Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit der Ausübung des Wahlrechts auf Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich
Leitsatz (amtlich)
Der Steuerpflichtige hat sein Wahlrecht auf Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich erst dann wirksam ausgeübt, wenn er zeitnah eine Eröffnungsbilanz aufstellt, eine ordnungsmäßige kaufmännische Buchführung einrichtet und aufgrund von Bestandsaufnahmen einen Abschluss macht.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1, 3; AO 1977 § 146 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ihr Wahlrecht, den Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu ermitteln, für das Streitjahr 1994 wirksam ausgeübt hat.
Die Klägerin betreibt seit dem 1. Januar 1992 ein Architekturbüro in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Bis zum Jahr 1993 einschließlich ermittelte die Klägerin ihren Gewinn aus selbständiger Arbeit nach § 4 Abs. 3 EStG aufgrund einer Einnahmen-Überschussrechnung.
Für das Streitjahr 1994 wurde im Juni 1996 eine Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG vorgelegt, die einen Verlust von 4 392 916,99 DM auswies. Die "Eröffnungsbilanz" zum 1. Januar 1994 wurde erst nach Aufforderung durch den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ―FA―) unter dem 2. September 1996 eingereicht. Die Bilanz enthält den Hinweis, dass auf die Ermittlung der unfertigen Arbeiten, Forderungen und weiteren sonstigen Verbindlichkeiten verzichtet worden sei, da diese den Übergangsverlust nur zusätzlich erhöhten. Die gemäß R 17 zu § 4 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) erforderlichen Zu- und Abrechnungen wurden nicht vorgenommen.
Das FA führte die einheitliche und gesonderte Feststellung zunächst erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung ―AO 1977―) durch. Nach einer Außenprüfung wurde ein wirksamer Übergang zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG nicht mehr anerkannt, da sich nach den Feststellungen des Betriebsprüfers die Buchführung der Klägerin für das Streitjahr 1994 im Vergleich mit den Vorjahren nicht verändert habe. Insbesondere sei keine debitorische und kreditorische Buchführung eingerichtet worden. Es seien zwar Forderungs- und Leistungsstandlisten geführt worden, diese seien jedoch nicht in die laufende Buchführung eingearbeitet worden, sondern erst in die Jahresabschlussarbeiten eingeflossen. Eine doppelte Buchführung im eigentlichen Sinne habe damit im laufenden Geschäftsjahr nicht vorgelegen. Damit habe die Klägerin auch die Ausübung des Wahlrechts hin zu einer Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich nicht dokumentiert. Die Eröffnungsbilanz, deren Erstellungszeitpunkt die Außenprüfung ausdrücklich offen gelassen habe, sei außerdem wegen der ausgelassenen Positionen unvollständig. Die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG sei nachträglich gewählt worden, um durch einen Verlustrücktrag nach 1992 den erheblichen Gewinn des Jahres 1992 zu kompensieren.
Im Verlauf des Klageverfahrens erstellte der Prüfer des Finanzgerichts (FG) eine gutachterliche Stellungnahme, nach der die Eröffnungsbilanz jedenfalls nicht im Jahre 1994, wahrscheinlich erst im Frühjahr 1996 erstellt worden und eine den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung in vollem Umfang entsprechende doppelte Buchhaltung i.S. des § 4 Abs. 1 EStG nicht eingerichtet worden sei. Die Geschäftsvorfälle seien nicht so dargestellt worden, dass zu jedem beliebigen Zeitpunkt auch in der Vergangenheit ohne größere Mühe ein Abschluss hätte erstellt werden können. Neben den Besonderheiten der Erfassung der Ausgangsrechnungen sowie der halbfertigen Arbeiten (die beide bereits zusätzliche Arbeiten erforderten) sei insbesondere die Behandlung der Eingangsrechnungen, die nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Buchführung entsprochen habe, für diese Beurteilung ausschlaggebend. Die Einrichtung einer kostenstellenorientierten Verbuchung von Aufwendungen sei ausschließlich mit dem Ziel erfolgt, das Zahlenwerk zu einer ergebnisorientierten Entlohnung bereit zu stellen. Die Absicht zur gleichzeitigen Einrichtung einer doppelten Buchführung sei nicht dokumentiert worden.
Das FG wies die Klage ab; die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 555 veröffentlicht. Im Streitjahr seien die Voraussetzungen für einen wirksamen Übergang zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG nicht erfüllt gewesen. Die Klägerin habe nicht zu Beginn des Jahres 1994 zeitnah eine Eröffnungsbilanz aufgestellt und somit ihr Wahlrecht, den Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG zu ermitteln, für diesen Zeitraum nicht wirksam ausgeübt.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend:
Zur Ausübung des Gewinnermittlungswahlrechts zugunsten der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich müsse nicht zwingend eine Eröffnungsbilanz aufgestellt werden. Die Eröffnungsbilanz sei gegenüber der Einrichtung einer kaufmännischen Buchführung lediglich von untergeordneter Bedeutung. Durch die technische Angleichung der Aufzeichnungssysteme und durch die wachsenden Aufzeichnungspflichten bei der Überschussrechnung sei die Notwendigkeit entfallen, das Gewinnermittlungswahlrecht bereits am Anfang des Gewinnermittlungszeitraums auszuüben.
Die Erstellung einer Eröffnungsbilanz sei regelmäßig ein gewinnneutraler Vorgang und damit überflüssig. Die Führung von Bestandskonten sei in neueren Buchführungssystemen auch bei einer Überschussrechnung möglich. Der technische Wandel habe die Grenzen zwischen beiden Gewinnermittlungsarten in der Buchführung verwischt. Der IV. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) habe in der Entscheidung vom 9. November 2000 IV R 18/00 (BFHE 193, 436, BStBl II 2001, 102) eine Änderung der Rechtsprechung in der Weise angedeutet, dass das Gewinnermittlungswahlrecht nicht zu Beginn des Wirtschaftsjahres auszuüben sei.
In jedem Veranlagungszeitraum entstehe das Recht, die Gewinnermittlungsart zu wählen, aufs Neue. Das Wahlrecht könne auch noch nachträglich ausgeübt werden. Die Einräumung des Wahlrechts wirke sich stets auf den Gewinn aus; eine Manipulation könne darin nicht gesehen werden.
Der Wechsel der Gewinnermittlungsart treffe lediglich eine Zuordnungsentscheidung darüber, ob es sich um "laufenden" oder um einen Übergangsgewinn handele; den Gesamtgewinn beeinflusse die Eröffnungsbilanz nicht.
§ 4 Abs. 1 EStG sei das Erfordernis der "zeitnahen" Erstellung einer Eröffnungsbilanz nicht zu entnehmen. Dieses Erfordernis stehe auch im Widerspruch zu dem erzwungenen Wechsel der Gewinnermittlungsart bei der Betriebsveräußerung. Würden Bücher geführt und Abschlüsse gemacht, bestehe das Recht, die vereinfachte Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG zu erstellen, nicht mehr.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und Änderung des Feststellungsbescheids vom 11. Dezember 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. Mai 1999 einen laufenden Verlust von 3 924 333 DM und einen Übergangsverlust von 94 058,53 DM festzustellen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Ohne Aufstellung einer zeitnahen Eröffnungsbilanz könne ein Betriebsvermögensvergleich nicht stattfinden. Die Aufstellung einer Eröffnungsbilanz sei konstitutiv. Buchungen seien nach § 146 Abs. 1 AO 1977 zeitgerecht vorzunehmen (BFH-Urteil vom 25. März 1992 I R 69/91, BFHE 168, 527, BStBl II 1992, 1010).
Entscheidungsgründe
II. Die zulässige Revision ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unbegründet zurückzuweisen. Die Einkünfte der Klägerin aus selbständiger Arbeit waren für das Streitjahr 1994 durch Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG zu ermitteln.
1. Gemäß § 4 Abs. 1 EStG ist Gewinn der um Entnahmen und Einlagen korrigierte Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres. Gemäß § 4 Abs. 3 EStG kann der Steuerpflichtige, der nicht verpflichtet ist, Bücher zu führen und Abschlüsse zu machen, und der auch keine Bücher führt und keine Abschlüsse macht, als Gewinn den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ansetzen.
Nach dieser Rechtslage hat ein nicht buchführungspflichtiger Steuerpflichtiger ein ―prinzipiell unbefristetes― Wahlrecht, das zwar formal allein durch die Bestandskraft der Steuerfestsetzung bzw. Feststellung begrenzt ist, das aber der Sache nach bereits durch die Einrichtung bzw. Nichteinrichtung einer entsprechenden Buchführung ausgeübt wird. So kann derjenige, der ―wie in § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG ausdrücklich angesprochen― tatsächlich Bücher führt und Abschlüsse macht, nicht die Überschussrechnung wählen. In diesem Fall liegen die Voraussetzungen vor, die eine Gewinnermittlung nach der "Regel-Gewinnermittlungsart" ermöglichen, so dass kein Bedarf für eine vereinfachte Gewinnermittlung besteht.
2. Hat sich der Steuerpflichtige ―wie im Streitfall― für die Überschussrechnung entschieden, kann er allein durch eine nachträglich erstellte Buchführung seine zunächst getroffene Wahl nicht mehr ändern. Ein nicht buchführungspflichtiger Steuerpflichtiger hat erst dann sein Wahlrecht auf Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich wirksam ausgeübt, wenn er eine Eröffnungsbilanz aufstellt, eine ordnungsmäßige kaufmännische Buchführung einrichtet und ―vor allem― aufgrund von Bestandsaufnahmen einen Abschluss macht (BFH-Urteil vom 2. März 1978 IV R 45/73, BFHE 125, 45, BStBl II 1978, 431; BFH-Beschluss vom 9. Dezember 2003 IV B 68/02, BFH/NV 2004, 633). Bei einem Wechsel von der Überschussrechnung zum Bestandsvergleich ist eine Bestandsaufnahme für die Positionen der "Eröffnungsbilanz" von besonderer Bedeutung, da insoweit die fehlerausgleichende Zweischneidigkeit der Bilanz noch nicht gegeben ist. Die ihr zugrunde liegenden Posten müssen ―dem Grunde und der Höhe nach― zeitnah aufgenommen und erfasst werden; für körperliche Gegenstände (wie auch für halbfertige Arbeiten) ist eine reale Bestandsaufnahme geboten (vgl. § 146 Abs. 1 AO 1977; dazu Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 146 AO 1977 Tz. 10 ff.). Die zeitgerechte Erfassung und Verbuchung des Betriebsvermögens trägt dazu bei, die Richtigkeit der Buchungen und der Bilanz zu gewährleisten und so als sachgerechte Grundlage für die steuerliche Gewinnermittlung zu dienen. Werden daher die der Anfangsbilanz zugrunde liegenden Positionen nicht zeitgerecht zum "Bilanzeröffnungsstichtag" ermittelt, kann in diesem Veranlagungszeitraum nicht mehr von der Überschussrechnung zum Bestandsvergleich übergegangen werden. Der Wechsel von der Einnahmen-Überschussrechnung zum Bestandsvergleich setzt neben der Einrichtung einer Buchführung eine Anfangsbilanz mit zeitgerecht ermittelten Werten zwingend voraus.
Im Streitfall ist die Eröffnungsbilanz nicht zeitnah, sondern erst nach Ablauf des Streitjahres erstellt worden. Die Bestände wurden nicht ordnungsgemäß zum "Eröffnungsstichtag" erfasst. Die Bilanz selbst enthält den Hinweis, dass auf die Ermittlung der unfertigen Arbeiten, Forderungen und weiteren sonstigen Verbindlichkeiten verzichtet worden sei. Die Klägerin konnte nicht mehr zur Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich übergehen. Der erzwungene Wechsel zur Ermittlung des Veräußerungsgewinns gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG, der im Hinblick auf die Abgrenzung des laufenden Gewinns vom Veräußerungsgewinn notwendig ist, ist mit dem freiwilligen Wechsel zur Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich nicht vergleichbar.
3. Die BFH-Entscheidung in BFHE 193, 436, BStBl II 2001, 102 steht dieser Beurteilung nicht entgegen. In dieser Entscheidung hatte der IV. Senat offen gelassen, ob abweichend von der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ein Übergang vom Bestandsvergleich zur Einnahmen-Überschussrechnung bis zur Abgabe der Steuererklärung zulässig sei, da im konkreten Fall der Kläger nicht erneut ohne triftigen Grund die Gewinnermittlungsart habe ändern dürfen. Die Frage, ob nachträglich zum Bestandsvergleich übergegangen werden könne, wird nicht berührt.
Zudem hat der IV. Senat in dem später ergangenen Beschluss in BFH/NV 2004, 633 ausdrücklich hervorgehoben, dass ein nicht buchführungspflichtiger Steuerpflichtiger erst dann sein Wahlrecht auf Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich ausgeübt habe, wenn er eine Eröffnungsbilanz aufstelle, eine ordnungsmäßige kaufmännische Buchführung einrichte und aufgrund von Bestandsaufnahmen einen Abschluss mache.
Fundstellen
Haufe-Index 1458079 |
BFH/NV 2006, 407 |
BStBl II 2006, 509 |
BFHE 2006, 262 |
BFHE 211, 262 |
BB 2006, 33 |
BB 2006, 434 |
DB 2006, 76 |
DB 2007, 10 |
DB 2007, 14 |
DStR 2006, 16 |
DStRE 2006, 124 |