Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
1.Entscheidet der Steuerausschuß im Rahmen seiner Zuständigkeit über einen Einspruch gegen einen Einheitswertbescheid, so kann er nicht gleichzeitig den Stichtag des angefochtenen Einheitswertes auf einen früheren Zeitpunkt vorverlegen.
2.Im Zusammenhang mit der Entscheidung über einen Einspruch gegen einen Einheitswertbescheid ist der Steuerausschuß auch nicht befugt, ohne Vorliegen eines Bescheides über eine Nachfeststellung von sich aus Nachfeststellungen vorzunehmen.
3.Im Rechtsmittelverfahren gegen einen Einheitswertbescheid ist Verfahrensgegenstand die für bestimmte Steueransprüche maßgebende Besteuerungsgrundlage.
FVG § 24 Abs. 3; AO §§ 213 Abs. 2, 218 Abs. 1, 2.
Normenkette
AO § 213 Abs. 2, § 218 Abs. 1-2
Tatbestand
Dem Senat erschien es angezeigt, die drei Sachen zu einheitlicher Entscheidung miteinander zu verbinden. Die Bgin. ist Eigentümerin eines größeren Grundbesitzes. Ein Teil wurde zum 1. Januar 1951 als landwirtschaftlicher Betrieb bewertet. Nachdem das Finanzamt erfahren hatte, daß die Bgin. ihren landwirtschaftlichen Betrieb aufgegeben, das als Lagerraum benutzte Dachgeschoß im Wohngebäude des landwirtschaftlichen Betriebes zu einer Wohnfläche ausgebaut und in das Stallgebäude ebenfalls eine Wohnung eingebaut hatte, nahm es durch die Bescheide vom 24. Oktober 1957 Fortschreibungen und eine Nachfeststellung zum 1. Januar 1954 vor.
Streitig ist die Art- und Wertfortschreibung des bisherigen landwirtschaftlichen Wohngebäudes als Einfamilienhaus und die Nachfeststellung des übrigen Teiles des bisherigen landwirtschaftlichen Betriebes.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Der Steuerausschuß hob die Art- und Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1954 für das Einfamilienhaus auf. Er schrieb auf den 1. Januar 1953 das ehemalige landwirtschaftliche Wohngebäude zusammen mit einer Fläche als Mietwohngrundstück fort. Für den verbleibenden Teil wurde der Einheitswert als unbebautes Grundstück nachfestgestellt. Der Einheitswert des bisherigen unbebauten Grundstückes wurde unter Aufhebung der Einheitswertfeststellung auf den 1. Januar 1954 zum 1. Januar 1953 fortgeschrieben.
Auf die Berufungen wurden die in den Einspruchsentscheidungen vorgenommenen Fortschreibungen und die Nachfeststellung zum 1. Januar 1953 aufgehoben. Das Finanzgericht vertrat dabei die Auffassung, daß der Steuerausschuß als Rechtsmittelbehörde derartige erstmalige Feststellungen nicht treffen konnte. Das Rechtsmittelverfahren müsse sich außerdem auf den konkreten Steueranspruch beschränken, der den Gegenstand des angefochtenen Bescheides bildet. Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens sei bei Einheitswertbescheiden die rechtliche Bindung, deren Feststellung Gegenstand des Einheitswertbescheides sei. Feststellungsbescheide seien untereinander nur dann identisch, wenn sie bindend für identische Steueransprüche seien. Ein auf den 1. Januar 1953 festgestellter Einheitswert sei aber für andere Steueransprüche bindend, als ein auf den 1. Januar 1954 festgestellter Einheitswert.
In der Rb. wendet der Vorsteher des Finanzamts ein, daß nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die Steuerausschüsse nach der im Zeitpunkt der fraglichen Entscheidung geltenden gesetzlichen Regelung keine besonderen Rechtsmittelbehörden, sondern nur Teile des Finanzamts gewesen seien. Er bringt ferner vor, es seien in jedem Bewertungsfalle Feststellungen über den Bewertungsgegenstand einschließlich Zurechnung, Art und über den Bewertungsstichtag zu treffen. Im Einheitswert- und Fortschreibungsbescheid stelle der Bewertungsstichtag einen Bestandteil der Bescheidformel dar und sei daher im Rechtsmittelverfahren ebenso abänderbar wie die Höhe des Einheitswertes. In dem Urteil des Bundesfinanzhofs III 48/60 S vom 6. Oktober 1961 (BStBl 1962 III S. 51, Slg. Bd. 74 S. 132) sie die rückwirkende Festsetzung des Steuermeßbetrages durch den Steuerausschuß als rechtens anerkannt worden.
Entscheidungsgründe
Die Rbn. führen zur Aufhebung der Vorentscheidungen.
1.Mit Recht ist das Finanzgericht davon ausgegangen, daß dem Steuerausschuß die Zuständigkeit zu Fortschreibungen und Nachfeststellungen fehlt. Der Steuerausschuß ist nach § 24 Abs. 3 des Gesetzes über die Finanzverwaltung (FVG) in der Fassung des Gesetzes zur Regelung finanzieller Beziehungen zwischen dem Bund und den Ländern vom 27. April 1955 (BGBl 1955 I S. 189) und des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (BGBl 1957 I S. 861) zuständig zur Entscheidung über die Einsprüche gegen die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlage. Der Steuerausschuß hat wohl über die Einsprüche gegen die Feststellungen und die Nachfeststellung dadurch entschieden, daß er diese aufgehoben hat. Andererseits hat er aber gleichzeitig auch eine Fortschreibung bzw. eine Nachfeststellung auf den 1. Januar 1953 vorgenommen. Dazu ist aber der Steuerausschuß nach der Zuständigkeitsregelung des § 24 FVG funktionell nicht zuständig gewesen. Denn die Fortschreibung obliegt nach § 22 des Bewertungsgesetzes in Verbindung mit § 225a AO dem Finanzamt.
Der Vorsteher des Finanzamts beruft sich in diesem Zusammenhang auf das Urteil des BundesfinanzhofsIV 16/51 S vom 2. März 1951 (BStBl 1951 III S. 81, Slg. Bd. 55 S. 215), wonach der Steuerausschuß eine Rechtsmittelinstanz im eigentlichen Sinne nicht ist und deshalb die Nichtbeteiligung des Steuerausschusses am Verfahren über einen Einspruch trotz seiner Zuständigkeit hierfür keinen Verstoß gegen die Einhaltung des Instanzenzuges, sondern nur einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt. Im Streitfall handelt es sich aber darum, daß der am Verfahren beteiligte Steuerausschuß seine ihm in § 24 FVG übertragene Zuständigkeit überschritten und in die Zuständigkeit des Finanzamts eingegriffen hat. Diese Frage ist jedoch eine andere als die im Urteil vom 2. März 1951 a. a. O. entschiedene. Die Berufung des Vorstehers des Finanzamts auf dieses Urteil geht daher fehl.
2.Es läßt sich auch nicht einwenden, daß der Stichtag Bestandteil der Formel eines Einheitswertbescheides und deshalb ebenso abänderbar sei wie etwa der Wert, wenn sich auf Grund der tatsächlichen Nachprüfung ergebe, daß die für die Fortschreibung maßgebenden Verhältnisse bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hätten. Mit Recht hat das Finanzgericht angenommen, daß eine Berichtigung eines Bescheides im Rechtsmittelverfahren nur soweit möglich ist, als die Rechtsmittelbehörde dabei noch über denjenigen konkreten Anspruch entscheidet, der den Gegenstand der angefochtenen Entscheidung gebildet hat. Allerdings bildet, wie auch das Finanzgericht angenommen hat, den Gegenstand eines Einheitswertbescheides nicht ein konkreter Steueranspruch. Gegenstand eines Einheitswertbescheides ist die Feststellung einer Besteuerungsgrundlage. Diese Feststellungen sind aber dem Steuerbescheid zugrunde zu legen (§ 218 Abs. 2 AO). Es besteht demnach zwischen Steuerbescheid und Feststellungsbescheid eine rechtliche Bindung. Diese ist nicht nur formeller Art. Sie ist auch materiell insofern, als der Steueranspruch durch die im Einheitswertbescheid festgestellten Besteuerungsgrundlagen seine nähere Bestimmung erhält. Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens über einen Einheitswertbescheid ist demnach die für bestimmte Steueransprüche maßgebende Besteuerungsgrundlage. Es ist somit im Rechtsmittelverfahren ein Einheitswertbescheid nur soweit abänderbar, als der abgeänderte Einheitswertbescheid für dieselben Steueransprüche maßgebende Besteuerungsgrundlage bleibt wie der nicht abgeänderte Bescheid.
Dieser Auffassung ist auch das Schrifttum (vgl. Riewald, Kommentar zur Reichsabgabenordnung und zum Steueranpassungsgesetz, §§ 228 bis 230 Anm. 1, § 210 Anm. 4 Abs. 5; Hübschmann-Hepp- Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, § 210 Anm. 2, § 213 Anm. 11; Tipke-Kruse, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, § 282 Anm. 5). Auch der Senat hat diese Auffassung vertreten (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs III 371/59 vom 18. Mai 1962, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1963 S. 130).
Zu Unrecht beruft sich der Vorsteher des Finanzamts auf das Urteil des Senats III 48/60 S vom 6. Oktober 1961 (a. a. O.). Gegenstand dieser Entscheidung war, ob eine Grünanlage von der Grundsteuer befreit ist. Dabei hat sich im Verfahren über den Einspruch ergeben, daß die Grundsteuerbefreiung zu einem früheren Zeitpunkt weggefallen ist als ursprünglich angenommen worden war. Dementsprechend ist der Grundsteuermeßbetrag durch den Steuerausschuß auf einen früheren Zeitpunkt festgesetzt worden. Gegenüber dem Streitfall besteht insofern ein Unterschied, als in dem entschiedenen Fall der Einheitswert festgestellt war und es sich lediglich um die Grundsteuerveranlagung infolge Wegfalls einer Grundsteuerbefreiung handelte. Im Streitfall dagegen dreht es sich darum, daß der für den Einheitswert maßgebende Stichtag vorverlegt worden ist. Der insoweit bestehende Unterschied zwischen dem entschiedenen und dem zu beurteilenden Sachverhalt läßt die Anwendung des Urteil III 48/60 S vom 6. Oktober 1961 (a. a. O.) auf den Streitfall nicht zu.
Mit Recht hat das Finanzgericht angenommen, daß ein auf den 1. Januar 1953 festgestellter Einheitswert Besteuerungsgrundlage für andere Ansprüche ist als ein auf den 1. Januar 1954 festgestellter Einheitswert. Dies trifft vor allem für die Vermögensteuer und die Grundsteuer zu, für die die festgestellten Einheitswerte jeweils die Besteuerungsgrundlagen bilden. Für diese Steuern entsteht nämlich die Steuerschuld jeweils mit Beginn des Kalenderjahres, für das die Steuer erhoben wird (vgl. § 3 Abs. 5 Nr. 2 des Steueranpassungsgesetzes). Gerade bei diesen Steuerarten sind deshalb die Steueransprüche auch durch ihren Entstehungszeitpunkt in ihrer konkreten Gestalt bestimmt. Ist deshalb im Streitfall der Stichtag auf den 1. Januar 1953 vorverlegt, so ist der damit festgestellte Einheitswert Besteuerungsgrundlage für andere Steueransprüche, nämlich für die mit Beginn des Jahres 1953 entstandenen Steueransprüche, während der ursprüngliche Einheitswert Besteuerungsgrundlage für die mit Beginn des Jahres 1954 entstandenen Steueransprüche gewesen ist.
Demnach stellen die durch den Steuerausschuß abgeänderten Bescheide nicht mehr die Besteuerungsgrundlage für dieselben Steueransprüche dar, für die die angefochtenen Bescheide die Besteuerungsgrundlage festgestellt haben. Eine Abänderung des Stichtages vom 1. Januar 1954 auf den 1. Januar 1953 ist daher durch den Steuerausschuß nicht möglich gewesen. Das Finanzgericht hat dies zutreffend erkannt.
Gleichwohl waren die Vorentscheidungen und die ihr zugrunde liegenden Einspruchsentscheidungen aufzuheben. Dadurch, daß der Steuerausschuß bei seiner Entscheidung sich nicht an die angefochtenen Bescheide gehalten hat, sondern zum Gegenstand seiner sachlichen Entscheidung einen anderen Verfahrensgegenstand gemacht hat, ist über die angefochtenen, den Gegenstand des Verfahrens bildenden Bescheide und damit auch über die Einsprüche der Bgin. sachlich noch nicht entschieden. Das Finanzamt wird deshalb nunmehr über die Einsprüche gegen den Fortschreibungs- und Nachfeststellungsbescheid vom 24. Oktober 1957 sachlich zu entscheiden haben, wobei es rechtlich hinsichtlich des Stichtages durch die vorliegende Entscheidung des Senats gebunden ist. Soweit das Finanzgericht in den Gründen seiner Entscheidung die Auffassung vertreten hat, daß es dem Finanzamt überlassen bleibe, neue Bescheide zu erlassen, kann der Senat dieser Auffassung nicht folgen. Unter diesen Umständen erübrigt es sich, auf den Einwand des Vorstehers des Finanzamts einzugehen, daß unanfechtbare Fortschreibungen auf spätere Stichtage vorgenommen worden sind, und aus diesem Grunde nach der Rechtsprechung des Senats auf frühere Stichtage nicht mehr fortgeschrieben werden kann.
Fundstellen
Haufe-Index 411086 |
BStBl III 1964, 107 |
BFHE 1964, 272 |
BFHE 78, 272 |