Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Zum Begriff "Krankenanstalt".
UStG 1951 § 4 Ziff. 15 in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 30. Juli 1952 (BGBl I S. 393);
Normenkette
UStG § 4 Ziff. 15, § 4/16; UStDB § 42
Tatbestand
Die steuerpflichtige Erbengemeinschaft (Beschwerdegegnerin - Bgin. -) betreibt neben einer Landwirtschaft und in Verbindung mit dieser eine früher als Privatirrenanstalt oder Privatpflegeanstalt, neuerdings als Privatkrankenanstalt bezeichnete Anstalt. Eine Genehmigung nach § 30 der Gewerbeordnung (GO) wurde der Erblasserin ... erteilt. ... In der Anstalt werden ausschließlich vom Landeskrankenhaus ... eingewiesene weibliche Geisteskranke betreut. Es handelt sich um Kranke, bei denen eine tägliche ärztliche Behandlung und Beobachtung zwecklos ist, weil auf eine Besserung ihres Zustandes nach dem Stande der Wissenschaft nicht gerechnet werden kann (sogenannte Endzustände). ...
Die Bgin. nimmt für die in Höhe von 62.499 DM vereinnahmten Pflegegelder Steuerfreiheit nach § 4 Ziff. 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1951 in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes vom 30. Juli 1952 (Bundesgesetzblatt - BGBl. - I S. 393) in Verbindung mit § 42 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB) 1951 in der Fassung der Vierten Verordnung zur Änderung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz vom 23. Oktober 1952 (BGBl I S. 715) in Anspruch. Das Finanzamt versagte die Steuerfreiheit. Auf Berufung stellte das Finanzgericht die Bgin. in dem von ihr begehrten Umfange von der Umsatzsteuer mit der Begründung frei, bei der Auslegung des Begriffes "Krankenanstalt" sei auch für den Bereich der Umsatzsteuer auf die Begriffsmerkmale abzustellen, die der Reichsminister der Finanzen in seinem die steuerliche Behandlung und der Krankenanstalten u. a. für den Bereich der Grundsteuer und des Gewerbesteuer regelnden Erlaß vom 25. April 1939 (Reichssteuerblatt - RStBl - S. 639) unter Abschnitt A Ziff. 3 aufgestellt habe; die Anstalt der Bgin. weise die in Ziff. 3 a. a. O. unter Buchst. b bezeichneten Merkmale auf und sei deshalb als steuerbegünstigte Krankenanstalt anzuerkennen.
Mit der Rechtsbeschwerde rügt der Vorsteher des Finanzamts (Beschwerdeführer - Bf. -) unrichtige Anwendung des geltenden Rechts. ...
Entscheidungsgründe
Die Prüfung der Rechtsbeschwerde ergibt Folgendes:
Die von der Bgin. begehrte Steuerfreiheit nach § 4 Ziff. 15 UStG (Fassung 1952) setzt zweierlei voraus:
1) die Anstalt der Bgin. muß eine Krankenanstalt sein; 2) die Anstalt muß in besonderem Maße der minderbemittelten Bevölkerung dienen.
Daß die unter 2) bezeichnete Voraussetzung gegeben ist, hat die Vorinstanz ... bejaht. Diese tatsächliche Feststellung begegnet ... keinen rechtlichen Bedenken. Damit kommt es für den Streitfall nur noch darauf an, ob die Anstalt der Bgin. als Krankenanstalt im Sinne des § 4 Ziff. 15 UStG angesehen werden kann.
Die umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften enthalten keine nähere Abgrenzung des im § 4 Ziff. 15 UStG 1951 verwendeten Begriffes "Krankenhaus" und des in der Neufassung dieser Vorschrift verwendeten Begriffes "Krankenanstalt". Im Schrifttum ist die Auffassung vertreten worden, daß als Krankenanstalt, oder, was keinen begrifflichen Unterschied bedeutet, als Krankenhaus im Sinne des § 4 Ziff. 15 UStG nur eine Anstalt angesehen werden könne, die "landläufig" als Krankenanstalt (Krankenhaus) bezeichnet werde. Diese Auffassung gibt zweifellos die gesetzgeberische Grundtendenz des § 4 Ziff. 15 zutreffend wieder. Für die Entscheidung im Einzelfalle kann jedoch die Abstellung auf die "landläufige" Bezeichnung oder auf den "Sprachgebrauch" zu Schwierigkeiten führen; dies erweist sich deutlich z. B. daraus, daß von dieser Auffassung aus bezweifelt worden ist, ob eine als Heilanstalt oder als Pflegeanstalt bezeichnete Anstalt jemals unter den Begriff "Krankenanstalt" eingeordnet werden kann, ein Zweifel, bei dem allerdings eine Rolle auch der Umstand spielt, daß im § 4 Ziff. 11 UStG Heilanstalten und Krankenhäuser nebeneinander aufgeführt werden. Nach der überzeugung des Senats kann - auch gegenüber den aus § 4 Ziff. 11 hergeleiteten Bedenken - die "landläufige" Bezeichnung oder der "Sprachgebrauch" nicht unter allen Umständen ausschlaggebend für die Frage sein, ob eine Krankenanstalt vorliegt oder nicht; das rein sprachliche Erscheinungsbild kann von für die Beurteilung belanglosen Zufälligkeiten beeinflußt sein. Als entscheidend muß vielmehr entsprechend den vom Wirtschaftlichen her bestimmten Auslegungsgrundsätzen des Umsatzsteuerrechts der durch den Anstaltszweck bestimmte allgemeine Anstaltscharakter angesehen werden, der sich allerdings - und damit behält die oben dargelegte Auffassung eine gewisse Berechtigung - vielfach in der Anstaltsbezeichnung widerspiegeln wird.
Hiernach kann in der Auffassung der Vorinstanz, daß für die umsatzsteuerrechtliche Auslegung des Begriffes "Krankenanstalt" auf die grundsteuerrechtliche Auslegung des Begriffes (und auf die ihr entsprechende, im Folgenden deshalb nicht besonders erörterte gewerbesteuerrechtliche Auslegung) zurückgegriffen werden kann, ein Rechtsirrtum jedenfalls dann nicht gefunden werden, wenn die Anwendung der Auslegungsgrundsätze des Grundsteuerrechts zu einem Ergebnis führt, das dem Gesichtspunkt der Maßgeblichkeit des durch den Anstaltszweck bestimmten Anstaltscharakters Rechnung trägt. Hinzu kommt, daß für die Auffassung der Vorinstanz auch die Neufassung des § 4 Ziff. 15 UStG und des § 42 UStDB spricht, die auf die Absicht einer Angleichung des Umsatzsteuerrechts an das Grundsteuerrecht (Grundsteuerdurchführungsverordnung - GrStDV - in der Fassung vom 29. Januar 1952 § 16, BGBl I S. 79) schließen läßt.
Die wesentlichen Merkmale für die grundsteuerrechtliche Auslegung des Begriffes "Krankenanstalt" entnimmt die Vorinstanz dem Abschnitt A Ziff. 3 des oben angeführten Erlasses des Reichsministers der Finanzen vom 25. April 1939. Dieser Erlaß bindet als reiner Auslegungserlaß die Steuergerichte nicht; seine Ausführungen könnten zur Auslegung nicht herangezogen werden, wenn sie sich mit den gesetzlichen Vorschriften und der Auslegung dieser Vorschriften durch eine ständige oberstgerichtliche Rechtsprechung nicht vereinbaren ließen. Die Rechtsbeschwerde ist der Meinung, daß die Erlaßausführungen mit der späteren Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs zur Auslegung des grundsteuerrechtlichen Begriffes "Krankenanstalt" nicht vereinbar sind, soweit der für den Streitfall gerade wesentliche Buchst. b des Abschnitts A Ziff. 3 in Frage steht. Der Bundesminister der Finanzen nimmt eine solche von der Rechtsbeschwerde unterstellte Unvereinbarkeit offensichtlich nicht an; denn die Ausführungen im Abschnitt A Ziff. 3 des Erlasses einschließlich der Ausführungen unter Buchst. b sind, worauf schon die Vorinstanz hingewiesen hat, ohne sachliche Änderung in den Abschnitt 57 der Grundsteuer-Richtlinien in der Fassung der Verwaltungsanordnung vom 10. April 1954 (Bundessteuerblatt - BStBl - I 184, 205; Bundes-Anzeiger Nr. 73 vom 14. April 1954) übernommen worden. Auch der erkennende Senat vermag sich gegenüber den Ausführungen der Rechtsbeschwerde von einer solchen Diskrepanz nicht zu überzeugen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs, an der auch der Bundesfinanzhof festgehalten hat, sind Krankenanstalten solche Anstalten, in denen durch ärztliche Hilfeleistung die Heilung oder Besserung solcher Leiden erstrebt wird, die entweder nur in einer Anstalt behandelt werden können oder wenigstens zweckmäßig oder üblich in einer Anstalt behandelt werden (Urteile des Reichsfinanzhofs III 267/39 vom 29. Februar 1940, RStBl S. 349; III 167/42 vom 25. Februar 1943, RStBl S. 342; III 120/42 vom 16. April 1943, RStBl S. 452). Nach dieser unzweifelhaft nicht auf den Sprachgebrauch, sondern auf den Anstaltscharakter abgestellten Begriffsabgrenzung und den Einzelausführungen in den angezogenen Urteilen müssen also, um eine Anstalt als Krankenanstalt erkennen zu können, drei Kriterien gegeben sein: Es müssen Kranke in der Anstalt untergebracht sein; die Anstaltsunterbringung muß notwendig oder wenigstens zweckmäßig oder üblich sein; es muß ständig eine dem einzelnen Kranken individuell gewidmete ärztliche Tätigkeit stattfinden, die gegenüber vorhandenen natürlichen Heilfaktoren im Vordergrunde steht. Auf diese Kriterien stellt auch schon der Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 25. April 1939 im Abschnitt A Ziff. 3 Buchst. a ab. Die gleichen Kriterien finden sich aber auch in dem hier in seiner Anwendbarkeit umstrittenen Buchst. b der Ziff. 3 a. a. O. Die unter Buchst. a und unter Buchst. b umrissenen Fälle unterscheiden sich nur dadurch, daß in den ersteren Fällen auf eine der Heilung oder der Besserung eines krankhaften Zustandes gerichtete ärztliche Tätigkeit Gewicht gelegt wird, während in den letzteren Fällen auf eine ärztliche Tätigkeit abgestellt wird, die einer nach den Grundsätzen der ärztlichen Wissenschaft gebotenen Beaufsichtigung oder überwachung nicht oder kaum zu behebender krankhafter Zustände dient. Dieser Unterschied lediglich in der Zielsetzung der ärztlichen Tätigkeit bildet keinen ausreichenden Grund für die Versagung der Anerkennung einer Anstalt als Krankenanstalt in den Fällen nach Buchst. b.
Prüft man nach der grundsteuerrechtlichen Abgrenzung des Begriffes "Krankenanstalt" durch den Reichsfinanzhof, mit der die Ausführungen des Erlasses vom 25. April 1939 nach dem vorstehend Gesagten vereinbar sind, die in der Anstalt der Bgin. gegebenen Verhältnisse, so läßt sich feststellen, daß die Insassinnen der Anstalt unzweifelhaft Personen sind, die auf die im Urteil vom 29. Februar 1940 für den Begriff "Kranker" aufgestellten Merkmale zutreffen. Der Senat sieht insbesondere mit der Vorinstanz auf Grund der Aussagen der von dieser gehörten ärztlichen Sachverständigen die Notwendigkeit oder wenigstens die Zweckmäßigkeit einer Anstaltsunterbringung als ausreichend dargetan an. Zweifel können, wie der Rechtsbeschwerde zuzugeben ist, allenfalls nur nach der Richtung bestehen, ob eine ärztliche Tätigkeit im oben dargelegten Sinne stattfindet. Die Vorinstanz bejaht auch dies. Sie mißt insoweit ein gewisses Gewicht zunächst dem Umstande bei, daß die mit der Anstalt der Bgin. verbundene Landwirtschaft immerhin die Möglichkeit bietet, nach ärztlicher Weisung arbeitstherapeutische Maßnahmen, wie sie für die Behandlung von Geisteskranken im allgemeinen von beträchtlicher Bedeutung sind, durchzuführen, wenn es auch, wie die Vorinstanz festgestellt hat, zu einer systematischen Durchführung solcher Maßnahmen wegen des hierfür nicht mehr geeigneten Zustandes der meisten in der Anstalt der Bgin. untergebrachten Kranken nur ausnahmsweise kommt. Als ausschlaggebend für die Bejahung einer ärztlichen Tätigkeit im oben dargelegten Sinne aber sieht die Vorinstanz die ebenfalls auf Grund der Aussagen der ärzte getroffene Feststellung an, daß der mit der Betreuung der Anstalt der Bgin. allgemein beauftragte beamtete Arzt des Landeskrankenhauses ... in Abständen von etwa vier Wochen, nach Bedarf auch öfter, die Anstalt besucht. Den Ausführungen der Vorinstanz und dem Inhalt der Akten ist nicht mit voller Klarheit zu entnehmen, wie sich diese Besuche im einzelnen abspielen. Es ist aber zuzugeben, daß die Vorinstanz in freier Würdigung der Aussagen der ärztlichen Sachverständigen zu der überzeugung gelangen konnte, daß die Besuche des Arztes keineswegs etwa nur einer Kontrolle des Anstaltsbetriebs im allgemeinen, sondern einer nach ärztlichen Gesichtspunkten gebotenen individuellen Betreuung der Kranken, insbesondere auch der Feststellung dienen, ob VerÄnderungen im Krankheitsbild wahrnehmbar sind, die zu besonderen ärztlichen Maßnahmen nötigen könnten. Auch eine solche, zwar in mehr oder weniger langen zeitlichen Abständen, aber doch regelmäßig - und damit ständig - ausgeübte beaufsichtigende Tätigkeit ist eine ärztliche Tätigkeit, wie sie nach dem oben Gesagten zu den Kriterien des Begriffes "Krankenanstalt" gehört. Der daraus folgenden Annahme, daß die Anstalt der Bgin. eine Krankenanstalt ist, steht, worauf die Vorinstanz zutreffend hingewiesen hat, weder der Umstand, daß die ärztliche Tätigkeit vom Landeskrankenhaus aus ausgeübt wird noch die Tatsache entgegen, daß die Anstalt der Bgin. ihrem Sonderzweck entsprechend mit besonderen klinischen Einrichtungen nicht ausgestattet ist. Die Feststellung der Vorinstanz, daß die Anstalt der Bgin. als Privatkrankenanstalt anzuerkennen ist und nicht nur etwa eine Bewahrungsanstalt im Sinne des § 16 GrStDV 1952 darstellt, die nicht unter die Umsatzsteuerbefreiung fallen würde, ist hiernach nicht zu beanstanden.
Fundstellen
Haufe-Index 408373 |
BStBl III 1956, 56 |
BFHE 1956, 152 |
BFHE 62, 152 |