Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerliche Betriebsprüfung Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Die Grundsätze der §§ 204, 243 AO über die amtliche Ermittlungspflicht gelten auch für die Feststellung des Zollwertes.
Normenkette
AO §§ 204, 243, 246; FGO § 76/1
Tatbestand
Streitig ist der Zollwert von sechs Ballen (= 1.200 m) italienischer Wollgewebe der Tarif-Nr. 5111, Vertragszollsatz - bis einschließlich 23. April 1952 - 18 % des Wertes. Der Beschwerdeführer (Bf.) hat diese Ware von der Firma X zum Rechnungspreise von 720 US-Dollar - 0,60 US-Dollar für das Meter - frei Brenner gekauft und durch den Spediteur Y am 13. November 1951 bei der Zollstelle Z zum freien Verkehr abfertigen lassen. Der Rechnungspreis von 720 US-Dollar ist unbestritten. Die Ware ist zu diesem Rechnungspreis in der Zollwertanmeldung und in der Ausgleichsteuer-Erklärung von dem Bf. angemeldet worden. Die Zollstelle hat diesen Preis als Zollwert bei der Berechnung des Zolls und der Umsatzausgleichsteuer in den formlosen Steuerbescheid vom 13. November 1952 zugrunde gelegt und von dem Bf. 791,50 DM Abgaben gefordert, nämlich 552,05 DM Zoll und 219,85 DM Umsatzausgleichsteuer.
Der Zollwertnachprüfstelle des Hauptzollamts erschien der Rechnungspreis von 0,60 US-Dollar für das Meter, der auch von dem Statistischen Bundesamt beanstandet war, zu niedrig. Sie hielt für diese Ware als Normalpreis 2 US-Dollar für das Meter angemessen. Die Zollstelle hat deshalb unter Anwendung dieses Normalpreises als Zollwert mit Steuerbescheid vom 27. Dezember 1951 von dem Bf. 1.347,85 DM Abgaben nachgefordert, nämlich 1.271,60 DM Zoll und 76,25 DM Umsatzausgleichsteuer. Der Bf. hat gegen diesen Steuerbescheid Anfechtung eingelegt mit der Begründung, es handle sich durchweg um fehlerhafte, aus Fallenwolle hergestellte Stoffe III. Klasse, die auch als fehlerhafte Ware von ihm verkauft seien. Die Stoffe hätten "keine normale Qualität". Er will deshalb nur den Rechnungsbetrag der Ware als Zollwert anerkennen. Die Anfechtung hatte nur teilweise Erfolg.
Die Vorinstanz hat auf Grund eines von einer Tuchgroßhandlung eingeholten Gutachtens, der eine kleine Warenprobe vorgelegt war, als Normalpreis der Ware nur einen Betrag von 1 1/2 US-Dollar für das Meter frei deutsche Grenze angesehen und hat unter Berücksichtigung dieses Normalpreises als Zollwert den Steuerbescheid der Zollstelle Z entsprechend abgeändert.
Der Bf. hat bereits in dem Anfechtungsverfahren mit Schreiben vom 29. Februar 1952 die Richtigkeit dieses Gutachtens bestritten und eingewendet, die fehlerhafte Qualität könne nicht an einer Stoffprobe, sondern nur am ganzen Ballen festgestellt werden, weil der Fehler durchweg im Mittelstück der Ballen liege und daher großen Abfall bedinge. Er hat gegen die Entscheidung der Vorinstanz Rechtsbeschwerde (Rb.) eingelegt.
Zur Begründung der Rb. bemängelt er mit den gleichen Gründen wie im Anfechtungsverfahren das Gutachten der Tuchgroßhandlung und erklärt außerdem, er habe keine Veranlassung gehabt, von vornherein auf die Fehlerhaftigkeit der Ware hinzuweisen, weil er mit der ersten zollamtlichen Abfertigung der Ware unter Zugrundelegung des Rechnungspreises des Zollwerts einverstanden gewesen sei. Er beanstandet ferner, daß die Vorinstanz einen Preisnachlaß des italienischen Lieferanten annehme. Der Rechnungspreis entspreche durchaus dem Normalpreis der Ware.
Entscheidungsgründe
Der Rb. war der Erfolg nicht zu versagen.
Nach § 204 der Reichsabgabenordnung (AO) hat die Zollstelle die steuerpflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Steuerpflicht und die Bemessung der Steuer wesentlich sind. Sie hat dabei die Angaben des Steuerpflichtigen auch zu seinen Gunsten zu prüfen, und zwar bis zur Grenze des Zumutbaren. Diese Vorschriften gelten auch für das Rechtsmittelverfahren, das - abgesehen von dem Verfahren vor dem Bundesfinanzhof - in seinem Kern ein erneutes Ermittlungs- und Festsetzungsverfahren ist, bei dem an die Stelle des Finanzamts die Rechtsmittelbehörde tritt. Dem entspricht der Grundsatz, daß die Rechtsmittelbehörde nicht nur die rechtlichen, sondern auch die tatsächlichen Verhältnisse von Amts wegen ermitteln muß, soweit sie die Tatsachen nachzuprüfen hat, § 243 AO (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI e A 39/24 vom 21. Mai 1924, Slg. Bd. 14 S. 83 ff.; Becker 5. Aufl. Vorbem. 3 vor § 217, Anm. 1 zu § 228 AO). Diese Grundsätze der Reichsabgabenordnung gelten auch für die Ermittlung des Zollwerts (§ 5 des Zolltarifgesetzes). Auch die von der Bundesregierung auf Grund des § 18 Ziff. 2 des Zolltarifgesetzes erlassene Wertzollordnung darf sie nicht abändern; denn § 18 Ziff. 2 des Zolltarifgesetzes gibt dazu der Bundesregierung keine Ermächtigung.
Im vorliegenden Falle sind diese Grundsätze von der Vorinstanz nicht beachtet worden. Die Vorinstanz hat den Einwand des Bf., die fehlerhafte Qualität könne nicht an einer Stoffprobe, sondern nur am ganzen Ballen festgestellt werden, nicht nachgeprüft. Sie hat ausgeführt, es sei dies nicht möglich, weil bei der Abfertigung der Ware die fehlerhafte Qualität der Stoffprobe weder vom Bf. behauptet noch festgestellt worden sei, und weil die Ware bereits weiterverkauft sei. Der Bf. müßte diese Umstände gegen sich gelten lassen; denn wer etwas vom Normalfall Abweichendes behaupte, müsse von sich aus Anlaß nehmen, von vornherein alle Tatsachen darzulegen und nachzuweisen. Der Bf. hat aber nach den Grundsätzen der Reichsabgabenordnung keine Beweislast. Es war vielmehr Aufgabe der Vorinstanz, die Beschaffenheit der in ganzen Ballen nicht mehr vorhandenen Ware nachträglich durch Zeugenvernehmungen, eidesstattliche Versicherungen usw. zu ermitteln und dann ihren Wert durch Sachverständige festzustellen. Die Vorinstanz hätte den Gutachter auch zu den Einwänden des Bf. hören sollen. Es erscheint dem Senat in diesem Falle erforderlich, über die Bewertung des Stoffes nicht nur eine einzige Tuchgroßhandlung als Gutachter zu befragen, sondern mehrere Sachverständige, zweckmäßig den zuständigen Fachverband, gegebenenfalls das zuständige Fachreferat des Bundeswirtschaftsministeriums.
Aus diesen Gründen war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 318 Abs. 2 AO, die Entscheidung über die Feststellung des Wertes des Streitgegenstandes auf § 320 Abs. 3 AO.
Fundstellen
Haufe-Index 407559 |
BStBl III 1953, 63 |
BFHE 1954, 161 |
BFHE 57, 161 |