Leitsatz (amtlich)
1. Die Vermögensabgrenzung einer Betriebstätte im Inland gegenüber ihrer Hauptniederlassung in Großbritannien hat nach der in Art. III Abs. 3 DBA-Großbritannien festgelegten sogenannten "dealing atarm'slength-Klausel" zu erfolgen. Nach dieser gehören zum Betriebsvermögen der Betriebstätte sämtliche ihr dienende Wirtschaftsgüter, die ein selbständiger Gewerbebetrieb am gleichen Ort und unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen zur Erzielung eines vergleichbaren Geschäftserfolges benötigt. Entsprechendes gilt für Schulden und Lasten, die mit der Betriebstätte in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen.
2. Die Fiktion der Selbständigkeit der Betriebstätte kann dazu führen, daß zu den jeweiligen Feststellungszeitpunkten bei der Betriebstätte für von der Hauptniederlassung gelieferte Waren angemessene Verrechnungspreise als Schuldposten zu berücksichtigen sind.
Normenkette
BewG 1965 § 121 Abs. 2 Nr. 3; DBA-Großbritannien Art. III; DBA-Großbritannien Art. XVI
Tatbestand
Die Klägerin, die ihre Hauptniederlassung in Großbritannien hat, errichtete in A eine Zweigstelle. Sie verkaufte durch die Zweigniederlassung in der BRD Maschinen und Ersatzteile, die aus der eigenen Fabrikation des in Großbritannien gelegenen Stammwerkes herrührten. In der zum Feststellungszeitpunkt 1. Januar 1966 eingereichten Vermögensaufstellung über die Besitz- und Schuldposten des inländischen Betriebsvermögens wurden Warenschulden in Höhe von 198 195 DM geltend gemacht, die gegenüber der Hauptniederlassung bestanden haben sollen. Das FA erkannte diesen Schuldposten gegenüber der Hauptniederlassung nicht an und stellte für das Betriebsvermögen der Betriebstätte in A auf den 1. Januar 1966 einen Einheitswert von 245 000 DM fest.
Die Klägerin wandte sich gegen die Versagung des Schuldenabzugs bei der Betriebstätte wegen noch nicht bezahlter Forderungen aus Warenlieferungen gegenüber der Hauptniederlassung. Sie begehrte den Abzug dieser Verpflichtungen mit einem Teilbetrag von 177 178 DM und die Behandlung des Restbetrages von 21 017 DM als nicht abzugsfähige Verstärkung des Betriebskapitals der Zweigniederlassung.
Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Das FG ist der Auffassung, die Klägerin könne nicht ihre eigene Schuldnerin sein. Auch die Betrachtung der Zweigniederlassung als selbständiges Unternehmen nach der sogenannten direkten Methode könne bei der Ermittlung des inländischen Betriebsvermögens nicht dazu führen, daß zwischen den Unternehmensteilen für steuerliche Zwecke Forderungen und Schulden zu fingieren seien. Die betriebsinternen Verrechnungsposten könnten nicht als echte Schuldposten anerkannt werden. Andernfalls würden durch den Ansatz solcher fingierter Passivposten Vermögensteile, die im Inland zu erfassen seien, teilweise wieder aus der deutschen Steuerpflicht entlassen. Eine vom Zivilrecht abweichende Beurteilung der Frage, ob für die steuerliche Beurteilung zwischen einer unselbständigen Zweigniederlassung, die keine eigene Rechtspersönlichkeit darstelle, und der Hauptniederlassung schuldrechtliche Beziehungen angenommen werden könnten, sei nicht möglich. Diese steuerliche Behandlung stehe auch nicht im Widerspruch zu dem Gleichbehandlungsgebot, da auch bei privaten Inlandsunternehmen vergleichbarer Art im Steuerrecht keine Schulden unterstellt würden.
Mit der Revision rügt die Klägerin, daß bei der Ermittlung des Einheitswerts für die inländische Zweigniederlassung ein Schuldenabzug der ihr als Muttergesellschaft gegenüber ausgewiesenen Warenschulden nicht zugelassen worden sei. Die Bewertung des zum Inlandsvermögen gehörenden Betriebsvermögens sei nach der sogenannten direkten Methode vorgenommen worden, nach der die inländische Zweigniederlassung wie ein selbständiger gewerblicher Betrieb anzusehen sei. Bei der fiktiven Gleichstellung der Betriebstätte mit einem selbständigen Unternehmen sei die Auffassung des FG nicht folgerichtig, Forderungen des Stammhauses aus Warenlieferungen bei der Betriebstätte mit der Begründung nicht als Schulden zu behandeln, daß schuldrechtliche Beziehungen zwischen Betriebsteilen eines Gesamtunternehmens nicht möglich seien. Die Warenschulden stellten eine wirtschaftliche Belastung der Betriebstätte dar, die wertmindernd berücksichtigt werden müßte. Das FG hätte ermitteln müssen, welche Schulden beim Stammhaus gegenüber Dritten wegen der an die inländische Zweigniederlassung gelieferten Waren beständen. Bei der Körperschaftsteuer seien die Forderungen der Hauptniederlassung aus dem Leistungsaustausch bei der Betriebstätte als echte Schulden anerkannt worden. Verbindlichkeiten, die bei der Gewinnermittlung in der Steuerbilanz als Schulden behandelt werden, könnten auch bei der Feststellung des Betriebsvermögens nicht in Einlagen umgedeutet werden. Zwischen dem Betriebsvermögen für körperschaftsteuerliche Zwecke und der Feststellung des inländischen Betriebsvermögens im Rahmen der Einheitsbewertung könne es Unterschiede nur insoweit geben, als abweichende Vorschriften des Bewertungsrechts in Betracht kämen. Im Streitfall seien gegenüber der Steuerbilanz lediglich die Kosten für den jährlichen Prüfungsabschluß in Höhe von 5 000 DM keine abzugsfähige Schuld.
Ferner macht die Klägerin geltend, die Auffassung des FG verletze Art. XX (Gleichbehandlungsgebot) des Abkommens zwischen der BRD und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 26. November 1964 (BGBl II 1966, 359 ff. -; nachfolgend DBA-Großbritannien genannt), da die ab 1. Juli 1966 unter gleichen Verhältnissen tätige inländische Kapitalgesellschaft Y-GmbH unangefochten die Warenschulden gegenüber dem Stammhaus abziehen könne. Im übrigen sehe sie sich in der Frage der Abzugsfähigkeit der Warenschulden dadurch bestätigt, daß der begehrte Abzug auch erreicht worden wäre, wenn sie kurz vor dem Bewertungsstichtag die Verbindlichkeiten aus den Warenlieferungen mit den vorhandenen und aktivierten Bankguthaben getilgt hätte.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einheitswert des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1966 auf 47 000 DM festzustellen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Die Klägerin hat im Revisionsverfahren ihren Klageantrag erweitert und begehrt nunmehr die Feststellung eines Einheitswerts des gewerblichen inländischen Betriebsvermögens von 47 000 DM. Die Erweiterung des Klageantrags kann im Streitfall auch im Revisionsverfahren berücksichtigt werden, weil sie nicht zu einer Änderung des Streitgegenstandes führt (§ 155 FGO in Verbindung mit § 268 Nr. 2 ZPO) und auf keinen neuen Tatsachen beruht. Sie stellt damit keine Klageänderung dar, die gemäß § 123 FGO unzulässig wäre. Bei einer Anfechtung des Feststellungsbescheids über einen Einheitswert ist Streitgegenstand nicht das einzelne wertbegründende Merkmal, sondern die Rechtmäßigkeit des festgestellten Einheitswerts im ganzen (vgl. Entscheidung des BFH Gr. S. 1/66 vom 17. Juli 1967, BFH 91, 393, BStBl II 1968, 344). Bei dieser Auslegung des Streitgegenstandes bleibt der Klagegrund der alte, wenn der Klageantrag im Rahmen der tatsächlichen Feststellungen des FG und innerhalb der angefochtenen Höhe des Einheitswerts erweitert oder eingeschränkt wird (vgl. Urteil des Senats III R 105/70 vom 2. Juni 1971, BFH 102, 563, BStBl II 1971, 675 [677]).
Die Vorinstanz ist in Übereinstimmung mit den Prozeßbeteiligten zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin beschränkt vermögensteuerpflichtig ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 VStG) und zum Inlandsvermögen ihr inländisches Betriebsvermögen gehört (§ 121 Abs. 2 Nr. 3 BewG). Das FA hat gemäß § 121 Abs. 3 Satz 1 BewG in Verbindung mit § 114 Abs. 3 BewG das inländische Betriebsvermögen mit dem Einheitswert angesetzt, den es gemäß § 214 Nr. 3a AO gesondert festgestellt hat. Das DBA-Großbritannien schränkt insoweit die beschränkte Steuerpflicht nicht ein (§ 9 Nr. 2 StAnpG); denn es erlaubt, die Einkünfte und das Vermögen einer Betriebstätte zu besteuern (Art. III Abs. 1 und Art. XVI Abs. 2 DBA).
Die Bewertung des zum Inlandsvermögen gehörenden Betriebsvermögens kann nach der sogenannten direkten oder nach der sogenannten indirekten Methode erfolgen, weil das DBA-Großbritannien keine bestimmte Methode vorschreibt. In der Rechtsprechung des BFH wird der sogenannten direkten Methode der Vorzug gegeben (BFH-Urteil I 110/63 S vom 27. Juli 1965, BFH 84, 69, BStBl III 1966, 24). Die direkte Methode, nach der auch im Streitfall das Vermögen der inländischen Zweigniederlassung ermittelt worden ist, beruht auf der Annahme, die einzelne Betriebstätte sei ein selbständiges Unternehmen. Die Fiktion der Selbständigkeit der inländischen Betriebstätte bei Anwendung der direkten Methode darf aber auf Grund des wirtschaftlichen Zusammenwirkens zwischen ihr und dem Stammunternehmen nicht zu einer unrichtigen Aufteilung der Bestandteile des Betriebsvermögens führen. Für die Vermögensabgrenzung gegenüber der Hauptniederlassung gilt nach dem DBA-Großbritannien die sogenannte "dealing at arm's-length-Klausel", nach der die Fiktion der Selbständigkeit eingeschränkt wird. Diese Klausel bedeutet, daß der Betriebstätte im Inland sämtliche Wirtschaftsgüter dienen, die ein selbständiger Gewerbebetrieb am gleichen Ort und unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen zur Erzielung eines vergleichbaren Geschäftserfolges benötigt. Dementsprechend stehen Schulden und Lasten in wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Betriebstätte, wenn sie bei einem gedachten Vergleichsbetrieb auch Betriebsschulden darstellen würden (vgl. Art. III Abs. 3 DBA-Großbritannien; Korn-Dietz-Debatin, Doppelbesteuerung, Vorbemerkungen IV E).
Die dargelegte Abgrenzung des Betriebsvermögens der Betriebstätte von dem Betriebsvermögen der Hauptniederlassung bedingt, daß die rechtliche Unselbständigkeit der inländischen Betriebstätte allein kein ausreichendes Merkmal sein kann, um einen Schuldenabzug zu versagen. Ebensowenig wie es zulässig wäre, der Zweigniederlassung, die nach den Feststellungen des FG im Inland nur eine Verkaufstätigkeit der vom Stammwerk in Großbritannien hergestellten Erzeugnisse betreibt, die aus den Verkäufen im Inland erzielten Roherlöse etwa ohne Berücksichtigung des Wareneinsatzes zu Verrechnungspreisen als inländischen Gewinn zuzurechnen, kann es zutreffend sein, den wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den Warenschulden und dem Betriebsvermögen der als selbständig angenommenen Betriebstätte zu leugnen, wenn deren Tätigkeit nur auf den Vertrieb von Waren beschränkt ist und ein vergleichbarer inländischer Betrieb auch Waren beziehen müßte, die den Gewinn und das Vermögen beeinflussen würden. Die Grundsätze für die Aufteilung des Vermögens zwischen der inländischen Zweigniederlassung und dem ausländischen Stammunternehmen gehen von wirtschaftlichen Überlegungen aus, die von den vielfältigen tatsächlichen Gegebenheiten abhängig sind.
Die Rechtsprechung des BFH hat deshalb auch nur ungerechtfertigte Gewinn- und Vermögensverlagerungen als nicht zulässig betrachtet und hat auf Grund der Tatsache, daß schuldrechtliche Beziehungen zwischen einer Haupt- und einer unselbständigen Zweigniederlassung nicht bestehen können, die direkte Abgrenzungsmethode nicht abgelehnt (vgl. BFH-Urteil I 110/68 S vom 27. Juli 1965 a. a. O.). Eine unzulässige Vermögensverlagerung läge z. B. vor, wenn die Verrechnungspreise für die gelieferten Waren zwischen Stammunternehmen und Betriebstätte überhöht gewesen wären. Die Hauptniederlassung durfte also gegenüber der inländischen Betriebstätte nur die Preise verrechnen, die auch im Geschäftsverkehr unter Fremden angemessen gewesen wären. Der zollrechtliche Normalpreis ist dabei nicht unbedingt ausschlaggebend (vgl. BFH-Urteil I 220/64 vom 1. Februar 1967, BFH 88, 545, BStBl III 1967, 495).
Die Warenschulden der Betriebstätte gegenüber dem Stammunternehmen können im Streitfall zumindest nicht in voller Höhe als Kapitalausstattung oder zusätzliches Dotationskapital angesehen werden, denn bei einem Gewerbebetrieb, dessen Tätigkeit auf den Verkauf von Waren gerichtet ist (Vertriebstätte), gehört höchstens eine Erstausstattung, deren Umfang sich nach Branchenüblichkeit richtet, zu den Wirtschaftsgütern, die in der Regel bei der Eröffnung durch eigene Mittel angeschafft werden. Ein am Bewertungsstichtag noch bestehender Warenkredit könnte nur unter diesen Voraussetzungen als Einlage beurteilt werden, die das Stammunternehmen der inländischen Betriebstätte zugewiesen hätte.
Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, unterliegt das angefochtene Urteil der Aufhebung. Die Sache ist nicht spruchreif und geht an das FG zurück; denn es fehlen Feststellungen darüber, ob die Verrechnungspreise zwischen dem Stammunternehmen und der Betriebstätte im Inland im Geschäftsverkehr unter Fremden angemessen gewesen wären, und ob und in welchem Umfang nach den Handelsgepflogenheiten der Branche eine Warenerstausstattung für die Eröffnung der Niederlassung im Inland erforderlich gewesen ist und gegebenenfalls für eine solche am Bewertungsstichtag noch ein Kredit bestanden hat. Das FG wird seine tatsächlichen Feststellungen unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen ergänzen und erneut über die Klage zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 413113 |
BStBl II 1972, 374 |
BFHE 1972, 471 |