Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung von vor dem 1.1.1977 ergangenen Einkommensteuerbescheiden nach den Vorschriften der AO 1977 - Feststellung eines Versorgungsamtes bzw. amtsärztliche Bescheinigung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der auf ihr beruhenden Minderung der Erwerbsfähigkeit als Grundlagenbescheid - Voraussetzungen der Verwirkung
Leitsatz (amtlich)
Die Änderung von Einkommensteuerbescheiden, die vor dem 1.Januar 1977 ergangen sind, richtet sich seit Inkrafttreten der AO 1977 nach neuem Recht. Eine Änderung solcher Bescheide zugunsten des Steuerpflichtigen wegen eines mit Wirkung für die Vergangenheit erlassenen Grundlagenbescheids einer fachfremden Behörde ist nur innerhalb der Verjährungsfristen der §§ 144 f. AO zulässig.
Orientierungssatz
1. Die Feststellung eines Versorgungsamtes über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der auf ihr beruhenden Minderung der Erwerbsfähigkeit ist ein Grundlagenbescheid i.S. von § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977. Diese Feststellung ist deshalb für die Gewährung des Körperbehindertenpauschbetrags nach § 33b EStG gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 auch dann zu berücksichtigen, wenn sie bereits vor Erlaß des Steuerbescheids getroffen war und der Steuerpflichtige den Antrag nach § 33b EStG erst nach Eintritt der Bestandskraft des Steuerbescheides gestellt hat (vgl. BFH-Urteil vom 13.12.1985 III R 204/81). Vor dem 1.5.1974 ausgestellte amtsärztliche Bescheinigungen sind längstens bis 1976 anzuerkennen (vgl. Literatur). Da auch derartige Bescheinigungen die gemäß § 3 Abs. 1 bis 4 des Schwerbehindertengesetzes zu treffenden Feststellungen der einschlägigen gesundheitlichen Merkmale enthalten, sind auch auf sie § 171 Abs. 10 und § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 anzuwenden.
2. Verwirkung setzt neben dem bloßen Zeitablauf voraus, daß der Verpflichtete einen Vertrauenstatbestand gesetzt und der Berechtigte sich darauf eingerichtet hat (vgl. Literatur).
Normenkette
AO §§ 144-145, 218, 222 Abs. 1; AO 1977 § 171 Abs. 2, 10, § 175 Abs. 1 Nr. 1; AO § 107a DV § 2; EGAO 1977 Art. 97 § 10; EStG § 33b; EStDV § 65 Abs. 1
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind die Eltern der im Jahre 1963 geborenen Tochter B, die seit ihrer Geburt zu 100 % in ihrer Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt ist. Im Jahre 1973 beantragten die Kläger, ihnen den Freibetrag nach § 65 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) für die Veranlagungszeiträume 1970 bis 1972, für die lediglich vorläufige Bescheide erlassen worden waren, zu gewähren. Dem Antrag war eine amtsärztliche Bescheinigung des Gesundheitsamtes des Landkreises W vom 13.August 1973 beigefügt. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) entsprach dem Antrag und bewilligte den Freibetrag den Klägern ab Veranlagungszeitraum 1970.
Im März 1986 begehrten die Kläger, den Freibetrag auch für die Veranlagungszeiträume 1963 bis 1969 zu bewilligen und die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide entsprechend zu ändern. Dem Antrag fügten sie eine neue Bescheinigung des Versorgungsamtes O vom 30.Januar 1986 bei.
Das FA lehnte die beantragten Änderungen, auch im Einspruchsverfahren, ab. Es vertrat die Auffassung, der Bescheinigung des Versorgungsamtes O vom 30.Januar 1986 komme die Bedeutung eines Grundlagenbescheides nicht zu, da sie lediglich die dem FA schon vorliegenden Bescheinigungen vom 13.August 1973 und vom 22.Mai 1978 wiederhole. Aus diesem Grunde hätten die Kläger auch schon wesentlich früher ihren Anspruch auf Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide erheben müssen.
Im Klageverfahren widersprachen die Kläger der Auffassung des FA, der Änderungsanspruch sei verwirkt. Schon bei einer Betriebsprüfung im Jahre 1973 hätten sie einen entsprechenden Anspruch erhoben; der Betriebsprüfer habe ihnen jedoch erklärt, eine Berichtigung der Einkommensteuerbescheide für die Zeit ab 1963 sei nicht mehr möglich. Deshalb hätten sie sich zunächst darauf beschränkt, die Berücksichtigung für die Veranlagungszeiträume 1970 bis 1972 zu erwirken.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, daß das FA gemäß § 175 Abs.1 Nr.1 der Abgabenordnung (AO 1977) verpflichtet sei, die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 1963 bis 1969 zu ändern und dabei nunmehr einen Freibetrag nach § 33b des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 13.Dezember 1985 III R 204/81 (BFHE 145, 545, BStBl II 1986, 245) entschieden habe, sei die Bescheinigung des Versorgungsamts über das Vorliegen der Behinderung ein Grundlagenbescheid i.S. des § 175 Abs.1 Nr.1 AO 1977.
Zu Unrecht mache das FA geltend, dieser Anspruch sei verwirkt. Eine Verwirkung komme nur in Betracht, wenn der Steuerpflichtige durch ein bestimmtes Verhalten beim Steuergläubiger die Erwartung geweckt habe, er werde nunmehr auf die Verfolgung seines Anspruchs verzichten (Hinweis auf BFH-Urteile vom 7.Juni 1984 IV R 180/81, BFHE 141, 451, BStBl II 1984, 780, und vom 12.September 1985 VIII R 323/82, BFH/NV 1986, 130). Daran fehle es hier. Denn nach früherer höchstrichterlicher Rechtsprechung habe ein entsprechender Antrag nach Eintritt der Bestandskraft nicht mehr gestellt werden können (Hinweis auf BFH-Urteil vom 23.April 1965 VI 227/64 U, BFHE 82, 396, BStBl III 1965, 391). Das FA habe mithin nicht auf die Absicht der Kläger schließen können, sie wollten ihre Rechte nicht mehr geltend machen.
Entscheidend könne daher erst das Verhalten der Kläger nach Ergehen des Urteils in BFHE 145, 545, BStBl II 1986, 245 sein. Unmittelbar nach Bekanntwerden dieser Entscheidung hätten sie aber den Antrag auf Berichtigung gestellt.
Auch eine Festsetzungsverjährung sei nicht eingetreten, weil für die Streitjahre noch die Vorschriften über die Verjährung nach der Reichsabgabenordnung (AO) gegolten hätten (Art.97 § 10 Abs.1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung ―EGAO 1977―). Die AO habe aber eine Festsetzungsverjährung zugunsten der Finanzverwaltung nicht gekannt.
Hiergegen richtet sich die Revision, mit der das FA die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Es führt aus, gemäß § 143 AO i.V.m. Art.97 § 10 Abs.1 EGAO 1977 seien die Steuererstattungsansprüche der Kläger für die Streitjahre nicht verjährt. Daraus könne jedoch nicht gefolgert werden, daß diese Ansprüche uneingeschränkt bestünden und geltend gemacht werden könnten. Sie müßten vielmehr als verwirkt angesehen werden. Insoweit komme es regelmäßig auf entsprechende Dispositionen des FA nicht an. Vielmehr würden die Anforderungen an vertrauensbedingte Dispositionen mit zunehmendem Zeitablauf geringer, so daß die Verwirkung allein durch den Zeitablauf eintreten könne. So sei es hier. Denn die Kläger hätten mit ihrem Antrag vom 24.März 1986 eine Bescheinigung des Versorgungsamts vom 30.Januar 1986 vorgelegt. Diese Bescheinigung wiederhole lediglich unverändert die bereits im Feststellungsbescheid vom 22.Mai 1978 getroffene Feststellung, daß die Tochter der Kläger zu 100 % erwerbsgemindert sei. Auch in der amtsärztlichen Bescheinigung des Landkreises W vom 13.August 1973 sei schon dasselbe festgestellt. Die Bescheinigung vom 30.Januar 1986 könne mithin auch nicht die rechtliche Wirkung eines Grundlagenbescheides haben. Folglich blieben für die Beurteilung der Streitfrage die amtsärztliche Bescheinigung vom 13.August 1973 und ggf. die Bescheinigung des Versorgungsamts vom 22.Mai 1978 maßgebend. Die Bescheinigung vom 13.August 1973 sei aber unter der Geltung der AO ergangen; nach dieser hätten Steuerbescheide nur geändert werden können, wenn sie auf Feststellungsbescheiden beruhten, für die die Regeln über Steuerbescheide galten. Da eine Bescheinigung jedoch Dauerwirkung habe, komme ihr nach Inkrafttreten der AO 1977 die Bindungswirkung eines außersteuerlichen Grundlagenbescheids i.S. des § 171 Abs.10 AO 1977 zu. Mithin hätte der streitige Antrag ab Inkrafttreten der AO 1977 gestellt werden können, nach Vorliegen des BFH-Urteils vom 18.April 1980 III R 34/78 (BFHE 130, 441, BStBl II 1980, 682) im Hinblick auf die Bescheinigung vom 22.Mai 1978 sogar gestellt werden müssen, um die Verwirkung des Anspruchs zu verhindern. Denn nach diesem ausführlich begründeten Urteil habe kein Zweifel daran bestehen können, daß auch die Bescheide der Versorgungsämter über Körperbehinderungen Grundlagenbescheide seien. Auch eine solche (rechtzeitige) Antragstellung wäre jedoch vergeblich gewesen, da § 175 Abs.1 Nr.1 AO 1977 seine Wirkung hier nicht hätte entfalten können, weil die streitigen Steuerbescheide vor Inkrafttreten der AO 1977 unter einer anderen Rechtslage ergangen seien.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Sie machen geltend, ihre Anträge auf Berücksichtigung des Körperbehindertenpauschbetrages seien bis 1985 sämtlich abgelehnt worden. Bei solchen Anträgen, z.B. vom 31.August 1982, sei entschieden worden, daß die Bescheinigung des Versorgungsamts zwar ein Grundlagenbescheid sei, eine Änderung nach § 175 Abs.1 Nr.1 AO 1977 jedoch nur möglich sei, soweit ein Antrag i.S. des § 33b EStG für den Besteuerungszeitraum dem Grunde nach gestellt worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Die amtsärztliche Bescheinigung vom 13.August 1973 ist wie ein Grundlagenbescheid i.S. des § 175 Abs.1 Nr.1 AO 1977 zu behandeln. Nichts anderes gilt für die der Bescheinigung des Versorgungsamts vom 30.Januar 1986 zugrunde liegende Feststellung über die Art und das Ausmaß der bestehenden körperlichen Behinderung. Wie der Senat im Urteil in BFHE 145, 545, BStBl II 1986, 245 entschieden hat, ist die Feststellung eines Versorgungsamtes über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der auf ihr beruhenden Minderung der Erwerbsfähigkeit ein Grundlagenbescheid i.S. von § 171 Abs.10, § 175 Abs.1 Nr.1 AO 1977. Diese Feststellung ist deshalb für die Gewährung des Körperbehindertenpauschbetrages nach § 33b EStG gemäß § 175 Abs.1 Nr.1 AO 1977 auch dann zu berücksichtigen, wenn sie bereits vor Erlaß des Steuerbescheids getroffen war und der Steuerpflichtige den Antrag nach § 33b EStG erst nach Eintritt der Bestandskraft des Steuerbescheides gestellt hat. Auf die Begründung des Urteils in BFHE 145, 545, BStBl II 1986, 245 wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
In dem vorerwähnten Urteilsfall waren die für die Gewährung des Pauschbetrags erforderlichen Feststellungen allerdings aus einem Schwerbehindertenausweis ersichtlich, den die Kläger dem FA vorgelegt hatten. Dies entspricht, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit ―wie auch in dem jetzt zu beurteilenden Streitfall― über 50 % beträgt, § 65 Abs.1 Nr.1 EStDV. Als Nachweis für das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der auf ihr beruhenden Minderung der Erwerbsfähigkeit genügen nach § 65 Abs.2 Satz 1 EStDV aber auch die vor dem 20.Juni 1976 ausgestellten amtlichen Ausweise für Schwerkriegsbeschädigte, Schwerbeschädigte oder Schwerbehinderte sowie die nach § 3 Abs.1 oder 4 des Schwerbehindertengesetzes in der vor dem 20.Juni 1976 geltenden Fassung erteilten Bescheinigungen.
Vor dem 1.Mai 1974 ausgestellte amtsärztliche Bescheinigungen sind längstens bis 1976 anzuerkennen (Oberfinanzdirektion ―OFD― Kiel vom 14.November 1975, Finanz-Rundschau ―FR― 1976, 42; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, Kommentar, 4.Aufl., § 175 Anm.3). Da auch derartige Bescheinigungen die gemäß § 3 Abs.1 bis 4 des Schwerbehindertengesetzes zu treffenden Feststellungen der einschlägigen gesundheitlichen Merkmale enthalten, sind auch auf sie § 171 Abs.10 und § 175 Abs.1 Nr.1 AO 1977 anzuwenden.
In der amtsärztlichen Bescheinigung vom 13.August 1973 ist die Feststellung enthalten, daß die Tochter der Kläger ab Geburt zu 100 % in der Erwerbsfähigkeit gemindert sei. Die Bescheinigung vom 31.Januar 1986 weist ebenfalls eine Gültigkeitsdauer ab 31.März 1963 (Geburtstag der Tochter) aus; sie gilt bis 31.Dezember 1977. Beide Bescheinigungen decken also die Streitjahre 1963 bis 1969 ab.
Der Anwendbarkeit des § 175 Abs.1 Nr.1 AO 1977 steht nicht entgegen, daß hier Streitjahre vor Inkrafttreten der AO 1977 betroffen sind. Denn nach Art.97 § 9 EGAO 1977 sind die Vorschriften der AO 1977 über die Änderung von Verwaltungsakten auch für vor dem 1.Januar 1977 erlassene Steuerbescheide maßgebend.
Entgegen der Auffassung des FA steht dem Änderungsbegehren der Kläger aus § 175 Abs.1 Nr.1 AO 1977 auch nicht der Rechtsgrund der Verwirkung entgegen. Verwirkung setzt neben dem bloßen Zeitablauf voraus, daß der Verpflichtete einen Vertrauenstatbestand gesetzt und der Berechtigte sich darauf eingerichtet hat (vgl. Klein/Orlopp, a.a.O., § 4 Anm.5i m.w.N.). Hier ist aber schon nicht ersichtlich, inwiefern die Kläger zu erkennen gegeben haben sollen, daß sie für die Streitjahre auf die Geltendmachung eines Berichtigungsanspruchs, der vor Ergehen des Urteils in BFHE 145, 545, BStBl II 1986, 245 von der Rechtsprechung nicht einmal anerkannt war, verzichten wollten.
2. Zu Unrecht ist das FG allerdings davon ausgegangen, daß der Änderungsanspruch der Kläger nicht der Verjährung unterliege.
Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 3.Februar 1983 IV R 153/80, BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324, und vom 18.Mai 1990 VI R 17/88, BFHE 160, 425, BStBl II 1990, 770) ist die Änderung von Steuerbescheiden, die vor dem 1.Januar 1977 ergangen sind, nur innerhalb der Verjährungsfristen der §§ 144 f. AO zulässig. Diese Rechtsprechung stützt sich auf Art.97 § 10 Abs.1 Satz 2 EGAO 1977. Sie ist zu § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977 ergangen und insbesondere vom VI.Senat in seiner vorerwähnten Entscheidung näher begründet worden. Die Begründung geht von § 222 Abs.1 Nr.2 AO aus, wonach eine Änderung nur stattfand, "wenn durch eine Betriebsprüfung vor dem Ablauf der Verjährungsfrist neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die eine niedrigere Veranlagung rechtfertigen". Bei der in dieser Vorschrift angesprochenen Verjährung habe es sich um eine Frist gehandelt, die i.S. des Art.97 § 10 Abs.1 Satz 2 EGAO 1977 "für die Aufhebung oder Änderung" einer Steuer "von Bedeutung" sei. Wie der VI.Senat weiter ausgeführt hat, ergibt sich bei richtiger Auslegung dieser Voraussetzungen des Art.97 § 10 Abs.1 Satz 2 EGAO 1977, insbesondere unter Würdigung des Charakters dieser Vorschrift als Übergangsregelung, daß auch Änderungen von früher ergangenen Steuerbescheiden, für die bereits die neue Rechtslage maßgebend ist, nicht zeitlich unbegrenzt zulässig sein sollen, sondern nur im Rahmen der bisherigen Verjährungsvorschriften. Wegen der Einzelheiten der Begründung, der sich der erkennende Senat anschließt, wird auf die Ausführungen in BFHE 160, 425, BStBl II 1990, 770 verwiesen.
Die Grundsätze dieser Rechtsprechung müssen für eine Berichtigung gemäß § 175 Abs.1 Nr.1 AO 1977, die sich ―wie hier― zugunsten des Steuerpflichtigen auswirkt, entsprechend gelten. Denn auch hier handelt es sich ―wie bei § 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977― um eine Änderung zugunsten des Steuerpflichtigen, die nach altem Recht im Wege einer Folgeänderung (§ 218 Abs.4 AO) nicht zu erreichen gewesen wäre, sondern nur über § 222 Abs.1 Nr.2 AO (oder über § 222 Abs.1 Nr.4 AO). Das ergibt sich aus der Fassung des § 218 Abs.4 AO, der eine sehr viel engere Regelung der Folgeänderung enthielt als § 175 Abs.1 Nr.1 AO 1977 (s. auch BFH- Urteil in BFHE 130, 441, BStBl II 1980, 682, drittletzter Absatz der Entscheidungsgründe). § 218 Abs.4 AO bezog sich nur auf Feststellungsbescheide der in § 218 Abs.1 AO genannten Art, also ―soweit hier von Interesse― auf Bescheide, die nach § 214 und § 215 AO ergangen waren. Dabei handelte es sich aber ausschließlich um Grundlagenbescheide, die von Finanzbehörden zu erlassen waren. Im vorliegenden Streitfall dagegen geht es um einen von einer fremden Verwaltungsbehörde erlassenen Verwaltungsakt. Er ist als solcher in § 171 Abs.10 AO 1977 als "anderer Verwaltungsakt", der für die Festsetzung einer Steuer bindend ist, ausdrücklich neben Feststellungsbescheiden und Steuermeßbescheiden als Grundlagenbescheid anerkannt. Da für Fälle dieser Art bei gleichem Sachverhalt wie im Streitfall nach der AO allenfalls eine Fehlerberichtigung nach § 222 Abs.1 Nr.2 (oder Nr.4) AO in Betracht kam, war eine Änderung nur innerhalb der Verjährungsfrist möglich.
3. Das Urteil des FG, das der Rechtsauffassung des Senats nicht entspricht, ist aufzuheben. Die Sache ist gemäß § 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG zu prüfen haben, ob eine Verjährung der Einkommensteueransprüche für die Streitjahre 1963 bis 1969 aufgrund der §§ 144 f. AO eingetreten ist. Dabei wird es auch zu beachten haben, daß nach dem Urteil in BFHE 137, 547, BStBl II 1983, 324 die Verjährung in diesen Fällen bei Stellung eines Änderungsantrages vor Ablauf der Verjährungsfrist des § 144 AO entsprechend § 171 Abs.3 AO 1977 aufgehalten wird. Das FA wird deshalb nicht nur die beiden im Urteil des FG genannten Anträge der Steuerpflichtigen auf Berücksichtigung des Körperbehindertenpauschbetrages, von denen sich der erstere gar nicht ausdrücklich auf die Streitjahre bezog, sondern auch weitere Anträge, die die Kläger im Laufe der Zeit gestellt haben, prüfen müssen.
Fundstellen
Haufe-Index 64000 |
BFH/NV 1991, 53 |
BStBl II 1991, 717 |
BFHE 164, 198 |
BFHE 1992, 198 |
BB 1991, 2511 |
BB 1991, 2511-2513 (LT) |
DB 1991, 1555 (L) |
HFR 1991, 572 (LT) |
StE 1991, 256 (K) |