Leitsatz (amtlich)
In dem Verfahren zur einheitlichen Feststellung des gemeinen Werts von Anteilen nach den §§ 64 ff. BewDV darf das Finanzamt, auch wenn es das Verfahren von Amts wegen einleitet, den Bescheid nicht allein gegen die Gesellschaft richten. Es muß vielmehr die Gesellschaft zur Namhaftmachung von Gesellschaftern nach § 68 Abs. 1 Nr. 1 BewDV auffordern und den Bescheid auch gegen diese Gesellschafter richten.
Normenkette
BewDV §§ 64-71
Tatbestand
Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von 1 500 000 DM, das in Namensaktien von je 1 000 DM gestückelt ist. Sie betreibt ein gemeinnütziges Wohnungsbauunternehmen. Die Voraussetzungen für die Gemeinnützigkeit sind vom FA anerkannt.
Das FA hat durch Bescheid vom 4. September 1964 den gemeinen Wert der Aktien der Klägerin auf den 31. Dezember 1962 für 100 DM Nennkapital auf 265 DM festgestellt. Der Bescheid enthielt folgende Erläuterung: "Der Festsetzung des gemeinen Wertes wurde der Börsenkurs vom Stichtag zugrunde gelegt. Die Feststellung erfolgt nach § 66 BewDV von Amts wegen." Der Bescheid war an die Klägerin gerichtet. Er wurde auch nur der Klägerin zugestellt. Auf Veranlassung des Wohnsitz-FA eines Aktionärs und auf Veranlassung eines anderen Aktionärs wurde den Wohnsitz-FÄ dieser beiden Aktionäre der festgestellte gemeine Wert mitgeteilt. Mit dem Einspruch wandte sich die Klägerin dagegen, daß die Aktien nicht nach Abschn. 82 VStR 1963 mit dem Nennwert bewertet worden seien. Sie beanstandete außerdem, daß der Feststellungsbescheid die Überschrift habe: "Mit Wirkung für und gegen alle Gesellschafter." Der Einspruch blieb erfolglos. Hinsichtlich des handschriftlichen Vermerks in dem Feststellungsbescheid wurde in der Einspruchsentscheidung ausgeführt: "Die in den EW-Akten befindliche Verfügung über die Festsetzung des gemeinen Wertes enthält keinen Hinweis, daß der Bescheid 'mit Wirkung für und gegen alle Gesellschafter' ergeht. Der offenbar irrtümlich in den Bescheid aufgenommene Vermerk ist damit wirkungslos. Die Wirksamkeit des Feststellungs-Bescheides selbst wird hierdurch jedoch nicht berührt."
Die Berufung, die vom FG nach Inkrafttreten der FGO als Klage behandelt wurde, und mit der die Klägerin die Feststellung des gemeinen Werts ihrer Aktien auf 80 DM je 100 DM Nennkapital beantragte, wurde vom FG abgewiesen.
Das FG führte im wesentlichen aus: Der Bescheid vom 4. September 1964 richte sich ausschließlich gegen die Klägerin, nicht gegen die Aktionäre. Der in dem Bescheid enthaltene handschriftliche Vermerk, daß der Bescheid Wirkung für und gegen alle Gesellschafter haben solle, sei nach der Klarstellung des FA in der Einspruchsentscheidung und in der mündlichen Verhandlung irrtümlich erfolgt und binde die Aktionäre nicht. Dadurch werde aber die Wirksamkeit des Bescheids nicht berührt. Da die Voraussetzungen des § 69 BewDV in dem Streitfall nicht vorgelegen hätten, habe das FA den Feststellungsbescheid zu Recht nur gegenüber der Klägerin erlassen. Etwas anderes folge auch nicht daraus, daß die Feststellung des gemeinen Werts eine einheitliche sei. Aufgrund des Bescheids bestehe eine Bindung der Finanzverwaltung an die von ihr getroffene Feststellung des gemeinen Werts der Aktien der Klägerin. Dagegen seien die Gesellschafter an den Bescheid nicht gebunden, soweit sie am Feststellungsverfahren nicht beteiligt gewesen seien. Die Finanzverwaltung gehe daher ein gewisses Risiko ein, wenn sie den Bescheid nur gegen die Gesellschaft richte. Die Wirksamkeit des Bescheids werde davon nicht berührt. Auch die Einhaltung des in § 69 Abs. 2 und 3 BewDV vorgesehenen Verfahrens sei nur dann Wirksamkeitsvoraussetzung des Feststellungsbescheids, wenn dieser die Gesellschafter binden solle. Auch sachlich sei die Feststellung des gemeinen Werts auf 265 v. H. nicht zu beanstanden.
Mit der Revision beantragte die Klägerin unter Aufhebung der Vorentscheidung und des angefochtenen Bescheids den gemeinen Wert der Aktien an der Klägerin zum 31. Dezember 1962 für je 100 DM auf 80 DM festzustellen, hilfsweise festzustellen, daß der angefochtene Bescheid nichtig ist. Es wurde unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts gerügt. In formeller Hinsicht habe das FG die §§ 64 ff. BewDV falsch ausgelegt; in materieller Hinsicht habe es zu Unrecht den gemeinen Wert aus den in den Jahren 1962 und 1963 getätigten Verkäufen abgeleitet. Zur Begründung der Revision wurde im wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt und durch eine von der Klägerin eingeholte Stellungnahme des Gesamtverbandes gemeinnütziger Wohnungsunternehmen zum Urteil des FG untermauert.
Das FA beantragte, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Streitgegenstand ist im vorliegenden Fall der Bescheid vom 4. September 1964 über die einheitliche und gesonderte Feststellung des gemeinen Werts von Aktien, Anteilen und Genußscheinen auf den 31. Dezember 1962. Dieser Bescheid hat seine Rechtsgrundlage in den §§ 64 ff. BewDV. Diese Bestimmungen der BewDV beruhen ihrerseits auf der Ermächtigung in § 220 Nr. 2 Satz 3 und Nr. 4 AO. Der Bescheid ist nach § 69 Abs. 1 BewDV gegen bestimmte Gesellschafter und nach § 70 BewDV gegen die Gesellschaft zu richten. Gegen die in § 69 Abs. 1 Nr. 1 BewDV genannten Gesellschafter ist der Bescheid nur dann zu richten, wenn die Einleitung des Verfahrens zur Feststellung des gemeinen Werts der Anteile von ihnen nach § 67 BewDV beantragt worden ist. Dagegen ist der Bescheid an die in § 69 Abs. 1 Nr. 2 BewDV genannten Gesellschafter auch dann zu richten, wenn das Verfahren nach § 66 BewDV von Amts wegen eingeleitet worden ist. In § 69 Abs. 1 Nr. 2 BewDV sind diejenigen Inhaber der Anteile genannt, die von der Gesellschaft nach § 68 Abs. 1 Nr. 1 BewDV dem FA namhaft gemacht worden sind. Die Gesellschaft hat diese Gesellschafter dem FA allerdings nur auf Verlangen mitzuteilen. Der Senat ist jedoch der Auffassung, daß das FA gegen den Sinn und Zweck des Verfahrens nach den §§ 64 ff. BewDV verstößt, wenn es bei einer Einleitung des Verfahrens von Amts wegen eine Anfrage bei der Gesellschaft unterläßt und den Bescheid nur gegen die Gesellschaft richtet; denn nach § 71 Nr. 1 BewDV sind Gesellschafter zur Einlegung von Rechtsbehelfen gegen den einheitlichen Feststellungsbescheid nur befugt, wenn der einheitliche Feststellungsbescheid gegen sie gerichtet ist. Sie verlieren also ihre Befugnis zur Einlegung von Rechtsbehelfen, wenn dies nicht geschieht. Weder § 233 AO noch § 48 FGO ist auf die Feststellung des gemeinen Werts von Anteilen anwendbar. Für sie gilt allein die Sonderregelung des § 71 BewDV (so auch Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 9. Aufl., Bd. III Anm. 1 Abs. 3 zu § 48 FGO). Diese Sonderregelung hat den Zweck, die Befugnis zur Einlegung von Rechtsbehelfen den Gesellschaftern zu nehmen, die nur eine geringe Beteiligung haben und nicht einmal der Gesellschaft bekannt sind. Anders ist es aber, wenn durch eine Maßnahme bzw. durch das Unterlassen des FA alle Gesellschafter, auch die mit größeren Beteiligungen, von der Rechtsbefehlsbefugnis gegen den Feststellungsbescheid ausgeschlossen würden. Das würde dem Sinn und Zweck des einheitlichen Feststellungsverfahrens widersprechen, der nach der Rechtsprechung des Senats darin besteht, die steuerlichen Rechtsverhältnisse einheitlich zu ordnen und widersprüchliche Entscheidungen über den gemeinen Wert der Anteile zu vermeiden (vgl. Urteil des BFH III R 100/66 vom 21. März 1969, BFH 95, 523, BStBl II 1969, 493). Es würde auch nicht dem Umstand Rechnung getragen, daß der festgestellte gemeine Wert der Anteile in der Regel nur für die Gesellschafter steuerlich von Bedeutung ist. In dem Verfahren zur einheitlichen Feststellung des gemeinen Werts von Anteilen nach den §§ 64 ff. BewDV darf deswegen das FA, auch wenn es das Verfahren von Amts wegen einleitet, den Bescheid nicht allein gegen die Gesellschaft richten. Es muß vielmehr die Gesellschaft zur Namhaftmachung von Gesellschaftern nach § 68 Abs. 1 Nr. 1 BewDV auffordern und den Bescheid auch gegen diese Gesellschafter richten.
Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Es war auch die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben. Das FA wird nunmehr die Gesellschaft zu einer Mitteilung nach § 68 Abs. 1 Nr. 1 BewDV auffordern und sodann den Bescheid auch den von der Gesellschaft namhaft gemachten Gesellschaftern zustellen und diejenigen von ihnen, die gegen den Bescheid keinen Einspruch einlegen, nach § 241 Abs. 3 AO zum Rechtsbehelfsverfahren zuziehen müssen.
Fundstellen
Haufe-Index 69440 |
BStBl II 1971, 418 |
BFHE 1971, 541 |