmten Betätigung abhängige Straffreiheitsbestimmung auch dann auf eine noch nicht abgeurteilte Straftat anzuwenden, wenn die geforderte Betätigung -- hier die ordnungsmäßige Nachmeldung bisher verschwiegenen Vorratsvermögens -- vor dem Inkrafttreten der Straffreiheitsbestimmung liegt. Das könnte wohl nur dann -- ähnlich wie bei einem Zeitgesetz im Sinne des § 2a Absatz 3 StrGB -- nicht gelten, wenn die Straffreiheitsbestimmung die verlangte Betätigung erkennbar zeitlich begrenzen und die vor Inkrafttreten der Straffreiheitsbestimmung erfolgte Betätigung nicht in diesen begrenzten Zeitraum fallen würde.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 309 AO.
Fundstellen
Haufe-Index 407262 |
BStBl III 1951, 159 |
BFHE 1952, 399 |