Leitsatz (amtlich)
Zur Frage inwieweit Unternehmern in der Bundesrepublik, die Gegenstände von Lieferern beziehen, die ihren Sitz in der sowjetischen Besatzungszone oder im sowjetischen Sektor Berlins haben, ein Anspruch auf Ausfuhr händler vergütung zusteht.
Normenkette
UStG § 16; UStDB 1951 §§ 70, 74
Tatbestand
In den Jahren 1956 und 1957 führte der Antragsteller Samen, den er von dem Handelsunternehmen Deutscher Innen- und Außenhandel-Nahrung (DIA) im sowjetischen Sektor Berlins bezogen hatte, in das Ausland aus. Seinen Vergütungsanträgen für das III. Vierteljahr 1956 bis zum III. Vierteljahr 1957 gab das Finanzamt nur insoweit statt, als es Ausfuhrvergütungen (§ 16 Abs. 2 UStG) gewährte, die gleichfalls beantragten Ausfuhrhändlervergütungen (§ 16 Abs. 1 UStG) lehnte es jedoch ab. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, daß die Voraussetzung des § 70 Abs. 2 Ziff. 1 Satz 2 UStDB 1951 nicht erfüllt sei; hiernach müsse die Lieferung an den Antragsteller steuerpflichtig gewesen sein. Das Finanzamt bezog sich auf einen Erlaß des Bundesministers der Finanzen vom 5. April 1954 IV S 4165 -- 215/54 (Umsatzsteuer-Kartei S 4165 Karte 64) und ein Urteil des Bundesfinanzhofs V 3/54 U vom 26. Mai 1954 (BStBl 1954 III S. 236, Slg. Bd. 59 S. 71). Nach Zurückweisung des Einspruchs hatte die Berufung Erfolg. Die Vorentscheidung hat ausgeführt, daß sich in der sowjetisch besetzten Zone die Rechtslage durch die Dritte Durchführungsbestimmung zur Verordnung zur Änderung der Erhebung der Umsatzsteuer in der volkseigenen Wirtschaft vom 27. Mai 1955 mit Wirkung vom 1. Juli 1955 (Gesetzblatt 1955 I S. 364) entscheidend geändert habe; die vom Finanzamt angeführte Rechtsprechung und der Erlaß des Bundesministers der Finanzen beträfen frühere Zeiträume. Da nach der erwähnten Anordnung vom 27. Mai 1955 die Betriebe der volkseigenen Wirtschaft nicht mehr steuerbegünstigt gewesen seien, sei in Verbindung mit der vom Antragsteller überreichten Bescheinigung des sowjetzonalen Handelsunternehmens der vom Finanzamt vermißte Buchnachweis der Steuerpflicht der Vorlieferung als erfüllt anzusehen.
Gegen die Gewährung der Ausfuhrhändlervergütung richtet sich die Rb. des Vorstehers des Finanzamts. In der Rb. wird geltend gemacht, daß nach der ab 1. Januar 1957 für staatliche Handelsbetriebe eingeführten Handelsabgabe unter anderem die Umsatzsteuer entfallen sei (§§ 5, 2, 10, 15 der Verordnung über die Handelsabgabe des volkseigenen Handels vom 24. Januar 1957, Gesetzblatt 1957 I S. 91).
Welche umsatzsteuerliche Rechtslage für den innerdeutschen Handel in der Zeit vom 1. Juli 1955 (Aufhebung der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung vom 1. Dezember 1953) bis zum 31. Dezember 1956 (Einführung der Handelsabgabe) gegolten habe, sei nicht klar erkennbar. Unter Hinweis auf die Verordnung über die Produktionsabgabe und Dienstleistungsabgabe vom 6. Januar 1955 (Gesetzblatt 1955 I S. 37) und § 1 der Anordnung über die Neuregelung der Erhebung der Produktionsabgabe und Verbrauchsabgaben für Waren, die im innerdeutschen Handel und Export geliefert werden, vom 3. Januar 1956 (Gesetzblatt 1956 III S. 18) ist die Rb. jedoch der Auffassung, daß auch für die Vergütungszeiträume III. und IV. Vierteljahr 1956 eine der deutschen Umsatzsteuer entsprechende Steuer für die hier in Betracht kommenden Lieferungen des sowjetzonalen Handelsunternehmens nicht mehr bestanden hätte.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur teilweisen Aufhebung der Vorentscheidung.
Für die Zeit ab 1. Januar 1957 hat die Vorinstanz, wie die Rb. zutreffend ausführt, übersehen, daß nach der Verordnung über die Handelsabgabe des volkseigenen Handels vom 24. Januar 1957 (Gesetzblatt 1957 I S. 91) die Lieferungen des DIA an den Antragsteller, auf deren Umsatzsteuerpflicht es allein ankommt, nicht mehr der Umsatzsteuer unterlegen haben können. Mit der Einführung dieser Abgabe kann, jedenfalls für die Betriebe "des volkseigenen Sektors" nicht mehr von einer Umsatzbesteuerung nach westlichen Maßstäben gesprochen werden; denn mit dem Zeitpunkt der Einführung der Handelsabgabe (nach § 15 a. a. O. der 1. Januar 1957) ist nach § 10 a. a. O. die Erhebung der Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer, Gewerbesteuer und Beförderungsteuer entfallen. Die Handelsabgabe ist mit keiner der Steuern in einem Staat, in dem, wie in der Bundesrepublik, ein marktwirtschaftliches Steuersystem herrscht, zu vergleichen (vgl. Friebe, Finanzarchiv, 19. Band, 1958/1959 S. 281). Man wird die erwähnte Abgabe überhaupt nicht als eine Steuer im herkömmlichen Sinne ansehen können, sondern für eine sowjetwirtschaftlichen Verhältnissen eigentümliche plantypische Zahlung mit anderen Funktionen als denen, die der deutschen Umsatzsteuer zukommen (vgl. auch Schmölders, Allgemeine Steuerlehre, 3. Auflage, S. 216/217). Während die deutsche Umsatzsteuer den in einer Marktwirtschaft stattfindenden Leistungsaustausch erfaßt, wobei der Gesetzgeber ihre Überwälzung auf den Abnehmer vorausgesetzt hat, wird durch die sowjetzonale Abgabe keine am Verkaufserlös (Entgelt) orientierte allgemeine Verbrauchsabgabe erhoben, sondern den staatlichen Monopolbetrieben wird eine Zwangsabgabe auferlegt, mit der lediglich planwirtschaftliche Ziele (Preispolitik, Kaufkraftlenkung, zwangsweise Umverteilung des Volkseinkommens und andere) verfolgt werden.
Zwar gehört, wie der erkennende Senat wiederholt entschieden hat, die sowjetische Besatzungszone umsatzsteuerrechtlich zum Inland (vgl. das oben angeführte Urteil des Bundesfinanzhofs V 3/54 U vom 26. Mai 1954). Deshalb besteht auch gegen die Gewährung der Ausfuhrvergütung (§ 16 Abs. 2 UStG) kein Bedenken. Gleichwohl entspricht die Ablehnung der Ausfuhrhändlervergütung durchaus dem Sinn und Zweck des § 16 Abs. 1 UStG; denn diese Vergütung wird gewährt, um den Ausfuhrhändler in die Lage zu versetzen, so zu kalkulieren, als ob die Umsatzsteuerpflicht an ihn nicht bestünde. Damit soll verhindert werden, daß der ausländische Abnehmer die Ware unmittelbar vom deutschen Hersteller bezieht. Bei der geschilderten Funktion der sowjetzonalen Handelsabgabe kann aber nicht festgestellt werden, ob und inwieweit diese die Kalkulation des Handelsunternehmens beeinflußt, noch viel weniger, ob sie einen Einfluß auf die Kalkulation des deutschen Ausfuhrhändlers hat (vgl. auch Förster, Das Außenhandelssystem der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, 3. Auflage, Bonn 1957, S. 79, 82, 83 bis 85). Dies wird besonders deutlich, wenn man berücksichtigt, daß die Sätze der Handelsabgabe nach einzelnen Waren oder Warengruppen, nach deren Zweckbestimmung und anderen Gesichtspunkten differenziert werden. Bei Exportgeschäften soll überhaupt keine Abgabe erhoben werden. Jedenfalls ist, selbst wenn die Abgabe im Streitfall erhoben worden ist, ihre Höhe aus den amtlichen Veröffentlichungen nicht feststellbar (vgl. § 5 Abs. 2 a. a. O.).
Hinzu kommt, daß sich das Preisniveau der sowjetischen Besatzungszone völlig losgelöst vom innerdeutschen Handel und vom Exporthandel nach Grundsätzen bestimmt, die mit einer marktwirtschaftlichen Kalkulation nichts zu tun haben. Hiernach ist davon auszugehen, daß die tatsächliche Entwicklung, die das Steuersystem für die "volkseigenen Betriebe" genommen hat, keinerlei Gemeinsamkeit mit dem Wirtschafts- und Steuersystem der Bundesrepublik mehr erkennen läßt. Es kann somit von einer umsatzsteuerlichen Vorbelastung, die § 16 Abs. 1 UStG und § 70 Abs. 2 Ziff. 1 UStDB 1951 im Auge haben, nicht mehr gesprochen werden. Gegenüber dieser Rechtslage, die in den amtlichen Veröffentlichungen der sowjetisch besetzten Zone klar zum Ausdruck kommt, kann es auf die Bescheinigung des DIA, der offenbar die Handelsabgabe als Umsatzsteuer ansieht, nicht mehr ankommen.
Für die Zeit vom 1. Juli 1955 (Aufhebung der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung zur Änderung der Erhebung der Umsatzsteuer in der volkseigenen Wirtschaft vom 1. Dezember 1953, Gesetzblatt 1953 S. 1230, durch die Dritte Durchführungsbestimmung zur Verordnung zur Änderung der Erhebung der Umsatzsteuer in der volkseigenen Wirtschaft vom 27. Mai 1955, Gesetzblatt 1955 I S. 364) bis zum 31. Dezember 1956 (Einführung der Handelsabgabe) ist die Rechtslage nicht klar. Es wird davon auszugehen sein, daß in dieser Zeit die Umsatzsteuer nach dem UStG 1934 und den UStDB 1938 vorübergehend wieder erhoben worden ist; denn andernfalls hätte es nahegelegen, wie es später auch geschehen ist, sich in dieser Verordnung oder in einer besonderen Verordnung für diesen Zeitraum über eine etwaige Aufhebung der Umsatzsteuer auszusprechen. Die Verordnung über die Produktionsabgabe und Dienstleistungsabgabe vom 6. Januar 1955 (Gesetzblatt 1955 I S. 37), auf die sich die Rb. beruft, betrifft nicht die Handelsunternehmen. Es mag sein, daß durch nicht amtlich veröffentlichte Verwaltungsanweisungen auch für den hier zu prüfenden Zeitraum schon von der Erhebung der Umsatzsteuer Abstand genommen worden ist. Der Senat vertritt jedoch die Auffassung, daß eine sichere und gleichmäßige Beurteilung der Rechtslage nur nach den amtlichen Veröffentlichungen der Zone möglich ist. Insoweit ist dem Bg. zuzugeben, daß derartige Unsicherheiten nicht zu Lasten des Antragstellers in der Bundesrepublik gehen sollen.
Für die Zeit ab 1. Januar 1957 ist die Rechtslage jedoch klar. Von diesem Zeitpunkt an besteht für Unternehmen des "volkseigenen Sektors" keine der Umsatzsteuer vergleichbare Besteuerung der Vorlieferung. Es kommt nicht darauf an, daß der Vorgang der Lieferung, wie der Bg. meint, irgendwie durch eine Abgabe erfaßt ist, sondern nach Wortlaut und Sinn des § 16 Abs. 1 UStG allein darauf, daß die Lieferung an den Antragsteller der Umsatzsteuer unterlegen hat. Davon kann jedoch von diesem Zeitpunkt an nicht mehr die Rede sein.
Die Rb. hat demnach nur teilweise Erfolg.
Die Vorentscheidung wird insoweit aufgehoben, als sie für die Vergütungszeiträume I. bis III. Vierteljahr 1957 eine Ausfuhrhändlervergütung festgesetzt hat. Für diese Vergütungszeiträume, denen nur Vorlieferungen nach dem 31. Dezember 1956 zugrunde liegen, wird die Berufung des Antragstellers gegen die Einspruchsentscheidung des Finanzamts als unbegründet zurückgewiesen.
Für die Vergütungszeiträume III. Vierteljahr 1956 und IV. Vierteljahr 1956 wird die Rb. als unbegründet zurückgewiesen.
Fundstellen
BStBl III 1963, 230 |
BFHE 1963, 636 |