Leitsatz (amtlich)
Ein Gutachter auf dem Gebiet der Schätzung von Einrichtungsgegenständen und Kunstwerken ist gewerblich tätig.
Normenkette
GewStG § 2; EStG §§ 15, 18
Tatbestand
Streitig ist die Gewerbesteuerpflicht eines Sachverständigen für Mobiliar und Kunst.
Der Revisionskläger (Steuerpflichtiger) erlangte an einer Realschule die mittlere Reife, besuchte dann eine kaufmännische Berufsschule und war anschließend nach einer kaufmännischen Lehre in einem Auktionshaus und einem Antiquitätengeschäft drei Jahre lang als Gehilfe im Auktionshaus tätig. Im Jahre 1926 wurde er Mitinhaber und 1930 Alleininhaber dieses Auktionshauses. Im Jahre 1936 wurde er vom Regierungspräsidenten in X als Sachverständiger für Mobiliar und Kunst vereidigt und öffentlich bestellt. Beim Amt für Verteidigungslasten war er ab 1955 als amtlicher Taxator zugelassen. Der Steuerpflichtige gehört dem Bundesverband des deutschen Kunst- und Antiquitätenhandels e. V. als Mitglied des Y Landesverbandes an.
Der Revisionsbeklagte (FA) hat den Steuerpflichtigen für 1961 auch in der Einspruchsentscheidung nach einem Gewinn aus Gewerbebetrieb von ... DM zu einem einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag von ... DM veranlagt.
Das FG bestätigte die Gewerbesteuerpflicht des Steuerpflichtigen. Es begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt:
Die Heranziehung des Steuerpflichtigen zur Gewerbesteuer für das Streitjahr 1961 verstoße nicht gegen Treu und Glauben, auch wenn das FA dem Steuerpflichtigen im Juli 1952 mitgeteilt habe, es bestünde keine Gewerbesteuerpflicht und es ihn in der Folgezeit zunächst auch nicht zur Gewerbesteuer herangezogen habe. Für jeden Veranlagungszeitraum sei die Steuerpflicht erneut zu prüfen und aus dem Ergebnis dieser Prüfung seien die entsprechenden Folgerungen zu ziehen.
Die Tätigkeit des Steuerpflichtigen sei eine gewerbliche, weil der Steuerpflichtige nicht zu den Angehörigen eines freien Berufs im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehöre. Eine künstlerische Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG scheide beim Steuerpflichtigen von vornherein aus. Er betätige sich nicht in schöpferischer Weise als Künstler, denn er schaffe keine Kunstwerke. Die Gutachtertätigkeit des Steuerpflichtigen sei aber auch nicht wissenschaftlicher Natur. Der Steuerpflichtige habe wohl Kenntnisse, Erfahrungen, Fähigkeiten, die ihn befähigten, die ihm zur Begutachtung überlassenen Fälle sachgemäß und einwandfrei zu erledigen und damit seine Tätigkeit erfolgreich zu gestalten. Es sei auch nicht zu verkennen, daß der Steuerpflichtige auf seinem Gebiet als Experte gelte. Ein Vorgehen mit wissenschaftlichen Methoden lasse sich aber beim Steuerpflichtigen trotzdem nicht feststellen. Dies zeigten u. a. seine schriftlichen Stellungnahmen. Kennzeichnend für den nicht wissenschaftlichen, sondern gewerblichen Charakter der Tätigkeit des Steuerpflichtigen sei auch die Ausdrucksweise, deren er sich bediene und die sich zum Teil wesentlich von der Terminologie in kunstwissenschaftlichen Abhandlungen unterscheide. Zusammenfassend lasse sich feststellen, daß die steuerlich zu beurteilende Tätigkeit des Steuerpflichtigen, soweit sie Kunstwerke betreffe, einem Teilgebiet der Tätigkeit eines Antiquitätenhändlers gleichkomme, nämlich dem Aufgabenkreis, bei dem er als Sachverständiger in Anspruch genommen werde und auf Grund seiner Fachkenntnisse sein Gutachten erstatte. Der Steuerpflichtige habe die Unterstellung des FA, er habe von seiner Tätigkeit behauptet, sie sei "wissenschaftlich und künstlerisch", ausdrücklich von sich gewiesen und dazu betont, er habe sich nie als "Wissenschaftler" oder "Künstler" ausgegeben. Neben Kunstwerken und Antiquitäten habe der Steuerpflichtige nicht nur ganze Wohnungs-, Geschäfts- und Hoteleinrichtungen zu beurteilen, sondern auch einzelne Hausratsstücke einschließlich Teppichen, Musikinstrumente, Textilien, Schmuckstücke, Fotoapparate und ausländische Kuriositäten. Bei der natürlichen Begrenzung menschlicher Arbeitskraft sei es einer Einzelperson unmöglich, wissenschaftlicher Experte für jedes dieser Gebiete zu sein. Ein wissenschaftlich tätiger Kunstsachverständiger würde auch nicht eine Tätigkeit übernehmen können und wollen, die einen derart breiten und vielgestaltigen Wirkungsbereich aufweist, wie er gegeben sei, und der sich bis auf Bettstellen, Matratzen, Nachttische, Barhocker, Klosett-Türen, Urinalbecken, Autoschläuche, Koksbestände, Obstkisten und Unterhosen erstrecke.
Ebensowenig handele es sich bei dem Beruf des Steuerpflichtigen um einen der im Katalog des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten oder diesem ähnlichen Beruf. Der Steuerpflichtige verkenne, daß sich seine Gutachtertätigkeit mit keiner der im § 18 EStG einzeln aufgeführten Berufsgruppen vergleichen lasse.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die als Revision zu behandelnde Rechtsbeschwerde des Steuerpflichtigen ist unbegründet.
Der Steuerpflichtige kann sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben auf die Mitteilung des FA vom Juli 1952, daß ihn eine Gewerbesteuerpflicht nicht treffe, und darauf, daß es ihn in der Folgezeit zunächst auch nicht zur Gewerbesteuer heranzog, für die Gewerbesteuerfreiheit im Streitjahr 1961 berufen. Das FA ist bei der Veranlagung an eine Rechtsauffassung, die es für ein Vorjahr zugrunde gelegt hat, grundsätzlich nicht gebunden, und zwar selbst dann nicht, wenn der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die Richtigkeit der objektiv unrichtigen Entscheidung disponiert haben sollte (vgl. Urteile des BFH VI 221/57 U vom 19. September 1958, BFH 67, 396, BStBl III 1958, 425; V 92/61 S vom 16. Juli 1964, BFH 80, 446, BStBl III 1964, 634). Ebensowenig aber ist im Streitfall eine Verwirkung der Ansprüche des FA auf Erlaß eines Gewerbesteuermeßbescheids für das Jahr 1961 eingetreten (vgl. BFH-Urteil IV 213/65 vom 5. März 1970, BFH 100, 1, BStBl II 1970, 793). Der Steuerpflichtige durfte allenfalls erst von dem Zeitpunkt an darauf vertrauen, für den abgelaufenen Erhebungszeitraum keine Gewerbesteuerveranlagung mehr zu erhalten, in dem er den Einkommensteuerbescheid für das nächste Jahr erhielt. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, weil der Steuerpflichtige bereits mit Steuerbescheid für das Jahr 1961 zur Einkommensteuer mit Einkünften aus Gewerbebetrieb, nicht wie in den früheren Jahren mit solchen aus selbständiger Arbeit herangezogen wurde.
Auch sonst weist die Vorentscheidung eine Verletzung des geltenden Rechts nicht auf.
Die Annahme einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Tätigkeit hat die Vorinstanz zu Recht ausgeschlossen. Mit Recht weist die Vorinstanz darauf hin, daß sich der Steuerpflichtige nicht in schöpferischer Weise künstlerisch betätige, weil er keine Kunstwerke schaffe. Ebensowenig aber ist diese Tätigkeit, auch nicht bei der Beurteilung von Kunstwerken, eine solche wissenschaftlicher Natur. Diese ist nur dann eine wissenschaftliche, wenn für ihre Ausübung wissenschaftliche Kenntnisse vorausgesetzt werden und eine hochstehende, qualifizierte Tätigkeit entfaltet wird, die der Forschertätigkeit vergleichbar ist. Es muß eine schwierige Aufgabe nach wissenschaftlichen Grundsätzen, d. h. nach sachlichen und objektiven Gesichtspunkten zu lösen versucht werden. Von wissenschaftlichen Arbeiten kann nur gesprochen werden, wenn grundsätzliche Fragen oder konkrete Fälle systematisch in ihren Ursachen erforscht, begründet und in einen Verständniszusammenhang gebracht werden. Eine sich lediglich auf Tatsachendarstellung beschränkende Tätigkeit ist deshalb nicht wissenschaftlich (vgl. BFH-Urteile IV 73/52 U vom 30. April 1952, BFH 56, 425, BStBl III 1952, 165; IV 104/52 U vom 13. November 1952, BFH 57, 83, BStBl III 1953, 33, und IV 465/54 U vom 19. Januar 1956, BFH 62, 240, BStBl III 1956, 89). In Einklang mit diesen Grundsätzen hat die Vorinstanz mit zutreffenden Gründen das Vorliegen einer wissenschaftlichen Tätigkeit, auch soweit es sich um die Beurteilung von Kunstwerken handelt, verneint. Die von dem Steuerpflichtigen der Vorinstanz vorgelegten und von dieser für die tatsächliche Beurteilung der Tätigkeit des Steuerpflichtigen verwendeten schriftlichen Gutachten lassen eindeutig erkennen, daß der Steuerpflichtige bei deren Abfassung auf Grund seiner praktischen, speziell kaufmännischen Erfahrungen auf diesem Gebiet, nicht aber mit wissenschaftlichen Methoden vorgegangen ist. Von einer wissenschaftlichen Analyse der von ihm begutachteten Kunstwerke in Gestalt wissenschaftlicher Expertisen kann hierbei nicht gesprochen werden.
Schließlich ist der Beruf des Steuerpflichtigen weder einem in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten Beruf noch einem diesen ähnlichen Berufen zuzurechnen. Der IV. Senat des BFH hat es in ständiger Rechtsprechung als nicht angängig erklärt, der Aufzählung in § 18 EStG einen allgemeinen Grundsatz zu entnehmen. Ein Beruf muß vielmehr tatsächlich einem bestimmten in der Gesetzesvorschrift aufgeführten Beruf ähnlich sein. Nur auf diese Weise ist eine einigermaßen bestimmte Abgrenzung möglich (vgl. BFH-Urteil IV 696-697/54 U vom 24. Januar 1957, BFH 64, 279, BStBl III 1957, 106). Diesen Grundsätzen schließt sich der erkennende Senat an. Es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern die Tätigkeit eines Sachverständigen für Mobiliar und Kunst der Tätigkeit eines Vermessungsingenieurs, Handelschemikers, Buchprüfers, Lotsen, Übersetzers usw., wie der Steuerpflichtige meint, ähnlich sein sollte. Aus dem Umstand, daß aus dem Kreis der Sachverständigen nur die Buchsachverständigen in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführt sind, ist zu folgern, daß die Tätigkeit der sonstigen Sachverständigen nur dann als freiberuflich anzusehen ist, wenn sie zur Berufstätigkeit der besonders aufgeführten Berufszweige gehört oder als wissenschaftlich bzw. künstlerisch anzusehen ist. Die Tätigkeit des Steuerpflichtigen als Gutachter ist daher gewerblich, und zwar wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, in vollem Umfang.
Fundstellen
Haufe-Index 69570 |
BStBl II 1971, 749 |
BFHE 1972, 77 |