Leitsatz (amtlich)
Die Erhebung der Vermögensteuer auf der Grundlage der nach Wertverhältnissen vom 1. Januar 1935 festgestellten Einheitswerte des Grundbesitzes stand am 1. Januar 1971 nicht in Widerspruch zum Gleichheitssatz des Grundgesetzes.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; BewG i.d.F. vor dem BewG 1965 § 21 Abs. 1; BewDV i.d.F. vor dem BewG 1965 § 1 Abs. 2
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hatte am 1. Januar 1971 ein Vermögen von 297 427 DM, das ausschließlich aus Kapitalforderungen bestand. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) veranlagte sie aufgrund dieses Vermögens unter Berücksichtigung der persönlichen und sachlichen Freibeträge zu einer Vermögensteuer-Jahresschuld von 2 640 DM.
Die Sprungklage, mit der die Klägerin ersatzlose Aufhebung der Vermögensteuerfestsetzung wegen Verfassungsverstoßes gegen den Gleichheitssatz und das Rechtsstaatsprinzip im Hinblick auf die Besteuerung des Grundbesitzes verlangte, hatte keinen Erfolg.
Die Revision der Klägerin rügt, das FG habe verkannt, daß das System der Bewertung nicht der Verfassung übergeordnet sei, sondern daß es sich an der Verfassung zu orientieren habe. Durch die Untätigkeit des Gesetzgebers seien überdies Ungleichmäßigkeiten in der Bewertung von Grundbesitz und sonstigem Vermögen entstanden, die der Bewertung nicht systemeigen sind und deshalb nicht hingenommen werden könnten. Hinzu komme, daß zum 1. Januar 1971 die Einheitswerte 1964 für den Grundbesitz vorgelegen hätten, wenngleich auch diese Werte schon wieder überholt gewesen seien. Dies zeige die Notwendigkeit eines Zuschlages von 40 v. H. zum 1. Januar 1974. Wenn man aber im Interesse einer gleichmäßigen Besteuerung der verschiedenen Vermögensarten die Einheitswerte für den Grundbesitz 1964 um einen Zuschlag von 40 v. H. erhöhe, so stelle sich die Frage, weshalb nicht durch eine ähnlich einfache Regelung die Ungleichmäßigkeit in der Besteuerung nach den alten Einheitswerten hätte vermieden werden können. Dieser Weg sei im übrigen auch für die Bewertung nichtnotierter Anteile an Kapitalgesellschaften mit Grundbesitz beschritten worden. Am 1. Januar 1971 sei jedenfalls die Frist abgelaufen gewesen, die das BVerfG dem Gesetzgeber zur Beseitigung einer Ungleichheit eingeräumt hätte. Das FG habe zu Unrecht angenommen, ein Vergleich zwischen Vermögensteuer und Erbschaftsteuer sei nicht möglich, weil die Erbschaftsteuer belastender als die Vermögensteuer sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß die Vorentscheidung und den Vermögensteuerbescheid aufzuheben.
Das FA beantragt die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Der dem Verfahren beigetretene BdF weist darauf hin, daß die Bundesregierung äußerste gesetzgeberische Anstrengungen unternommen habe, um die nach Wertverhältnissen 1964 festgestellten Einheitswerte ab 1. Januar 1974 der Besteuerung zugrunde legen zu können. Berücksichtige man dies, so sei die Erhebung der Vermögensteuer 1971 von Grundbesitz nach Wertverhältnissen 1935 und vom übrigen Vermögen nach zeitnahen Werten noch verfassungsmäßig gewesen.
Die Neubewertung des Grundbesitzes habe die Konsolidierung der Nachkriegsverhältnisse vorausgesetzt. Diese sei auf sämtlichen Gebieten des Grundbesitzes, auch in der Landwirtschaft, erst Anfang der 60er Jahre eingetreten. Deshalb sei es erst zu dieser Zeit möglich gewesen, das Gesetz zur Neubewertung des Grundbesitzes vorzubereiten. Durch den Erlaß des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom 13. August 1965 (BGBl I 1965, 851; BStBl I 1965, 375) sei die Bewertung der überwiegenden Mehrzahl bebauter Grundstücke auf eine ganz neue Grundlage gestellt worden. Es hätten insgesamt rd. 8,5 Mio. Grundstücke und mehr als 4 Mio. Betriebe der Land- und Forstwirtschaft bewertet werden müssen. Die technischen Schwierigkeiten bei der Durchführung dieser Bewertung seien erheblich größer gewesen, als es vorhersehbar gewesen sei. Erst Ende des Jahres 1972 habe die Neubewertung im wesentlichen abgeschlossen werden können. Im folgenden sei es erforderlich gewesen, mehr als 11 Millionen Fortschreibungen und Nachfeststellungen durchzuführen, ohne die die neuen Einheitswerte nicht hätten als Besteuerungsgrundlage verwendet werden können. Erst nachdem das Besteuerungsvolumen bekannt gewesen sei, hätten die neuen Steuertarife festgelegt werden können. Auch hierfür seien umfangreiche und zeitaufwendige Vorarbeiten notwendig gewesen. Berücksichtige man diese Schwierigkeiten, so zeige sich, daß der Gesetzgeber die Feststellung neuer Einheitswerte und die Vorbereitung ihrer Anwendung in angemessener Frist bewältigt habe.
Andere Alternativen zur Beseitigung der Ungleichheit hätten sich für den Gesetzgeber nicht angeboten. Es sei weder möglich gewesen, die nach Wertverhältnissen 1935 festgestellten Einheitswerte des Grundbesitzes pauschal zu erhöhen, noch die Werte des übrigen Vermögens pauschal zu ermäßigen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
1. Das BVerfG hat in seinem Beschluß vom 7. Mai 1968 1 BvR 420/64 (BVerfGE 23, 242 [254], BStBl II 1968, 549) nicht entschieden, ob die Diskrepanz zwischen den nach Wertverhältnissen 1935 festgestellten Einheitswerten des Grundbesitzes und den zeitnah ermittelten Werten des übrigen Vermögens in dem für die Entscheidung maßgebenden Jahr 1963 zur Nichtigkeit der Vorschriften und Bestimmungen führen müsse, die einer zeitnahen Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundbesitzes entgegenstehen. Denn die Gleichmäßigkeit der Besteuerung hätte nur durch eine Erhöhung der Werte des Grundbesitzes hergestellt werden können. Dadurch wäre aber die Vermögensteuerveranlagung des Beschwerdeführers nicht berührt worden, weil er nach dem System des BewG sachgerecht besteuert werde. Das BVerfG hat jedoch die vom Gesetzgeber selbst anerkannte Unterschiedlichkeit zwischen den tatsächlichen Werten und den nach Wertverhältnissen 1935 festgestellten Einheitswerten als unstreitig gegeben erachtet (vgl. BVerfGE 23, 257). Der erkennende Senat hat in seinen Entscheidungen vom 22. Januar 1971 III R 108/89 (BFHE 101, 277 [284], BStBl II 1971, 295) und vom 8. Dezember 1972 III R 6/72 (BFHE 108, 131 [135], BStBl II 1973, 202) zum Ausdruck gebracht, daß der Grundbesitz mit dem Konjunkturanstieg ab Mitte der 50er Jahre eine erhebliche Wertsteigerung erfahren habe, so daß durch die gesetzlich vorgeschriebene Maßgeblichkeit der Wertverhältnisse von 1935 für die Einheitsbewertung des Grundbesitzes eine erhebliche Ungleichheit zwischen diesen Werten und den zeitnah ermittelten Werten des übrigen Vermögens entstanden sei. Der II. Senat des BFH hat in seinem Vorlagebeschluß vom 18. Dezember 1972 II R 87-89/70 (BFHE 108, 393, BStBl II 1973, 329) an das BVerfG die Auffassung vertreten, die Bewertung verschiedener Wirtschaftsgüter nach unterschiedlichen Wertverhältnissen für die Festsetzung der Erbschaftsteuer verstoße gegen den Gleichheitssatz des GG und führe deshalb zur Nichtigkeit des Anwendungsbefehls des § 23 ErbStG i. d. F. der Bekanntmachung vom 1. April 1959 (BGBl I 1959, 187). Der II. Senat konnte jedoch zur vermögensteuerrechtlichen Lage nicht Stellung nehmen (vgl. BFHE 108, 438 unter f). Die Tatsache, daß eine Entwicklung erkennbar wurde, die zu einem Verfassungsverstoß führen mußte, verpflichtete den Gesetzgeber, durch geeignete Maßnahmen Abhilfe zu schaffen (vgl. Entscheidung des BVerfG vom 10. Mai 1972 1 BvR 286, 293, 295/65, BVerfGE 33, 171 [189]).
Die Klägerin wäre durch die Ungleichheit, die durch die Bewertung des Grundbesitzes und des übrigen Vermögens nach unterschiedlichen Wertverhältnissen unstreitig entstanden ist, jedoch nur dann in ihren Rechten verletzt, wenn der Gesetzgeber die sich aus Art. 3 GG ergebende Verpflichtung vernachlässigt hätte, diesen Zustand zu beseitigen, so daß die Rechtsnormen, auf denen diese Unterschiedlichkeit beruht, als nichtig anzusehen wären. Diese gesetzliche Voraussetzung, die durch die Rechtsprechung des BVerfG für die Annahme der Nichtigkeit einer materiell dem Grundgesetz widersprechenden Norm gefordert wird, beruht auf der dem Verfassungsrecht eigenen Überlegung, daß durch die Nichtigkeit einer Norm nicht ein Zustand geschaffen werden darf, der der verfassungsmäßigen Ordnung noch ferner steht, als der gegenwärtige Zustand (vgl. BVerfG vom 18. Juli 1972 - 1 BvL 32/70 und 25/71 -, BVerfGE 33, 303 [347]). Deshalb hat das BVerfG für die aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich gewordene Änderung des Systems der Umsatzsteuer dem Gesetzgeber eine geräumige Frist zugebilligt, die auch nach acht Jahren noch nicht als abgelaufen angesehen wurde, um nicht abzusehende Nachteile einer übereilten Regelung weitgehend ausschließen zu können (BVerfG-Urteil vom 20. Dezember 1966 - 1 BvR 320/57, 70/63 - BVerfGE 21, 12 [42], BStBl III 1967, 7).
2. Der Senat ist unter Berücksichtigung der dargestellten Verfassungsrechtslage der Auffassung, daß die Frist, die dem Gesetzgeber für die Umstellung der laufenden Vermögensbesteuerung von den nach Wertverhältnissen 1935 festgestellten Einheitswerten auf zeitnah festgestellte Einheitswerte am 1. Januar 1971 noch nicht abgelaufen war (vgl. auch BFH-Entscheidung III R 108/69, BFHE a. a. O. S. 285). Denn der Gesetzgeber hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht das Erfahrungsmaterial, das unter Berücksichtigung des komplexen Sachverhalts der Einheitsbewertung für eine sachgerechtere Lösung ausgereicht hätte (vgl. BVerfG vom 19. März 1974 1 BvR 416, 767, 779/68, BVerfGE 37, 38 [56], BStBl II 1974, 273).
a) Es trifft zu, worauf der II. Senat des BFH in seinem Beschluß II R 87-89/70 (BFHE a. a. O. S. 422) hinwies, daß schon in der Begründung der Regierungsvorlage zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des BewG, des VStG und des ErbStG vom 21. Juni 1956 (Bundestags-Drucksache 2544 der 2. Wahlperiode S. 35) die Notwendigkeit einer neuen Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundbesitzes u. a. damit begründet wurde, es hätten sich die Wertverhältnisse des Grundbesitzes seit der Hauptfeststellung 1935 wesentlich verändert; dies drücke sich u. a. darin aus, daß der Baukostenindex von 130 auf über 300 gestiegen sei. Die Notwendigkeit einer Änderung der Bewertungsvorschriften wurde aber auch damit begründet, daß die bisher angewandten Bewertungsmethoden für die Bewertung des Grundvermögens nicht mehr mit den Methoden übereinstimmten, wie sie heute in der Literatur vertreten und in der Praxis der Grundstücksschätzung angewandt wurden. Außerdem müßten die Vorschriften über die Bewertungsverfahren den jetzt geltenden rechtsstaatlichen Grundsätzen angepaßt werden (Bundestags-Drucksache a. a. O. S. 38).
Hieraus ergibt sich, daß die Neubewertung des Grundbesitzes sachlich eine weitgehende Änderung des Bewertungssystems und formell eine Umgestaltung unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten erforderte. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß die Vorbereitung eines so umfangreichen Unternehmens, das nur mit Hilfe von Sachverständigen in allen Einzelheiten durchdacht und ausgearbeitet werden konnte, sehr zeitaufwendig war. Der BdF hat zur Vorbereitung der Neubewertung und zur Durchführung der im Zuge dieser Vorbereitung erforderlichen Probebewertungen einen aus neun Mitgliedern bestehenden Schätzungsausschuß berufen, der sich aus freiberuflichen und beamteten Architekten, Maklern, leitenden Vertretern von Wohnungsbaugesellschaften, Hypothekenbanken, Grundbesitzerverbänden und behördlichen Schätzungsämtern zusammensetzte (Bundestags-Drucksache a. a. O. S. 43 und S. 85). Der in der 2. Wahlperiode dem Bundestag vorgelegte Gesetzentwurf konnte während dieser Wahlperiode nicht mehr zu Ende beraten werden. Dies dürfte u. a. darin begründet gewesen sein, daß die im Entwurf vorgesehene Gestaltung des an die Stelle des Rohmieteverfahrens tretenden Ertragswertverfahrens sich sehr weit einer individuellen Bewertung annäherte (vgl. Bundestags-Drucksache IV/1488 S. 32 linke Spalte unten). So sollte die Jahresrohmiete durch Abzug im einzelnen spezifizierter Bewirtschaftungskosten auf den Reinertrag zurückgeführt werden und dieser durch Anwendung eines bestimmten nach Grundstücksarten unterschiedenen Zinssatzes auf den individuellen Wert des Grund und Bodens in Bodenertragsanteil und Gebäudeertragsanteil aufgeteilt werden, die je für sich mit unterschiedlichen Vervielfältigern kapitalisiert werden sollten (vgl. Bundestags-Drucksache a. a. O. S. 12 ff. und Begründung hierzu S. 65 ff.). Ein solch differenzierendes Bewertungsverfahren für bebaute Grundstücke wäre von der Sache im Interesse der Gleichmäßigkeit der Bewertung durchaus erwünscht. Es würde jedoch eine Massenbewertung, wie sie die steuerliche Einheitsbewertung ist, nicht gestatten, so daß die Neubewertung des Grundbesitzes nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums und unter Einsatz eines ihrer wirtschaftlichen Bedeutung zukommenden Verwaltungsaufwandes hätte durchgeführt werden können.
b) Damit waren weitere Untersuchungen darüber erforderlich, wie das als sachlich richtig erkannte Bewertungsverfahren soweit vereinfacht werden könnte, daß es für die Durchführung einer Massenbewertung geeignet erschien und doch die wertbegründenden Merkmale der zu bewertenden Grundstücke nicht in unvertretbarem Maße vernachlässigte. Als Ergebnis dieser Untersuchungen legte die Bundesregierung dem Bundestag einen erneuten Gesetzentwurf unter dem 1. Oktober 1963 vor (vgl. Bundestags-Drucksache IV/1488 S. 32 und S. 57 ff.). Die wesentliche Vereinfachung des für die Einheitsbewertung anzuwendenden Ertragswertverfahrens bestand darin, daß die Bewirtschaftungskosten sowie die Bodenertragsanteile und die Gebäudeertragsanteile für die verschiedenen Grundstücksarten, Baujahrgruppen und Gemeindegrößenklassen pauschaliert wurden (vgl. Bundestags-Drucksache IV/1488 S. 57). Im Hinblick auf die Pauschalierung der Bodenertragsanteile war es aber notwendig, wenigstens die ersten Auswirkungen der Aufhebung des Preisstopps für unbebaute Grundstücke durch § 185 des BBauG vom 23. Juni 1960 (BGBl I 1960, 341) abzuwarten. Außerdem setzte sich die Erkenntnis durch, daß über die steuerliche Anwendung der neuen Einheitswerte und über die anzuwendenden Steuertarife sinnvoll erst entschieden werden könne, wenn das Volumen an neuen Einheitswerten bekannt sei. Die Bundesregierung hatte damit anzuerkennende sachliche Gründe, den zunächst in der 2. Wahlperiode des Bundestags eingebrachten Gesetzentwurf nicht schon in der 1961 endenden 3. Wahlperiode erneut einzubringen, sondern dem Gesetzgeber erst in der 4. Wahlperiode zur erneuten Beschlußfassung vorzulegen. Diese Vorlage führte schließlich auch zu dem Gesetz zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom 13. August 1965, durch das die Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundbesitzes auf den Beginn des Kalenderjahres 1964 angeordnet wurde.
c) Im Zuge dieser Hauptfeststellung mußten nach dem unwidersprochenen Vortrag des BdF über 4 Mio. Betriebe der Land- und Forstwirtschaft und rd. 8,5 Mio. Grundstücke bewertet werden. Wie der Senat in seiner Entscheidung III R 108/69 (BFHE a. a. O. S. 284) näher begründete, schwebte dem Gesetzgeber zunächst vor, die Besteuerung auf der Grundlage der Einheitswerte 1964 ab 1970 durchzuführen. Dies war aber offenbar deshalb nicht zu verwirklichen, weil die technischen Schwierigkeiten unterschätzt worden sind, die mit der Durchführung einer Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundbesitzes erstmals nach 29 Jahren aufgrund eines geänderten Bewertungssystems und unter Berücksichtigung der rechtsstaatlichen Erfordernisse verbunden waren.
Nach dem Vortrag des BdF konnten die Arbeiten an der Hauptfeststellung insgesamt erst Ende 1972 zu etwa 95 v. H. abgeschlossen werden. Hinzu kam noch, daß die nach den tatsächlichen Verhältnissen vom 1. Januar 1964 getroffenen Feststellungen zu dem Zeitpunkt, zu dem die Einheitswerte 1964 erstmals Besteuerungsgrundlage wurden, fortgeschrieben werden mußten, soweit tatsächliche Änderungen im Ausmaß der Fortschreibungsgrenzen eingetreten waren, und daß während dieses Zeitraums neu entstandene wirtschaftliche Einheiten durch Nachfeststellung erfaßt werden mußten. Der BdF hat unwidersprochen vorgetragen, daß rd. 11,5 Mio. Fortschreibungen und Nachfeststellungen erforderlich waren. Damit war der für die Bestimmung der Steuermeßzahlen, der Steuertarife und der Freibeträge notwendige Überblick über die Besteuerungsmasse erst später gegeben, als ursprünglich angenommen werden konnte. Die Besteuerung aufgrund der Einheitswerte 1964 für laufend veranlagte Steuern rückwirkend in Kraft zu setzen, mußte aber daran scheitern, daß die Grundsteuer ein Kostenfaktor der Grundstücksmieten ist. Dies hätte bei rückwirkender Besteuerung auf der Grundlage der Einheitswerte 1964 dazu geführt, daß vor allem bei nicht mehr grundsteuerbegünstigten Neubauten beträchtliche Nachzahlungen zu leisten gewesen wären, die entweder von den Mietern hätten nacherhoben werden müssen oder die der Hauseigentümer hätte selbst tragen müssen. Die Einheitswerte 1964 für die einzelnen einheitswertabhängigen Steuern zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Kraft zu setzen, mußte aber deshalb ausscheiden, weil damit das für die Grundstückseigentümer ohnedies schwer verständliche Nebeneinander von Einheitswerten, die nach Wertverhältnissen 1935 und solchen, die nach Wertverhältnissen 1964 festgestellt worden sind, völlig undurchschaubar geworden wäre, was dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit widerstreitet.
Der Senat kann nicht entscheiden, ob für Steuern, deren Erhebung an einzelne Rechtsvorgänge anknüpft, eine andere Lösung möglich gewesen wäre. Insoweit stimmt er entgegen der Auffassung der Klägerin dem FG zu, daß die Erhebung der Erbschaftsteuer und der Vermögensteuer nicht ohne weiteres vergleichbar ist.
d) Gegen die ab 1. Januar 1974 wirksam gewordene Vermögensbesteuerung auf der Grundlage der Einheitswerte 1964 werden nicht nur von der Klägerin, sondern auch in der Literatur verfassungsrechtliche Einwendungen erhoben (vgl. Pelka, Steuer und Wirtschaft 1975 S. 205). Sie lassen sich dahin zusammenfassen, daß die Ungleichheit zwischen der Besteuerung des Grundbesitzes und des übrigen Vermögens trotz des durch § 121 a BewG angeordneten Zuschlags von 40 v. H. auf die Einheitswerte 1964 weiter bestehe, weil die nach Wertverhältnissen 1964 festgestellten Einheitswerte des Grundbesitzes ganz wesentlich unter den Verkehrswerten lägen.
Der Senat hat aufgrund einer ersten Prüfung mit Urteil vom 12. Juni 1974 III R 49/73 (BFHE 112, 520, BStBl II 1974, 602) eine verfassungswidrige Ungleichmäßigkeit nicht feststellen können. Allerdings ist in dem damals entschiedenen Rechtsstreit anhand nur weniger Einzelfälle behauptet worden, die Einheitswerte des Grundvermögens seien zueinander in verfassungswidriger Weise ungleich. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob weitere Erkenntnisse bezüglich der Vermögensbesteuerung auf der Grundlage der Einheitswerte des Grundbesitzes 1964 ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit auslösen können. Denn für die Entscheidung dieses Rechtsstreits ist nur von Bedeutung, ob der Gesetzgeber durch die Anordnung einer neuen Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundbesitzes nach zeitnahen Wertverhältnissen eine sachgerechte Maßnahme ergriffen hat, um die bestehende Ungleichheit in der Besteuerung der verschiedenen Vermögensarten zu beseitigen. Dies ist aber zu bejahen. Dabei muß allerdings beachtet werden, daß von einer Bewertung bebauter Grundstücke in einem Massenverfahren schlechterdings nicht erwartet werden kann, die ermittelten Werte könnten die Verkehrswerte erreichen. Die Gründe hierfür hat der Senat in seiner Entscheidung III R 49/73 näher dargelegt.
e) Der Senat teilt nicht die Auffassung der Klägerin, daß es einer neuen Hauptfeststellung schon deshalb bedurft hätte, weil § 1 Abs. 2 BewDV verfassungswidrig sei. Die Klägerin meint, die Ermächtigung des § 21 BewG, auf der diese Bestimmung beruht, sei zu unbestimmt und unzureichend abgegrenzt, so daß sie gegen Art. 80 GG verstoße; außerdem liege ein Ermächtigungsmißbrauch vor.
Nach § 1 Abs. 2 BewDV, der durch die Verordnung vom 22. November 1939 (RGBl I 1939, 2271) in die BewDV eingefügt wurde, fand u. a. für Grundstücke bis auf weiteres eine Hauptfeststellung der Einheitswerte nicht statt. Das BVerfG hat mit Beschluß vom 12. Februar 1969 1 BvR 687/62 (BVerfGE 25, 216, BStBl II 1969, 364) entschieden, daß die Gültigkeit dieser Bestimmung nach dem zur Zeit ihres Erlasses geltenden Rechtszustand zu prüfen und deshalb zu bejahen sei. Die Auffassung, der Verordnungsgeber habe den Rahmen der Ermächtigung gesprengt, treffe nicht zu. Der erkennende Senat teilt diesen Rechtsstandpunkt des BVerfG.
Zur materiellen Weitergeltung der formell gültig erlassenen Bestimmung des § 1 Abs. 2 BewDV verweist der Senat auf seine obigen Ausführungen über den dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich zuzubilligenden Zeitraum für die Beseitigung eines grundgesetzwidrigen Zustandes.
3. Der Senat kann der Klägerin nicht darin folgen, die verfassungsrechtlich höchst bedenkliche Ungleichheit in der Besteuerung des Grundbesitzes und des übrigen Vermögens hätte durch einfachere Maßnahmen als die derzeit aufwendige Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundbesitzes beseitigt werden können.
a) Die Bundesregierung hat schon in der Begründung ihrer ersten Gesetzesinitiative zur Neubewertung des Grundbesitzes (Bundestags-Drucksache 2544 der 2. Wahlperiode S. 35) darauf hingewiesen, daß neben der Veränderung der Wertverhältnisse seit 1935 auch innerhalb der verschiedenen Grundstücksgruppen neue Wertbeziehungen entstanden seien und daß die bei der Hauptfeststellung 1935 festgestellten Einheitswerte nicht in dem Maß auf einheitlichen Wertmaßstäben beruhten, wie es im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung gefordert werden müsse (vgl. auch Bundestags-Drucksache IV/1488 S. 27). Kurz ausgedrückt besagt dies, daß die nach Wertverhältnissen 1935 festgestellten Einheitswerte des Grundbesitzes von Anfang an zueinander unrichtig waren oder jedenfalls durch Zeitablauf unrichtig geworden sind. Dies beweist die Statistik der Einheitsbewertung des Grundvermögens in Bayern nach der Hauptfeststellung zum 1. Januar 1964 (Heft 333 der Beiträge zur Statistik Bayerns, herausgegeben vom Bayer. Statistischen Landesamt). Danach haben sich die Einheitswerte der bebauten Grundstücke in Bayern im Durchschnitt verdreifacht (= Erhöhung um 200 v. H.). Für die einzelnen Gemeindegrößenklassen, Grundstücksarten und Baualtersgruppen ergeben sich aber z. T. ganz andere Steigerungsraten. So haben z. B. die Geschäftsgrundstücke in München einen Wertzuwachs von 461 v. H. erfahren. Die Wertsteigerung bei Altbauten betrug dagegen im Landesdurchschnitt allgemein nur 152 v. H., während der Durchschnitt bei Nachkriegsbauten bei 224 v. H. liegt (a. a. O. S. 13). Diese wenigen Zahlen aus der statistischen Auswertung der Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundvermögens 1964 zeigen, daß eine Angleichung der Wertverhältnisse 1935 an die Wertverhältnisse des jeweiligen späteren Veranlagungszeitraums mit Hilfe eines allgemeinen Zuschlags nicht möglich gewesen wäre; denn durch einen solchen Zuschlag hätten sich die den Einheitswerten 1935 anhaftenden Ungleichmäßigkeiten in dem Maß vervielfacht, in dem der Zuschlag zum Grundbetrag steht. Dadurch wären Ungleichmäßigkeiten entstanden, die zwar nicht so offenkundig wie die Bewertung nach unterschiedlichen Wertverhältnissen, aber möglicherweise schwerwiegender gewesen wären. Um eine sachgerechte Angleichung an die jeweiligen Wertverhältnisse durchzuführen, wäre eine Mehrzahl unterschiedlicher Zuschläge notwendig gewesen. Diese Differenzierung hätte aber ähnliche Vorerhebungen erfordert, wie sie zur Vorbereitung einer Hauptfeststellung notwendig waren.
Hieraus folgt allgemein, daß die Anpassung der Wertverhältnisse des Hauptfeststellungszeitpunkts an die Wertverhältnisse späterer Veranlagungszeiträume durch einen allgemeinen Zuschlag auf die nach Wertverhältnissen des Hauptfeststellungszeitpunkts festgestellten Einheitswerte nur sehr begrenzt und auch nur unter der weiteren Voraussetzung möglich ist, daß die Einheitswerte zueinander in einem annähernd richtigen Verhältnis stehen und geblieben sind. Je länger der Abstand vom Hauptfeststellungszeitpunkt ist, desto weniger ist es unter Beachtung des Gleichheitssatzes möglich, geänderte Wertverhältnisse bei bebauten Grundstücken durch einen allgemeinen Zuschlag zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber hat in Erkenntnis dieses Sachverhalts die Zeitabstände, innerhalb denen Hauptfeststellungen der Einheitswerte des Grundbesitzes durchzuführen sind, auf grundsätzlich sechs Jahre bemessen (vgl. § 21 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965).
b) Die Richtigkeit der vorstehenden Überlegungen wird entgegen der Meinung der Klägerin nicht dadurch widerlegt, daß für die Bewertung nichtnotierter Anteile an Kapitalgesellschaften zur Ermittlung des Vermögenswerts der Anteile auf die nach Wertverhältnissen 1935 festgestellten Einheitswerte von Grundstücken, die vor dem 21. Juni 1948 bebaut wurden, ein Zuschlag von 100 v. H. angebracht werden soll (vgl. Abschn. 77 Abs. 3 VStR 1972). Denn der Senat hat mit Urteil vom 12. Dezember 1975 III R 30/74 (BStBl II 1976, 238) entschieden, daß dieser Zuschlagssatz nur ein allgemeiner Orientierungswert ist, der nicht anzuwenden ist, wenn andere Erkenntnisquellen vorhanden sind und damit eine zutreffende Ermittlung des gemeinen Wertes der Grundstücke möglich ist. Deshalb muß im Rahmen der Bewertung der Anteile an Kapitalgesellschaften mit größerem Grundbesitz grundsätzlich der Wert dieses Grundbesitzes im jeweiligen Feststellungszeitpunkt nach individuellen Merkmalen ermittelt werden. Dies ist verwaltungsmäßig auch möglich, denn die Schätzung des Anteilswerts unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft (vgl. § 11 Abs. 2 BewG 1965) ist nur für rd. 125 000 Gesellschaften durchzuführen (vgl. Die steuerliche Bewertung nichtnotierter Aktien und Anteile, Heft 109 des Instituts "Finanzen und Steuern" e. V. 1975 S. 5). Berücksichtigt man das sprunghafte Ansteigen der Zahl der Gesellschaften mbH (31. Dezember 1964 = 50 275, vgl. Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1965 S. 225; 31. Dezember 1974 = 122 248, vgl. Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1975 S. 206), so ist die Annahme gerechtfertigt, daß eine große Zahl von GmbH lediglich Komplementärfunktion in Kommanditgesellschaften ausübt und damit keinen Grundbesitz hat. Außerdem dürfte auch bei einer Vielzahl anderer Handelsgesellschaften mbH kein Grundbesitz oder nur Grundbesitz von untergeordneter Bedeutung vorhanden sein, so daß in den verbleibenden Fällen, in denen der Grundbesitz von Gewicht für den Anteilswert ist, eine weitgehend individuelle Bewertung verwaltungsmäßig vollzogen werden kann. Die Notwendigkeit, diesen Grundbesitz grundsätzlich individuell zu bewerten, spricht aber nicht für die Auffassung der Klägerin, sondern sie beweist, daß die nach Wertverhältnissen 1935 festgestellten Einheitswerte für bebaute Grundstücke nicht durch allgemeine Zuschläge an zeitnahe Wertverhältnisse herangeführt werden können.
c) Die oben unter a) dargestellten Schwierigkeiten bestehen auch bei der von der Klägerin weiter in Erwägung gezogenen Möglichkeit, das übrige Vermögen um einen Abschlag zu mindern, der dem Unterschied der Wertverhältnisse entspricht. Der Senat verkennt allerdings nicht, daß die Ermäßigung der Werte des übrigen Vermögens zwar mit der Schwierigkeit behaftet ist, einen allgemein gültigen Abschlagssatz zu finden, daß sie jedoch nicht zur Vervielfachung der Wertverzerrungen, im Grundbesitz führen würde. Dagegen würden Wertabschläge beim übrigen Vermögen, worauf der BdF zu Recht hingewiesen hat, dazu führen, daß der Grundsatz der Bewertung mit dem gemeinen Wert und das Nominalprinzip verlassen würden. Der Nennwertgrundsatz ist aber, wie der BFH in seiner Entscheidung vom 14. Mai 1974 VIII R 95/72 (BFHE 112, 546 [555], BStBl II 1974, 572) bekräftigt hat, ohne daß er Verfassungsrang besäße, den einzelnen Teilrechtsordnungen vorgegeben. Er kann in einer Teilrechtsordnung, wie sie das Steuerrecht ist, nicht verlassen werden, ohne daß damit tiefgreifende Auswirkungen und Störungen nicht nur in dem Bereich des Steuerrechts, sondern der ganzen Rechtsordnung verbunden wären. Damit war für den Gesetzgeber auch die Möglichkeit verschlossen, auf dem scheinbar einfachen Weg einer Ermäßigung der Werte des übrigen Vermögens, insbesondere des Geldvermögens, dem Gleichheitssatz des GG zu genügen.
Fundstellen
Haufe-Index 71772 |
BStBl II 1976, 267 |
BFHE 1976, 80 |