Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsrecht Sonstiges Grunderwerbsteuer/Kfz-Steuer/sonstige Verkehrsteuern

 

Leitsatz (amtlich)

Es verstößt nicht gegen Art. 3 und Art. 6 Abs. 1 GG, wenn die Finanzverwaltungsbehörden bei Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines körperbehinderten Ehegatten gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG von den gemeinsamen Einkommensverhältnissen beider nicht dauernd getrennt lebender Ehegatten ausgehen.

 

Normenkette

GG Art. 3, 6 Abs. 1; KraftStG § 3 Abs. 1 Nr. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin ist Halterin eines Personenkraftfahrzeugs. Durch Verkehrsunfall ist sie körperbehindert; ihre Erwerbsfähigkeit ist um 50 v. H. gemindert. Den Antrag, ihr die Kraftfahrzeugsteuer in voller Höhe gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) zu erlassen, lehnte das Finanzamt (FA) ab, da ihre wirtschaftlichen Verhältnisse unter Berücksichtigung der Einkünfte auch ihres Ehemannes einen Steuererlaß nicht rechtfertigten.

Die Beschwerde wies die Oberfinanzdirektion (OFD) zurück, da nach dem ländereinheitlichen Erlaß des Finanzministeriums Baden- Württemberg vom 23. November 1961 S 6100 A - 10/61 bei einem monatlichen Gehalt der Ehefrau von 907 DM und des Ehemannes von 2.167 DM von dem gemeinsamen Einkommen der Ehegatten auszugehen sei, das mit monatlich insgesamt 2.055 DM bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 70 v. H. die dort gezogene Grenze übersteige.

Die Berufung der Klägerin war erfolglos. Das Finanzgericht (FG) billigte mit dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1963 S. 470 auszugsweise abgedruckten Urteil II 166/63 vom 30. April 1963 die Meinung der OFD, daß die sich aus der Eheschließung ergebende wirtschaftliche Gesamtlage von Ehegatten bei der Beurteilung der Erlaßmöglichkeit gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG berücksichtigt werden dürfe, ohne daß dies gegen die Grundsätze der Gleichberechnung von Mann und Frau und des besonderen Schutzes der Ehe (Art. 3, Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) verstoße.

Mit der wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Rb. machte die Klägerin im wesentlichen erneut geltend, die Auffassung der Finanzverwaltung komme unter überschreibung der Ermessensgrenzen und im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) einer Bestrafung der Verheirateten gleich. Bei der Trennung des Vermögens von Mann und Frau nach dem neuen Güterrecht dürften die Ehegatten nicht mehr gemeinsam für die Steuerschulden des anderen Ehepartners haften. Eine rechtliche Verpflichtung eines Ehegatten, dem anderen den Unterhalt eines Kraftfahrzeugs sicherzustellen, bestehe nicht.

 

Entscheidungsgründe

Die ab 1. Januar 1966 als Revision zu behandelnde Rb. kann keinen Erfolg haben.

Der Senat hat schon bisher die Auffassung vertreten, daß die Vergünstigungsvorschriften des § 3 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG wegen ihres besonderen Zwecks keinesfalls eng auszulegen ist (Urteil II 9/63 U vom 10. November 1965, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 83 S. 602 - BFH 83, 602 -, BStBl III 1965, 718). Es darf nicht übersehen werden, daß jedenfalls die Frage, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse des Körperbehinderten einen (Voll- oder Teil-) Erlaß der Kraftfahrzeugsteuer rechtfertigen, durch die Finanzverwaltungsbehörden nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist (vgl. Urteil des Senats II 9/63 U, a. a. O.). Die Steuergerichte haben die Entscheidungen der Finanzverwaltungsbehörden insoweit nur auf Rechtsverstöße (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG), insbesondere auf Ermessensfehler nachzuprüfen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Finanzverwaltungsbehörden für bestimmte Gruppen von gleichgelagerten Fällen Richtlinien - wie die koordinierten Richtlinien der Länderfinanzminister, im Streitfall für Baden- Württemberg vom 10. März 1956 mit Ergänzung vom 23. November 1961 S 6100 A - 10/61, abgedruckt in der Deutschen Verkehrsteuer- Rundschau (DVR) 1956 S. 79 und in der Deutschen Steuer-Zeitung, Ausgabe B, 1961 S. 483, zur Anwendung des § 3 KraftStG - aufgestellt haben. Diese Richtlinien sind keine Rechtsnormen und binden also die Steuergerichte nicht (Art. 20, Art. 97 Abs. 1 GG), führen jedoch insoweit zu einer Selbstbindung der Finanzverwaltungsbehörden, als diese entsprechend dem Gleichheitssatz (Art. 3 GG) alle unter die Verwaltungsanweisung fallenden Sachverhalte gleichmäßig zu behandeln haben. Eine "Schematisierung" allerdings verbietet sich - wie auch in den oben angeführten Richtlinien am Ende hervorgehoben wird - nach der Natur der Sachverhalte von selbst. Entscheidend ist, daß die allgemeinen Richtlinien und die darauf beruhende Einzelentscheidung sich innerhalb des den Finanzverwaltungsbehörden zur Ausübung des eigenen pflichtgemäßen Ermessens vom Gesetzgeber eingeräumten Spielraums, innerhalb der durch das GG und § 2 StAnpG gezogenen Grenzen halten. Halten sich die Entscheidungen innerhalb dieses Rahmens, so liegt eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensfehlgebrauch - was allein durch die Steuergerichte beanstandet werden könnte - auch dann nicht vor, wenn im Einzelfall eine andere Entscheidung vertretbar wäre (vgl. zum Vorstehenden allgemein auch Urteile des BFH III 74/60 U vom 20. November 1964, zu I 4, 5, BFH 81, 205, BStBl III 1965, 73; II 118/62 vom 24. November 1965, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1966 S. 180, mit weiteren Nachweisen).

Bei Anwendung dieser Grundsätze kann der von der Klägerin angenommene Ermessensverstoß nicht bejaht werden.

Insbesondere verstößt es nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 GG bzw. gegen die darauf beruhende besondere Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG, wenn nach den oben angeführten Richtlinien bei Berücksichtigung der "wirtschaftlichen Verhältnisse des Körperbehinderten" gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG bei nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten nicht nur von den wirtschaftlichen Verhältnissen des körperbehinderten Ehegatten allein, sondern von den gemeinsamen Einkommensverhältnissen beider Ehegatten auszugehen ist. Zwar verbietet Art. 6 Abs. 1 GG auch auf dem Gebiet des Steuerrechts eine die Ehegatten gegenüber Ledigen benachteiligende Sonderbehandlung, soweit nicht ein besonderer Rechtfertigungsgrund in Betracht kommt. Dies schließt aber nicht aus, daß die Ehe zum Anknüpfungspunkt für wirtschaftliche Rechtsfolgen insoweit gemacht wird, als sie der Natur des geregelten Lebensgebiets entsprechen. Insbesondere kann bei - auch durch Steuervergünstigungen - gewährender Staatstätigkeit die normalerweise vorauszusetzende Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft der Ehegatten in der Weise berücksichtigt werden, daß z. B. auch das Ausmaß einer Steuervergünstigung ihrer besonderen wirtschaftlichen Lage und der dadurch etwa geminderten Vergünstigungsbedürftigkeit angepaßt wird (Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht - BVerfGE - Bd. 6 S. 55, 7 6 f. = BStBl 1957 I, 193, 199; BVerfGE Bd. 17 S. 210, 216 = BStBl 1964 I, 46, 48). Gerade für eine abgabenrechtliche Billigkeitsmaßnahme - Erlaß bzw. Stundung der Vermögensabgabe gemäß § 54 LAG - hat das BVerfG (BVerfGE Bd. 12 S. 180, 189 f. = BStBl 1961 I, 63, 65) ähnlich wie bei anderen staatlichen Hilfsmaßnahmen verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Vermögenszusammenrechnung für unberechtigt gehalten. Vergleichbar liegen die Verhältnisse bei Gewährung eines Erlasses der Kraftfahrzeugsteuer gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG. Auch hier entspricht es der familienrechtlichen Unterhaltsregelung der §§ 1360, 1360 a BGB, daß die Ehegatten unabhängig vom Güterstand einander verpflichtet sind, zu dem gemeinsamen Unterhalt nach Kräften beizutragen. Das neue Güterrecht mit der selbständigen Verwaltung der grundsätzlich getrennten Vermögen bedingt es andererseits geradezu, daß die Ehegatten in Verwirklichung des Gleichheitssatzes (Art. 3 GG) gemäß § 1360 BGB je nach beider Lebensverhältnisse in gleicher Weise verpflichtet sind, durch beider Arbeit bzw. Einkünfte und beider Vermögen zum angemessenen Familienunterhalt beizutragen. Der Beitrag muß nicht betragsmäßig gleich hoch sein; maßgebend sind vielmehr die Leistungsfähigkeit und die Höhe der Einkünfte bzw. des Vermögens. Insoweit jedoch müssen Ehegatten alles teilen, ohne daß ein Ehegatte einen bestimmten Einkommensteil für sich verlangen könnte (vgl. außer BVerfGE Bd. 12 S. 180, 189 f. noch BGB-Kommentare: Bartholomeyczik bei Erman, 3. Aufl., § 1360 Anm. 3; Hübner bei Staudinger, 10/11. Aufl., § 1360 Tz. 3, § 1360 a Tz. 24; Lange bei Soergel-Siebert, 9. Aufl., § 1360 Tz. 11; Lauterbach bei Palandt, 25. Aufl., § 1360 Anm. 3; Scheffler im Kommentar von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern zum BGB, 10./11. Aufl., § 1360 Anm. 1, 3). Zu den Haushaltskosten bzw. persönlichen Bedürfnissen im Rahmen eines angemessenen Unterhalts (§ 1360 a BGB), der sich wiederum nach Lebensstellung, Einkommen und Vermögensverhältnissen beider Ehegatten richtet, gehört ohne Zweifel auch der durch das Halten eines Kraftfahrzeugs verursachte Aufwand, erst recht, wenn er durch die Krankheit bzw. Körperbehinderung eines Ehegatten bedingt ist (vgl. insbesondere zu Krankheitskosten Bartholomeyczik, a. a. O., § 1360 a Anm. 2; Hübner, a. a. O., § 1360 a Tz. 3, 23; Lange, a. a. O., § 1360 a Tz. 3; Scheffler, a. a. O., § 1360 a Anm. 2).

Da also die Ehegatten in dieser Weise gemeinsam unter Berücksichtigung der gemeinsamen Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse füreinander einzustehen haben, so erscheint es nur folgerichtig, daß auch für die Frage, ob einem körperbehinderten Ehegatten die Vergünstigung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG gewährt werden kann, die wirtschaftlichen Verhältnisse nach den gemeinsamen Einkommensverhältnissen beider Ehegatten beurteilt werden. Eine verfassungsrechtlich bedenkliche Benachteiligung der Ehegatten gegenüber Alleinstehenden kann hierin nicht erblickt werden, da diese in der Regel keine familienrechtlichen Unterhaltsansprüche haben, die den oben dargelegten wechselseitigen Unterhaltsansprüchen zusammenlebender Ehegatten entsprächen (BVerfGE Bd. 12 S. 180, 191).

Demgegenüber kann die Klägerin sich auf den Beschluß des BVerfG vom 10. Juni 1963 1 BvR 345/61 (BVerfGE Bd. 16 S. 203, BStBl I 1963, 620) zur teilweisen Nichtigkeit des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG schon deshalb nicht berufen, weil dort eine Steuerpflicht für Ehegatten unter Benachteiligung gegenüber Ledigen ohne sachgerechten Grund nur an das Band der Ehe geknüpft worden war, die zudem noch gerade nicht von der Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft der Ehegatten abhing. Aus ähnlichen Erwägungen geht der Hinweis der Klägerin auf das Urteil des BVerfG 1 BvL 20/61 vom 20. März 1963 (BVerfGE Bd. 15 S. 328, BStBl I 1963, 488) fehl. Auch aus dem von der Klägerin angeführten BFH- Urteil VI 206/61 vom 14. Dezember 1962 (HFR 1963 S. 206) läßt sich für ihren Fall nichts entnehmen, da die außergewöhnliche Belastung schon wegen fehlender Zwangsläufigkeit der Verbindlichkeit verneint und abschließend nur darauf hingewiesen worden ist, daß bei Gütertrennung den Gläubigern gegenüber die Vermögensmassen der Ehegatten voneinander zu scheiden seien.

Auf andere Einwendungen, insbesondere darauf, daß ihr Ehemann selbst kriegsbeschädigt sei, ist die Klägerin in diesem Rechtszug nicht mehr zurückgekommen. Im Streitfall kann nur über die Gewährung oder Versagung der Steuervergünstigung für das auf die Klägerin selbst als Halterin und alleinige Steuerschuldnerin zugelassene Fahrzeug entschieden werden. Anders als bei den wirtschaftlichen Verhältnissen können Art und Schwere der Körperbehinderung nach der Natur der Sache nur nach der Person des körperbehinderten Fahrzeughalters beurteilt werden. Es kann - auch im Rahmen der Prüfung der Ermessensgrenzen - nicht außer Betracht bleiben, daß § 3 KraftStG insoweit eine persönliche Vergünstigung enthält, die für ein Fahrzeug des jeweils körperbehinderten zu gewähren ist. Der Umstand, daß dem einen körperbehinderten Ehegatten gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 KraftStG - im ersten Fall ohne Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse - für das auf ihn zugelassene Fahrzeug bereits ein (Voll- oder Teil-)Erlaß der Kraftfahrzeugsteuer eingeräumt worden ist, würde der Steuervergünstigung für ein auf den anderen, ebenfalls körperbehinderten Ehegatten zugelassenes weiteres Fahrzeug - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nicht entgegenstehen. Daraus folgt umgekehrt, daß einem körperbehinderten Ehegatten die Vergünstigung des § 3 KraftStG nicht nur deshalb gewährt werden kann, weil deren Voraussetzungen bei dem anderen Ehegatten vorliegen.

Auch in Würdigung aller Umstände des Streitfalles konnte der Senat im Rahmen seiner - wie bereits eingangs ausgeführt - nur auf Rechtsverstöße beschränkten Nachprüfungsmöglichkeit der Revision nicht zum Erfolg verhelfen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412316

BStBl III 1967, 52

BFHE 1967, 121

BFHE 87, 121

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